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Interview

„Das hat sich angefühlt wie ein Schlag ins Gesicht“

Interview: Astrid Dähn und Jörg-Rainer Zimmermann, 04.10.19
… sagen die beiden Fridays-for-Future Aktivistinnen Pauline Daemgen und Ragna Diederichs über die Klimaschutz-Vorschläge der Bundesregierung. Aus ihrer Sicht hat die Große Koalition damit ihre Autorität als ernst zu nehmende Krisenbewältigerin verspielt.

neue energie: Was haltet ihr von dem Klimapaket, auf das sich die Große Koalition am 20. September geeinigt hat?

Pauline Daemgen: Ich bin total sauer. Wir haben so viel Arbeit reingesteckt, um darauf aufmerksam zu machen, was jetzt notwendig wäre. Und dann kommt irgend so ein Paket, das praktisch gar nichts hilft gegen die Klimakrise. Das hat sich angefühlt wie ein Schlag ins Gesicht, oder als hätten uns die Politiker einmal vor die Füße gekotzt. Nein, damit komme ich nicht klar. Es geht hier um die Zukunft von mir und allen Menschen, die nach mir kommen. Das war für mich eine riesige Enttäuschung, denn vorher hatte ich irgendwie noch eine gewisse Hoffnung in die Politik, warum auch immer.

Ragna Diederichs: Das war bei mir auch so. Ich habe natürlich nicht damit gerechnet, dass die Groko sofort alles umsetzt, was wir fordern. Aber was sie da jetzt vorgelegt haben, ist einfach total krass, es entspricht so gar nicht dem, was sie ursprünglich angekündigt haben. Und das während am selben Tag 1,4 Millionen Menschen auf die Straße gegangen sind, um zu zeigen, dass sie wirklich konsequenten Klimaschutz wollen.

Pauline: Ich bin auf der Klimademo in Berlin am Frontbanner mitgelaufen. Als wir dann von unserem Backoffice die Nachricht erhielten, dass 270 000 Menschen gekommen sind, habe ich mich zunächst total gefreut. Als wir dann Minuten später erfuhren, wie die Ergebnisse der Verhandlungen in etwa lauten, standen wir mit dem Frontbanner in der Hand da und dachten: ‚Das kann jetzt nicht euer Ernst sein.‘

ne: Was hat euch an den Ergebnissen besonders enttäuscht?

Pauline: Auf jeden Fall, dass sie nichts Wesentliches über die Kohle gesagt haben – abgesehen davon, dass sie bis 2038 bleiben soll. Es ist wissenschaftlich zu 100 Prozent offensichtlich, dass dieses Ausstiegsdatum viel, viel, viel zu spät ist. Studien belegen, dass ein Ausstieg 2030 – wie wir ihn fordern – machbar wäre. Frau Merkel hat auf der Pressekonferenz am 20. September gesagt, Politik sei eben ‚das, was möglich ist‘. Nein, sorry, aber da können wir nur sagen: Ihr bleibt da ganz, ganz weit drunter. Es wäre sehr viel mehr möglich. Das ist halt nur anstrengend und kompliziert.

Ragna: Es gibt noch zwei weitere Sachen, die aus unserer Sicht so gar nicht gehen. Zum einen der CO2-Preis.

Pauline: Zehn Euro pro Tonne!

Ragna: Bei zehn Euro einzusteigen und dann noch zu sagen, wir deckeln den Preis bei 60 Euro. Das ist ein Witz. Dabei hat das Umweltbundesamt errechnet, dass die wahren Kosten von CO2 bei 180 Euro pro Tonne liegen. Dahin müssten wir mit dem Preis kommen, damit er wirksam ist.

ne: Und der zweite Kritikpunkt?

Ragna: Statt ihn zu beschleunigen wird der Ausbau der erneuerbaren Energien gehemmt, mit dieser bundesweiten Abstandsregelung.

ne: Die Bestimmung, dass Windräder künftig im Regelfall mindestens 1000 Meter Abstand zu Wohnsiedlungen haben müssen...

Ragna: Genau. Das ist ein Punkt, der uns geschockt hat. Dass der Ausbau der Erneuerbaren dieses Jahr so wenig vorangekommen ist, ist ja schon schockierend. Aber dass die Möglichkeiten für den Bau von Windrädern jetzt noch weiter eingeschränkt werden, das ist Wahnsinn.

ne: Woran liegt es, dass die Regierungspolitiker so wenig Ambitionen beim Klimaschutz zeigen? Was vermutet ihr?

