Bücher

  • Cover: „Der Tollhauseffekt“ (2018)
ISBN Nr.: 
978-3-662-57787-5
Thomas Unnerstall
,
Springer-Verlag Berlin Heidelberg

Energiewende verstehen: Die Zukunft von Autoverkehr, Heizen und Strompreisen

Taschenbuch
14,99 Euro

Frei von Ideologie und auf Basis der wichtigsten Zahlen erhalten Sie hier ein klares Bild des Generationenprojekts Energiewende in Deutschland. In verständlicher Sprache und mit zahlreichen anschaulichen Grafiken liefert das Buch einen Überblick zu allen wichtigen Themen der aktuellen Energiepolitik: von Versorgungssicherheit bis Kohleausstieg, von Klimaschutzzielen bis Wettbewerbsfähigkeit der Industrie.

Thomas Unnerstall übersetzt Ihnen die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur zukünftigen Entwicklung von Autoverkehr, Heizung, Stromproduktion und Energiepreisen - ohne Fachkauderwelsch, informativ, faktenbasiert und einprägsam.

Kaum ein anderes politisches Vorhaben ist so langfristig angelegt, finanziell so schwerwiegend und auch international so bedeutsam wie die Energiewende – und kaum ein anderes ist so außergewöhnlich komplex und kontrovers in der Diskussion. Dieses Buch ermöglicht Ihnen, die gegenwärtige Situation zu beurteilen und sich ein eigenes Urteil zu den Chancen und Risiken der deutschen Klimapolitik zu bilden.

 

Leseprobe aus dem Buch:

Kap. 8: Was kostet die Energiewende?

 

In der ersten Phase der Energiewende bis 2017 sind erhebliche Anlaufkosten von ca. 500 Mrd. € entstanden. Abgesehen davon liegen die Kosten für das zukünftige regenerative Energiesystem jedoch in der gleichen Größenordnung wie die Kosten für das bisherige fossile Energiesystem – d.h. die Energiepreise im Jahr 2050 werden sich (inflationsbereinigt) nicht wesentlich von den heutigen Preisen unterscheiden.

 

Zum Hintergrund

Seit dem offiziellen Startschuss für die Energiewende im Jahr 2010 hat es immer wieder intensive politische und gesellschaftliche Diskussionen über verschiedene Aspekte dieses Generationenprojekts gegeben: über die technische Machbarkeit (s. Kap. 2), über den Flächenverbrauch (s. Kap. 3), über die Frage der Einbettung in eine EU-Energiepolitik u.a. Kein Thema ist jedoch so breit, so kontrovers und so nachhaltig diskutiert worden wie die Kosten der Energiewende. „Kostenexplosion“, „Teurer Energie-Irrweg“, „Die Kosten laufen aus dem Ruder“, „Die Strompreise sind zu hoch“, „Die Energiewende kostet unfassbar viel Geld“ sind nur einige der Schlagzeilen, die regelmäßig bis heute in Artikeln, Kommentaren, Blogs, Vorträgen etc. auftauchen.

Im Kern ist es durchaus nachvollziehbar, dass das Thema „Kosten der Energiewende“ eine so hohe Aufmerksamkeit erfährt; schließlich tauchen diese Kosten in Form der EEG-Umlage[1] – sowohl bei den privaten Haushalten als auch bei den meisten Unternehmen – auf jeder Stromrechnung auf. Höhere Strompreise sind bisher die für alle Teile der Gesellschaft am deutlichsten spürbare Auswirkung der Energiewende.

Leider hat die Politik gerade bei diesem Thema schwere Fehler gemacht. Zum einen wurde die Kostenentwicklung dramatisch unterschätzt und diesbezüglich in der Öffentlichkeit falsche Erwartungen geweckt[2]; die unvermeidliche Enttäuschung dieser Erwartungen hat sicherlich zur Heftigkeit der Kostendiskussionen beigetragen. Zum anderen wurde das Prinzip der Kosteneffizienz bei der konkreten Umsetzung der Energiewende (insbesondere im Strombereich) trotz gegenteiliger Beteuerungen lange Zeit nicht konsequent beachtet[3].

Aber auch unabhängig von dieser Vergangenheit und von den aktuellen Diskussionen ist eines klar: Die Energiewende wird nur dann gelingen, wenn sie zu akzeptablen Kosten umsetzbar ist – d.h. wenn sie sich nicht nur als technisch machbar, sondern auch als finanzierbar erweist.

