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Bücher

  • Cover: „Der Tollhauseffekt“ (2018)
ISBN Nr.: 
ISSN: 0933-5722
Zeitschrift politische ökologie
,
oekom verlag

Klimaschutz - Neues globales Abkommen in Sichtweite?

17,95 Euro

Nie waren Alarmsignale und Prognosen eindeutiger: Wenn Industrie- und Schwellenländer ihren Treibhausgasausstoß bis 2050 nicht drastisch senken, wird es richtig ungemütlich auf der Erde. Doch bislang fehlte der politische und gesellschaftliche Wille, konsequent auf einen Niedrigemissionspfad einzuschwenken. Beim UN-Klimagipfel in Paris 2015 wird die Weltgemeinschaft nun einen weiteren Anlauf nehmen und ein neues globales Abkommen zum Schutz des Klimas verabschieden. Und immerhin – die Zeichen im Vorfeld stimmen optimistisch, dass es ambitioniert ausfällt: Selbst die USA und China haben sich auf die Reduzierung ihrer Emissionen geeinigt, und die Stimmen, die auf allen fünf Kontinenten das Ende einer klimaschädigenden Politik und Wirtschaftsweise fordern, lassen sich kaum noch überhören...

Leseprobe aus dem Buch (gekürzt):

Große Transformation der Klimapolitik
Den gordischen Knoten endlich durchschlagen

Von Hans Joachim Schellnhuber und Daniel Klingenfeld

Trotz einzelner Fortschritte sieht die globale Emissionsbilanz schaurig aus. Die Industrieländer übernehmen keinerlei Verantwortung, viele Entwicklungsländer wollen nicht vom fossilen Modell lassen. Nur politische Führungsstärke und zivilgesellschaftliche Impulse „von unten“ können die Stabilisierung des Klimas in Schwung bringen. Ein Appell für Paris.

36 Milliarden Tonnen Treibhausgase. Dies ist die Emissionsmenge aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas, die weltweit allein im Jahr 2013 in die Atmosphäre gelangt ist – und dies ist nur die Momentaufnahme von einer beängstigenden Dynamik: So war der absolute Emissionszuwachs in den vergangenen zehn Jahren größer als jemals zuvor seit Beginn der Industrialisierung. Demgegenüber erscheinen die seit den frühen 1990er-Jahren andauernden Bemühungen der Staatengemeinschaft, im Rahmen der UN-Konvention einen „gefährlichen Klimawandel“ abzuwenden, wie Aktionen in einer Parallelwelt. Setzt sich der derzeitige Emissionstrend weitgehend ungebremst fort, ist zu erwarten, dass die Mitteltemperatur bis Ende dieses Jahrhunderts um 3,7 bis 4,8 Grad Celsius ansteigen wird. (1) Eine um etwa vier Grad wärmere Welt ist jedoch keine selbsterfüllende Prophezeiung. Im Gegenteil: Ein reichhaltiges Portfolio emissionsfreier Technologien steht uns mittlerweile zur Verfügung, um den Scheitelpunkt der globalen Emissionskurve rasch nach vorne zu verlagern und danach den Ausstoß an Treibhausgasen stetig zu verringern – und dies bei weiter wachsendem Wohlstand.

Ernüchternde politische Realität 
Der Pfad zur Klimastabilisierung ist jedoch auch mit Unsicherheiten gepflastert, etwa hinsichtlich der künftigen Energienachfrage und den Fortschritten bei der Energieeffizienz. Die alles überragende Variable bleibt jedoch der Faktor Zeit im politischen Entscheidungsprozess. Zahlreiche wissenschaftliche Studien belegen, dass die Zeit die zentrale Stellschraube ist, um Risiken zu begrenzen und Kosten zu minimieren: Je eher Politikstrategien greifen, die den globalen Emissionsscheitelpunkt näherbringen, umso niedriger sind die Kosten einer globalen Transformation zur Nachhaltigkeit und umso höher sind die Chancen, das von der Staatengemeinschaft akzeptierte Zwei-Grad-Limit einzuhalten. Für die internationalen Verhandlungen – und den Klimagipfel von Paris im November 2015 – muss das Ziel daher lauten, die Weichen für die globale Emissionstrendwende bis zum Jahr 2020 zu stellen. Dies wiederum erfordert deutlich umfangreichere Beiträge aller großen Emittenten auf der Basis eines globalen Gesellschaftsvertrags, der Verantwortung und Fairness nicht nur als Randnotizen thematisiert.

