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Sport und Klima

„Aus meiner Sicht ist eine klimaneutrale Veranstaltung nicht möglich“

Interview: Tim Altegör, 28.11.22
Hartmut Stahl befasst sich am Öko-Institut mit den Umweltauswirkungen von Sportevents wie WM oder Olympia. Die Kompensation von CO-Emissionen durch gekaufte Zertifikate sieht er kritisch, stattdessen solle lieber sinnvoll in den Klimaschutz im Ausrichterland investiert werden.

neue energie: Herr Stahl, sind große Sportveranstaltungen, für die eine gewaltige Infrastruktur erforderlich ist und zu denen Menschen aus aller Welt anreisen, mit unseren Klimazielen überhaupt noch vereinbar?

Hartmut Stahl: Fakt ist erst einmal, dass solche Veranstaltungen hohe Treibhausgasemissionen verursachen. Die kann man natürlich reduzieren, das ist aber nur bedingt möglich. Am Schluss wird immer noch eine erhebliche Menge übrigbleiben. Zugleich ist es so, dass wir auch andere Bereiche des Lebens nicht auf null stellen. Insofern haben auch Sport- oder Kulturveranstaltungen weiter ihre Berechtigung.

ne: Für das Bundesumweltministerium haben Sie gerade ein Klimakonzept zur Fußball-Europameisterschaft 2024 in Deutschland ausgearbeitet. Eine Ihrer Zielsetzungen lautete zu prüfen, wie die EM klimaneutral werden kann. Sie setzen das Wort in Ihrer Studie allerdings in Anführungszeichen und sind da eher reserviert. Weshalb?

Stahl: Aus meiner Sicht ist eine klimaneutrale Veranstaltung nicht möglich. Wir werden dabei immer Emissionen haben, die sich nicht vermeiden lassen. Wenn Sie mit diesem Begriff der Klimaneutralität unterwegs sind, kommen Sie letztlich zum Thema Kompensation. In dem Zusammenhang muss man den Kauf von Zertifikaten für Klimakompensationsprojekte kritisch sehen. Im Öko-Institut sprechen wir nicht von klimaneutralen, sondern von möglichst klimafreundlichen Veranstaltungen.

ne: Auf diesem Weg, die eigenen Emissionen auszugleichen, ist ja mittlerweile fast schon zum Standard geworden. Macht man es sich damit zu einfach?

Stahl: Ja, das fängt schon beim grundsätzlichen Vorgehen an. Als die Idee der klimafreundlichen Großveranstaltung entwickelt wurde, gab es eine ganz klare Hierarchie. Es geht im ersten Schritt immer darum, alles zu tun, um Energieverbrauch und damit Emissionen zu vermeiden und zu reduzieren. Im zweiten Schritt kann man dann, wo möglich, erneuerbare statt fossiler Energien einsetzen. Und dann hat man als letzten Schritt noch die Kompensation. Wenn ich mir heute Veranstaltungen oder Produkte anschaue, dann kann man den Eindruck haben, dass diese ersten Schritte eher übersprungen werden und man landet sofort bei der Kompensation – ohne dass eben genügend getan wird, um die eigenen Emissionen zu reduzieren. Das ist sicherlich eines der großen Probleme beim Thema Kompensation.

ne: Auch an der Verlässlichkeit von Klima-Zertifikaten gibt es Kritik…

Stahl: Die Qualität ist sehr unterschiedlich. Es gibt sicherlich gute Kompensationsprojekte. Aber bei vielen muss man schon ein großes Fragezeichen setzen, ob die Minderung der Treibhausgas-Emissionen wirklich stattgefunden hat, beziehungsweise in dem Maße, wie behauptet. Vereinfachend gesagt ging es früher, als der Ansatz der freiwilligen Kompensation entwickelt wurde, darum, Emissionen dort einzusparen, wo es am günstigsten war. Inzwischen sind wir mit dem Pariser Klimaabkommen aber auf einer ganz anderen Schiene unterwegs. Wir können mit Blick auf das 1,5-Grad-Ziel nicht nur irgendwo reduzieren, sondern wir müssen eigentlich alles einsparen, was machbar ist, um in Zukunft überall auf null zu kommen. Wir müssen also die eigenen Hausaufgaben hier in Deutschland erledigen und nicht nur auf Zertifikate setzen.

ne: Statt eines klimaneutralen werben Sie für ein klimaverantwortliches Turnier. Was ist der Unterschied?