Ragna: Ich kann mir vorstellen, dass zwischen den Parteien eine gewisse Rivalität herrscht. Deshalb stimmen die Politiker bei Vorschlägen, wie man die Klimaprobleme angehen könnte, immer nur für ihre eigenen. Ich würde mir wünschen, dass sie da mehr über ihren Schatten springen. Denn das, worum es hier beim Klimaschutz geht, ist viel größer als irgendwelche parteipolitischen Machtkämpfe.

Pauline: Wichtig wäre einfach, das Problem als ein überparteiliches zu sehen. Und ich glaube, das ist bisher noch nicht so richtig angekommen. Aber ich kann ehrlich gesagt nicht verstehen, warum die sich so verhalten. Für mich ist inzwischen der Punkt gekommen, an dem ich sage: Ich halte es nicht für realistisch, dass echter Klimaschutz mit dieser Regierung noch was wird.

ne: Auf der Pressekonferenz haben die Vertreter aller Regierungsparteien betont, wie wichtig es ihnen sei, die gesamte Gesellschaft beim Klimaschutz mitzunehmen. Damit haben sie auch ihr vorsichtiges Vorgehen begründet.

Ragna: Ich verstehe, dass die Politik die Gesellschaft im Blick haben muss. Aber ich finde, wir haben am 20. September gezeigt, dass die Gesellschaft total hinter dem Klimaschutz steht, und zwar zu sehr großen Teilen. 1,4 Millionen Menschen auf der Straße, das ist riesig. Und das nicht nur in Großstädten. Nach unseren Streikzahlen haben sich auch viele hundert kleinere Städte und Gemeinden beteiligt. Oft waren dort die größten Demonstrationen, die es in diesen Orten je gegeben hat. Ich glaube, die Politiker haben da eine falsche Scheu. Und ihnen müsste klar sein, dass uns das allen auf den Kopf fallen wird. Wenn wir jetzt nicht handeln, werden wir in ein paar Jahren alle krasse Nachteile davon haben.

Pauline: Das sehe ich auch so. Diese Minischritte sind vielleicht nett gemeint für die Leute, die da nicht so mitkommen. Aber die Klimakrise passiert halt schneller. Die Permafrostböden haben zum Beispiel schon angefangen aufzutauen. Und der Regenwald am Amazonas brennt immer noch. Viel Zeit haben wir nicht mehr.

Ragna: Ja, wir müssten so agieren wie in einer Krise. Bei der Finanzkrise hat die Politik sofort reagiert und umfassende Schritte eingeleitet, weil das Problem eben akut war. Das müsste jetzt auch passieren. Denn Fakt ist, die Klimakrise ist die größte, die uns Menschen je widerfahren ist. Es ist doch total irre, dass wir immer noch Ausreden suchen, um uns nicht entsprechend zu verhalten, obwohl eigentlich allen bewusst ist, dass wir uns in einer Krise befinden.

ne: Ist das wirklich allen bewusst? Die AfD leugnet den Klimawandel und hat in einigen Bundesländern großen Zulauf...

Pauline: Ja, natürlich sträuben sich manche dagegen, weil es halt auch unbequem ist, klimagerecht zu leben. Ich bin zum Beispiel inzwischen Vegetarierin, obwohl ich Fleisch eigentlich sehr gerne esse. Und ich fliege nicht mehr, obwohl ich es schöner fände, wenn ich nicht stundenlang im Bus sitzen müsste, um irgendwohin zu reisen. Aber in solch einer existenziellen Krise können wir uns nicht mehr von unseren Bequemlichkeiten leiten lassen. Klar ist es für die Menschen in den Kohleregionen schwierig, wenn ihre Jobs wegfallen. Aber wir müssen aufhören, soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit gegeneinander auszuspielen. Das muss Hand in Hand gehen, denn es geht ja auch um soziale Gerechtigkeit gegenüber nachfolgenden Generationen. Und gegenüber denen, die heute schon unter dem Klimawandel leiden.

ne: Und wie wollt ihr die mitnehmen, die im Moment dagegen sind? Mit ordnungsrechtlichen Maßnahmen, also indem man ihnen per Gesetz sagt: Ihr müsst euch jetzt so und so verhalten?

Pauline: Im Prinzip schon. Kann sein, dass manche Menschen noch nicht verstanden haben, worum es geht. Aber die Politik muss es verstanden haben. Das ist ihr Job.

Ragna: Ja, das ist ihre Verantwortung. Die Politik müsste die Sache überblicken und realistisch einschätzen. Das ist im Grunde das einzige, was wir von Fridays for Future verlangen. Aber das sehen wir halt gerade nicht.

Pauline: Eigentlich sollte ich zur Schule gehen können, freitags. Guten Gewissens, dass die Politik sich um das Klimaproblem kümmert; dass wir alle sicher sind. Stattdessen fühle ich mich total unsicher, ich habe große Angst vor der Zukunft, weil die Politik keine Entscheidungen fällt, die mich beruhigen könnten.

ne: Wie soll es nach den jüngsten Beschlüssen aus eurer Sicht nun mit dem Klimaschutz weitergehen?

