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Interview

„Langsam bricht sich das Gefühl Bahn, dass es nicht so bleiben wird, wie es ist“

Interview: Astrid Dähn und Jörg-Rainer Zimmermann, 04.04.19
… sagt Maja Göpel, die Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, zum anstehenden Strukturwandel und den Klimastreiks. Zuletzt sei es für Forscher schwieriger geworden, zur Politik durchzudringen.

neue energie: Sie sind eine der Sprecherinnen der Initiative Scientists for Future. Weshalb haben Sie diese Funktion übernommen?

Maja Göpel: In dem kleineren Kreis des ehrenamtlichen Organisationsteams gab es den Vorschlag und ich habe mich dazu bereit erklärt.

ne: Rund 23.000 Akademiker haben im Rahmen einer Unterschriftenaktion die Bewegung Fridays for Future unterstützt und damit für mehr Klimaschutz Front gemacht. Hätte die Forschergemeinde nicht viel früher die Initiative ergreifen können, vor den Schülerprotesten?

Göpel: Es gab 2017 bereits einen offenen Brief, bei dem weltweit 15.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter dem Motto ‚Time is Running Out‘ für effektiven Umweltschutz eingetreten waren. Allerdings wirft man wissenschaftlichen Akteuren hierzulande sehr schnell Aktivismus oder Schwarzmalerei vor, das muss man berücksichtigen. Jetzt ist die breite Öffentlichkeit hinsichtlich des Themas aber mobilisiert, viele Medien haben entsprechend berichtet. Es ist allen klar, dass die Bemühungen der Regierung angesichts der Effekte des Klimawandels unzureichend sind. Deshalb melden sich nun so viele Forscherinnen und Forscher zu Wort.

ne: Wie geht es mit Scientists for Future weiter?

Göpel: Das ist die große Frage. Es ging ja nicht darum, eine neue Organisation zu gründen. Es ging um ein Angebot an die Politik, den öffentlichen Konsensraum wieder zu weiten. Die Angst vor AfD-Wahlerfolgen ist derzeit sehr hoch, im öffentlichen Diskurs wird die Schuld dafür auch bei der Klimapolitik gesucht. Obwohl das eher die Sozial-, Industrie- und Strukturpolitik der letzten Jahrzehnte zu verantworten hat. Tatsächlich stellt sich jetzt aber die Frage, ob es künftig eine Anlaufstelle braucht, um resonanz- und diskursfähig zu bleiben. Ein Novum war in jedem Fall, dass wir diese vielen Unterschriften unter einem Dokument haben. Das gab es vorher nicht, auch wegen des Wettbewerbs, der zwischen Instituten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern herrscht. Jetzt sind neue Kontakte hergestellt, das hilft, Anfragen von Medien weiterzureichen oder auch bei diffamierenden Rückmeldungen. Vielleicht genügt ein loses Netzwerk.

ne: Das klingt sehr vorsichtig. Tatsächlich ist erstaunlich, dass so viele Forscher einen semipolitischen Aufruf unterschrieben haben. Viele meinen ja, dass sich Wissenschaft darauf beschränken sollte, Fakten zu kommunizieren. Die Anwendung in Gesellschaft und Politik wird anderen überlassen. Genügt das in so einer Situation?