Noch einmal anders formuliert: In den nächsten 30 Jahren werden sich Parteienkonstellationen ändern, und wechselnde Koalitionen werden die Bundesregierung stellen. Angesichts dessen ist das politische Projekt Energiewende nur dann realistisch, wenn es nachhaltig und breit in der Gesellschaft verankert ist. Die wichtigste Voraussetzung für die gesellschaftliche Akzeptanz ist sicherlich, dass die Energie während des fundamentalen Systemwechsels von fossilen auf regenerative Energieträger bezahlbar bleibt; d.h., dass die Ausgaben für Energie – jedenfalls in Relation zum verfügbaren Einkommen (private Haushalte) bzw. in der Relation zum Umsatz (Unternehmen) – in den nächsten Jahrzehnten nicht deutlich steigen.

Wie also stehen die Chancen, dass diese Voraussetzung erfüllt wird? Welche Aussagen kann man heute seriös treffen über die Energiepreise im Jahr 2050?

Die Kosten des Energiesystems 1990–2017

Vor dem Blick in die Zukunft schauen wir zunächst auf die Vergangenheit und Gegenwart. Die Kosten des Energiesystems werden als Energieausgaben von den Energieverbrauchern (private Haushalte, Unternehmen, öffentliche Hand u.a.) bezahlt. Sie liegen aktuell bei 200 Mrd. € (ohne MwSt.) und setzen sich hauptsächlich aus den folgenden vier Komponenten zusammen:

-       Kosten für die Energie-Infrastruktur: Kraftwerke, Raffinerien, Stromnetz, Erdgasnetz u.a.

-       Kosten für die Energieimporte: Erdöl, Erdgas, Steinkohle u.a.

-       Steuern und Abgaben auf Energie (inkl. der staatlich veranlassten EEG-Umlage)

-       Margen für die in der Energiewirtschaft tätigen Unternehmen: Energieversorger, Stadtwerke, Mineralölkonzerne, Händler

 

Die jeweiligen Anteile dieser Komponenten an den Gesamtkosten für das Jahr 2017 sind aus  Abb. 8.1 ersichtlich. Die aktuelle Aufgliederung in die Ausgaben für Strom, Wärmeenergie[4] und Kraftstoffe (für Straßenverkehr) zeigt  Abb. 8.2.

 


Abb. 8.1: Kosten des Energiesystems 2017 (I)

 


Abb. 8.2: Kosten des Energiesystems 2017 (II)

Angesichts der sehr unterschiedlichen Einflüsse – insbesondere die Weltmarktpreise für Erdöl, Erdgas, Kohle und die staatliche Energie- und Steuerpolitik – ist es durchaus bemerkenswert, dass die Energiesystemkosten seit fast 30 Jahren relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) fast konstant sind: Sie schwanken in einem engen Korridor von 6–8 %[5] (Abb. 8.3).

 


Abb. 8.3: Anteil der Energiesystemkosten am BIP, 1991-2017

Aus Abb. 8.3 lassen sich drei Folgerungen ziehen:

-       Trotz Energiewende liegen die Energiesystemkosten relativ zum BIP heute nicht höher als in den 1990er-Jahren.

-       Der wichtigste Einflussfaktor für diese Kosten waren in der Vergangenheit die Importpreise für Öl, Gas und Kohle: Sie sind verantwortlich für den „Buckel“ um das Jahr 2010 herum, als die Weltmarktpreise für Erdöl besonders hoch waren[6].

-       Auch die Strompreise sind relativ zur Wirtschaftskraft auf demselben Niveau wie in den 1990er-Jahren.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die „Bezahlbarkeit“ von Energie für die Volkswirtschaft durch die Energiewende jedenfalls bisher nicht spürbar beeinträchtigt wurde – trotz der nicht unerheblichen Anlaufkosten.

