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Windenergie

Welches Interesse überwiegt?

Ralf Hutter, 03.11.23
Seit vielen Jahren ist die Bundeswehr ein Hindernis für den Ausbau der Windstromerzeugung. Eine noch größere Blockademacht hat der Bundestag nun abgelehnt, aber der Konflikt könnte weiterbestehen.

In Deutschlands Politik stehen sich zwei Paradigmen gegenüber: Sollen die Windenergie und damit der Klimaschutz oberste Priorität haben oder die Belange der Bundeswehr? „Zurzeit wird versucht, einen Vorrang des Militärs zu installieren“, findet Martin Maslaton. Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht mit Kanzleien in Leipzig, München und Köln setzt sich seit Langem für die Energiewende ein. An der Technischen Universität Chemnitz lehrt er als außerplanmäßiger Professor Energierecht. Da er zudem die Lizenz für das Fliegen von Geschäftsflugzeugen besitzt, ist er auch Experte fürs Luftrecht und seit vielen Jahren mit Konflikten zwischen Bundeswehr und Windenergiebranche vertraut.

Die Fälle sind verschieden gelagert. Vor allem Hubschrauber-Tiefflugübungsstrecken und Radaranlagen stehen der Ausweitung der Windstromerzeugung entgegen. Während erstere normalerweise geheim sind und erst in den Genehmigungsverfahren für Windparks ihre Blockadewirkung entfalten, können Projektierer im Umfeld von Radaranlagen vorab bei der Bundeswehr anfragen, inwieweit sie den Windrädern zustimmt.

Maslaton hat folgende Entwicklung der Konfliktlage beobachtet: Lange Jahre habe die Bundeswehr auch mit technisch zweifelhaften Argumenten Windparks blockiert. Das epochale Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichts von 2021 habe dann eine Beschleunigung der Energiewende erzwungen, was sich in Urteilen von Oberverwaltungsgerichten zu Ungunsten der Einwände der Bundeswehr ausgewirkt habe. Seit dem Beginn der Ukraine-Invasion habe aber wieder die Armee Oberwasser. „Es reicht nicht, am einfachen Recht herumzubasteln, wie mit der Festsetzung des überragenden öffentlichen Interesses der Energiewende im Erneuerbare-Energien-Gesetz“, meint Maslaton. „Das hat gegenüber den Aufgaben der Bundeswehr keine Priorität, worauf die auch selbst gerne hinweist. Wir brauchen eine Verfassungsänderung.“

Besonders alarmiert hat den Anwalt eine Gesetzesinitiative der Regierung Bayerns. Ende September behandelte der Bundesrat deren Antrag, das Raumordnungsgesetz zu ändern. Sie wollte die folgenden beiden Sätze einführen: „Die räumlichen Erfordernisse der Verteidigung und des Zivilschutzes liegen im überragenden öffentlichen Interesse. Ihnen soll in besonderem Maße Rechnung getragen werden.“

Gesetzesänderungen abgelehnt

Das war zumindest indirekt ein Angriff auf die seit Kurzem geltende besondere rechtliche Stellung der Energiewende. Allerdings hat der Bundesrat es in seinem Plenum vom 20. Oktober abgelehnt, diesen Gesetzesentwurf beim Bundestag einzubringen. Der Ausschuss für Inneres sprach sich zwar dafür aus, der federführende Ausschuss für Städtebau, Wohnungswesen und Raumordnung aber dagegen.

Auch im Bundestag wurde eine von der Bundeswehr erwünschte Gesetzesinitiative am 20. Oktober abgelehnt. Auf Vorschlag des Bundesverkehrsministeriums sollte in Paragraf 18a des Luftverkehrsgesetzes festgeschrieben werden, dass neben zivilen Flugsicherungseinrichtungen auch „stationäre militärische Einrichtungen zur Kontrolle des Flugbetriebs“ nicht von Bauwerken „gestört werden“ dürfen.

Für die Windbranche wäre diese pauschale Festlegung ein großer Rückschlag gewesen. Die auch von Bund und Ländern mitgetragene Fachagentur Windenergie an Land erklärt auf ihren Internetseiten, wie groß die Befugnisse der Bundeswehr dann wären: „Der Interessensbereich der Bundeswehr umfasst einen Umkreis von bis zu 50 Kilometer um Radaranlagen. Der Bau von Windenergieanlagen wird in diesem Bereich einer Prüfung durch die Bundeswehr unterzogen.“ Da die Bundeswehr 18 feste (und zwei mobile) Radarstationen betreibe, könne sie realistischerweise auf 19 Prozent der Fläche Deutschlands ein Veto einlegen. Zwar müsste es bei jedem Projekt Einzelfallentscheidungen in Abhängigkeit der konkreten räumlichen Gegebenheiten geben.