Die politischen Realitäten sind hingegen ernüchternd. Vereinfacht dargestellt lässt sich die Situation wie folgt beschreiben: Auf der einen Seite treten die etablierten Industrieländer, insbesondere jene mit einem großen fossilen Industriesektor, in den Verhandlungen als eher passive Teilnehmer auf. Zwar erkennen sie den wissenschaftlichen Sachstand zum fortschreitenden Klimawandel sowie die Notwendigkeit des Gegensteuerns weitgehend an, gleichzeitig verweigern sie sich jedoch Diskussionen über universelle Maßstäbe für ein gemeinsames Übernehmen von Verantwortung mit entsprechenden Handlungsgeboten. Auf der anderen Seite konzentriert sich der Diskurs vieler Entwicklungsländer auf den Klimawandel als Schuldfrage (vor allem hinsichtlich historischer Emissionen), verbunden mit dem Ziel, möglichst hohe Ausgleichszahlungen zu erhalten. Allzu oft werden derartige Forderungen ohne eine genuine Bereitschaft gestellt, das althergebrachte fossile Modell auch im eigenen Land zugunsten eines nachhaltigen Entwicklungsparadigmas, dem unzweifelhaft die Zukunft gehört, aufzugeben.

Mutmachende Entwicklungen
Angesichts des erdrückenden wissenschaftlichen Sachstands zu den negativen Konsequenzen einer globalen Erwärmung von mehr als zwei Grad wird es auf lange Sicht nur Verlierer(innen) geben: Auch die Reichen werden sich in unserer globalisierten, interdependenten Welt nicht vollends von den zu erwartenden Entwicklungen abschotten können. Diese werden auf fast schon zynische Weise vor allem Entwicklungsländer treffen, Kurzfristig nützt das Blockieren lösungsorientierter Verhandlungsansätze durch Vertreter(innen) aus besonders vulnerablen Ländern vor allem den lokalen Eliten: Deren oft weit überproportionalen persönlichen Beiträge zum Klimawandel bleiben ohne Konsequenzen.


 „Auf lange Sicht wird das Versagen, eine transformative politische Lösung des Klimaproblems zu erreichen, Milliarden Menschen Schaden zufügen.“


Auf lange Sicht wird das Versagen, eine transformative politische Lösung des Klimaproblems zu erreichen, Milliarden Menschen Schaden zufügen – vor allem den Armen weltweit.
Es ist im Hinblick auf diesen Befund denn auch nur zum Teil ein Paradoxon, dass ausgerechnet manche Verhandler(innen) aus den am stärksten betroffenen Regionen am wenigsten an echten Verhandlungsfortschritten interessiert zu sein scheinen. Aus unserer Sicht wären die Europäische Union und insbesondere Deutschland wichtige Triebkräfte für eine Allianz, um eine Zwei-Grad-Maximum-Klimastrategie zu formulieren, die diesen Namen auch verdient. (3)

Doch es gibt auch positive, Mut machende Entwicklungen: So haben es klimapolitische Anstrengungen beispielsweise bereits vermocht, die Kosten bei einer Reihe von transformativen Schlüsseltechnologien, so zum Beispiel der Windkraft und in den vergangenen Jahren vor allem der Solarenergie, deutlich zu senken. Auch haben eine Reihe von Ländern, darunter Deutschland, bedeutende Fortschritte bei der Umsetzung nationaler Dekarbonisierungsstrategien erzielt. Eine rasche Senkung der Subventionen für fossile Energieträger sowie ein möglichst global wirkendes System von Kohlenstoffbepreisungen sind notwendige Bedingungen, damit der weltweite Transformationsprozess zur Stabilisierung des Klimas an Fahrt gewinnt.

