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Naturschutz und Energiewende

Hessische Regionalplanung sorgt für Ärger

Tim Altegör, 03.09.15
Das Land Hessen will seine Windkraftleistung in vier Jahren verdreifachen, doch die Umsetzung hakt: Bei der Festlegung konkreter Flächen müssen die regionalen Planer zwischen Tierschutz und Ausbaubedarf abwägen. Die Windbranche beklagt, dass letzterer dabei zu kurz kommt. In einem aktuellen Fall sind davon auch bestehende Windparks betroffen.

Harmloser als die Haselmaus kann ein Tier eigentlich nicht aussehen. Die kleinen Nager mit den schwarzen Knopfaugen mögen Haselsträucher und deren Nüsse – daher der Name – und halten mehr als die Hälfte des Jahres Winterschlaf. Da sie auch noch nachtaktiv sind, haben die wenigsten Menschen sie schon einmal in freier Wildbahn gesehen. Hinzu kommt, dass Haselmäuse in Nord- und Mitteleuropa seltener geworden sind, weswegen sie in der EU unter Artenschutz stehen. Damit können die niedlichen Tiere zum Hindernis für Bauprojekte werden: Der Energieriese RWE beispielsweise siedelt sie für die Ausweitung des rheinischen Braunkohletagebaus samt Waldboden um. Auch Windkraftanlagen sind betroffen, in Hessen wurden schon Bauvorhaben wegen Haselmäusen wieder gestrichen.

Das Verhältnis von Naturschutz und Energiewende beschäftigt die hessische Politik gerade ausgiebig. Bis 2050 will das Bundesland „möglichst zu 100 Prozent“ auf erneuerbare Energien umsteigen, ausgenommen im Verkehrssektor – so wurde es beim überparteilichen Energiegipfel 2011 verbindlich beschlossen. Im Stromsektor soll der Anteil bis 2019 immerhin ein Viertel betragen. Um das zu schaffen – momentan liegt der Wert bei etwa 15 Prozent – setzt die Landesregierung vor allem auf die Windenergie: Ihre Leistung soll innerhalb von vier Jahren verdreifacht werden. Insgesamt rechnet das Land mit einem Erzeugungspotenzial von 28 Terawattstunden Windstrom im Jahr, 2013 wurden davon laut hessischem Statistikamt nur 1,2 Terawattstunden genutzt.

Soweit die Ziele, deren Umsetzung sich jedoch als schwierig erweist. So kritisieren Vertreter der Windkraftbranche, ausufernde Naturschutzvorgaben würden den Ausbau massiv einschränken. Aktuell entzündet sich die Debatte an der zweiten Offenlegung des Teilregionalplans in Mittelhessen. Die Pläne werden vom 7. September bis zum 6. Oktober ausgelegt, sind aber bereits online verfügbar. Dabei geht es weniger um die Haselmaus als um Rotmilan und Schwarzstorch: In den windreichsten Gebieten Vogelsberg und Westerwald im hessischen Mittelgebirge liegen zugleich Vogelschutzgebiete.

Eine Frage der Fläche

Deshalb hat das zuständige Regierungspräsidium in Gießen hier viele Flächen ausgeschlossen, der Bundesverband WindEnergie (BWE) in Hessen spricht von einer „Verhinderungsplanung“. Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) widerspricht diesem Vorwurf und verweist darauf, dass in Mittelhessen 2,2 Prozent der Fläche als Vorranggebiete vorgesehen seien und der politisch vereinbarte Wert von zwei Prozent damit noch übertroffen werde. „Wir brauchen ausreichend Flächen, auf denen Anlagen auch wirtschaftlich betrieben werden können“, betont dagegen der hessische BWE-Landesvorsitzende Joachim Wierlemann, sonst sei die auch von Al-Wazir geforderte Verdreifachung der Windkraftleistung nicht machbar. „Wir haben selbstverständlich ein Interesse daran, dass sich die ausgewiesenen Flächen am Ende auch eignen, um dort Windenergieanlagen wirtschaftlich betreiben zu können“, sagt Al-Wazir. Klar sei aber auch, „dass wir dabei den Natur- und Artenschutz weder ausklammern können noch wollen."

