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Interview

Die Schwarzen Schwäne der Energiewende

Foto: J. Wahl

Foto: J. Wahl

Almut Kirchner ist Physikerin und leitet den Bereich Energie- und Klimaschutzpolitik bei der Prognos AG.

Interview: Tim Altegör, 31.08.16
…hat Almut Kirchner vom Beratungsunternehmen Prognos untersucht. Im Interview erklärt sie, was darunter zu verstehen ist – und warum das Ergebnis die beteiligten Forscher selbst überrascht hat.

neue energie: Frau Kirchner, Sie haben in einem Forschungskonsortium die „Schwarzen Schwäne“ der Energiewende untersucht. Was muss man sich darunter vorstellen?

Almut Kirchner: Schwarze Schwäne sind ein Risikokonzept, das der Autor Nassim Taleb populär gemacht hat, vor allem während und nach der globalen Finanzkrise. Es geht um Risiken, mit denen man nicht rechnet, die aber im Falle des Eintretens sehr schnell rationalisiert werden. Das heißt, es erscheint uns dann im Nachhinein vernünftig, dass sie eingetreten sind. Ein weiteres Kriterium ist, dass Schwarze Schwäne sehr große Auswirkungen haben. Die Welt – oder zumindest ein Teil von ihr – wäre danach anders als vorher.

neue energie: Werden solche Risiken bei der Energiewende bislang nicht genügend mitgedacht?

Kirchner: Langfristige Entwicklungen wie die Energiewende, oder auch die demografische Entwicklung, denkt man meist in Szenarien. Es gibt immer Dinge, die man dabei für unwahrscheinlich hält und außen vor lässt. Wir haben uns dagegen ausdrücklich Gedanken über Sachen gemacht, die sozusagen ein bisschen verrückt sind, außerhalb dessen liegen, was man üblicherweise für die weitere Entwicklung  der Welt annimmt. Dabei haben wir das gesamte Energiesystem betrachtet und uns angeschaut, welche Risiken in der Energiewende selbst stecken, welche Risiken von außen auf sie einwirken könnten und welche Folgen das jeweils hätte, insbesondere für das Energiesystem, aber auch für seine Rahmenbedingungen. Nach verschiedenen Fragen und Kommentaren, die in den letzten Tagen an uns heran getragen wurden, möchte ich hier nochmal deutlich machen: In dieser Arbeit wurden nicht die bekannten Herausforderungen der Energiewende untersucht, die zum Beispiel mit höheren Mengen fluktuierender erneuerbarer Energien im Stromsystem oder den normalen Umsetzungshemmnissen bei der Gebäudesanierung zu tun haben. Auch dass man „smarte“ Systeme vor Datenklau und Missbrauch schützen muss, hat sich ja mittlerweile herum gesprochen. Solche Herausforderungen und Risiken werden bereits in zahlreichen anderen Studien bearbeitet und mussten hier nicht betrachtet werden.

neue energie: Der ehemalige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat einst zwischen den „bekannten Unbekannten“ (known unknowns) und den „unbekannten Unbekannten“ (unknown unknowns) unterschieden. Schwarze Schwäne gehören also zur ersten Kategorie?

Kirchner: Ja, genau. Was wir nicht denken können, können wir nicht denken, um einmal Wittgenstein zu zitieren. Wir haben versucht, uns wenigstens den known unknowns anzunähern.

neue energie: Wie haben Sie denn die Risiken für Ihre Untersuchung ausgewählt?

Kirchner: Ursprünglich haben wir 150 davon identifiziert, die sich aber zum Teil ähneln und die man bestimmten Risikoklassen zuordnen kann. Wir haben dann etwa 40 Risikocluster gebildet und daraus wiederum eine Auswahl nach mehreren Kriterien getroffen. Zum einen, wie stark sie sich auf die Rahmenbedingungen der Energiewende auswirken, etwa die Infrastruktur oder die Akzeptanz. Es kann auch Wechselwirkungen mit anderen Clustern geben, sodass eine Art Kettenreaktion entsteht. Zum anderen haben wir uns angeschaut, wie gut das Energiesystem dagegen geschützt ist und ob man es robuster machen kann. Dazu kommt noch die Eintrittswahrscheinlichkeit. So haben wir 15 Cluster ausgewählt, die wir dann wirklich durchdekliniert haben.

neue energie: Die möglichen Ereignisse, die Sie aufführen, reichen vom Zusammenbruch des internationalen Klimaregimes über Extremwetter bis hin zu terroristischen Anschlägen und Sabotage mit elektromagnetischen Waffen. Dennoch ist Ihr Fazit weitgehend positiv: Die Energiewende sei relativ widerstandsfähig gegen diese Risiken.

Kirchner: Das hat uns selbst verwundert. Das kritischste Risiko für die Energiewende wirkt im Vergleich gar nicht so spannend: dauerhaft niedrige Weltmarktpreise für fossile Energien. Wenn das eintritt, kriegen wir tatsächlich ein Problem, dann wird es insgesamt und dauerhaft schwieriger, die Energiewende zu stemmen. Bei allen anderen Risiken ist es zwar nicht so, dass sie keine Auswirkungen hätten und man sich nicht darum kümmern müsste, aber mit einer klugen Planung bekommt man sie ganz gut abgefedert. Man kann sich also darauf vorbereiten, indem man das System stabil und robust macht.

neue energie: Und was macht niedrige Öl- und Kohlepreise so riskant?

