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Interview

„Wir können Nettostromexporteur bleiben“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 01.09.23
… ist Tobias Goldschmidt, Umweltminister von Schleswig-Holstein, mit Blick auf den in seinem Bundesland bis 2040 stark steigenden Energiebedarf überzeugt. Auch das ambitionierte Landesziel, bis 2030 insgesamt 15 Gigawatt Onshore-Wind zu installieren, sei zu halten.

neue energie: Schleswig-Holstein will 2040 klimaneutral sein. Im Verkehrs- oder Gebäudebereich dürfte das schwierig werden. Benötigt es Sektoren, die die anderen durch eine Verrechnung der CO2-Bilanzen ‚retten‘?

Tobias Goldschmidt: Unbestritten sind wir, genau wie auf Bundesebene, in manchen Sektoren schon weiter als in anderen. Im Bund sehe ich wenig Spielraum, dass andere Sektoren einspringen für andere – da müssen die Maßnahmenpläne eben dann doch dort nachgearbeitet werden, wo zu wenig Minderung erbracht wird, etwa im Verkehrssektor. Es wäre auch klüger gewesen, wenn alle Sektoren viel früher auf die Emissionsbremse getreten wären, aber das ist vergossene Milch. Mit den jüngst veröffentlichten Maßnahmenplänen zum Klimaschutzprogramm der Landesregierung haben die Ressorts in Schleswig-Holstein in Eigenverantwortung skizziert, wie sie das jeweilige Sektorziel 2030 erreichen wollen. Die Maßnahmenpläne stimmen hoffnungsfroh, jetzt kommt die Ressortabstimmung und damit das inhaltliche Finetuning. Die Spielräume für Verrechnungen sind begrenzt, können in Einzelfällen volkswirtschaftlich aber Sinn machen. Am Ende zählt, dass die Grenze von 14,4 Millionen Tonnen Treibhausgasen im Jahr 2030 nicht überschritten wird – durch den Einsatz für entsprechende Rahmenbedingungen auf Bundesebene einerseits und ambitionierte Maßnahmen auf Landesebene andererseits.

ne: Am LNG-Terminal in Brunsbüttel soll ab 2026 mindestens 15 Jahre lang fossiles Erdgas aus Katar angeliefert werden. Wie passt das zu den Klimaschutz-Ambitionen Ihres Bundeslands?

Goldschmidt: Wir brauchen einen schnellen Ausstieg aus der Verbrennung von Erdgas und ich bin zuversichtlich, dass der auch gelingen kann. Das Terminal in Brunsbüttel ist nichts anderes als eine bittere Medizin, um möglichen Versorgungslücken entgegenzuwirken, die entstanden sind, weil in der Vergangenheit zu wenig in Energieeffizienz, erneuerbare Energien und Energieinfrastruktur investiert wurde. Es wird Flüssiggas für ganz Deutschland und bei Bedarf auch für unsere europäischen Nachbarländer importiert. Trotzdem hätte ich mir gewünscht, die fossile Laufzeit Mitte der 2030er Jahre nochmal auf den Prüfstand zu stellen. Das ist im Bund aber anders entschieden worden und auch die EU-Kommission hat jüngst erst die Notwendigkeit des Terminals für die Versorgungssicherheit festgestellt und eine 40-Millionen-Euro-Beihilfe der Bundesregierung für den Bau und Betrieb genehmigt. Selbstverständlich werden wir bei den Genehmigungen sehr genau darauf achten, dass all das, was in puncto „Green Readiness“ bereits heute technisch realisiert werden kann, auch direkt von Beginn an konsequent umgesetzt wird. Hier gab es ja, auch auf meinen Druck hin, in der LNG-Gesetzgebung nochmal deutliche Verbesserungen. Ich bin überzeugt, dass aus der bitteren Medizin von heute auf mittlere Sicht eine Chance für Schleswig-Holstein werden kann, wenn Brunsbüttel zum florierenden Terminal für erneuerbare Gase wird.

ne: Ihre Landesregierung hat das Ziel ausgerufen, die Ökostromerzeugung von 2022 bis 2025 um 11,2 auf dann 37 Terawattstunden zu steigern. Innerhalb von fünf Jahren, bis 2030, sollen dann nochmal bis zu 23 Terawattstunden dazukommen. Sind diese Ziele realistisch?