Stahl: Der Gedanke ist, dass man von den verbleibenden Treibhausgasemissionen bei einem Event ausgeht. Dann nimmt man einen anlegbaren Preis pro Tonne CO¡, zum Beispiel 50 Euro, und multipliziert sie damit. Daraus ergibt sich ein Klimaverantwortungsbudget, das verwendet werden soll, um Emissionen vor Ort zu reduzieren. Für die Euro 2024 ließe sich ein solches Budget gut mit einem Klimaschutzfonds des Sports verknüpfen. Es geht um die Idee für einen Fonds, der speziell verwendet wird, um in Amateurvereinen energetische Sanierungen zu unterstützen. Es gibt bei Sporthallen und anderen Sportstätten einen Sanierungsstau und ein riesiges Potenzial zur Energieeinsparung. Außerdem geraten viele Vereine durch die steigenden Energiekosten immer mehr unter Druck. Da zu unterstützen wäre aus unserer Sicht dringend notwendig. Solche Projekte würden helfen, Treibhausgasemissionen hier im Inland einzusparen, können aber nicht als echte Kompensation angerechnet werden.

ne: Nun haben Sie schon gesagt, im ersten Schritt müssten die Emissionen möglichst weit reduziert werden. Sie rechnen durch das Turnier mit zusätzlichen 490.000 Tonnen CO2, eindeutig größter Faktor ist mit 350.000 Tonnen der Verkehr. Liegt das schlicht am Wesen einer solchen Veranstaltung?

Stahl: Es ist tatsächlich bekannt, dass bei internationalen Sport-Großveranstaltungen die Verkehrsemissionen einen Anteil in dieser Größenordnung haben. Das liegt einfach daran, dass riesige Mengen an Zuschauern zu den Veranstaltungen anreisen, darunter viele Menschen aus dem Ausland, die häufig fliegen.

ne: Also stößt das Einsparpotenzial an der Stelle schnell an Grenzen?

Stahl: Es handelt sich erstmal um eine Vorab-Bilanz, die EM ist ja noch nicht da. Ein wesentlicher Punkt ist, dass wir noch gar nicht wissen, welche Länder sich eigentlich qualifizieren werden. Fans aus beispielsweise Island werden sicherlich kaum eine andere Option haben, als mit dem Flugzeug anzureisen. Es gibt theoretisch zwar technische Möglichkeiten wie alternative Kraftstoffe, aber nicht in der Menge, dass man eine nennenswerte Reduktion erzielen könnte. Insofern sind die Möglichkeiten gerade bei den internationalen Gästen doch begrenzt. Mit beispielsweise Paris, Brüssel, Zürich haben wir aber auch Städte in Nachbarländern, die sehr gut mit dem Zug nach Deutschland angebunden sind. Da gibt es durchaus Möglichkeiten, auf die Schiene umzusteigen.

ne: Sie machen in der Studie eine Reihe von Vorschlägen für den Verkehr, etwa freie Bahnfahrten mit Eintrittstickets, PV-Anlagen statt Parkplätzen am Stadion, Radwege zu den Spielorten, Nacht- und Sonderzüge, ein On-Demand-Busservice. Dabei schwingt mit, dass Sie die EM auch als mögliche Initialzündung im Mobilitätssektor sehen.

Stahl: Was die Erreichung der Klimaziele in Deutschland betrifft, ist der Verkehrsbereich ein Sorgenkind. Und solche Sportgroßveranstaltungen wie eine Europameisterschaft haben zwei Aufgaben. Zum einen geht es darum, Emissionen konkret zu reduzieren, zum anderen können sie als Vorbild wirken. Und da bietet es sich an, entsprechende Maßnahmen zu entwickeln, die Emissionen einsparen und für eine Verkehrswende sensibilisieren.

ne: In der Gesamtbilanz hat dagegen der Strombedarf oder auch das Essensangebot in den Stadien einen verschwindend kleinen Anteil. Sind diese Aspekte aus Klimasicht zu vernachlässigen oder trotzdem wichtig?