Göpel: Die Debatte haben wir beim WBGU im Grunde seit 2011. Damals gab es ein Gutachten, in dem es um Transformationswissenschaft und transformative Wissenschaft ging – also um Forschung, die durch ihre Praxis gesellschaftliche Veränderungen herbeiführt. Eine Empfehlung war, transdisziplinären Prozessen mehr Anerkennung zu zollen und sie in der staatlichen Förderung stärker zu berücksichtigen. Und ich fände es schön, wenn wir unter dem Aspekt Wissenschaftskommunikation offen und ehrlich darüber sprechen würden, dass jede Forscherin und jeder Forscher nur ein begrenztes Budget an Zeit und Energie hat und diese Leistungen bisher in den akademischen Laufbahnen nicht gewürdigt werden. Forschungsministerin Anja Karliczek hat das ja auch zu einem Schwerpunktthema erklärt. Wir müssen uns zudem ein Stück weit der Gefahr aussetzen, Aktivismus vorgeworfen zu bekommen. Denn einerseits werden wir kritisiert, wenn die Wissenschaftskommunikation nicht ausreichend ist. Es soll ja unsere Schuld gewesen sein, dass überhaupt so viele gegen Klimaschutz waren, weil wir das vorhandene Wissen nicht ausreichend in der Gesellschaft vermittelt hätten. Andererseits greift man uns jetzt an, weil wir sagen, dass die Proteste gerechtfertigt sind und es mehr Klimaschutz braucht. Das ist ein bisschen arbiträr.

ne: Wenn man etwas diffamieren möchte, kommen die Argumente oft willkürlich daher. Nur, denken Sie, dass dieses Thema wirklich bei einem Ministerium gut aufgehoben ist? Bislang funktioniert es ja nicht…

Göpel: Ich fände interessant zu überlegen, wie es uns gelingen kann, diese wichtige Aufgabe besser zu meistern, nämlich Wissen breit zu vermitteln. Mit welchen Anforderungsprofilen, mit welchen Karrierewegen, die vorstrukturiert sind durch Anreizsysteme und institutionelle Vorgaben, kann das gehen? Da braucht es auf jeden Fall die Beteiligung des Ministeriums, das offiziell den Hut auf hat. Aber ich denke, es wäre auch ganz wichtig, mit denjenigen zusammenzuarbeiten, die jetzt schon versuchen, innerhalb der bestehenden Rahmenbedingungen Pionierarbeit zu leisten. Es gibt auch erste Initiativen, Förderprogramme wie Fona* etwa, die versuchen, Wissenschaft mehr in die Gesellschaft zu bringen.

*Forschung für Nachhaltige Entwicklung (Fona): Im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Programms sollen Entscheidungsgrundlagen für zukunftsorientiertes Handeln erarbeitet werden. Das Spektrum reicht von der Grundlagenforschung bis zur Entwicklung einsatzbereiter Anwendungen. Zwischen 2010 und 2014 wurden dafür rund zwei Milliarden Euro Fördermittel bereitgestellt, 2015 wurde das Rahmenprogramm zum dritten Mal aufgelegt (Fona 3).

ne: Das sind aber meist sehr kleinteilige Programme …

Göpel: Im Vergleich zu den anderen Summen kleinteilig, ja …

ne: … die auch nicht wirklich gut in der Öffentlichkeit kommuniziert werden.

Göpel: Genau. Dazu kommt, dass wir aus den Ministerien hören, die Reports der Beiräte seien zu lang. Sie sollten viel kürzer sein, die Fakten komprimiert, im Idealfall auf wenigen Seiten zusammengefasst. Das liegt sicher auch daran, dass die Arena der Politikberatung inzwischen sehr voll geworden und das Maß an Wissenschaftlichkeit und Qualitätssicherung sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Insofern braucht es einen Diskurs darüber, was sich als Evidenzbasis qualifiziert und wie wir sie transportieren. Sicher können wir uns konzisere Formate vornehmen, aber wir müssen dem Ganzen auch ein bisschen Raum geben, weil sich komplexe Sachverhalte eben nicht in 30 Sekunden vermitteln lassen.

ne: Wie gehen Sie bei der WBGU mit dem Thema um?

Göpel: Wie gesagt, es heißt ja, unsere Bücher seien zu dick. Wir versuchen deshalb mit einer Informationsarchitektur zu arbeiten. Wir haben es mit einem großen interdisziplinären Schatz zu tun. Wir haben deshalb etwa probiert, mit Comics und kleinen Filmen zu arbeiten. Einzelne Aspekte werden darüber hinaus mittels Factsheets oder thematisch zugespitzt aufbereitet. Zudem entwickeln wir eine neue Website. Um das alles zu leisten, brauche ich aber auch Ressourcen und entsprechend ausgebildete Mitarbeiter, weshalb ich einen Antrag in den Ministerien gestellt habe.

ne: Welchen Einfluss hat der WBGU tatsächlich bei Fragen des Klimaschutzes und der Energiewende auf die Bundesregierung?

