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Interview und Material zur Januar-Titelstory

„Klima- und Artenschutz müssen zusammen gedacht werden“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 07.01.15
… sagt Leif Miller, Bundesgeschäftsführer des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu). Windenergie und Naturschutz sind für ihn grundsätzlich vereinbar. Entscheidend sei gerade bei Windparks die Standortwahl.

neue energie: Herr Miller, manchmal scheint es, als seien die Windenergie und der Naturschutz miteinander unvereinbar, in manchen Umweltverbänden toben heftige interne Richtungskämpfe. Wie sieht das im Nabu aus?

Leif Miller: Der Nabu hat dazu eine glasklare Position auf allen Ebenen: erneuerbare Energien ja, aber bitte nur naturverträglich! Unsere Grundüberzeugung ist, dass Windenergie und Naturschutz grundsätzlich vereinbar sind und die erneuerbaren Energien einen wichtigen Beitrag für einen langfristig erfolgreichen Naturschutz darstellen. Auch in unseren Landesverbänden gibt es natürlich Diskussionen zur Ausweisung von einzelnen Windenergienutzungsgebieten genauso wie zu einzelnen Vorhaben und den dazugehörigen Genehmigungsverfahren. Wir versuchen, eine sachliche Diskussion über die möglichen Standorte für neue Anlagen zu führen, in der die naturschutzfachlichen Belange berücksichtigt werden. Wir setzen auch darauf, dass Regionalplaner, Windpark-Planer und Genehmigungsbehörden selbständig Naturschutz- und Artenschutzkonflikte erkennen und abwenden. Die Mehrzahl der Windpark-Projekte ist sicherlich aus Naturschutzsicht unproblematisch. Leider gibt es aber immer wieder auch Fehlplanungen, mit denen wir uns beschäftigen müssen.

neue energie: Klimaschützer weisen auf massenhaftes Artensterben durch die Erderwärmung hin und fordern den schnellen Ausbau der Erneuerbaren. Beim Naturschutz scheint nicht selten der Individuenschutz an erster Stelle zu stehen. Wie lässt sich das argumentativ überein bringen, wo doch beide Seiten Natur und Umwelt schützen wollen?

Leif Miller: Klima- und Artenschutz müssen zusammen gedacht werden. Eine naturverträgliche und bedarfsgerechte Energiewende ist nur mit Energieeinsparungen zu erreichen. Nur wenn wir den Energiebedarf reduzieren, kann der Druck auf Lebensräume von Mensch und Natur gemindert werden, indem weniger Kraftwerke oder Stromleitungen gebaut werden. Die aktuellen negativen Trends bei der Entwicklung der Artenvielfalt sind jedoch weniger auf die Erwärmung als auf die Ausweitung intensiver Landnutzungen und die zunehmende Zerschneidung von Landschaften auch durch technische Anlagen wie Windenergieanlagen oder Stromleitungen zurückzuführen. Daher ist eine gute Standortwahl besonders entscheidend, um die Auswirkungen auf Natur und Landschaft zu vermeiden beziehungsweise zu mindern. Dabei müssen auch kumulative Wirkungen, die bisher in ihrem Ausmaß kaum bewertet werden, in den Blick genommen werden. Um sowohl kurz- als auch langfristig im Naturschutz erfolgreich zu sein, müssen wir es schaffen, die Erneuerbaren auszubauen, ohne jetzt schon das zu zerstören, was wir durch den Klimaschutz langfristig erhalten wollen. Für die Windkraft heißt das ganz klar, dass eine gute Standortwahl entscheidend ist, um negative Auswirkungen auf Mensch und Natur zu vermeiden! Richtig ist, dass es nach Paragraph 44 Bundesnaturschutzgesetz verboten ist, geschützte Tiere zu töten und dass dies individuenbezogen betrachtet wird. Allerdings ist dabei auch entscheidend, ob es durch den Verlust einzelner Individuen zu einer Beeinträchtigung der lokalen Population kommt. Dies kann etwa bei seltenen und gefährdungsanfälligen Arten wie dem Schreiadler durchaus gewährleistet sein.

neue energie: Welche konkreten Möglichkeiten sehen Sie, damit es zu einem Ausgleich der beiden Seiten Erneuerbare und Naturschutz kommen kann? Was tun Sie, der Nabu, konkret dafür?

Leif Miller: Wir setzen uns bundesweit für eine naturverträgliche Umsetzung der Energiewende ein, beispielsweise im Rahmen unserer erfolgreichen Initiative in den Koalitionsverhandlungen für ein Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende oder „Weniger wird mehr #effizienzwende“. Energieeffizienz und -einsparung müssen einen höheren Stellenwert gewinnen. Darüber hinaus müssen bereits auf landesplanerischer Ebene sowohl die Ziele zum Ausbau erneuerbarer Energien und als auch die zum Erhalt der biologischen Vielfalt berücksichtigt werden. So sollte festgelegt werden, welchen Beitrag die erneuerbaren Energien zur Versorgung des jeweiligen Landes leisten sollen bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Ziele zum Erhalt der biologischen Vielfalt. Wir setzen uns daher konkret in den einzelnen Regionen für eine gute Planung der Standorte ein, sodass man beiden Ansprüchen gerecht wird. Eine gute Regionalplanung vermeidet die meisten Konflikte bereits von vorneherein. Bei der Planung gilt deswegen „Sorgfalt vor Schnelligkeit“.

neue energie: Es sind Fälle bekannt, in denen der Naturschutz aus politischen Interessen dazu missbraucht wird, Erneuerbaren-Parks zu verhindern. Erleidet dadurch nicht auch der Naturschutz einen Imageschaden?

