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Energiepolitik

Regierung beschließt ihren Klimaplan

Tim Altegör, 09.10.19
Die Große Koalition hat ihr Klimaschutzprogramm sowie ein Klimaschutzgesetz verabschiedet. An vielen Punkten entzündet sich gravierende Kritik: Im Gesamtbild zeichnet sich ab, dass nach 2020 auch das Klimaziel für 2030 verfehlt wird.

Die Bundesregierung hat heute (9. Oktober) wie erwartet zwei zentrale Beschlüsse zur Klimapolitik gefasst: Sie verabschiedete ein „Klimaschutzprogramm 2030“ sowie ein nationales Klimaschutzgesetz. Das Programm basiert auf Eckpunkten, die die Koalition aus CSU, CSU und SPD am 20. September in Berlin vorgestellt hat und die von Wissenschaftlerinnen wie Klimaschützern heftig kritisiert werden. Die Programmpunkte sollen in der Summe dafür sorgen, dass das Regierungsziel erreicht wird, die deutschen Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent zu senken (im Vergleich zum Jahr 1990).

Momentan sind knapp 31 Prozent geschafft, die verbleibende Lücke wird laut Experten mit den geplanten Maßnahmen aber bestenfalls zur Hälfte geschlossen. Ohnehin sei das Ziel, gemessen am verbleibenden CO2-Budget für eine Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 bis zwei Grad Celsius, bereits zu niedrig angesetzt. Die zentralen Elemente aus den Eckpunkten bleiben im ausführlichen Klimaschutzprogramm unverändert:

- Ein CO2-Preis für Verkehr und Wärme soll 2021 mit zehn Euro je Tonne des Treibhausgases starten und bis 2025 auf 35 Euro ansteigen. Danach ist ein Emissionshandel mit einer vorgegebenen Menge an verfügbaren Emissionen geplant. Die Nachfrage soll den Preis bestimmen, der jedoch bei 60 Euro gedeckelt wird. Ökonomen sind sich weitgehend einig, dass diese Preise viel zu niedrig angesetzt sind, um kurzfristig einen spürbaren Effekt zu haben. Zudem erhöht die Regierung die Pendlerpauschale ab dem 21. Kilometer, wodurch lange Autofahrten zur Arbeit sogar für ein Plus auf dem Konto sorgen könnten.

- Im Gebäudesektor werden energetische Sanierungen und der Austausch alter Ölheizungen gefördert, letztere sollen ab 2026 nicht mehr neu eingebaut werden dürfen.

- Im Verkehrssektor werden Fernzüge durch eine reduzierte Mehrwertsteuer etwas günstiger, im Gegenzug Flüge in bisschen teurer. Zudem werden diverse Fördermittel ausgeschüttet, zum Beispiel für den Kauf von Elektroautos und den Bau von Ladesäulen. Die Kfz-Steuer soll stärker am CO2-Ausstoß ausgerichtet werden.

- Ein Beschluss zum Kohleausstieg wird angekündigt, dieser soll gemäß den Empfehlungen der Kohle-Kommission bis spätestens 2038 abgeschlossen sein.

- Bei erneuerbaren Energien wird der Deckel für den Solarausbau gestrichen und die Offshore-Windenergie etwas stärker ausgebaut (20 statt 15 Gigawatt bis 2030). Für Onshore-Windparks wird dagegen mit einem pauschalen Mindestabstand von 1000 Metern zu Wohngebäuden ein zusätzliches Hemmnis aufgebaut. Vor den Folgen für die Energiewende hatte etwa das Umweltbundesamt ausdrücklich gewarnt. Die Bundesländer können innerhalb von 18 Monaten ihren Verzicht auf die neue Regelung erklären. Zum derzeit ohnehin bestehenden Problem, dass es für Windkraftanlagen an Flächen und Genehmigungen fehlt, hat Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) vor wenigen Tagen eine „Aufgabenliste“ veröffentlicht, die einige Branchenforderungen aufgreift, aber an erster Stelle die neue Abstandsregel nennt.

Kaum noch Windenergie-Zubau geplant

Neu im Klimaschutzprogramm ist im Vergleich zu den Eckpunkten eine Tabelle, die den geplanten Ausbau von Solar- und Windenergie bis 2030 darstellt. Demnach soll die installierte Photovoltaik-Leistung von derzeit rund 48 auf 98 Gigawatt (GW) steigen, die Onshore-Windenergie von etwa 53 auf 67 bis 71 GW. Gleichmäßig auf das kommende Jahrzehnt verteilt, entspräche das im niedrigsten Fall einem Netto-Plus von jährlich nur noch 1,4 GW Windenergie an Land, bei der Solarenergie wären es fünf. Aktuell sind laut Erneuerbare-Energien-Gesetz 2,9 (Wind) und 2,5 (Solar) GW Zubau vorgesehen, wobei aber der Rückbau alter Anlagen nicht gegengerechnet ist. Zum Vergleich: Die deutschen Umweltverbände halten jeweils sieben Gigawatt für nötig. Anders als die Bundesregierung, deren Ziel 65 Prozent Ökostrom bis 2030 lautet, peilen sie 75 Prozent an.

