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Klimagipfel COP28

„Wir haben leider eine Riege von Politikern, die den Ernst der Situation noch nicht verstanden hat“

Interview: Astrid Dähn, 30.10.23
... sagt der Klimaforscher Hans-Otto Pörtner. Bei seiner langjährigen Koordinierungsarbeit im Weltklimarat IPCC hat er erlebt, wie groß die Widerstände vieler Länder gegen einen raschen Ausstieg aus den fossilen Energien immer noch sind. Von der bevorstehenden Weltklimakonferenz im vom Ölreichtum geprägten Dubai erwartet er deshalb keinen großen Durchbruch – obwohl sich die Krise inzwischen für alle spürbar verschärft hat.

neue energie: Ende November beginnt in Dubai die nächste Weltklimakonferenz. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Punkte, die auf der COP28 zur Sprache kommen werden?

Hans-Otto Pörtner: Es wird auf verschiedenen Ebenen wichtige Verhandlungen geben. Ganz zentral muss es natürlich um Klimaschutz, also den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen gehen. Dazu gab es im Vorfeld der Konferenz schon ein Geplänkel. Denn der diesjährige Vorsitzende der COP, Sultan Ahmed Al Jaber, hat suggeriert, dass es vor allem darum gehe, die CO2-Emissionen herunterunterzufahren.

ne: Sie spielen auf den Petersburger Klimadialog an. Dort hat sich Herr Al Jaber – der neben der diesjährigen COP auch den staatlichen Ölkonzern Admoc der Vereinigten Arabischen Emirate leitet – statt für einen Ausstieg aus fossilen Energien für einen „Ausstieg aus fossilen Emissionen“ ausgesprochen...

Pörtner: Ja, sein Vorschlag war, durch eine Stärkung von CCS, also Carbon Capture and Storage, das entstehende CO2 einfach wegzulagern. Das kann der Öl- und Gasindustrie aber als Trick dienen, weiterhin fossile Brennstoffe zu fördern und zu verkaufen.

ne: Darum sollte es also auf der COP eher nicht gehen?

Pörtner: Nein, wir hinken beim Klimaschutz den Zielen ohnehin hinterher. Bislang gehen die Emissionen nicht runter, die Kurve flacht zwar ein bisschen ab, aber sie schleicht weiter nach oben. Und dass man auf fossile Brennstoffe verzichten muss, ist nach meiner Meinung ein ganz entscheidender Faktor. Man muss die wirtschaftliche Entwicklung von den fossilen Ressourcen, vom Bau neuer Kohlekraftwerke oder Ähnlichem abkoppeln und stattdessen für ökonomischen Fortschritt ausschließlich auf die Erneuerbaren setzen. Das wäre für mich letztendlich der wichtigste Verhandlungspunkt.

ne: Auf der COP dürfte vermutlich auch über eine gerechte Verteilung der Kosten einer solchen klimaverträglichen Wirtschaftsentwicklung gesprochen werden.

Pörtner: Ich denke, die Finanzierungsfrage wird generell noch einmal neu diskutiert werden müssen. Einige Länder machen sich da bisher einen schlanken Fuß, weil sie allein die historische Verantwortung betonen. China argumentiert zum Beispiel so. Dabei ist das Land mittlerweile der größte Emittent. Es wäre eine fairere Basis zu sagen: Bei allen Ländern wird sowohl auf ihren historischen Beitrag zu den Emissionen geschaut als auch auf ihren aktuellen Ausstoß, und entsprechend beider Komponenten müssen sie sich anteilig an der Problemlösung beteiligen.

ne: Gegenstand der Hauptverhandlungen soll auch der sogenannte Global Stocktake sein, also eine erste Bestandsaufnahme, wie weit jedes Land seit dem Pariser Abkommen 2015 mit seinen Bemühungen um Klimaschutz und Anpassung vorangekommen ist. Welches Ergebnis zeichnet sich dabei ab?

Pörtner: Der Global Stocktake läuft bereits seit Längerem. Zur Klimakonferenz wird jetzt eine technische Zusammenfassung der Resultate vorgelegt. Ich kenne das Papier. Es bescheinigt der Welt, dass sie absolut nicht im Plan ist und dass im Prinzip nachgebessert werden muss. Wie man nachbessern kann, darüber werden sich die Leute auf der COP aber die Haare raufen, weil dazu wieder ein Interessenausgleich nötig ist und manche auf ihre bewährten Geschäftsmodelle nicht verzichten wollen. Die Botschaft aus dem Global Stocktake ist also eigentlich ganz klar. Die Frage ist nur: Was machen die Regierungen daraus? Springt man weiterhin zu kurz und nimmt Klimawandel und Klimaschäden in Kauf oder schafft man es, wirklich eine Kehrtwende einzuleiten?

ne: Wie könnte die COP28 denn konkret auf eine Kehrtwende hinwirken?