 

Die Anlaufkosten der Energiewende

Von 2000 (dem Jahr der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG), das die Grundlage für den massiven Ausbau der EE in Deutschland ist) bis 2017 wurden ca. 100 GW EE mit einer durchschnittlichen jährlichen Stromproduktion von ca. 200 TWh gebaut. Die dafür erforderlichen, durch das EEG garantierten Subventionen liegen bei etwa 500 Mrd. €. Sie fallen für jede einzelne Anlage für über einen Zeitraum von 20 Jahren an, für den 2000 bis 2017 gebauten EE-Anlagenpark also von 2000 bis 2037. Diese Subventionen werden von den Energieverbrauchern als EEG-Umlage über die Stromrechnungen bezahlt.
Die 500 Mrd. € verteilen sich also auf 37 Jahre – etwa ein Drittel wurde bereits bezahlt (2000–2017), zwei Drittel müssen in den nächsten 20 Jahren (2018–2037) bezahlt werden.

Relativ zum BIP liegen die jährlichen Kosten für diese erste Phase der Energiewende durchschnittlich bei etwa 0,4 %; d.h. sie machen deutlich weniger als 10 % der Gesamtkosten für Energie aus und haben damit einen geringeren Einfluss als etwa die Schwankungen der Weltmarktpreise für die importierten fossilen Energieträger.

Obwohl aus diesem Grund die Kosten für die bisherige Energiewende[7] im Gesamtkontext durchaus als moderat bezeichnet werden können – 500 Mrd. € sind zweifellos ein sehr erheblicher Betrag[8]. Er ist der wesentliche Grund für die harte Kritik an der Energiewende, die wir eingangs zitiert haben.

Um diesen Betrag richtig einzuordnen, sind jedoch drei Aspekte wichtig:

-     Die 500 Mrd. € bleiben in der deutschen Volkswirtschaft, d.h. sie führen nur zu internen Umverteilungen. Durch die getätigten Investitionen ist das BIP sogar leicht höher als in einem Szenario ohne Energiewende.

-     Der Betrag reflektiert die durchschnittlichen Mehrkosten von PV-, Wind- und Biomasseanlagen gegenüber den fossilen Kraftwerken im Zeitraum 2000–2017; und in der Tat waren in diesen zurückliegenden Jahren die EE (v.a. die PV) noch extrem teuer. Dieses Bild hat sich allerdings fundamental gewandelt: Abb. 8.4 zeigt die geradezu dramatische Kostendegression bei PV und Wind in den letzten Jahren.
Daher lassen die bisherigen Kosten für die Energiewende (im Strombereich) keinerlei Rückschlüsse auf die zukünftigen Kosten zu.

 


Abb. 8.4: Kostendegression bei Energiewende-Technologien 2008-2018

 

-       Mehr noch: Erst durch diese massive Subventionierung der EE in einem frühen Stadium sind die Kostendegressionen überhaupt möglich geworden – und das gilt nicht nur für Deutschland, es gilt weltweit. Tatsächlich hat die hohe Nachfrage aus Deutschland lange Zeit wesentlich dazu beigetragen[9], dass PV- und Windanlagen in die industrielle Massenproduktion kamen und in der Folge auf dem ganzen Globus sehr preiswert geworden sind.

 

Zusammenfassend kann man also festhalten: Die bisherige Energiewende hat erhebliche, einmalige Anlaufkosten von 500 Mrd. € verursacht. Aber erstens wird damit die Bezahlbarkeit der Energie nicht infrage gestellt, und zweitens kann man dieses Geld auffassen als den deutschen Beitrag zur internationalen Klimapolitik – denn andere Länder können jetzt ihr Stromsystem zu unvergleichlich günstigeren Kosten von fossil auf regenerativ umstellen.

 

Die Kosten des Energiesystems bis 2050

In Abb. 8.3 ist deutlich geworden, dass die Kosten des Energiesystems relativ zur Wirtschaftskraft (und damit auch relativ zu den verfügbaren Einkommen der Haushalte bzw. zum Umsatz der Industrie) im Laufe der letzten Jahrzehnte ziemlich konstant waren und insbesondere aktuell (2017) mit ca. 6 % des BIP auf demselben Niveau liegen wie in den 1990er-Jahren (d.h. vor der Energiewende).