Göpel: Eine Zeitlang war es sehr viel einfacher für uns durchzudringen, als es noch mehr um Klimaschutzmaßnahmen ging, die eher adaptiv im Bereich der Effizienzsteigerungen und zusätzlichen Energieformen waren. Jetzt sind wir beim grundlegenden Strukturwandel, da ist die Lage viel politischer, da gibt es viel mehr Gegenwind. Unser Problem ist also nicht, dass die Personen, die unsere Reports bekommen, sie nicht verstehen oder nicht mit der Faktenbasis einverstanden wären. Sondern in dieser aufgeheizten politischen Stimmung ist die Sorge um die Vermittlung, aber auch um die Wählergunst ganz anders ausgeprägt.

ne: Könnte es sein, dass sich manche Wissenschaftler auch nicht wirklich vorwagen?

Göpel: Das kommt natürlich innerhalb der Wissenschaft auch vor. Um weiterhin an die runden Tische eingeladen zu werden, möchte man lieber nicht zu radikal sein. Aber das gibt es in vielen Bereichen. Abweichen ist anstrengend. Und sobald institutionelle Rollen im Spiel sind, entsteht auch eine gewisse Schere im Kopf.

ne: Trägt die „Fridays for Future“-Bewegung dazu bei, dass die Akteure im Klimaschutz ein bisschen ehrlicher sein dürfen?

Göpel: Ich glaube, ja.

ne: Hilft es insbesondere auch dem WBGU, dass jetzt von gesellschaftlicher Seite Druck auf die Politik ausgeübt wird?

Göpel: Wir haben einen Errichtungserlass, in dem steht, dass wir aufbereiten sollen, wie globale Umweltveränderungen sich auf unsere Gesellschaft auswirken werden. Und dass wir aufbereiten sollen, wie wir unsere Nachhaltigkeitsziele erreichen können. Wir erfüllen also nur unser Mandat und freuen uns, wenn unsere Berichte jetzt noch mehr gelesen werden würden. Die Schülerdemo vom 15. März war aber auf emotionaler Ebene auch ein Geschenk. Wir werden so oft kritisiert, sind als Menschen auch selbst frustriert, wenn so wenig passiert. Und es macht mir Mut, dass es nicht nur bei Fridays und Scientists for Future bleibt.

ne: Es gibt Initiativen wie Parents for Future, Artists for Future…

Göpel: Genau. Und das dreht das politische Klima. Diejenigen, die die politischen Entscheidungen treffen, müssen bislang ja primär versprechen, dass alles so bleibt, wie es ist. Sonst werden sie abgestraft. Nun bricht sich langsam das Gefühl Bahn, dass es nicht so bleiben wird, wie es ist. Und dass ein Festhalten am Status quo nicht die bessere Zukunft bedeutet. Ich hoffe sehr, dass das von der Politik und von den Entscheidungsträgern als Motivation und Inspiration erfahren wird, denn die politischen Ziele sind ja da. Es gibt das Paris-Abkommen und es gibt die Nachhaltigkeitsstrategie mit den globalen Nachhaltigkeitszielen. An dieser Stelle hat sich die Bundesregierung verpflichtet, im Klimabereich sogar verbindlich.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Das komplette Gespräch ist in der Ausgabe 04/2019 von neue energie erschienen.


Maja Göpel

ist seit September 2017 Generalsekretärin des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Zuvor leitete sie das Berliner Büro des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie. Ihr Buch The Great Mindshift (Springer 2016) steht unter der Adresse www.greatmindshift.org zum kostenlosen Download bereit.

 

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