Das Problem: Mit zunehmenden Förder-Einschnitten aus Berlin und der anstehenden Umstellung auf Ausschreibungen wird die Finanzierung von Windparks schwieriger, fallen schlechtere Standorte aus der Wirtschaftlichkeit. Im Mai hat Al-Wazir mit Kollegen aus anderen Ländern ein Papier veröffentlicht, in dem die Minister unter anderem eine Anpassung des Referenzertragsmodells für Windstandorte fordern – weil sie fürchten, dass schwächere Standorte im Binnenland bei bundesweiten Ausschreibungen nicht mehr mithalten können.

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In einer Stellungnahme zum Regionalplan für Mittelhessen schreibt der Fachanwalt Hans Karpenstein, die ausgewiesenen Flächen lägen nur zu 20 Prozent in Gebieten mit starkem Wind. Im Vogelsberg würden Windparks lediglich auf 0,7 Prozent der Fläche erlaubt. Der industriepolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Stephan Grüger, der auch in der Regionalversammlung Mittelhessen sitzt, geht davon aus, dass letztlich nicht zwei, sondern 0,6 Prozent der dortigen Landesfläche tatsächlich wirtschaftlich für die Windkraft nutzbar sein werden.

Im Planungsprozess hatte das Regierungspräsidium ein Gutachten in Auftrag gegeben, das offenbar erhebliche Probleme für den Vogelschutz konstatierte. Einer Überprüfung, die wiederum das Wirtschaftsministerium beauftragte, hielt es jedoch nicht stand. So sei etwa der Einfluss bestehender Anlagen auf Vogelpopulationen nicht untersucht worden. Am Ende steht eine Art Kompromiss, der der Windkraftseite jedoch nicht weit genug geht. Dass die Ausschlussgebiete in größerem Umfang auch das Repowering betreffen, also den Austausch alter durch neue, leistungsfähigere Anlagen an bestehenden Standorten, stößt bei ihr auf besonderes Unverständnis.

Kritik an Repowering-Ausschluss

Mehrere Kommunen sehen ihre Einnahmen aus Windparks in Gefahr und auch der Umweltverband BUND in Hessen hält die Einschränkungen beim Repowering für „überwiegend unbegründet“, so dessen Energiesprecher Werner Neumann. Mit weniger und dafür höheren Anlagen sinke vielmehr das Kollisionsrisiko für Vögel und Fledermäuse. Neumann verweist zudem auf Hilfsprogramme für Rotmilan und Schwarzstorch, die zunehmend im Zuge der Anlagenplanung umgesetzt würden. Maik Sommerhage, Referent für Vogelschutz beim Naturschutzbund Nabu in Hessen, ist dagegen „zufrieden mit den Ergebnissen“. Er könne die Befürchtungen der Projektierer zwar verstehen, der lokale Vogelbestand müsse jedoch erhalten bleiben. „Ich bin guter Dinge, dass Investoren Windkraftanlagen weiter betreiben können, und zwar rechtssicher“, sagt Sommerhage. Fürs Erste könne man die Energiewende zumindest auf den wirtschaftlich machbaren Vorrangflächen voranbringen.

Das Thema wird innerhalb der Naturschutzverbände durchaus kontrovers diskutiert. Einerseits setzen sie sich für die Energiewende ein, auch weil der Klimawandel nicht zuletzt die Tierwelt massiv bedroht. Andererseits ist vielen ihrer Mitglieder der Schutz bestimmter Arten ein besonderes Anliegen. Beim BUND führte das zuletzt zum offenen Streit in mehreren Bundesländern, in Rheinland-Pfalz trat deshalb schon der Vorsitzende zurück.

Ähnlich geht es den Grünen, die seit dem Regierungswechsel 2014 die beiden direkt betroffenen Ressorts für Wirtschaft und Umwelt verantworten. Um Konflikte zwischen den jeweiligen Interessen auszuräumen, wurde eigens eine interministerielle Arbeitsgruppe gegründet. In Erklärungen bemühen sich Amtsträger der Partei stets darum, die Notwendigkeit eines Ausgleichs zwischen Artenschutz und Windkraft zu betonen. BWE-Vertreter Joachim Wierlemann würde sich stattdessen eine klarere Positionierung wünschen: „Die hessischen Grünen müssten den Mut haben zu sagen, dass die Naturschutzprobleme nicht so dramatisch sind, dass sie der Energiewende entgegenstehen.“

Mehr zur Vereinbarkeit von Arten- und Klimaschutz lesen Sie in der Ausgabe 01/2015 von neue energie – auch als ePaper erhältlich.

 

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