Kirchner: Damit werden erneuerbare Energien und Energieeffizienz weniger wirtschaftlich gegenüber der fossilen Alternative und die Investitionsbereitschaft sinkt. Wenn wir beispielsweise dauerhaft Rohölpreise von unter 40 Dollar hätten, würde Energieeffizienz in vielen Anwendungsfällen wirtschaftlich ziemlich unattraktiv. Damit werden dann auch Zeitfenster für langlebige energieeffiziente Investitionen verpasst, sodass es immer schwerer wird, die Ziele zu erreichen. Zugleich sind die Möglichkeiten, auf Energie-Weltmarktpreise einzuwirken, relativ beschränkt. Sie haben weltwirtschaftliche, auch geopolitische Gründe. Darauf haben weder wir als Verbraucher noch die deutsche Regierung großen Einfluss. Es müssten dann stärkere politische Umsetzungsinstrumente eingesetzt werden, um die Rahmenbedingungen anzupassen, die wiederum schwierig zu beschließen sind.

neue energie: Also sind die globalen Energiemärkte schwieriger zu kontrollieren als beispielsweise terroristische Bedrohungen?

Kirchner: Es sind immer zwei Aspekte: Zum einen, wie gut man das Eintreten verhindern kann, das ist tatsächlich in beiden Fällen schwierig. Der andere Punkt ist: Kann man das System dagegen widerstandsfähig machen? Um Terrorismus müssen wir uns ohnehin kümmern, das ist kein spezifisches Energiewende-Risiko. Da können wir auf Redundanz achten, die Infrastruktur so gestalten, dass es immer mehrere Versorgungswege gibt. Das kriegt man technisch und organisatorisch ganz gut hin – wenn die gesellschaftliche Bereitschaft besteht, das zu bezahlen. Denn diese Redundanz, die zu mehr Sicherheit führt, beißt sich etwas mit dem Ziel der ökonomischen Effizienz. Das ist aber in jedem System so, nicht nur in einem innovativen Energiesystem.

neue energie: Neben all den Schwarzen nennen Sie auch einige Pinke Schwäne, etwa einen Durchbruch bei Batteriespeichern…

Kirchner: Mit Risiken assoziiert man natürlich per Definition eher Schadensauswirkungen. Ein Pinker Schwan wäre dagegen beispielsweise ein Durchbruch bei einer alternativen Technologie. Es sind also Ereignisse, mit denen die Energiewende – im Sinne einer Abkehr von fossiler und Kernenergie – weiter möglich ist, aber auf einem anderen Pfad und vielleicht sogar einfacher. Dadurch können bereits getätigte Investitionen überflüssig werden, weil etwa ein Teil der Netzinfrastruktur nicht mehr gebraucht wird oder das ganze System sehr viel stärker auf eine Sorte von Energieträger ausgerichtet wird, als man es vorher gedacht hatte. Diese sogenannten „gestrandeten Investitionen“ könnten auch einen volkswirtschaftlichen Verlust bedeuten, deswegen haben wir es uns mit angeschaut.

neue energie: In Ihren Handlungsempfehlungen bewerten Sie es als besonders wirksam, den Emissionshandel zu stärken, soziale und ökologische Kosten fossiler Energien einzupreisen, einen international abgestimmten CO2-Mindestpreis einzuführen. Ist also eine stärkere Bepreisung fossiler Energie der beste Weg, die Energiewende abzusichern?

Kirchner: Es ist nicht der beste oder der einzige, aber ein sehr wichtiger Weg, um die Energiewende gegen dieses eine relativ große Risiko der niedrigen Weltmarktpreise robuster zu machen. Mit „Absicherung“ nennen Sie da ein gutes Wort: Dieses Instrumentarium ersetzt nicht die weiteren notwendigen Instrumente und Rahmenbedingungen wie Förderung, Effizienzstandards und Ordnungsrecht in den verschiedenen Sektoren, die allesamt sehr unterschiedlich „ticken“. Es bildet dafür aber eine gute Grundlage.  Wir können stattdessen auch warten, bis die Menschen von selbst so handeln, wie man es aus ökologischen Gründen für vernünftig hält, es aber von ökonomischer Seite insbesondere für Unternehmen unattraktiv ist. Es könnte allerdings sein, dass man dann etwas länger wartet. Wir müssen einfach feststellen, dass Energieeffizienz-Maßnahmen wirtschaftlicher werden, wenn die konventionelle Energie teurer wird.

neue energie: Eine weitere Empfehlung, die Sie in der Studie wiederholt aussprechen, ist eine proaktive Kommunikation über die Vorteile der Energiewende. Kommt das in den ganzen Debatten über Kosten und fehlende Netze derzeit zu kurz?

Kirchner: Das würde ich gar nicht unbedingt so einschätzen, wir haben nur festgestellt: Jedes Mal wenn man über ein solches Risiko und die Wirkungsketten nachdenkt, sieht man sehr schnell, dass es auf unterschiedlichste Facetten der Gesellschaft Auswirkungen hat. Die Energiewende ist als sehr komplexes gesellschaftliches und industrielles Projekt einfach kein Selbstläufer. Die Empfehlung ist nicht furchtbar originell, aber man muss eine gute, saubere, transparente Kommunikation aufrechterhalten und dabei auch keine Scheu vor der Darstellung der Komplexität haben. Das sehen wir am stärksten beim Bau von Infrastruktur, seien es Netze, seien es Pipelines, aber auch bei Kraftwerken, ob zentral oder dezentral. Überall ist es notwendig, dass transparent, differenziert, der Komplexität angemessen und mit allen Akteuren kommuniziert wird.

Die Studie „Black Swans (Risiken) in der Energiewende“, die im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums entstanden ist, ist unter diesem Link online verfügbar.

 

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