Aber ist es realistisch, dass auch in einem fundamental anderen, durch EE dominierten Energiesystem im Jahr 2050 die Kosten in diesem Rahmen bleiben? Bleibt die Energie also trotz Energiewende auch in Zukunft bezahlbar?
Es mag vermessen scheinen, diese Frage seriös beantworten zu wollen – Preisprognosen über einen Zeitraum von 30 Jahren sind in der Tat oft wenig mehr als der „Blick in die Kristallkugel“.
Interessanterweise kann man die Frage aber tatsächlich mit einiger Sicherheit beantworten, und zwar gerade weil es ein regeneratives Energiesystem ist. Ein wesentliches Charakteristikum des Energiesystems der Zukunft ist ja, dass die Energie selbst (Sonnen- und Windenergie) gar nichts kostet. Die Kosten dieses Systems sind also praktisch reine Fixkosten: in erster Linie die Kosten der Investitionen in die Energie-Infrastruktur (PV-/Windanlagen, Stromnetze, Speicher, Reservekraftwerke, Ladestationen für E-Autos etc.). Diese Kosten sind aber recht gut prognostizierbar, jedenfalls im Sinne einer Abgrenzung nach oben.

In einem fossilen Energiesystem hingegen ist eine Kostenprognose weitaus schwieriger, weil dort ein zentraler Faktor die Importpreise/Weltmarktpreise für Erdöl, Erdgas und Kohle sind – und diese sind über einen Zeitraum von 30 Jahren tatsächlich nicht vorhersehbar.

Um die Kosten des zukünftigen Energiesystems in diesem Sinne seriös abzuschätzen, ist es sinnvoll, die Bereiche Strom, Kraftstoffe und Wärmeenergie zunächst separat zu betrachten. Alle folgenden Zahlen bzgl. Kosten sind inflationsbereinigt zu verstehen (d.h. in Preisen von 2018).

Strom

Das Stromsystem kostete 2017 ca. 62 Mrd. € oder etwa 14 ct/kWh. Hinzu kamen Steuern und Abgaben in Höhe von ca. 12 Mrd. €.
Die wesentlichen Kostenelemente des zukünftigen Stromsystems können recht gut geschätzt werden und sind in Tab. 8.1 dargestellt.

Tab. 8.1 Abschätzung der Stromsystemkosten 2050 (ohne Steuern/Abgaben), in Mrd. €

 

Kosten 2017

Kosten 2050

Netz

23

30–33

EE

24

27–34

Konventionelle Kraftwerke

10

5

Speicher

0

5

Vertriebskosten

5

5

Gesamt

62

72–82

Annahme: Stromverbrauch 2050 = 600–650 TWh.

 

Das Stromsystem der Zukunft wird also (ohne Steuern/Abgaben) nicht mehr als 80 Mrd. € kosten, d.h. weiterhin rund 14 ct/kWh.

Bezogen auf die klassischen Stromanwendungen[10] – also ohne den zusätzlichen Stromverbrauch für E-Autos und für Wärmepumpen (dazu siehe unten) – liegen die Stromkosten des Jahres 2050 damit in der Größenordnung von 55–60 Mrd. €, also eher etwas unter den heutigen Kosten.  

Kraftstoffe (für Straßenverkehr)

Die „echten“ jährlichen Kosten der Verkehrskraftstoffe für die Energieverbraucher – also die Kosten für Benzin und Diesel ohne Steuern - lagen 2017 bei 36 Mrd. €[11], die sich aufteilen in 24 Mrd. € für den PKW-Verkehr[12] und 12 Mrd. € für den Güterverkehr. Hinzu kommen 37 Mrd. € Steuern auf die Kraftstoffe.

Gemäß der in Abschnitt 5.3 skizzierten Energiewende im Verkehr kann man davon ausgehen, dass im Jahr 2050 der PKW-Verkehr weitestgehend auf E-Mobilität umgestellt sein wird; er benötigt dann 100–120 TWh Strom pro Jahr, der (bei 14 ct/kWh Stromkosten) deutlich unter 20 Mrd. € kosten wird. Raffinerien und herkömmliche Tankstellen werden entsprechend zu einem erheblichen Teil wegfallen bzw. durch E-Tankstellen ersetzt sein.
Selbst wenn man etwas höhere Kosten für den LKW-Verkehr annimmt und davon ausgeht, dass E-Tankstellen teurer sind als die heutigen Tankstellen: Die Energiekosten für den Straßenverkehr der Zukunft werden aller Voraussicht nach nicht höher sein als heute.

