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Interview

„Eine völlig neue Dynamik“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 05.02.15
…erwartet die Energieforscherin Karen Smith Stegen durch den Siegeszug der Erneuerbaren für die internationale Politik. Förderländer wie Russland und Saudi-Arabien zählen dabei wohl zu den Verlierern. Mehr friedliche Kooperation könne die gegenseitige Vernetzung bringen.

neue energie: Welche Rolle spielen die Erneuerbaren im globalen geopolitischen Geflecht?

Karen Smith Stegen: Im Moment leider noch eine zu kleine. Aber das wird sich in Zukunft ändern. Wenn die Erneuerbaren die weltweit dominierende Energiequelle sind, werden die Machtverhältnisse sich international dramatisch verändern. In der Vergangenheit haben sich die Länder durchgesetzt, die im Kontext eines energetischen Systemwechsels am schnellsten waren. Beim Einsatz von Öl waren das Russland und die USA. Man darf vermuten, dass es bei den Erneuerbaren ähnlich funktionieren wird. Die Länder, die am schnellsten lernen, ihre natürlichen Energiequellen zu nutzen, werden die Chance haben, in diesem Sektor führend zu sein. Und weil nicht sämtliche Weltregionen über die gleichen technischen Voraussetzungen verfügen, könnte es nun dazu kommen, dass sich – auch bei dezentralem Ausbau – regionale Kraftwerkskonzentrationen ergeben. Ein Land würde dann etwa nicht nur sich selbst, sondern auch Nachbarstaaten mit Energie versorgen. In Südamerika könnte Chile dafür ein Beispiel sein. Dabei spreche ich aber von einem Zeitraum von bis zu 50 Jahren.

neue energie: Demnach dürfte es aber auch Länder geben, bei denen der Ausbau nicht vorankommt?

Karen Smith Stegen: Es dürfte auch Verlier geben. Das hat eine Menge Gründe, angefangen dabei, dass ein Land vielleicht nicht die nötigen natürlichen Ressourcen hat. Und auch wenn sie vorhanden sind, hängt es von der Aufgeschlossenheit der Politik und der Gesellschaft ab, ob Sonne und Wind genutzt werden. Darüber hinaus könnte eine starke konventionelle Energiewirtschaft dafür sorgen, dass die Entwicklung ausgebremst wird. Für solche Länder dürfte es schwierig werden, zu Stromexporteuren zu werden.

neue energie: In einer Zeitspanne von 50 Jahren – wer zählt zu den „Gewinnern“, wer zu den „Verlierern“?

Karen Smith Stegen: Nach ersten Erkenntnissen einer Studie, die ich gegenwärtig durchführe, sieht es so aus als ob im Nahen Osten Saudi-Arabien zu den Verlierern zählt, und Jordanien und Tunesien zu den Gewinnern. Die beiden Länder haben die nötigen natürlichen Ressourcen, man ist dort Erneuerbaren gegenüber aufgeschlossen und es gibt nicht die starke Mineralöl-Lobby. In Südamerika verliert Venezuela, während Chile und Uruguay gewinnen. In Europa wird Russland zu den ganz großen Verlierern zählen. Portugal und Schweden dürften bemerkenswerterweise ganz vorn liegen, ebenso Frankreich und Deutschland. Es wird interessant sein, ob sich diese Beobachtungen im Laufe der Studie konkretisieren.

neue energie: Könnte diese Entwicklung zu neuen Konflikten führen? Zumal dann ja noch die oft beschworenen Klimakriege hinzukämen, also Krisen, die durch klimabedingte Katastrophen und Migration ausgelöst werden …

Karen Smith Stegen: Es wird eine völlig neue Dynamik in der Politik geben. In der Vergangenheit sind Diktaturen auf Erdölvorkommen aufgebaut worden. Außenpolitik wurde durch schwierige Kompromisse geprägt. Man nennt das dann strategische Partnerschaften, bei denen Länder mit teils problematischen Regierungen zu Bündnispartnern werden. In einer Erneuerbaren-Welt dürfte das viel weniger der Fall sein. Es gibt interessante Studien zur US-Außenpolitik. Da wird zum Beispiel erläutert, dass wenn es um Erdöl geht, das Militär häufig eine unverhältnismäßig große Rolle spielt. Das sollte sich künftig ändern. Ein positiver Effekt ist auch, dass sich bestimmte Länder stärker vernetzen, im wahrsten Sinne des Wortes. Um Erneuerbaren-Strom zu handeln, werden sich die Länder via Stromleitungen weiter miteinander verbinden müssen. Die EU geht mit dem Strombinnenmarkt, der ja nationale Grenzen ignoriert, genau diesen Weg. Und man kann beobachten, dass energiewirtschaftliche Kooperation oft politische Kooperation nach sich zieht.