Stahl: Sie sind auf jeden Fall ebenso wichtig. Es geht auch darum, zu sensibilisieren und zu zeigen, was machbar ist. Was den Stromverbrauch der Stadien angeht: Das ist bei einer Europameisterschaft vielleicht prozentual wenig im Vergleich zu den Verkehrsemissionen. Aber natürlich sind die Strommengen, die benötigt werden, trotzdem relativ groß. Und vor allem wirkt sich alles, was im Rahmen einer solchen Veranstaltung umgesetzt wird, zum Beispiel an Energieeffizienz und erneuerbaren Energien, langfristig auf den Bundesligabetrieb aus.

ne: Ebenfalls bilanziell nur eine kleine Rolle im Vergleich zu den Zuschauerinnen und Zuschauern spielen die teilnehmenden Sportteams. Auch bei ihnen steht dann wohl die Signalwirkung im Vordergrund.

Stahl: Genau, aus meiner Sicht wäre es eine tolle Sache, wenn das deutsche Team, oder im besten Fall alle Teams, während des Turniers primär mit dem Zug fahren würden. Das wäre sicherlich ein Vorbildprojekt, das sich durchaus aufs Verkehrsverhalten auswirken könnte.

ne: Nochmal zurück zur Klimaneutralität. Von der Fußball-WM in Katar behaupten die Ausrichter, dass sie dieses Kriterium erfüllt. Zahlreiche Kritiker bezweifeln das aber, unter anderem steht die Bilanzierung in der Kritik. Wie bewerten Sie das?

Stahl: Ich habe mich mit der WM 2022 nicht wissenschaftlich auseinandergesetzt. Um das beurteilen zu können, muss man sich angucken, wie mit den vielen neuen Stadien umgegangen wird. Mit Blick auf die Klimabilanzierung ist die entscheidende Frage, was mit diesen Stadien nachher passiert: Wird es eine vernünftige Nachnutzung geben?

ne: In Deutschland sind Stadionneubauten für die EM nicht nötig. Ich nehme an, ansonsten hätte das auch hier Einfluss auf die Bilanz.

Stahl: Die Emissionen aus dem Stadionbau würden die Gesamtbilanz verändern, wenn man sie komplett dem Event zuordnen würde. Das muss man dann, wenn keine sinnvolle Nachnutzung gegeben ist. Es spielt eine große Rolle, ob die Stadien nur für das Turnier gebaut werden oder ob sie jahrzehntelang genutzt werden und Sie die Emissionen entsprechend auf deren Lebensdauer verteilen können, wie wir das bei der Berechnung für die Stadien der Euro 2024 gemacht haben.

ne: Offenbar wird in der Klimabilanz der WM nur die Zeit des Turniers angerechnet...

Stahl: Das wäre von der Idee her methodisch ok, aber es hängt eben von der Frage ab, was mit den Stadien nach der WM passiert. Im internationalen Kontext spricht man bei Bauten, die nach einem Turnier ungenutzt herumstehen, von White Elephants. Die Olympischen Spiele von Athen sind dafür ein bekanntes Beispiel. Aus Umweltsicht ist es grundsätzlich fraglich, ob es in der heutigen Zeit angemessen ist, eine große Anzahl von Neubauten für ein Event zu errichten.

ne: Wenn wir auf Weltmeisterschaften und Olympia nicht verzichten wollen, was muss dann künftig also anders laufen, um sagen zu können: Das können wir gut verantworten?

Stahl: Der Bau von Sportstätten spielt schon eine große Rolle bei diesen Megaevents. Da ist Deutschland zumindest im Fußball sehr gut ausgestattet. Für mich ist ein Aspekt, ob es wirklich notwendig ist, überall neue Sportstätten zu errichten, oder ob man sich halt doch auf Länder konzentriert, die die entsprechende Infrastruktur bereits vorweisen können. Umweltauswirkungen und Kosten aus dem Sportstättenbau und deren sinnvolle Nachnutzung sollten also aus meiner Sicht deutlich mehr berücksichtigt werden bei der Vergabe solcher Veranstaltungen.


Dieses Interview ist zuerst in der Ausgabe 12/2022 von neue energie erschienen.

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