Die Kraft bürgerschaftlichen Engagements nutzen
Um diesen Strukturbruch im positiven Sinn zu erreichen, müssen auch die internationalen Verhandlungen ihren eingefahrenen Modus verlassen: Die Grundsätze von Fairness und Physik (4) lassen sich auf Dauer nicht ignorieren. Die Klimaverhandlungen in Paris 2015 stehen so vor der richtungsweisenden Entscheidung, weiter in Formelkompromissen zu erstarren oder neue Perspektiven zu eröffnen. Ein großer Schritt in diese Richtung wären ersthafte Diskussionen darüber, wie sich das begrenzte Kohlenstoffbudget – also der verbleibende Kohlenstoffkredit der Menschheit innerhalb der Zwei-Grad-Leitplanke – auf Basis universeller Kriterien aufteilen ließe. Um den gordischen Knoten der Klimapolitik zu durchschlagen, braucht es einen kosmopolitischen Ansatz, der für alle gilt. Eine Gleichverteilung der Emissionsrechte birgt die Chance, die bestehende Kluft zwischen Armen und Reichen, Industrie- und Entwicklungsländern zu überbrücken und die persönliche Verantwortung eines jeden Menschen auf der Welt in den Mittelpunkt zu stellen.

Was bedeutet dies aber konkret für uns als Bürger(innen)? Sich abwartend zurückzulehnen und die Verantwortung für das Ergebnis der Verhandlungen ausschließlich an die Politik zu delegieren, hieße die persönliche Teilhabe aufzugeben. Gerade die Mobilisierung des Einzelnen auf den unterschiedlichen Ebenen der Gesellschaft wird mit darüber entscheiden, ob der Wandel an Schwung gewinnt Dabei sind die Mittel von heute ebenso friedfertig wie wirkungsvoll: So kann beispielsweise die in den USA entstandene Divestment-Bewegung noch große Kraft entfalten. Finden sich zahlreiche Nachahmer(innen), kann sich so ein großer Transformationsimpuls „von unten“ entwickeln. Die Gründung von Energiegenossenschaften, politischer Konsum oder auch die Transition-Town-Bewegung sind weitere Zeichen bürgerschaftlichen Engagements, das in der Summe viel bewegen kann und wird. (5)

Letztendlich wird die Kombination aus zivilgesellschaftlichen Impulsen und politischer Führungsstärke über Erfolg oder Misserfolg des Klimagipfels im kommenden Jahr entscheiden; darüber, ob laue Kompromisse den Schlusspunkt bilden oder ob die Verantwortung für die Welt, in der wir leben und die wir hinterlassen, zum Tragen kommt. Das Treffen der Staatenlenker(innen) in Paris bietet die historische Chance, die Blockade zu überwinden und einen gefährlichen Klimawandel abzuwenden. Die Frage ist nur: Wer wird sie ergreifen?

 

Zu den Autoren
Hans Joachim Schellnhuber, geb. 1950, ist Gründer und Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Er lehrt u.a. Theoretische Physik an der Universität Potsdam und am Santa Fe Institute. Er ist u.a. langjähriges Mitglied des Weltklimarats und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).
Daniel Klingenfeld, geb. 1980, ist Betriebswirt und hat Interkulturelles Management studiert. Er leitet seit 2012 das Büro des Direktors am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und koordiniert die Aktivitäten des PIK im Climate-KIC, dem Klimanetzwerk des Europäischen Instituts für Innovation und Technologie (EIT).

 

Anmerkungen
(1) IPCC (2014): Summary for Policymakers. In: Climate Change 2014, Mitigation of Climate Change. Contribution of Working Group III to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change.

(2) Vgl. auch Schellnhuber, Hans Joachim/Hare, William/Serdeczny, Olivia et al. (2012): Turn Down the Heat – Why a 4°C Warmer World Must be Avoided. A Report commissioned by The World Bank.
Schellnhuber, Hans Joachim/Hare, William/Serdeczny, Olivia et al. (2013). Turn Down the Heat – Climate Extremes, Regional Impacts and the Case for Resilience. A Report commissioned by The World Bank.
(3) Vgl. auch Wicke, Lutz/Schellnhuber, Hans Joachim/Klingenfeld, Daniel (2010): Die 2°max-Klimastrategie. Ein Memorandum. Münster.
Klingenfeld, Daniel (2012): On Strategies for Avoiding Dangerous Climate Change: Elements of a Global Carbon Market. Münster.
(4) Vgl. auch Schellnhuber, Hans Joachim/Klingenfeld, Daniel: Fairness and Physics – Observing First Principles in Global Climate Policy. Global Change, Peace & Security 3/2011, S. 427–433.
Schellnhuber, Hans Joachim/Klingenfeld, Daniel: Fairness und Physik. Die globale Klimaschutzarchitektur braucht Gerechtigkeit und Realitätssinn. In: Internationale Politik 6/2010, S. 114–117.
(5) Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2014): Klimaschutz als Weltbürgerbewegung. Sondergutachten. Berlin.

 

 

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