neue energie: Demnach stimmt es, Erneuerbare sorgen für eine friedlichere Welt?

Karen Smith Stegen: Es wird immer wieder politische Spannungen geben. Aber generell sollte die Systemtransformation zu einer stärkeren Regionalisierung führen. Wenn es nur darum geht, Strom von Land A nach B zu transportieren, besteht das bekannte alte Konfliktpotenzial. Wenn wir von Interkonnektivität sprechen, ändert sich das.

neue energie: Noch einmal zum Thema Klimakriege – Regierungen und besonders das Militär, betonen seit Jahren die Sicherheitsrisiken. Bislang bleiben sie jedoch aus…

Karen Smith Stegen: Im Englischen gibt es den Begriff „climate stressors“. Wenn Länder wie etwa der Tschad eine schwache Regierung haben, dann ein Ernährungsproblem dazu kommt oder massenhafte Migration aufgrund von Klimakatastrophen, dann erleben wir den Übergang zur Unfähigkeit, ein Land zu regieren. In dieser Situation werden Bürgerkriege wahrscheinlicher. Es könnte dann auch zu Grenzkonflikten kommen, denn wenn Massenflucht oder Migration im Spiel ist, werden unter Umständen nationale Grenzen überschritten. Solche Konflikte wird es sehr wahrscheinlich häufiger geben.

neue energie: Das US-Militär warnt dennoch immer wieder vor diesen Klima-Konflikten, obwohl keine direkte nationale Gefahr für Amerika erkennbar ist. Geht es vielleicht nur um gute Gründe, um hohe Militärausgaben  zu rechtfertigen?

Karen Smith Stegen: Amerika hat das Potenzial, First Responder zu sein, bei Katastrophen als erstes Land zu helfen. Das macht das US-Militär immer wieder, weil es dazu die Kapazität hat.

neue energie: Das US-Militär will künftig selbst erneuerbare Energien stark nutzen …

Karen Smith Stegen: Aus zwei Gründen. Zum einen sind da die sehr hohen Energiekosten, die minimiert werden können. Darüber hinaus ist der Transport von Treibstoff in Krisenregionen sehr riskant, Tanklaster und Versorgungsketten sind häufig ein Ziel für Angriffe. Das ändert sich durch den Einsatz von Photovoltaik massiv. Und interessant ist ja, dass es noch heute massive Widerstände der Republikaner beim Thema Klimawandel gibt. Die halten das immer noch für etwas aus der Flower-Power-Hippie-Bewegung. Das Militär ist da weniger ideologisch. Sie machen das nicht, um die Welt zu retten, das würde wie gesagt die Republikaner auf den Plan rufen. Aber sie sagen, sie wollen Geld sparen und machen es wegen des logistisch-taktischen Risikos. Damit werden sie ernst genommen.

neue energie: Wird die Erneuerbaren-Forschung und damit die technische Entwicklung durch das Militär vorangetrieben?

Karen Smith Stegen: Schwer zu sagen. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass die derzeitige Abhängigkeit mancher Technologien von Seltenen Erden, besonders schweren Seltenen Erden, an dieser Stelle Thema ist. Die Verarbeitung der schweren Seltenen Erden ist ja ausschließlich auf China beschränkt. Diese Abhängigkeit dürfte das US-Militär stören. Ich kann mir gut vorstellen, dass man daran arbeitet, Ersatzstoffe zu finden.

Karen Smith Stegen ist Professorin für Politikwissenschaften an der Jacobs University Bremen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind erneuerbare Energien und Umweltpolitik.

Mehr zum Thema Krieg und Frieden lesen Sie in der Ausgabe 2/2015 von neue energie.

 

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