Leif Miller: Wir nehmen die Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger vor Ort sehr ernst. Fälle, in denen Naturschutzbelange zur Verhinderung von Erneuerbaren-Parks vorgebracht werden, verfolgen wir sehr genau, indem wir objektiv die Situation vor Ort bewerten und analysieren. Unsere Landesverbände achten sehr darauf, sich nicht „vor den Karren spannen zu lassen“ und gehen sehr verantwortungsvoll mit unserem Verbandsklagerecht um. Das zeigt sich auch in der außerordentlich hohen Erfolgsquote vor Gericht. Einen Imageschaden für den Naturschutz befürchten wir nicht, wenn es legitime Bedenken sind, die vorgebracht werden. Und dies ist gewährleistet, wenn sich der Nabu eines Verfahrens annimmt. Eine bessere Standortauswahl und Transparenz bei der Planung hilft oftmals schon, Konflikte von vornherein zu vermeiden.

neue energie: Gesicherte Zahlen, wie viele Tiere tatsächlich durch Windparks sterben, gibt es nicht. Wird die Debatte nicht vor allem emotional, ohne wissenschaftliche Basis geführt – man könnte auch sagen unsachlich?

Leif Miller: Wissenschaftliche Studien belegen, dass Windparks eine Gefahrenquelle für die biologische Vielfalt darstellen. Deshalb kommt es vor allem darauf an, konfliktarme Standorte auszuwählen. Anlagen in der Nähe von Gewässern und Feuchtgebieten stellen eine Gefahr für Vögel dar, Windkraftanlagen in der Umgebung von Wäldern können Auswirkungen auf Fledermäuse und deren Lebensräume haben. In einem großen Verband wie dem Nabu mit vielen engagierten Vogel- und Fledermausschützern wird die Debatte emotional geführt, das ist aber nicht mit unsachlich gleichzusetzen. Wir sind für den Ausbau der erneuerbaren Energien, bei dem jedoch der Naturschutz nicht vergessen werden darf. Auch wenn es keine absoluten Zahlen gibt, zeigt beispielsweise die Totfundkartei der Vogelschutz warte Brandenburg, die eine Zusammenstellung von Zufallsfunden darstellt, welche Arten besonders betroffen sind.

neue energie: Wie ließen sich die erforderlichen Daten denn erheben, ohne die Energiewende für Jahre auszusetzen?

Leif Miller: Aus unserer Sicht hätte frühzeitig eine umfassende Grundlagenforschung zu den Auswirkungen von Windenergieanlagen auf Arten und die Landschaft durchgeführt werden müssen. Dass dies nicht in dem Umfang geschehen ist, wie es sicherlich möglich gewesen wäre, ist ein Kritikpunkt. Dennoch hat sich über die letzten beiden Jahrzehnte unser Wissensstand zu einzelnen Arten und deren Betroffenheit deutlich verbessert. So wurden in den Renebat-Vorhaben (Renebat I 2007-2009; Renebat II 2011-2013), in denen es um die Vermeidung und Minderung der Auswirkungen von Windenergieanlagen bei Fledermäusen geht, Abschaltalgorithmen entwickelt, die sowohl wirtschaftliche als auch artenschutzrechtliche Belange gleichermaßen berücksichtigen. Auch das kontrovers diskutierte Helgoländer Papier der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten zu Mindestabständen von bestimmten Vogelvorkommen basiert auf dem aktuell verfügbaren Wissensstand und wird auch in Zukunft immer wieder an diesen angepasst werden. So wurden die Ergebnisse aus der kürzlich veröffentlichten Greifvogelstudie des Michael-Otto-Instituts und weiterer Partner, die im Auftrag des damaligen Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit durchgeführt wurde, aufgegriffen und die Abstandsempfehlungen zu Vorkommen einzelner windenergiesensibler Arten angepasst. Fehlende exakte Opferzahlen können daher angesichts vorhandener Erkenntnisse keine Entschuldigung für die Nichtberücksichtigung von Artenschutzbelangen sein. Bei einem einzelnen Schreiadler ist dies sicherlich bereits der Fall, bei anderen Arten nicht sofort. Auch das individuenbezogene Tötungsverbot bezieht sich daher letztlich auf den Erhalt lebensfähiger Populationen, denn sonst wäre es im Naturschutzrecht fehl am Platz und wäre eher im Tierschutzrecht zu finden.

Zur Person: Leif Miller ist Biologe und seit 2005 Geschäftsführer des Nabu-Bundesverbands. 1989/90 war er zudem Gründungsmitglied der Grünen Liga. Seit 1991 ist er Geschäftsführer und seit 2001 auch ehrenamtlicher Landesvorsitzender der Grünen Liga LV Berlin.

Mehr zur Vereinbarkeit von Natur- und Klimaschutz lesen Sie in der Titelgeschichte der Ausgabe 1/2015 von neue energie. Dort ist auch das Interview mit Leif Miller erschienen.

Material zur Titelstory:

Nabu-Broschüre zum Thema Windenergie und Naturschutz: Link

Positionspapier von Greenpeace zu Windenergieanlagen im Wald: Link

Positionen der Deutschen Wildtierstiftung zu Windenergie im Wald: Link

Papier der Grünen-Bundestagsabgeordneten Anton Hofreiter, Steffi Lemke und Oliver Krischer: Link

„Helgoländer Papier" der Länder-Arbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten in der Fassung von 2008: Link

Positionen des Bundesverbands WindEnergie zum Thema Naturschutz: Link
Auf Anfrage ist dort auch ein Kommentar zum Entwurf einer Fortschreibung des „Helgoländer Papiers" erhältlich.

 

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