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Bücher

  • Cover: „Der Tollhauseffekt“ (2018)
ISBN Nr.: 
13 9783550081491
Johan Rockström/Mattias Klum
,
Ullstein Verlag

Big World Small Planet

24,00 Euro

Johan Rockström nimmt das dringlichste Dilemma unserer Zeit in den Blick: Wie können wir eine positive Zukunft für unseren Planeten und für die Menschheit gleichermaßen schaffen? Souverän und mit fundiertem Optimismus skizzieren Rockström und der Fotograph Klum eine Zukunft menschlichen Wohlstands innerhalb der Grenzen des Wachstums.

Wir befinden uns im Zeitalter des Anthropozän: Über 7 Milliarden Menschen drohen das Ökosystem der Erde nachhaltig zu destabilisieren. Dieses Buch verbindet jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel mit großartigem Storytelling und atemberaubenden Fotographien. Johan Rockström räumt mit dem Mythos auf, wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftlicher Wohlstand könnten nur auf Kosten der Umwelt erreicht werden. Wir haben unsere Zukunft selbst in der Hand. Rockström hat das Konzept der "Planetary Boundaries" entwickelt, das die Belastbarkeit der Erde nach neun ökologischen Dimensionen konkret erfassbar macht. Allerdings ist eine gute Zukunft nur mit einem radikalen Gesinnungswandel zu bewältigen – nur so können wir die Hauptrolle als oberster Verwalter der Erde übernehmen.

Leseprobe aus dem Buch:

DIE DEKARBONISIERUNG DER GLOBALEN ENERGIESYSTEME

Wenn Sie morgens in Deutschland Ihre Kaffeemaschine einschalten, werden Sie wahrscheinlich 30 Prozent – und unter günstigen Umständen bis zu 75 Prozent – Ihrer Elektrizität von Sonnen- oder Windenergie bekommen. Das ist im viertgrößten Wirtschaftssystem der Welt eine außergewöhnliche Entwicklung. Sie wurde durch eine Kombination innovativer und langfristiger politischer Maßnahmen und Fortschritte hinsichtlich der Effizienz und Kosteneffektivität von Solarzellen und Windkrafttechnik ermöglicht. Zu Deutschlands Energiewende gehören der 2011 verabschiedete nationale Energieplan, ein Einspeisetarifsystem mit einem offenen Markt für den Kauf und Verkauf von Energie, überzeugende politische Ziele und anreizorientierte Maßnahmen, die nachhaltige Energie begünstigen und den Konsum nicht nachhaltiger Energie bestrafen. Die Tarife sorgen für garantierte Mindestpreise für Energieversorger und schaffen so einen Anreiz, in erneuerbare Energien zu investieren, während der dezentralisierte Energiemarkt Millionen kleiner Produzenten hinzugewonnen hat. Deutschlands politische Ziele sehen außerdem vor, die Kernenergie auslaufen zu lassen und im Jahr 2050 einen Anteil von 80 Prozent an erneuerbaren Energien zu erreichen.

Natürlich hat es bei der Durchführung des deutschen Experiments, ein innerhalb eines sicheren Klimaraums funktionierendes Energiesystem in großem Maßstab durchzusetzen, Pannen gegeben. Zum Beispiel war kein geltender Preis für Kohlenstoff vorhanden, was zu perversen Rückkopplungseffekten führt, wenn der Markt mit billigem Erdgas überschwemmt wird. Plötzlich wird so Kohle, der schmutzigste aller schmutzigen Brennstoffe, spottbillig. Dies zeigt eindeutig, dass Technologie und Innovation in einer wichtigen Übergangssituation sich nicht selbst überlassen werden dürfen. Die Politik muss am Ball bleiben. Die einzige Möglichkeit, bei der globalen Transformation der Energiesysteme erfolgreich zu sein, besteht in der Kombination technischer Errungenschaften mit wissenschaftlich orientierten Zielen, und einer Politik, die zur Nachhaltigkeit ermutigt und Nichtnachhaltigkeit bestraft (wie zum Beispiel eine Steuer auf Kohlendioxid und rechtlich verbindliche Emissionsziele).

