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Interview

„Das größte Hindernis sind verkrustete politische Strukturen“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 30.08.16
… sagt der japanische Erneuerbaren-Verfechter Tetsunari Iida über den Fortschritt der Energiewende in seinem Land. Sorgen macht ihm die Entwicklung von Einspeisetarifen – auch in Europa.

neue energie: Herr Iida, begonnen haben Sie Ihre berufliche Laufbahn als Nuklearwissenschaftler. Wie kam es, dass Sie komplett umsattelten und mittlerweile zu den bedeutendsten Pionieren der japanischen Energiewende zählen?

Tetsunari Iida: Nachdem ich in den ersten 20 Jahren meines Berufslebens alle wichtigen Stationen im Bereich der Nukleartechnologie (Wissenschaft, Industrie, Nuklearmonopol, Regulierungsbehörde) durchlaufen hatte, kamen mir Zweifel an der Kernenergie, sowohl was die technische Sicherheit als auch was den politischen Umgang damit betraf. In der Zwischenzeit hatten sich auch zwei schwere Nuklearunfälle ereignet, zum einen im Kernkraftwerk Three Mile Island (TMI) während meiner Studienzeit, zum anderen in Tschernobyl während meiner Zeit beim Nuklearmonopol, und so wurden die Zweifel zur Gewissheit, dass Kernenergie niemals sicher oder nachhaltig sein kann.

neue energie: Gab es Personen, die für Sie politische Vorbilder waren?

Iida: Direkte Vorbilder hatte ich nicht, aber ich bin vielen Experten begegnet, die sich ebenfalls von der Kernenergie abgewandt und zu den erneuerbaren Energien bekannt hatten, und von ihnen habe ich viel gelernt. Um einen Namen zu nennen: Jinzabuto Takagi. Er ist der bekannteste Anti-Kernkraft-Experte in Japan. Ich habe die größte Hochachtung für ihn, der sein ganzes Leben dem Kampf gegen die Kernenergie gewidmet hat, aber ich selbst habe mich gegen eine solche Antihaltung und für den konstruktiven Weg entschieden. Heute würde ich sagen, ich habe die „ökologische Modernisierung“ gewählt.

neue energie: Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Hermann Scheer beschreiben?

Iida: Scheer ist mein Mentor und immer währender Freund. Seine leidenschaftlichen Reden und seine Arbeit geben mir bis heute Kraft. Als ich 1998 mit dem Entwurf eines Einspeisegesetzes die japanische Energiewende einleitete, habe ich sehr viel von den politischen Erfahrungen in Deutschland Anfang der 1990er profitiert, als dort das erste Stromeinspeisungsgesetz in Kraft trat. Hermann war daran sehr stark beteiligt. Er bestärkte uns in unseren Bemühungen, in Japan das Einspeisegesetz mit einem überparteilichen Bündnis durch das Parlament zu bringen, und auch bei der durch die Zivilgesellschaft angestoßenen Kooperation mit dem Parlament gegen Energiemonopol und Bürokraten.

neue energie: Wie haben Sie die Katastrophe von Fukushima erlebt?

Iida: Ich besuchte zu dem Zeitpunkt in Potsdam einen strategischen Workshop für die Internationale Organisation für erneuerbare Energien (Irena), moderiert von Klaus Töpfer, der bald darauf von der Bundesregierung zum Vorsitzenden der Ethikkommission für eine sichere Energieversorgung ernannt wurde. Ich hatte Tokio am Nachmittag des 10. März verlassen und nach meiner Ankunft ein kurzes Nickerchen gemacht. Sehr früh am Morgen erhielt ich während der Arbeit einen Anruf aus Japan, es habe ein großes Erdbeben gegeben, im japanischen Fernsehen und im Internet sah ich dann zu meinem Schrecken den riesigen Tsunami. Ich hatte das Gefühl, mein ganzes bisheriges Leben habe sich schicksalhaft auf diesen Punkt, die Katastrophe von Fukushima, hinbewegt. Ab diesem Punkt arbeiteten unser Team vom ISEP* und ich mit Hochdruck daran, politische Handlungsempfehlungen herauszugeben, zur kurzfristigen Energieversorgung und Laststeuerung, um Stromausfälle zu vermeiden, und an einem Plan, um innerhalb von zehn Tagen ab dem 11. März längerfristig aus der Kernenergie auszusteigen. Wir veröffentlichten eine Reihe von Empfehlungen zum Atomausstieg und zur Schaffung eines Einspeisetarifs für eine allgemeine erneuerbare Energieversorgung. Masayoshi Son (Mitgründer REI, Anm. d. Red.) beauftragte mich als Berater und mit der Gründung eines hochrangigen Instituts für erneuerbare Energien, das heutige Renewable Energy Institute (REI).

neue energie: Auf welchem Weg ist in Ihrer Sicht die Erneuerbaren-Politik in Japan?

