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EU-Strommarkt

„Die Positionen zu Kohle und Atom sind schlecht für die Energiewende“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 02.11.23
… sagt EU-Experte Rainer Hinrichs-Rahlwes zu den Vorschlägen der europäischen Energieminister zur Strommarktreform. Das Ergebnis der aktuellen Trilog-Verhandlungen mit dem EU-Parlament wird zum Jahresende erwartet.

Langsam ebnet sich der Weg zur geplanten europäischen Strommarktreform: Nachdem die EU-Kommission im März ein Reformkonzept präsentiert hatte, legten im Juli der Industrieausschuss des EU-Parlaments und im Oktober die EU-Energieminister ihre Vorschläge vor (neue energie 10/2023). Bei den monatelangen heftigen Debatten – die auch noch eine Weile andauern dürften – geht es nicht zuletzt um die Vergütung von Stromproduzenten, vom Atomkraftwerk bis hin zur heimischen Solaranlage. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission und den bisherigen Verhandlungen werden dafür sogenannte zweiseitige Differenzverträge (Contracts for Difference, kurz: CfD) sowie Direktlieferverträge (Power Purchase Agreements, PPA) präferiert.

Zudem soll es für private Grünstromerzeuger einfacher werden, über den Eigenverbrauch hinaus Energie an andere Endkunden zu verkaufen oder im Rahmen des Energy Sharing in einer Region gemeinsam zu nutzen. Das alles soll kommen, ohne grundlegende Marktmechanismen wie den Merit-Order-Effekt anzutasten. Streitpotenzial bietet unter anderem das Ob und Wie von CfD-Regelungen für Atomkraft – ein Thema, das besonders für Frankreich im Fokus steht. Und auch die Erneuerbaren-Branche ist mit manchen Aspekten der bisherigen Verhandlungsergebnisse unzufrieden.

neue energie: Über die EU-Strommarktreform wurde im Jahresverlauf intensiv gestritten. An welchem Punkt ist der Prozess mit der Positionierung des EU-Ministerrats vom Oktober angelangt?

Rainer Hinrichs-Rahlwes: Mit der Positionierung des EU-Rats vom 17. Oktober sind jetzt die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass beide Seiten miteinander verhandeln können. Diese Trilog-Verhandlungen haben bereits begonnen und sollen nach Vorstellung der Beteiligten bis Ende des Jahres abgeschlossen werden. Beim Thema Energy Sharing sehe ich dabei weitgehend Einigkeit zwischen beiden Seiten. Das dient klar den dezentralen Erneuerbaren-Erzeugern und den Verbrauchern. 

ne: Viel diskutiert wurde auch, wie künftig Strom aus erneuerbaren Energien vergütet werden soll …

Hinrichs-Rahlwes: Das Parlament hat hier verlangt, dass neben den von der Kommission vorgeschlagenen CfD auch ‚Instrumente mit vergleichbarer Wirkung‘ möglich bleiben sollten. Dem hat sich der Ministerrat nicht angeschlossen und unterstrichen, dass direkte staatliche finanzielle Förderung künftig ausschließlich über CfD erfolgen soll, und diese sogar für bestehende Anlagen eingeführt werden können. Sollte sich der Rat am Ende durchsetzen, wäre es in Deutschland nicht mehr möglich, die gleitende Marktprämie zu nutzen. Das ist ein großer Unterschied zum Vorschlag des Parlaments.

ne: Welche konkreten Auswirkungen hätte das in Deutschland?

Hinrichs-Rahlwes: Wenn diese Position des Rats Bestand hat, dann könnte das dazu führen, dass die Investitionsbereitschaft von potenziellen Anlagenbetreibern sinkt. Zugleich dürfte das Risiko zunehmen, dass in Auktionen die Angebotspreise steigen, da höhere Risikoprämien eingepreist würden. Das wiederum würde sich negativ auf Verbraucherpreise auswirken. Zudem würden sich eigentlich ja gewollte PPAs kaum noch rechnen. Diese Gemengelage hat sich mit dem Beschluss des Ministerrats noch verschärft.

ne: Inwiefern?

Hinrichs-Rahlwes: Frankreich hat den ultimativen Wunsch vorgebracht und sich damit durchgesetzt, dass die Möglichkeit, CfD zu nutzen, nicht nur für neue Atomkraftwerke gelten soll. Das allein wäre schlimm genug. Obendrein soll das Instrument demnach auch zur Finanzierung von Laufzeitverlängerungen sowie für die Erweiterungen der Atommeiler-Kapazitäten nutzbar sein. Dabei muss man wissen, dass CfD in der Regel über Auktionen vergeben werden sollen. In Frankreich geht das aber nicht, denn es gibt dort im Atomsektor keinen Wettbewerb, bekanntlich ist EDF als Betreiber de facto ein Staatskonzern. Entsprechend würde die Entscheidung über die Zulässigkeit von CfD für Erweiterung und Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken lediglich von der EU-Kommission auf Risiken für Marktverwerfungen geprüft werden, und damit dem mehr oder weniger freien Spiel der politischen Kräfte ausgesetzt sein.

ne: Der Punkt birgt erhebliches Streitpotenzial in sich…

Hinrichs-Rahlwes: In der Tat, gleich nachdem der Rat seine Position veröffentlicht hatte, widersprach dem zum Beispiel Michael Bloss, Schattenberichterstatter der Grünen-Fraktion des EU-Parlaments, über den Nachrichtendienst X, zumal dies auch nicht nur der Position seiner Fraktion, sondern auch dem Verhandlungsmandat des Europäischen Parlaments entspricht. Wir werden sehen, wie das ausgeht.

ne: Im Ratsbeschluss finden sich zudem Aussagen zum Betrieb von Kohlekraftwerken …

Hinrichs-Rahlwes: Richtig. Der Rat will auch gestatten, dass im Rahmen von Kapazitäts-Mechanismen Kohlekraftwerke weiter gefördert werden dürfen. Das hilft vor allem Polen.

ne: Wirtschaftsminister Habeck sagt, die Einigung im Ministerrat verbessere den Zugang zu günstigen Strompreisen. Was meinen Sie?