Es gibt reichlich Hinweise dafür, dass man die Dekarbonisierung auf der gesamten Welt mit einer umfangreichen Mischung aus nachhaltigen, erneuerbaren Energiesystemen und Innovationen erreichen kann – und das ziemlich schnell. Die Solarzellentechnik hat sich beispielsweise exponentiell verbessert, was Volumen, Effizienz und Kosteneffektivität betrifft. Obwohl Sonnenenergie heute weniger als ein Prozent der weltweiten Energieproduktion ausmacht, gibt es keinen Anlass zu glauben, ihr Wachstum würde nicht ansteigen. Andere vielversprechende Errungenschaften sind die Verwendung von Graphen als Kondensator, statt der teuren und größtenteils aus Silizium bestehenden Solarzellen, sowie von sogenannten Grätzel-Zellen, einer Technologie auf der Grundlage billiger Farbstoff-Solarzellen.

Wir sind nicht die Einzigen, die von einer Zukunft sprechen, in der alle grundlegenden Energiebedürfnisse erfüllt sind, während man trotzdem innerhalb einer globalen Klimagrenze von 2°C agiert. Die Global Energy Assessment (GEA), die weltgrößte Forschungsgruppe zur Zukunft der Energie auf der Welt, kam ebenfalls kürzlich zu dem Schluss, dass dieses Ziel mit der Technik von heute erreicht werden kann. Dafür brauchen wir allerdings eine breitgefächerte Palette nachhaltiger energiepolitischer Maßnahmen.

DURCH VERSTÄRKTE NACHHALTIGKEIT ZU NAHRUNG FÜR ALLE

Die Produktionsweise unserer Lebensmittel trägt die größte einzelne Schuld an der Überschreitung planetarischer Grenzen. Die Nahrungsmittelproduktion verbraucht das meiste Land und Süßwasser, stößt die meisten Treibhausgase aus, stellt die größte Bedrohung für die biologische Vielfalt dar und ist eine entscheidende Quelle für die Nährstoffbelastung. Wenn uns für Lebensmittel das richtige Produktionsverfahren einfiele, könnten wir unser Wohlergehen innerhalb eines sicheren Handlungsspielraums gewährleisten.

Es gibt reichlich Hinweise dafür, dass wir die Welt mit dem augenblicklich vorhandenen Ackerland ernähren können. Das ist von entscheidender Bedeutung, da wir jetzt die ökologische Resilienz der verbliebenen natürlichen Ökosysteme auf der Erde sichern müssen. Wir sehen dies als den größten Anreiz für Innovation, da es eine neue, auf zweifache Weise grüne Revolution auf existierendem Ackerland erfordert. Um eine Weltbevölkerung von neun bis zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050 zu ernähren, müssen wir die Nahrungsmittelproduktion um 50 bis 70 Prozent steigern. Das ist nichts Geringeres als eine neue grüne Revolution. Nur muss diese Produktion jetzt wirklich grün sein und auf existierendem Ackerland ohne Expansion stattfinden, was wichtige technologische Durchbrüche und die Erneuerung landwirtschaftlicher Systeme voraussetzt. Wir müssen die Erträge radikal verbessern, aber gleichzeitig nachhaltig sein und die Feldfrüchte noch widerstandsfähiger gegenüber extremen Wetterbedingungen machen. In einer von Jonathan Foley von der University of Minnesota geleiteten Analyse sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es möglich wäre, die Menschheit mit Hilfe des augenblicklichen Ackerlands zu ernähren, wenn wir die Lücke zwischen dem, was produziert werden kann, und dem, was tatsächlich produziert wird, schließen könnten. Das deutet auf ein riesiges, unerschlossenes Potential für Regionen wie Afrika hin, wo sich die Erträge in einer Größenordnung von einer Tonne pro Hektar für Grundnahrungsmittel wie Mais und Hirse befinden, wobei sie eigentlich drei bis fünf Tonnen pro Hektar betragen könnten. Wir kamen zu dem Schluss, dass wir bedeutende Innovationen für die Landwirtschaft brauchen wie den Präzisionsackerbau und schonende Bodenbearbeitung, eine verbesserte Ernährungsweise und reduzierten Abfall. Es ist also möglich. Die Frage lautet, ob es auf nachhaltige Weise getan werden kann, das heißt klima- und wasserschonend und Chemikalien und Nährstoffe vermeidend, und ob wir widerstandsfähige Landwirtschaftssysteme errichten können, die Erschütterungen durch Seuchen und Wetter aushalten.