Pörtner: Ich gehöre nicht zu den Verhandlern dort, und ich bin auch nicht so nah dran, dass ich sagen könnte, wie die Strategie des Gastgebers aussieht. Der sollte und müsste dabei eigentlich eine Führungsrolle übernehmen. Manche Gastgeber der letzten COPs haben sich wirklich extrem angestrengt, eine gewisse Einigkeit unter den Konferenzteilnehmern herzustellen und eine Abschlussdeklaration hinzubekommen, mit der man etwas anfangen kann. Bestes Beispiel dafür war die COP in Paris, die am Ende das Pariser Abkommen möglich gemacht hat.

ne: Wie schon erwähnt, ist diesmal jedoch ein Manager aus der Fossilindustrie Präsident der Konferenz. Glauben Sie, dass jemand mit diesem Hintergrund in einer kritischen Verhandlungssituation glaubwürdig für Klimaschutz eintreten kann?

Pörtner: Das hängt sehr davon ab. Eigentlich sollte die Zeit, in der die Ölproduzenten die Welt zum Klimaschutz belügen, ja vorbei sein. Große erdölexportierende Länder wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate versuchen aber weiterhin einen Spagat: Einerseits bemühen sie sich, ihre Wirtschaft möglichst schnell zu diversifizieren, um weg von den Fossilen zu kommen. Andererseits wollen sie, solange es geht, weiter fossile Rohstoffe fördern und verkaufen, weil sie das Geld für die Transformation brauchen. Insofern ist die Tatsache, dass ein ölexportierendes Land die COP-Präsidentschaft innehat, kein Faktor, der Beschleunigung bei den Verhandlungsprozessen verspricht.

ne: Es bremsen aber nicht nur die großen Ölstaaten. Wenn man sich die nationalen Klimaziele weltweit anschaut, stellt man fest, dass viele Länder aktuell keinen großen Ehrgeiz mehr zeigen, aus der Öl- und Gasproduktion auszusteigen. Staaten wie der Libanon und Senegal wollen sogar ganz neu in die Erschließung fossiler Quellen einsteigen. Erlebt der Klimaschutz global gerade einen Rollback?

Pörtner: Das will ich zumindest teilweise nicht ausschließen. Man merkt das ja auch an den Maßnahmen, die kürzlich in Großbritannien beschlossen wurden, etwa die Fristverlängerung für die Zulassung neuer Verbrennerautos von 2030 auf 2035. Wir haben leider eine Riege von Politikern, die meines Erachtens den Ernst der Situation noch nicht verstanden hat und für die eines immer noch schlimmer ist als der Klimawandel: die Abnahme des wirtschaftlichen Wachstums. Die Bereitschaft, für den Klimaschutz wirtschaftliche Einschränkungen hinzunehmen, ist bei diesen Leuten gering. Das führt dazu, dass mit großer Zögerlichkeit an etablierten Wirtschaftsmodellen festgehalten wird, die uns dann weiter in die Krise führen, anstatt zu sagen: Wir müssen unternehmerische Risiken eingehen und das Wachstum in zukunftsfähigen Technologien wie Wind, Solar und Wasserstoff suchen, uns also trauen, weiter in die Zukunft zu denken. Damit scheinen Politiker ein Problem zu haben, weil sie meist nur sehr kurzfristig denken, im Zweifelsfall nur von einem Wahlzyklus zum nächsten.

ne: An internationalen Klimagroßveranstaltungen wie den COPs sind in der Regel Politiker und andere Interessenvertreter aus mehr als 150 verschiedenen Nationen beteiligt. Wie ist es angesichts dieser Vielfalt überhaupt möglich, am Ende zu mehr als nur schwammigen Absichtserklärungen zu kommen?