Hinrichs-Rahlwes: Ich habe diese Kommentierung mit Interesse wahrgenommen. Befürworter von CfD möchten mit diesem Instrument ja im Wesentlichen zu hohe Gewinne am Strommarkt abschöpfen. Einerseits sollen die sogenannten zweiseitigen CfD dem Anlagenbetreiber eine Mindesteinnahme garantieren. Fällt der Strompreis unter einen staatlich festgelegten Wert, erhält der Betreiber vom Staat die Differenz. Zudem wird ein Wert für maximal mögliche Einnahmen festgelegt. Wird diese Marke überschritten, müssen die Stromerzeuger diese Erlöse an den Staat abführen. Mit dem Geld sollen dann unter anderem Stromverbraucher entlastet werden. Die Gewinnabschöpfung im Rahmen der EU-Notfallverordnungen anlässlich der Gaspreiskrise haben allerdings gezeigt, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Es konnte nur sehr wenig abgeschöpft werden, aber dafür gab es eine massive Verunsicherung von Investoren.

ne: Gibt es Lösungen?

Hinrichs-Rahlwes: Zunächst wäre es nötig – was bisher nicht gesichert ist – dass lediglich reale Erlöse abgeschöpft werden und nicht nur fiktive Gewinne. Ohnehin dürften Anlagenbetreiber in den Auktionsgeboten in einem CfD-Regime eher höhere Gebote abgeben als bislang, um eine auskömmliche Finanzierung zu erreichen. Das wiederum könnte für Verbraucher den Strom teurer machen.   

ne: Wenn es stimmt, dass die Ausschreibungen im CfD-Regime zu höheren Preisen führen als bisher, bräuchte es dann umso mehr einen gedeckelten Industriestrompreis?

Hinrichs-Rahlwes: Es geht ja darum, dass die Industrie Planungssicherheit braucht. In einem CfD-Regime ist das möglich, solange sich der Strompreis innerhalb eines bestimmten Korridors bewegt, der zum jeweiligen Geschäftsmodell eines Unternehmens passt. Allerdings dürfte der Preis etwas höher liegen als derzeit, weil die Betreiber, wie beschrieben, in ihre Angebote Risikoprämien einkalkulieren werden. Dies könnte – vorbehaltlich einer Beihilfegenehmigung der EU - dazu führen, dass für bestimmte Energieverbraucher, die im internationalen Wettbewerb stehen, die Preise über nationale Lösungen reduziert werden müssten.

ne: Es hat die Runde gemacht, dass Frankreich für Atomkraftanlagen in CfD einen Garantiepreis von sechs bis sieben Cent je Kilowattstunde festlegen will, was am Ende die Verbraucherpreise dort senkt. Ist das nicht eigentlich bereits ein Industriestrompreis?

Hinrichs-Rahlwes: Das könnte man so sagen. Und damit hätte die französische Regierung ihren Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil innerhalb von Europa geschaffen. Denn andernorts wären solch niedrige Preise nicht ohne weiteres möglich, weil sich Strompreise dort eben im Wettbewerb ergeben.

ne: Was bedeuten die Beschlüsse des EU-Rats für den Klimaschutz?

Hinrichs-Rahlwes: Die Positionen zu Kohle und Atom sind schlecht für Energiewende und Klimaschutz. In Frankreich wird sich der Erneuerbaren-Ausbau zugunsten der Atomenergie verlangsamen. Und in Polen könnte die dortige Regierung über einen Kapazitätsmarkt alte Kohlemeiler als Reservekraftwerke weiterhin subventionieren. Auch damit würde sich die Umstellung auf flexible erneuerbare Energien stark verzögern. Mit eingerechnet, dass sich mit CfD die Preise in Ausschreibungen erhöhen dürften, würde es länger dauern, bis die günstig produzierenden erneuerbaren Energien die preissetzenden Kraftwerke werden.

ne: Was ist von den anstehenden Verhandlungen zwischen EU-Rat und Parlament zu erwarten?

Hinrichs-Rahlwes: Mit Sicherheit wird es Auseinandersetzungen geben. Ich kann mir vorstellen, dass es schwierig wird, die auf Ministerebene zwischen den Mitgliedstaaten erzielten Einigungen aufzuknoten, und entsprechend dem Wunsch des Parlaments die Atomenergie aus dem Paket zu streichen. Gleiches gilt für die Kohle. Vorstellbar scheint mir allerdings, dass die einseitige Fixierung auf CfD erweitert wird und schließlich auch Instrumente mit vergleichbarer Wirkung erlaubt sein werden, so wie das Parlament es gefordert hat. Tatsächlich habe ich bislang keine Trilog-Verhandlungen erlebt, bei denen sich eine Seite komplett durchgesetzt hat.


Rainer Hinrichs-Rahlwes

ist EU-Beauftragter im Vorstand des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE).

 

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