Die moderne Biotechnologie kann in dieser Hinsicht eine entscheidende Rolle spielen. Neuarrangements von Genen zu attraktiven Kombinationen gesunder, widerstandsfähiger, nachhaltiger und fruchtbarer Nahrungs- und Nutzpflanzen ohne Ausbreitung auf wilde Spezies oder einheimische Entsprechungen könnten ein wesentlicher Teil der Lösung sein. Hier geht es um die Entfaltung sehr interessanten Potentials, wir bewegen uns fort von der ersten Generation genetisch modifizierter Organismen (GMO), die mit Abhängigkeit vom Hersteller und unbekannten Nebeneffekten in Verbindung gebracht werden und schrittweise zu nachhaltigen und fruchtbaren Lebensmitteln führen sollen, von Feldfrüchten bis Fisch. Eine transparente Wissenschaft für die Öffentlichkeit in Verbindung mit strenger staatlicher Regulierung spielen eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung solcher moderner Biotechnologie. So können zum Beispiel mehrjährige Getreidepflanzen zur Herstellung nahrhafter Lebensmittel für eine schnell wachsende Bevölkerung im Einklang mit natürlichen Ökosystemen entwickelt werden.

UMWANDLUNG ZU EINER KREISLAUFWIRTSCHAFT

Unsere linearen Geschäftsmodelle, worin wir Ressourcen und Ökosysteme ausbeuten, sie zu Konsumgütern und Dienstleistungen umwandeln und diese dann entsorgen, sind überholt. Immer öfter führt dieser Prozess zu Energieverschwendung und ökologischen Restwassermengen entlang der Wertschöpfungskette einher und verursachen dabei verschiedene Grade der Verschmutzung und des Zerfalls. Wir sehen stattdessen die Notwendigkeit, eine Kreislaufwirtschaft zu errichten, in der das gesamte Kapital (einschließlich alles sozialen, natürlichen, finanziellen und produzierten Kapitals), das eingesetzt wird, um unterschiedliche Produkte zu erzeugen, wieder in die Wirtschaft eingebracht und für künftige Generationen von Gütern und Leistungen wiederverwendet wird. Wie Ernst von Weizsäcker und seine Kollegen in ihrem Buch Faktor Fünf: Die Formel für nachhaltiges Wachstum aus dem Jahr 2009 behaupten, könnte die Ressourceneffizienz um das Fünffache gesteigert werden, falls die Mehrheit der Rohstoffe und Bestandteile von Ökosystemen wieder in Umlauf gebracht würden. Das würde die Welt ein großes Stück voranbringen, hin zu einer neuen Logik für wirtschaftliche Entwicklung – eine, die Wachstum fördert, ohne planetarische Grenzen zu überschreiten.

Ein charakteristisches Beispiel hierfür war Ray Andersons Vision einer zyklischen Unternehmensstrategie für seine Teppichfliesenfirma Interface. Angeregt durch den Ansatz Natural Step, der von Karl-Henrik Robert und seinem Team im Lauf der letzten 25 Jahre entwickelt worden war, wandelte Anderson seine Firma mit emissionsfreien Produktionssystemen, mit einem radikal reduzierten Wasserverbrauch, einem Umweltprofil und mit einem hohen Maß an Wiederverwertung komplett um – was zu größeren Profiten führte. Seine Strategie war es weniger, Fliesen zu verkaufen, sondern vielmehr eine Beziehung zum Kunden zu verkaufen, die die Verantwortung für seine Produkte über deren gesamte Lebensdauer beinhaltet. Es gibt viele andere Beispiele wie dieses und es wird sie auch in der Zukunft geben. Die Ellen McArthur Stiftung hat kürzlich umfangreiche Beweise für die Vorteile für Unternehmen vorgelegt, den ein Übergang zu Kreislaufwirtschaftsmodellen mit sich bringt. So weisen sie etwa darauf hin, dass die Neuherstellungskosten von Handys um 50 Prozent reduziert werden könnten, wenn die Industrie welche produzieren würde, die leichter auseinanderzunehmen wären und damit den umgekehrten Produktionszyklus verbessern und Anreize zur Zurückgabe der Handys schaffen würde.

DER BAU BELASTBARER STÄDTE

Bald werden wir in einer Welt leben, in der 70 Prozent aller Menschen Städte bewohnen. Deshalb ist es eine der weltweit größten Herausforderungen, Stadtgebiete lebenswert, nachhaltig und widerstandsfähig gegenüber Belastungen zu machen. Glücklicherweise weiß man bereits, wie das anzustellen ist, indem man den Vorteil drastischer Verbesserungen der Energie- und Materialeffizienz nutzt. Hinzu kommen neue Ansätze für das Design urbaner Landschaften, welche sich auf Belastbarkeit und Lebensqualität konzentrieren.