Martin Maslaton ist sich aber sicher: „Die Bundeswehr würde ihren dann noch stärker als heute gesetzlich fundierten Ermessensspielraum nicht neutral anwenden. Ich sehe seit Jahren keine Kompromissbereitschaft mehr bei ihr. Wenn sie einmal mit einer Argumentation bei Gericht Erfolg hatte, setzt sie die immer wieder ein. Vor allem in Flugübungsgebieten lässt sie nahezu keine neuen Projekte mehr zu. Die Ablehnungsschreiben bestehen dann oft aus nur drei Zeilen.“

Streitfälle könnten zunehmen

Im optimalen Fall dauere das Einholen der Zustimmung der Bundeswehr ein halbes Jahr. Ein Rechtsstreit würde einen jahrelangen Stillstand eines Windparkprojekts bedeuten. Und die Zahl der Fälle, die vor Gericht landen, drohe massiv zu steigen: Zum einen habe die Regierung die Ausweisung von viel mehr Flächen für die Windstromproduktion erzwungen, was die Anzahl von Anfragen bei der Bundeswehr stark erhöhen werde. Zum anderen sehe sich das Militär aktuell darin bestärkt, pauschal formulierte Ablehnungen zu verschicken.

Der Bundesverband WindEnergie (BWE) zeigte sich ebenfalls alarmiert. In einer Stellungnahme von August zum Vorhaben des Verkehrsministeriums – das paradoxerweise Teil des Entwurfs für ein Gesetz zu Genehmigungsbeschleunigungen im Verkehrsbereich war – beklagte der Verband, die geplante Regelung könne „auf fast alles angewendet werden, was auch nur annähernd mit Flugbetrieb zu tun hat“.

Im Gegensatz zu zivilen Einrichtungen könne die Bundeswehr um ihre Radarstationen herum „willkürlich“ Schutzbereiche definieren und durchsetzen. Bisher müsse sie bei konkreten Konflikten letztendlich die Genehmigungsbehörden beziehungsweise die Gerichte überzeugen. Der neue Gesetzentwurf sah hingegen schon die Berechtigung zum Veto vor, wenn die militärischen Radaranlagen „gestört werden können“. Ein Beweis wäre also nicht mehr nötig gewesen. Wenige Tage vor der Abstimmung im Bundestag wurde die Gesetzesänderung aber in diesem Punkt gestrichen. „Wir sehen das als Erfolg des BWE an“, sagt dessen Präsidentin Bärbel Heidebroek auf Anfrage. „Die Bundestagsfraktionen haben den kritischen Passus auf unseren Druck hin entfernt.“

Auch ohne diese Verschärfung besteht aber offenkundig ein Problem. Im Januar 2022 veröffentlichten BWE und Fachagentur Windenergie das Ergebnis einer Verbandsmitgliederbefragung von November 2021. Demnach „wurde in den letzten zwei Jahren vermehrt über Konflikte mit militärischen Belangen berichtet“. Bei 80 Mitgliedern waren über 950 Windräder mit einer Gesamtleistung von über 4800 Megawatt durch die Bundeswehr blockiert. Mehr als die Hälfte der potenziellen Leistung stand wegen Hubschrauberflugstrecken infrage, in ähnlichem Ausmaß waren Radaranlagen das Problem. Bei etlichen Projekten trafen mehrere Gründe gleichzeitig zu. Das war wohlgemerkt der Stand vor dem russischen Großangriff auf die Ukraine.

Unterschiedliche Erfahrungen

Es gibt aber auch Stimmen, die von einer Verbesserung berichten. Die Bremer Firma Energiekontor, ein großer Projektentwickler für Wind- und Solarparks, beschwerte sich 2010 in Medienberichten darüber, dass sie seit Jahren Windräder wegen Einwänden der Bundeswehr nicht bauen könne. Heute teilt Energiekontor auf Anfrage mit: „Die Situation ist deutlich entspannter als früher.“ Einflussnahmen vonseiten der Armee seien „kein Thema, das unser Geschäft wesentlich beeinträchtigt. Bei Bedarf finden wir in der Regel Lösungen in Abstimmung mit der Bundeswehr.“

Anders stellt sich die Lage bisweilen im Süden der Republik dar, wo der Nachholbedarf in Sachen Windenergie bekanntermaßen groß ist. Wie der Südwestrundfunk im Oktober 2022 berichtete, beschwerte sich Baden-Württembergs Umweltministerin Thekla Walker darüber, dass die Pläne für „einen der größten Windparks in Baden-Württemberg mit mehreren Dutzend Anlagen“ von der Bundeswehr wegen einer Hubschrauberübungsstrecke blockiert wurden. Im zwischen Ingolstadt und Regensburg gelegenen Kelheim ist es genauso. Die Kleinstadt will mit sechs Windrädern Niederbayerns größten Windpark errichten, das Genehmigungsverfahren wurde aber diesen Sommer von der Bundeswehr gestoppt.