Pörtner: Das ist eine entscheidende Frage. Es gibt auf solchen Konferenzen natürlich eine extrem große Vielfalt an Interessen und Strömungen. Ich bin in den letzten Jahren regelmäßig auf der COP gewesen, und ich war im sechsten Sachstandsbericht des IPCC einer der Co-Vorsitzenden. Einer der Grundmechanismen dieses Systems besteht darin, dass aus dem Weltklimarat an die Klimarahmenkonvention, also an den Kern der jeweiligen COP, zu den IPCC-Ergebnissen berichtet wird. Daneben gibt es auf der COP noch ein breitgefächertes Rahmenprogramm, in dem einzelne Aspekte weiter vertieft werden. Ich selber werde auf der kommenden COP etwa an Diskussionen zu meinem Forschungsgebiet, dem Ozean, beteiligt sein. Dieser Grundprozess des Informierens ist gut etabliert und könnte funktionieren, wenn die Länder sich darauf basierend am Ende auf gemeinsame Leitlinien einigen würden. Das klappt allerdings, wenn überhaupt, nur viel zu langsam. Ein Haupthindernis dabei sind aktuell die Nord-Süd-Differenzen.

ne: Inwiefern?

Pörtner: Viele ärmere Länder auf der Südhalbkugel stellen im Moment die Diskussionen um einen finanziellen Ausgleich für die Klimaschäden durch die Hauptverursacher auf der Nordhalbkugel in den Vordergrund. Aus meiner Sicht verdecken solche Auseinandersetzungen jedoch das Eigentliche, nämlich, dass wir die Fehler des Industriezeitalters schnellstmöglich korrigieren müssen, statt seinen Errungenschaften und dem zugehörigen Lebensstil hinterherzulaufen. Diese Fehler werden, nebenbei bemerkt, im Norden wie im Süden vor allem von den wohlhabenden Schichten gemacht.

ne: Der Konflikt scheint aber ziemlich verhärtet. Bei den Vorverhandlungen zur COP im Juni in Bonn haben die betroffenen Entwicklungsländer angekündigt, nur über weitere CO2-Minderungen sprechen zu wollen, wenn ihnen die Industriestaaten verbindliche Finanzierungszusagen machen. Wie soll man unter diesen Voraussetzungen schnelle Fortschritte erzielen?

Pörtner: Mein Ansatz wäre, noch einmal deutlich zu machen, dass wir alle in einem Boot sitzen. Beim Klimawandel ist schließlich niemand auf der sicheren Seite, weder die Nordhemisphäre noch die Südhemisphäre. Alle Regionen leiden bereits jetzt unter extremen Wetterereignissen. Klar haben Länder wie die westlichen Industrienationen eine größere Verpflichtung, ihre Emissionen runterzufahren, einfach weil sie einen besonders hohen Treibhausgas- Ausstoß haben. Aber vom globalen Süden wird mir die Täter-Opfer-Unterteilung zu stark forciert. Wenn diese Länder sagen: Wir sind jetzt dran mit den Emissionen, weil wir die fossilen Energien noch brauchen, dann muss man ganz deutlich entgegenhalten: Das geht nicht mehr, wir müssen alle anders handeln.

ne: Und wie soll man das am besten kommunizieren?

Pörtner: Als Wissenschaftler muss ich ehrlich zugeben, dass es sehr schwer ist, dazu aus den Grundinformationen der Klimawissenschaften einen Lösungsvorschlag zu präsentieren. Hier muss ein politischer Interessenausgleich erfolgen, es muss eine Mentalität aufgebaut werden, die auf Solidarität beruht. Wenn die Weltgemeinschaft in gemeinsamer Verantwortung solidarisch vorgehen würde, glaube ich, könnte dieses Fingerzeigen aufhören. Dann würden die Länder mit größeren finanziellen Kapazitäten die Schwächeren mitnehmen. Und dann würde man aufhören zu argumentieren: Meine Emissionen sind gute Emissionen, deine sind schlechte. Alle Emissionen sind schlecht in diesem Kontext.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Der vollständige Text ist in Ausgabe 11/2023 von neue energie erschienen.


 

Hans-Otto Pörtner

ist Klimaforscher am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Von 2015 bis 2023 hatte der Biologie und Meeresspezialist zudem den Co-Vorsitz der Arbeitsgruppe II „Folgen des Klimawandels, Anpassung und Verwundbarkeit“ beim Weltklimarat IPCC inne. In dieser Funktion war er in den letzten Jahren regelmäßig an den wissenschaftlichen Briefings der Bundesregierung zu den COP-Konferenzen beteiligt.

 

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