Iida: Nach dem Vakuum, das sich durch die Katastrophe von Fukushima in der Energiepolitik aufgetan hatte, gab es anfangs sehr gute politische Konzepte. So hat Japan in den letzten vier Jahren ein explosives Wachstum der Photovoltaik erlebt. Allerdings waren von Beginn an die politischen Strukturen nicht ideal, es fungierte sozusagen der Wolf als Schafhirte. Mittlerweile haben zwei große Einflusskräfte, das Strommonopol und die Energiebürokratie, dafür gesorgt, dass der Einspeisetarif nach und nach an Bedeutung verloren hat. Die Strommonopolisten haben diskontinuierliche Energiequellen, vor allem Wind, immer „verabscheut“, und heute, angesichts des Booms bei solaren Großkraftwerken, nutzen sie ihr Netzmonopol als größte Zugangshürde. Die Energiebürokraten im METI, dem japanischen Ministerium für Wirtschaft und Industrie, sind seit Langem Verfechter der sogenannten „marktbasierten Strategie“ mit Quotenregelungen oder Ausschreibungen für erneuerbare Energien, was bereits einmal gescheitert ist. Außerdem leiden sie meiner Meinung nach an einem politischen Trauma aus der Niederlage im politischen Kampf von Einspeisetarifen gegen RPS**. Nun werden sie, aufgrund dieses politischen Traumas und ihres starken Einflusses, im nächsten Jahr die Ausschreibungen einführen.

neue energie: Welche Faktoren behindern eine rasche Energiewende in Japan?
Iida: Das größte Hindernis sind wohl die verkrusteten politischen Strukturen. In Japan herrscht nach wie vor der Glaube an ein umfassendes, zentral kontrolliertes System, und die derzeitige Regierung Abe steht für die Bündelung dieser Kräfte, um das alte System wieder herzustellen, das durch die Katastrophe von Fukushima aufgebrochen worden war

neue energie: Demnach sagen Sie, die Katastrophe hat die Wende beschleunigt – in Ihrem Land und weltweit…

Iida: Zum Teil ja, weil eine solche Katastrophe ein politisches Vakuum erzeugt und die Wahrnehmung der Menschen verändert, weg vom Mythos Kernenergie, mit der Chance für bessere Lösungen mit entsprechenden politischen Strukturen. Gleichzeitig sollten wir aber vorsichtig sein, mit Blick auf die Effekte der sogenannten Schock-Strategie (Naomi Klein). Im Fall von Fukushima hat das „alte System“, insbesondere das METI, sich für ein Krisenmanagement stark gemacht, bei dem es nicht um die japanische Bevölkerung ging, sondern darum, das Ministerium selbst intakt und aufrechtzuerhalten.

neue energie: Welche Länder sind derzeit bei der Umsetzung der Energiewende auf einem guten Weg? Und in welchen Ländern läuft es eher enttäuschend?

Iida: Ich würde sagen, auf einem guten Weg sind zurzeit Deutschland und die skandinavischen Länder, vor allem Dänemark, sowie Kalifornien. Auch aus China und den USA ist wohl zukünftig Positives zu erwarten. Am enttäuschendsten ist die Energiewende bisher in Japan verlaufen, mit Ausnahme der Photovoltaik. Korea, Großbritannien und Frankreich enttäuschen ebenfalls, dort scheint die Nuklearwirtschaft eine große, negative Rolle in der Politik zu spielen.

neue energie: Bisher waren westliche Länder wie Dänemark oder Deutschland Marktführer bei erneuerbaren Energien. Ändert sich das gerade?

Iida: Betrachtet man die Entwicklung seit den 1970er Jahren, hat sich, was die führende Marktrolle bei den erneuerbaren Energien angeht, meiner Ansicht nach nichts Wesentliches geändert. Es handelt sich hier sicherlich nicht um Zufälle oder Ausreißer, sondern um eine natürliche politische und gesellschaftliche Entwicklung, die in den jeweiligen Ländern starke Unterstützung findet.

neue energie: Sie sind ein starker Befürworter einer dezentralisierten Struktur mit Schwerpunkt auf Bürgerenergieprojekten. Glauben Sie, dieser Ansatz kann sich durchsetzen angesichts des Markteintritts großer Unternehmen und eines sich wandelnden politischen Umfelds?

Iida: Es kann sein, dass durch den Markteintritt der Großunternehmen die politischen Rahmenbedingungen mehr in Richtung Zentralisierung gehen. Historisch und global zeigt sich aber eine unausweichliche Tendenz zu mehr Dezentralisierung im Energiebereich. Und langfristig wird sich dieser Wandel beschleunigen.

neue energie: Welche Länder bewegen sich in die richtige Richtung, um Bürgerenergie als Pfeiler der Energieversorgung zu verankern? Brauchen wir ein weltweites Netzwerk zur Unterstützung solcher Projekte?

Iida: Ich denke, Deutschland und die nordeuropäischen Länder, hier besonders Dänemark, aber auch Kalifornien, sind auf einem guten Weg, Bürgerenergie zu unterstützen. Allerdings geben jüngere politische Entwicklungen in Europa weg von Einspeisetarifen großen Anlass zur Sorge, ob der Bürgerwindbereich seine starke Stellung halten kann. Im November, im fünften Jahr nach der Katastrophe, wird in Fukushima die erste „World Community Power Conference “ stattfinden. Ich hoffe, das wird ein historischer Neubeginn. In jedem Fall wird es ein Ort der Begegnung sein, um sich zu vernetzen und gegenseitig zu bestärken, weltweit den Wandel voranzutreiben, um unsere gemeinsame neue, nachhaltige Zukunft zu gestalten.

* Institut für nachhaltige Energiepolitik
** Renewable Portfolio Standard: Mindestanteil Erneuerbarer am Strommix der
Energieversorger

Dieses Interview stammt aus der Ausgabe 9/2016 von neue energie.

 

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