Deutsche Windbranche

Flächenbrand

Jörg-Rainer Zimmermann, 02.07.18
Die Politik der Regierung bringt nicht nur Windkraftunternehmen in Bedrängnis. Unter Druck stehen auch die Kommunen, in denen die Firmen ansässig sind. In Aurich musste man jetzt eine Haushaltssperre verhängen.

Mit voller Wucht schlägt der Einbruch am Windenergiemarkt jetzt auf heimische Standorte durch. Aktuelles Beispiel ist Aurich. 1984 wurde in der ostfriesischen Kreisstadt der Anlagenhersteller Enercon gegründet – was folgte, war eine Erfolgsstory. In diesem Jahr aber muss die Kommune, für die es lange Zeit im Grunde nur bergauf ging, auf 98 Prozent der geplanten Einnahmen verzichten.

Schuld ist nicht zuletzt das Ausschreibungsregime für Windenergie, das die Bundesregierung im vergangenen Jahr eingeführt hatte. „2006 hatten wir in unserer Stadt rund 14.000 sozialversicherungspflichtige Jobs. 2017 waren es dann annähernd 24.000. Das verdanken wir im Wesentlichen der Windbranche“, erläutert Hardwig Kuiper. Als Erster Stadtrat ist Kuiper auch für Aurichs Finanzen zuständig – um die es aktuell nicht gut bestellt ist.

Eigentlich hatte man in der Kommune in diesem Jahr mit Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von 55 Millionen Euro gerechnet. Doch die Geschäfte von Enercon entwickelten sich rückläufig. Da Gewerbesteuern geschätzt und im Voraus erhoben werden, sind jetzt Rückerstattungen für die Jahre 2017 und 2018 fällig. „Die Einnahmen der Stadt werden damit von den geplanten 55 Million auf nur eine Million Euro sinken“, sagt Kuiper. Auch wenn sich nach der aktuellen Steuerkorrektur die Lage ab 2019 wieder etwas entspannt, dürfte Aurich entgegen bisheriger Erwartungen bis 2021 rund 65 Millionen Euro weniger einnehmen. Das trifft in Folge auch den Landkreis – dem entgehen im genannten Zeitraum rund 30 Millionen Euro.

Hoffen auf Berlin

Die Konsequenz: In Aurich muss ein Nachtragshaushalt erstellt werden, zudem wurde eine Haushaltssperre verhängt. Freiwillige Leistungen und geplante Investitionen kommen auf den Prüfstand, 2018 und auch in den folgenden drei Jahren. Nach der Sommerpause soll in den Gremien der Kreisstadt intensiv über Sparmaßnahmen diskutiert werden.

Vor Ort hofft man jedoch auch auf die Einsicht der Berliner Politik. „Die Ausschreibungen wurden zu schnell eingeführt, es wurden Fehler gemacht. Das müsste korrigiert werden“, betont Hardwig Kuiper. Neben den Sonderregeln für Bürgerwindparks und der rasant sinkenden Vergütung bringe nicht zuletzt der Ausbaudeckel in Verbindung mit fehlenden Stromnetzen die Marktakteure unter Druck, ist der Stadtrat überzeugt. Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein. Bereits vor Inkrafttreten des Auktionsregimes hatten unabhängige Experten, Erneuerbaren-Verbände und Branchenvertreter vor den Risiken des neuen Vergütungssystems gewarnt. Jetzt sehen sich viele Akteure in ihren Befürchtungen bestätigt.

Angesichts des 2017 eingeführten Auktionsregimes spricht man bei Enercon von einer deutlichen „Verschiebung der Lieferaufträge von Windenergieanlagen in internationale Märkte“ sowie einer „erheblichen Marktverunsicherung“. Zwar blieb Enercon auch im vergangenen Jahr mit einem Marktanteil von 38 Prozent deutscher Branchenprimus, wie die Fachagentur Windenergie an Land errechnet hat. Doch das Unternehmen verfehlte nach eigenen Angaben im vergangenen Geschäftsjahr unterm Strich die selbstgesteckten Ziele bei den Neuinstallationen.

Verlagerung ins Ausland

Mit den genannten Herausforderungen muss die gesamte Branche umgehen – und die Lösung sieht reihum ähnlich aus. Der Anteil des internationalen Geschäfts habe bei Enercon vor dem Systemwechsel bei rund 50 Prozent gelegen, teilt Firmensprecher Felix Rehwald mit. Derzeit betrage er knapp 70 Prozent. Und das Engagement im Ausland dürfte künftig weiter steigen. Trotz allem bekennt sich Enercon zum Heimatmarkt. Allerdings fordert man „geeignete Rahmenbedingungen wie erteilte Genehmigungen, Mitsprachemöglichkeiten der Bürger, einen zügigen Netzausbau und einen politischen Willen, um weitere Fadenrisse zu vermeiden“.

Meinhard Geiken, Bezirksleiter der IG Metall Küste, macht sich angesichts des Negativtrends um die gesamte deutsche Windbranche und ihre Beschäftigten Sorgen. Seit Anfang vergangenen Jahres seien bereits mehr als 2000 Arbeitsplätze verloren gegangen, teilte die Gewerkschaft im Juni mit. Etliche Unternehmen hätten Werke geschlossen, so etwa Senvion in Husum, Powerblades in Bremerhaven oder Carbon Rotec in Lemwerder.

Die Politik wäre jetzt am Zug. Eigentlich sollten umfassende Korrekturen in einem sogenannten 100-Tage-Gesetz vorgelegt werden. Doch bis auf einen Punkt – die allgemeine Verpflichtung, bei Gebotsabgabe eine Genehmigung nach Bundesimmissionsschutzrecht vorlegen zu müssen – ist aus dem Gesetz nichts  geworden. Stattdessen geht der Streit um Sonderausschreibungen weiter, obendrein wurden Drohungen laut, der Einspeisevorrang für erneuerbare Energien könnte fallen. Wie vor diesem Hintergrund die Zukunft der heimischen Standorte aussehen wird, die von Aurich etwa, ist demnach offen.

 

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