Wärmeenergie

Die Kosten für Wärmeenergie – d.h. in erster Linie Raumwärme-Kosten für Gebäude und Prozesswärme-Kosten für die Industrie – lagen 2017 bei 50 Mrd. €. Sie gliedern sich auf in 20 Mrd. € für den Import der Energieträger, 10 Mrd. € für das Erdgas- und Fernwärmenetz sowie 20 Mrd. € für sonstige Kosten (Raffinerien, Handel und Steuern). Da die Netzkosten und die sonstigen Kosten keinen großen Schwankungen im Zeitverlauf unterliegen, werden die zukünftigen Kosten des Wärmesystems weitgehend von den volkswirtschaftlichen Kosten für die Energieträger bestimmt. Diesbezüglich muss man zwei Aspekte unterscheiden:

Aspekt 1:

Folgt man den Aussagen in Kapitel 6 bzgl. der Raumwärme für Gebäude und in Abschnitt 7.3 bzgl. der Prozesswärme für die Industrie, wird es im Zeitraum 2020–2050 zum einen eine deutliche Verschiebung bei den Energieträgern geben – von Heizöl und Kohle hin zu Erdgas, Strom und einem kleinen Teil Holz. Zum anderen sinkt der Energieverbrauch erheblich aufgrund der fortlaufenden energetischen Sanierung der Gebäude und der zu erwartenden Energieeffizienz-Investitionen in der Industrie.

Insgesamt dürfte der Einsatz der fossilen Energieträger im Zuge der Energiewende etwa wie in Tab. 8.2 angegeben sinken. Nach heutigen Preisen gehen auf diese Weise die jährlichen Importkosten für den Wärmebereich von 20 Mrd. € auf 10–12 Mrd. € zurück. Hinzu kommen im zukünftigen Wärmesystem die zusätzlichen Stromkosten für die Wärmepumpen (ca. 40 –50 TWh) von voraussichtlich rund 5–6 Mrd. € und die Kosten für den zusätzlichen Einsatz von Holz von etwa 1 Mrd. €.

Tab. 8.2 Abschätzung bzgl. Einsatz fossiler Energieträger im Wärmebereich 2050 (in TWh)

 

2015

2050

Erdgas*

680

450–550

Heizöl

200

0–50

Kohle*

260

ca. 150**

* inkl. Fernwärmeproduktion; ** Kohleeinsatz in der Stahlindustrie (unverändert gegenüber 2015).

 

Mit anderen Worten: Man kann recht verlässlich davon ausgehen, dass die Energiekosten für Wärme im Jahr 2050 (bei heutigen Preisen insbesondere für Erdgas) nicht über den heutigen Kosten liegen werden.

Aspekt 2:

Diese Aussage allein greift jedoch zu kurz. Anders als bei Strom und Verkehr ist die Energiewende im Wärmebereich für die Gebäudeeigentümer und die Industrie mit zusätzlichen eigenen Investitionen verbunden: in erster Linie für Wärmepumpen/Holzheizungen (Gebäude) bzw. für Brennstoff-Umstellungen/Energieeffizienz (Industrie). Die Kosten im Jahr 2050 für diese Investitionen können annualisiert mit jährlich ca. 10 Mrd. € abgeschätzt werden.

Zusammenfassung:

Die Gesamtkosten des zukünftigen Energiesystems für Strom, Straßenverkehr und Wärme im Jahr 2050 werden aller Voraussicht nach absolut gesehen (inflationsbereinigt) in einer ähnlichen Größenordnung liegen wie in den letzten Jahren: bei rund 200 Mrd. €[13]. Diese Prognose ändert sich auch dann nicht wesentlich, wenn man die auf Verbraucherseite im Zuge der Energiewende erforderlichen zusätzlichen Investitionen im Wärmebereich berücksichtigt.

Hinzu kommt jetzt allerdings noch eine wichtige Kostenposition: die Kosten für die notwendigen E-Brennstoffe.

 

Kosten für E-Brennstoffe

In Abschnitt 7.4 ist deutlich geworden, dass die Klimaschutzziele der Energiewende mit großer Wahrscheinlichkeit nur dann erreicht werden können, wenn im Jahr 2050 in erheblichem Umfang synthetisches Gas importiert wird und das fossile Erdgas (v.a. für den Gasbedarf in Gebäuden und in der Industrie) zum Teil ersetzt. Für das 80 %-Klimaziel sind (auf der Basis von Abb. 7.9) Importe in der Größenordnung von 300 TWh erforderlich.