Goldschmidt: Bereits heute ist Wind an Land der Lastesel unserer Energieversorgung in Schleswig-Holstein. Und die jüngsten Entwicklungen stimmen mich weiterhin optimistisch. Dieses Jahr haben wir zur Jahreshälfte mehr als 650 MW an Windenergie zugebaut. Das Zwischenziel von zehn Gigawatt im Jahr 2025 werden wir aller Voraussicht nach erreichen. Schon heute liegen wir bei 7,9 Gigawatt installierter Leistung, zusammen mit den bereits genehmigten Anlagen sind es 9,8 Gigawatt. Bis Ende der Legislaturperiode wird auch die neue Windplanung vorliegen. Mit ihr schaffen wir die Voraussetzungen für 15 Gigawatt Wind an Land bis 2030. Zusätzlich erleben wir aktuell einen regelrechten Solarboom in unserem Land. 

ne: Sie haben es angesprochen, um die eingangs genannten Ökostrom-Ziele für 2030 zu erreichen, sollen in Schleswig-Holstein innerhalb weniger Jahre Onshore-Wind-Anlagen mit einem Gesamtvolumen von 15 Gigawatt installiert sein. Wie kann das angesichts altbekannter Hemmnisse – so etwa restriktive Abstandsregelungen, schleppende Flächenausweisung, lange Genehmigungsverfahren, Auflagen von Arten- und Denkmalschutz – realisiert werden?

Goldschmidt: Das kann gelingen. Bereits heute haben wir fast zehn GW installierte Leistung im Land. Bis Ende der Legislaturperiode soll die neue Regionalplanung stehen. Dabei kommen mit Ausnahme der in Schleswig-Holstein mit Augenmaß festgelegten Abstände zur Wohnbebauung alle Kriterien der vorherigen nochmal auf den Tisch. So haben wir es in der Koalition beschlossen. Und so wird es gelingen, die notwendigen Flächen bereitzustellen, auch wenn es nicht leicht wird. Die Beschleunigung von Genehmigungsverfah ren kann nur als Teamleistung gelingen: Der Bund und das Land müssen den entsprechenden Rechtsrahmen schaffen, die Projektierer exzellente Antragsunterlagen erstellen und die Genehmigungsbehörden müssen die Antragsteller professionell und verbindlich durch das Verfahren begleiten und möglichst rechtssichere und zügige Entscheidungen treffen.

ne: Branchenkenner bestätigen, dass die Genehmigung neuer Windenergieprojekte in Schleswig-Holstein derzeit rund 23 Monate dauert. Im Vergleich zu früher hat sich die Zeit damit um acht bis neun Monate verkürzt. Wie ist das gelungen? Und ist bei dem Thema noch Luft nach oben?

Goldschmidt: Auf der einen Seite wurde die Genehmigungsbehörde, das Landesamt für Umwelt, personell gestärkt. Insgesamt wurden acht neue Stellen geschaffen. Das zahlt sich nun aus. Gleichzeitig haben wir Zuständigkeiten auf Landesebene gebündelt und damit Abstimmungswege verkürzt. Wir haben einen Erlass auf den Weg gebracht, der dazu führt, dass mittlerweile alle Vollzugsdezernate im Land nach den gleichen Regeln arbeiten. Damit stellen wir sicher, dass Anträge in allen Dezernaten mit hoher Priorität bearbeitet werden. Mir ist es ein Anliegen, die Personalausstattung der Genehmigungsbehörden weiter zu stärken, und ich wünsche mir im Gegenzug von den Antragstellern, dass verantwortungsvoll mit diesen Ressourcen umgegangen wird. Das klappt am besten, wenn die Unterlagen bei Einreichung vollständig sind.

ne: Bekanntlich ist für die Flächenausweisung in Schleswig-Holstein das Innenministerium zuständig. An welchen Themen arbeiten Innen- und Energieministerium zusammen?

Goldschmidt: Die Koalition eint das Ziel, 2040 erstes klimaneutrales Industrieland werden zu wollen. Entsprechend eng arbeiten Innenund Umweltministerium bei dem so wichtigen Thema Flächenplanung zusammen. Der Austausch findet regelmäßig statt. Das gilt für die Ministerebene genauso wie für unsere Fachleute. Inhaltlich geht es vor allem um arten- und naturschutzrechtliche Kriterien der Windplanung sowie den Küsten- und den Gewässerschutz. Außerdem ist es die Aufgabe meines Ministeriums zu schauen, ob unsere Regionalpläne kompatibel zu unseren energie- und klimapolitischen Zielen sind.

ne: Analysen zeigen, dass ein großer Anteil der in Schleswig-Holstein für die Windenergie bislang ausgewiesenen Flächen letztlich nicht bebaubar ist. Bei welchen der vielfältigen Restriktionen kann Ihr Ministerium helfen, die Situation zu verbessern?

Goldschmidt: Wie schon gesagt: Alle Kriterien, mit Ausnahme der Abstände zur Wohnbebauung, kommen auf den Tisch und am Ende wird eine Regionalplanung stehen, die es uns ermöglicht, auf 15 GW installierte Leistung im Jahr 2030 zu kommen. Dafür brauchen wir in etwa drei Prozent der Landesfläche nach der in Schleswig-Holstein etablierten Rotor-in-Methodik, nach der die Rotoren eben dann auch nicht über die Flächen hinausragen. Das wird ein Kraftakt, keine Frage. Aber wir werden das hinbekommen.

Das Interview mit Tobias Goldschmidt ist in voller Länge in der September-Printausgabe von neue energie erschienen.

 

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