»Gut geplante Städte können auf nachhaltige Weise viele Menschen auf relativ kleinem Raum beherbergen, verbesserte Lebensqualität anbieten und erlauben es, eine größere Ressourceneffizienz sowie die Bewahrung von großen intakten Naturgebieten zu gewährleisten«, schrieb UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in einem Vorwort für die Prognose UN Cities Biodiversity Outlook von 2012. Entgegen landläufiger Meinungen unterstützen Städte wie Chicago, Mexico City, Singapur und Kapstadt eine üppige biologische Vielfalt. Stadtzentren sind auch Orte der Kreativität, der Innovation und des Lernens. »Die Förderung dieser Merkmale ist dringend notwendig, wenn die globale Bewahrung biologischer Vielfalt angesichts noch nie dagewesener Urbanisierung gelingen soll«, schrieben die Autoren, angeführt von Thomas Elmquist, einem unserer Kollegen am Stockholm Resilience Centre.

In nachhaltige und belastbare Städte zu investieren ist eine der besten Möglichkeiten, künftigen Reichtum zu erzielen und Wohlstand innerhalb der planetarischen Grenzen zu ermöglichen. Während die Chancen zwar groß sind, sind die Herausforderungen jedoch um ein Vielfaches größer. Die am schnellsten wachsenden Megastädte und Stadtgebiete befinden sich in einigen der ärmsten Regionen der Welt, wo es oft an einer wirkungsvollen Regierungspolitik mangelt und wo urbanes Wachstum unkontrolliert geschieht und in einem Tempo, das die urbane Tragfähigkeit deutlich übertrifft. Doch gibt es auch andere Städte, die zeigen, dass durch die Entwicklung einer grünen Infrastruktur ein Wandel möglich ist. Hinzu kommen enorme Investitionen in öffentliche Verkehrsmittel, eine effiziente Wiederverwertung von Abfall, die Förderung erneuerbarer Energien, Fahrgemeinschaften sowie die Optimierung natürlicher Lichtquellen. Als Beispiele führt die Studie urbane Ökogebiete an, wie Kopenhagens Bezirk Vesterbro, das Londoner Projekt Beddington Zero Energy Development, den Stadtteil Vauban von Freiburg im Breisgau und das Eva-Lanxmeer-Viertel in der niederländischen Stadt Culemborg. Diese Gebiete seien gestaltet worden, um kohlendioxidneutral zu sein, erklärt die Studie. Die Planer »unterstützen das Konzept einer Öko-Bürgerschaft und ermutigen die Menschen, ihr eigenes Wohlbefinden zu verbessern, indem sie ihre Umwelt erhalten«.

NACHHALTIGES TRANSPORTWESEN

Wir wissen heutzutage, wie man mittels Investitionen in flächendeckende Netzwerke von Radwegen und öffentlichen Verkehrsmitteln nachhaltige Transportsysteme schafft. Städte wie Kopenhagen, Amsterdam und Portland, Oregon, sind schon seit vielen Jahren radfahrerfreundlich. In letzter Zeit sind Städte aus dem aufkommenden globalen Süden hinzugekommen. Kolumbiens Hauptstadt Bogotá hat von dem einfühlsamen Weitblick ihres Bürgermeisters Enrique Peñalosa enorm profitiert. Der nahm im Jahr 1998 das Projekt in Angriff, den öffentlichen Verkehr und das Radfahren in der Stadt zu fördern. Heute verbinden 300 Kilometer Radfahrwege die Stadtrandgebiete mit dem Stadtzentrum, was die Nutzung von Fahrrädern seit dem Beginn der Initiative verfünffacht hat. In Neu-Delhi, wo die Hälfte der Bewohner regelmäßig mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, wurden die Busse zwischen 2001 und 2003 auf Erdgasbetrieb umgestellt, was die Emissionen von CO2 und anderer Schadstoffe reduziert hat. Bangkoks Skytrain transportiert heute 600 000 Passagiere täglich. Für die Zukunft sind Erweiterungen geplant, eine soll 2017 freigegeben werden. Pendler im südkoreanischen Seoul können mit derselben Transitkarte Busse oder Taxis benutzen, was die tägliche Reise etwas angenehmer macht.

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