Aber auch das Regierungsziel sei mit diesen Vorgaben nicht zu schaffen, kommentierte die Präsidentin des Erneuerbaren-Dachverbands BEE, Simone Peter. Zusammengerechnet gingen die Zahlen nur auf, wenn man einen um zwei bis 4,5 Prozent geringeren Stromverbrauch annehme. „Das ist unrealistisch. Der Stromverbrauch wird steigen, da unter anderem für die Sektorenkopplung, für Wasserstoff-Anwendungen sowie die zunehmende Elektrifizierung des Verkehrs mehr sauberer Strom benötigt wird. Effizienzgewinne können das nicht abfedern.“

Welche genauen CO2-Minderungen sich die Regierung von ihren Maßnahmen verspricht, war in Entwurfsfassungen teils enthalten, im finalen Beschluss jedoch nicht. Vielmehr sollen nun jeweils ein Gutachter des Umwelt- und des Wirtschaftsministeriums nachrechnen, was das Ganze bringt. „Aus dem Vergleich der beiden Rechnungen wird sich die Spannbreite der voraussichtlichen Gesamtminderungswirkung der im Programm enthaltenen Maßnahmen ergeben“, so die Groko.

Ihr Zeitplan sieht vor, alle Ankündigungen noch in diesem Jahr Gesetz werden zu lassen. Dafür muss der Bundestag darüber beraten und zustimmen, zum Teil auch der Bundesrat, wo sich die Grünen für Nachbesserungen einsetzen wollen. Wie komplex die Umsetzung im Einzelnen werden dürfte, haben Juristen im Auftrag der Deutschen Energieagentur Dena ausgearbeitet.

Sanktion gestrichen, Experten zurückgestuft

Das ebenfalls vom Kabinett beschlossene Klimaschutzgesetz soll dafür sorgen, dass sich 2030 nicht wiederholt, was für 2020 unvermeidlich ist: die Verfehlung der eigenen Klimaziele. Einen ersten, den Unionsparteien scharf zurückgewiesenen Entwurf hatte Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) im Februar vorgelegt, die letzte Fassung weicht davon aber in einigen wesentlichen Punkten ab. Zwar werden die CO2-Minderungsziele für jeden Sektor und für jedes Jahr bis 2030 gesetzlich verankert. Wenn ein Sektor davon abweicht, soll der zuständige Minister ein Sofortprogramm vorschlagen und die Bundesregierung darüber befinden.

Entfallen ist aber die Sanktion: Ausgleichszahlungen an andere EU-Staaten, die bei verfehlten Vorgaben für Verkehr, Gebäuden und Landwirtschaft drohen, sollten die Verantwortlichen in den Budgets ihrer Ressorts zu spüren bekommen, so Schulzes ursprünglicher Plan. Künftig sei „klar geregelt, was passiert, wenn ein Bereich vom vereinbarten Klimakurs abweicht und wer dann wie nachbessern muss“, betonte die Ministerin. Wie ihre Kollegen dazu verpflichtet werden sollen, wenn keine Konsequenzen drohen, sagte sie jedoch nicht.

Ebenfalls zurückgestuft worden ist der Expertenrat, der den Fortschritt wissenschaftlich begutachten soll. Statt eines eigenen jährlichen Berichts soll er nur noch die Emissionsmeldungen und die vorgeschlagenen Maßnahmen bewerten. Von fünf Mitgliedern sollten im letzten Entwurf der Umweltministerin vom Wochenende noch zwei ausgewiesene Klimaexpertinnen sein. Die Zahl wurde dann weiter auf ein Mitglied zusammengestrichen. Die übrigen sollen sich mit Wirtschaft, Umwelt und sozialen Fragen auskennen.

Was macht der Bundestag?

Komplett gestrichen ist die Absicht, bei Kapitalanlagen des Bundes die damit verbundenen Treibhausgasemissionen und die Klimarisiken für die angelegten Gelder auszuweisen. Die Bundesverwaltung soll wie im ersten Entwurf bis 2030 klimaneutral werden, statt 2020 sind Maßnahmen zu diesem Zweck aber erst ab 2023 vorgesehen.

Für großen Unmut sorgte auch, dass die Minderungsziele für 2040 (mindestens 70 Prozent) und 2050 (mindestens 95 Prozent) nicht mehr im Gesetz vorkommen. Hieß es ursprünglich noch, es solle „bis zur Mitte des Jahrhunderts die Netto-Treibhausgasneutralität erreicht werden“, wird nun in abgeschwächter Formulierung verwiesen auf „das Bekenntnis Deutschlands auf dem UN Klimagipfel am 23. September 2019 in New York, Treibhausgasneutralität bis 2050 als langfristiges Ziel zu verfolgen.“

Christoph Bals, Geschäftsführer der Klimaschutzorganisation Germanwatch, kritisierte die Änderungen: „Die einen Klimaziele werden ganz gestrichen, bei den anderen die Kontrollmechanismen unwirksam gemacht.“ In dieser Form dürfe das Gesetz nicht beschlossen werden. Auch hier ist nun der Bundestag an der Reihe. Laut Fraktionsvize Matthias Miersch werde die SPD „genau darauf achten, dass das Ziel der Treibhausgasneutralität 2050 einschließlich der notwendigen Zwischenschritte gesetzlich fixiert wird“, auch „ein wirkungsvoller Kontrollmechanismus“ werde kommen.

Wie gut oder schlecht das funktioniert, wird spätestens dann zu beobachten sein, wenn ein Kabinettsmitglied – zum Beispiel CSU-Verkehrsminister Scheuer – erstmals sein Klimaziel reißt.

Nachtrag: Die Klima-Aktivisten der „Extinction Rebellion“ glauben nicht an das Regierungsprogramm. Sie protestierten am Tag nach den Beschlüssen vor dem Umweltministerium, wo sich einige der Teilnehmerinnen am Gebäude festklebten.

(Foto: Jörg-Rainer Zimmermann)

 

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