Die Kosten hierfür sind schwer zu prognostizieren, weil sich der in diesem Zusammenhang wahrscheinlich entstehende Weltmarkt für die E-Brennstoffe erst entwickeln muss. Aus heutiger Sicht kann man diese Kosten aber mit max. 10 ct/kWh annehmen. Die zusätzlichen Importkosten liegen daher voraussichtlich in der Größenordnung von max. 25 Mrd. €[14].

Es wird wahrscheinlich einer gesonderten politischen Entscheidung bedürfen, um diese Importe zu realisieren, und in diesem Zusammenhang insbesondere einer Entscheidung, in welcher Form die entsprechenden Kosten bezahlt werden: ob aus Steuermitteln, in Form von Umlagen an die Energieverbraucher oder über andere Finanzierungsinstrumente.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist aber folgende Einsicht: Auch unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Kosten zur Erreichung der Klimaschutzziele liegen die Gesamtkosten des Energiesystems (mit max. 250 Mrd. €) relativ zum BIP voraussichtlich etwa so hoch wie heute[15].

 

Fazit

-       Die Frage der Kosten ist das am intensivsten diskutierte Thema im Zusammenhang mit der Energiewende.

-       Nur wenn Energie „bezahlbar“ bleibt – d.h. wenn sich die Relation von verfügbaren Einkommen der Haushalte/Umsatz der Industrie und Energieausgaben nicht grundlegend verschlechtert –, kann die hohe gesellschaftliche Akzeptanz der Energiewende erhalten bleiben. Und nur bei breiter Zustimmung zur Energiewende auch in den nächsten Jahrzehnten ist die Fortsetzung des Projekts unabhängig von zukünftigen Wahlausgängen realistisch.

-       In den letzten Jahrzehnten ist diese Relation bemerkenswert konstant gewesen: Die Kosten des Energiesystems lagen durchgehend in einem Korridor von 6–8 % vom Bruttoinlandsprodukt. Der wichtigste Einflussfaktor für die temporären Schwankungen waren die Importkosten für die fossilen Energieträger, d.h. die Weltmarktpreise für Erdöl, Erdgas und Kohle.

-       Auch die hohen einmaligen Anlaufkosten von 500 Mrd. € für die erste Phase der Energiewende ändern an diesem Verhältnis im Kern nichts: Sie verteilen sich über fast 40 Jahre und machen im Durchschnitt nur etwa 0,4 % des BIP aus.

-       Dieses Geld hat über Deutschland hinaus wesentlich dazu beigetragen, dass PV- und Windkraftwerke heute an vielen Orten der Welt billiger sind als fossile Kraftwerke – und damit die Energietransformation „Fossil → Regenerativ“ auch in ärmeren Ländern finanzierbar ist.

-       Die Kosten des zukünftigen, von EE dominierten Energiesystems werden – im Unterschied zu heute – sehr stark von den Energie-Infrastrukturkosten (d.h. von den Investitionskosten für wesentliche Energiewende-Technologien wie PV, Wind, E-Tankstellen, Speicher etc.) bestimmt. Aus diesem Grunde sind sie relativ gut prognostizierbar.

-       Man kann seriös davon ausgehen, dass sich diese Kosten im Jahr 2050 in absoluten Zahlen inflationsbereinigt in derselben Größenordnung bewegen werden wie in den letzten Jahren – etwa 200 Mrd. € (ohne MwSt.). Hinzu kommen allerdings die zur Erreichung des 80 %-Klimaziels in 2050 voraussichtlich erforderlichen Importe von (synthetischen) E-Brennstoffen, deren Kosten man mit 25 Mrd. € nach oben abschätzen kann.

-       Auch bei einem sehr moderaten zukünftigen Wirtschaftswachstum bedeuten diese Zahlen, dass sich die Relation Energiekosten/BIP im Jahr 2050 – d.h. nach der Energiewende – weiterhin im Korridor von 6–8 % bewegen wird. Energie bleibt also „bezahlbar“.

-       Unabhängig davon herrscht in der Wissenschaft weitgehende Einigkeit darüber, dass die Energiewende eher positive Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum hat – insbesondere weil Energieimporte sukzessive durch interne Wertschöpfung/Anlage-Investitionen ersetzt werden.

 

[...]