Pauline: Also, wie schon gesagt, ich bezweifle, dass das mit dieser Regierung noch etwas wird.

Ragna: Das tun alle bei uns, glaube ich. Ich bin gespannt, wie die einzelnen Gruppen in Deutschland darauf reagieren werden, unsere verschiedenen Ortsgruppen, aber auch die übrigen Klimaaktivisten. Ich kann mir vorstellen, dass immer mehr Leute sehr, sehr ungeduldig werden und auch zu anderen Protestformen greifen als zum Schulstreik.

ne: Zum Beispiel?

Ragna: Verschiedene Formen des zivilen Ungehorsams, wie sie beispielsweise die Leute von Extinction Rebellion schon ausüben. Genau weiß ich das natürlich nicht, weil das ja niemand aus irgendeinem Büro heraus steuert, sondern die Leute organisieren sich spontan. Aber sicher ist: So ein Ergebnis wie das Klimapaket ist eine Steilvorlage für krassere Reaktionen.

Pauline: Fridays for Future wird weiterhin die Protestform des Schulstreiks benutzen. Sie ist ganz bewusst gewählt, weil sie friedlich und gewaltfrei ist. Aber wir haben – und da kann ich, glaube ich, für Fridays for Future insgesamt sprechen – volles Verständnis für Menschen, die jetzt sagen: ‚Das reicht uns nicht mehr. Wir müssen irgendwie zu deutlicheren Maßnahmen greifen, um Deutschland auf den Kurs des Pariser Klimaabkommens zu bringen.‘ Wir solidarisieren uns sogar damit, solange es gewaltfrei bleibt.

ne: Könntet ihr euch vorstellen, dass sich die Klimaszene immer weiter radikalisiert, vielleicht sogar militant wird?

Ragna: Nein, dass sie militant wird, kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Man kann sich so viele andere Aktionen ausdenken, die gewaltfrei und total leicht umsetzbar sind. Man kann sich zum Beispiel einfach für ein paar Minuten auf eine Kreuzung setzen und den Verkehr blockieren.

Pauline: Es gab ja auch schon eine Reihe solcher Aktionen, etwa in der Climate Week rund um den Klimagipfel in New York. Aus Frust wird da sicher noch mehr kommen.

ne: Ihr sagt, ihr seid frustriert. Ihr seid aber trotzdem nicht demotiviert?

Pauline: Nein.

Ragna: Gar nicht.

ne: Wie ist das möglich? Was hält euch bei der Stange?

Ragna: Die Klimakrise wird immer schlimmer werden. Davor können wir nicht weglaufen. Das erhält automatisch auch unsere Motivation aufrecht.

ne: Angesichts der Größe der bevorstehenden Aufgabe könnte man aber auch resignieren.

Ragna: Auf jeden Fall, wir waren ja von den Beschlüssen der Groko auch total enttäuscht und traurig darüber. Andererseits haben wir auf der Demo gemerkt, wie viele Leute wir schon erreicht haben. Das bestärkt mich in dem Glauben, dass wir grundsätzlich politisch etwas verändern können. Und solange ich diese Möglichkeit sehe, ist es logisch für mich, auch weiter dafür zu kämpfen.

Pauline: Als ich realisiert habe, was die Ergebnisse des Klimapakets bedeuten, habe ich angefangen zu weinen. Später meinte dann eine unserer Mitorganisatorinnen tröstend zu mir: ‚Die Menschen, die jetzt hier gerade geweint haben, das sind die, die in Zukunft wirklich etwas verändern werden.‘ Und sie hat recht. Es motiviert einen, Menschen an seiner Seite zu haben, die für das Gleiche kämpfen; zu wissen, dass man nicht alleine dasteht und schreit, während einem niemand aus der Politik zuhört.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Den vollständigen Text lesen Sie in der Ausgabe 10/2019 von neue energie.


Ragna Diederichs, 18, hat dieses Frühjahr in Göttingen Abitur gemacht (rechts). Zurzeit jobbt sie, um ehrenamtlich im Organisationsteam von Fridays for Future mitarbeiten zu können. Sie hat unter anderem den diesjährigen Sommerkongress der Schülerbewegung koordiniert. Nächstes Jahr will sie mit dem Studium beginnen.

Pauline Daemgen, 17, geht in die 11. Klasse des Kreuzberger Leibniz-Gymnasiums. Sie gehört dem Berliner Organisationskommittee der Fridays for Future an und ist eine der Delegierten aus der Hauptstadt im deutschlandweiten Netzwerk der Schülerstreik-Aktivisten.

 

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