Diese teilt auf Anfrage zu Hubschrauberübungsstrecken mit: „In den Jahren 2022/2023 haben umfangreiche Prüfungen zur Anpassung der Hubschraubertiefflugstrecken zugunsten des Ausbaus von Windenergieanlagen stattgefunden.“ Die Frage, was daran schwierig sein soll, in einem drei Kilometer breiten Flugkorridor einen kleinen Windpark zu umfliegen, bei dem die genaue Position der Anlagen bekannt ist, beantwortet sie nicht.

Bundeswehr sieht kein Problem

Sie beharrt stattdessen auf „Hindernisfreiheit“ und meint: „Hochbauten wie Windenergieanlagen stellen in diesem Bereich eine erhebliche Gefährdungserhöhung dar.“ Diese Tiefflüge sollen „die Luftfahrzeugbesatzungen unter den besonderen Bedingungen des bodennahen Luftraums qualifizieren und somit die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte erhalten“. Das wirft die Frage auf, inwieweit sich Bundeswehrhubschrauber an Einsätzen in feindlichem Gebiet beteiligen, wenn dort Türme oder Windräder herumstehen.

Am Internationalen Hubschrauberausbildungszentrum in Bückeburg würden derzeit pro Jahr 40 bis 50 Flugschüler ausgebildet, die zum Teil auch aus anderen europäischen Ländern kommen, teilt die Bundeswehr mit. Der Frage, wie oft und zu welchen Zwecken außer Übungsflügen Hubschrauber überhaupt im Jahresdurchschnitt eingesetzt werden, weicht sie mit dem Hinweis aus, es bedürfe „der kontinuierlichen Aus- und Weiterbildung“.

Insgesamt stellt sich die Frage, warum für drei Dutzend Hubschrauberpiloten-Azubis und Weiterbildungen für wenig benötigte Hubschrauber-Besatzungen Ökostrompotenzial im Gigawattbereich langfristig brachliegen soll. Laut der Bundeswehr ist dem aber auch gar nicht so: „Im Zeitraum von 2017 bis 2022 wurde die Bundeswehr an rund 3200 Windenergieanlagen-Projekten beteiligt. In 93 Prozent der Beteiligungsfälle hat die Bundeswehr den Windenergieprojekten zugestimmt. Lediglich in sieben Prozent der Fälle wurden Bedenken geltend gemacht.“

Gerade bei Radaranlagen bestreitet das Bundesamt für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen der Bundeswehr ein nennenswertes Problem. Bei der Flugsicherung, wie sie auch zivile Flughäfen betreiben, gebe es „fast keine Ablehnungen von Windenergieanlagen wegen Paragraf 18a Luftverkehrsgesetz“, denn Problemen könne „in fast allen Fällen mit der Auflage einer bedarfsgerechten Steuerung begegnet werden“. Auch die viel weiter strahlenden Luftverteidigungsradare hätten keinen nennenswerten Einfluss auf den Ausbau der Windenergie. Anwalt Maslaton bestätigt letzteres, nennt die bedarfsgerechte Steuerung im Umfeld von Flughäfen aber „sehr teuer“.

Sorge der Windbranche bleibt bestehen

Die Wahrnehmung und die Zahlen der beiden Konfliktparteien unterscheiden sich jedenfalls beträchtlich. BWE-Präsidentin Bärbel Heidebroek sagt dazu: „Die genauen Zahlen der Bundeswehr liegen uns nicht vor und sind für uns nicht überprüfbar. In der Statistik der Bundeswehr tauchen jedoch keine Projekte auf, die schon im Vorfeld abgelehnt wurden. Außerdem spiegeln sie nicht wider, unter welchen Auflagen einem Projekt zugestimmt wurde. So wird teils nur unter Einhaltung von Höhenbeschränkungen zugestimmt, die Projekte wirtschaftlich unmöglich machen.“

Zur zurückgezogenen Gesetzesänderung aus dem Verkehrsministerium merkt Heidebroek an, dass der besagte Machtzuwachs fürs Militär im Referentenentwurf – einer ersten Ausformulierung eines Gesetzestextes – noch nicht enthalten war. Bei der Behandlung im zuständigen Bundestagsausschuss seien dann keine Sachverständigen aus dem Ökostrombereich geladen gewesen. „Insgesamt interpretieren wir das so, dass man eine Verbändebeteiligung zu diesem Punkt umgehen wollte“, sagt Heidebroek.

Sie hat, wie Martin Maslaton, den „Eindruck, dass die Bundeswehr eine unnötige pauschale Eingriffsbefugnis bei der Planung von Windparks haben will“. Heidebroek sorgt sich nun, dass dieses Ansinnen, das auf Wunsch des Verteidigungsministeriums in den Gesetzesentwurf des Verkehrsressorts eingeflossen sei, zukünftig in anderen Gesetzesinitiativen verfolgt wird. Auch Maslaton sagt, dass ihn das Scheitern der beiden bundeswehrfreundlichen Reformversuche „nur sehr begrenzt beruhigt“.

Dieser Artikel ist in Ausgabe 11/2023 von neue energie erschienen.

 

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