 

 




[1] Die EEG-Umlage ist der Betrag (in Cent pro Kilowattstunde), der von den meisten Stromverbrauchern zur Finanzierung der Subventionen für die EE erhoben wird. Zurzeit beträgt die EEG-Umlage 6,9 ct/kWh.

[2] So heißt es im Kabinettsbeschluss zur Energiewende vom Juni 2011, die Bundesregierung wolle dafür sorgen, dass „die Größenordnung der EEG-Umlage von 3,5 ct/kWh nicht überschritten wird“.

[3] Zur Begründung siehe T.Unnerstall, „Faktencheck Energiewende“, S. 136 ff.

[4] „Wärmeenergie“ fasst die Bereiche Energieträger für Prozesswärme v.a. in der Industrie (ohne Strom) und Heizenergie für die Gebäude (ohne Strom) zusammen.

[5] In absoluten Zahlen haben sich die Energiesystemkosten etwa verdoppelt: von ca.100 Mrd. € (1991) auf ca. 200 Mrd. € (2017). Im gleichen Zeitraum hat sich das BIP ebenfalls verdoppelt: von ca. 1600 Mrd. € (1991) auf ca. 3300 Mrd. € (2017).

[6] In der Spitze (Anfang des Jahrzehnts) betrugen die Importkosten ca. 100 Mrd. €, 2017 waren es nur noch etwa 50 Mrd. €.

[7] Es ist gerechtfertigt, die 500 Mrd. € für den EE-Ausbau als Kosten der bisherigen Energiewende im Strombereich zu bezeichnen. Es gibt zwar weitere Kostenpositionen – Netzausbau, KWK-Förderung, Kosten für den europäischen CO2-Zertifikate-Handel, Ausgaben für Forschung und Entwicklung, sogenannte Redispatch-Kosten u.a. –, aber erstens sind dies deutlich kleinere Kostenpositionen, und zweitens werden sie in etwa kompensiert durch den strompreissenkenden Effekt der EE. Zu Details siehe T.Unnerstall, „Faktencheck Energiewende“. Die Bereiche Wärme und Verkehr haben bisher Mittel in der Größenordnung von 20–30 Mrd. € erfordert.

[8] Insbesondere geht er weit über die historischen Subventionen für die Steinkohle (ca. 280 Mrd. €) oder die Kernenergie (ca. 150 Mrd. €) hinaus.

[9] Zwischen 2000 und 2010 wurden über 50 % aller weltweiten PV-Anlagen in Deutschland installiert; auf dem zweiten Platz folgt Spanien mit 11 %.  

[10] Man kann annehmen, dass der Stromverbrauch (Endenergie) bei den gegenwärtigen Stromanwendungen aufgrund zunehmender Energieeffizienz von derzeit 520 TWh auf 450–500 TWh in 2050 sinkt. Zusammen mit 100–120 TWh für E-Autos und 40 TWh für neue Wärmepumpen ergibt sich dann ein Gesamtstromverbrauch von 600–650 TWh. 

[11] Sie werden dominiert von den Kosten für die Mineralölimporte in Höhe von ca. 25 Mrd. €.

[12] Hier und im Folgenden ist unter „PKW-Verkehr“ immer der Verkehr der leichten Nutzfahrzeuge miteingeschlossen.

[13] Natürlich ist bei dieser Aussage vorausgesetzt, dass die Steuern und Abgaben auf Energie (gut 50 Mrd. €) – ohne EEG-Umlage – in den nächsten Jahrzehnten unverändert bleiben. Ebenfalls angenommen sind heutige Preise für die verbleibenden fossilen Energieträger. Deren Importkosten liegen dann noch in einer Größenordnung von 15 Mrd. €. Mit anderen Worten: Selbst große Schwankungen der Weltmarktpreise für fossile Energien haben 2050 keinen substanziellen Einfluss mehr auf die Energiesystemkosten und damit auf die Aussagen dieses Abschnitts.

[14] Die dadurch eingesparten Importe von fossilem Erdgas machen nach heutigen Preisen 5–6 Mrd. € aus.

[15] Wenn das BIP bis zum Jahr 2050 z.B. durchschnittlich nur um 0,5 % pro Jahr real wächst, machen diese erwartbaren Energiesystemkosten von 220–250 Mrd. € einen Anteil von 6–6,5 % aus.

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