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Erneuerbaren-Markt im Umbruch

„Die Großen schlucken die Kleinen“

Foto: Naturstrom

Foto: Naturstrom

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 12.09.22
… sagt Thomas Banning zur aktuellen Lage am Erneuerbaren-Markt. Um gegenüber finanzstarken Großkonzernen zu bestehen, müssten Mittelständler strategische Allianzen eingehen. Banning stellt deshalb die Erzeugungssparte von Naturstrom völlig neu auf.

neue energie: Was hat Sie dazu bewogen, die Erzeugungssparte von Naturstrom auszugliedern?

Thomas Banning: Der Grund ist einfach, wir erleben derzeit einen gewaltigen Umstrukturierungsprozess in unserer Branche. Wer nicht blind ist, sieht schon seit Längerem, in welche Richtung es geht. Es drängen ganz neue, sehr finanzstarke Player in den Markt. Und die Großen schlucken die Kleinen. Wer sich da als Mittelständler gerade bei der Finanzierung nicht anders aufstellt, der kann am Ende gegenüber dieser, man muss wohl sagen, Geldmacht nicht mehr mithalten.

ne: Von welchen Playern sprechen Sie?

Banning: Mittlerweile sind es ja nicht mehr nur die heimischen großen Versorger, sondern eine ganze Reihe von global agierenden Finanz- sowie Mineralöl- und Gaskonzernen, die in Deutschland mit gefüllten Kassen auf Einkaufstour sind. Alle wollen plötzlich klimaneutral werden, haben sich eine Renewable-Strategie verpasst und sind jetzt dabei, die Erneuerbaren-Branche aufzukaufen. Es geht um Konzerne wie Shell, Gazprom, Total, BP und, und, und. Im Grunde erleben wir eine Situation wie beim kalifornischen Goldrausch 1848. Da ging es am Anfang nur darum, den Claim abzustecken und mit Gewalt zu verteidigen. Erst dann wurde geschaut, ob da tatsächlich was im Boden war. Ein bisschen ähnlich ist es jetzt im Erneuerbaren-Sektor.

ne: Wie meinen Sie das genau?

Banning: Nur ein Beispiel: Es ist ja bekannt, dass derzeit bestehende Windparks zu irrwitzigen Summen die Besitzer wechseln. Große Akteure kaufen einfach blind auf, was sich ihnen gerade bietet. Das muss sich auch nicht sofort rechnen, Verluste kann man sehr schön gegen die aberwitzigen Gewinne aus der fossilen Energiewelt aufrechnen. Später können an den einmal gesicherten Standorten viel größere, ertragreichere Anlagen aufgestellt werden. Der Nebeneffekt ist, dass ganz nebenbei der Markt von den vielen kleinen Betreibern bereinigt wird, was wohl selbst in der Politik gern gesehen wird.

ne: Was ist jetzt konkret bei Naturstrom geplant?

Banning: Je härter der Wettbewerb, umso klarer muss die eigene Fokussierung sein. Für uns bedeutet das, dass Naturstrom sich künftig auf das Versorgungssegment konzentrieren wird, mit allen Spielarten. Neben der reinen Stromlieferung an Endkunden geht es um Themen wie Wärme, Quartierslösungen oder Mieterstrom. Zugleich bleibt Naturstrom der größte Anteilseigner unserer neuen Firma Natur Energy. Dort wiederum werden wir uns auf die Bereiche Erzeugung, Speicherung und Umwandlung konzentrieren, diese aber, anders als bislang, nicht mehr ausschließlich aus eigenen Mitteln finanzieren. Denn für diesen Bereich benötigt man sehr viel Geld. Deshalb erscheint es uns sinnvoll, Geldgebern die Möglichkeit zu eröffnen, sich bei uns zu beteiligen.

ne: Seit wann arbeiten Sie an der Umstrukturierung?

Banning: Im Grunde seit drei Jahren. Die Gespräche mit potenziellen Mitinvestoren laufen seit vergangenem Jahr. Ich spreche auch bereits seit einiger Zeit mit anderen Mittelständlern, um beteiligungsbasierte Kooperationen bis hin zu einem Zusammenschluss anzuregen. Das hat leider bisher nicht funktioniert. Einige verkaufen lieber zu den sehr hohen Preisen, die derzeit am Markt zu erzielen sind. Andere denken, sie kommen allein durch. Ich bin allerdings davon überzeugt, der beste Weg ist, sich mit einigen anderen Unternehmen zusammenzutun. Dafür sind wir jetzt gut vorbereitet.

ne: Müssen Ihre künftigen Investoren bestimmte Kriterien erfüllen?

Banning: Wir zielen ganz grundsätzlich nicht auf kurzfristige Gewinnmaximierung ab. Wir wollen mit der Erzeugungssparte garantieren können, dass dort nach wie vor genauso nach Nachhaltigkeitskriterien gearbeitet wird, wie wir es bei Naturstrom schon immer machen. Beteiligen können sich Einzelpersonen ebenso wie institutionelle Investoren. Aber sie müssen ganz klar nachhaltig orientiert sein. Blackrock und Co hätten bei uns keine Chance. Dass Nachhaltigkeit vor Gewinnen steht, haben wir in unserer Satzung festgelegt, dem Thema ist ein eigener Paragraf gewidmet, was Sie in Deutschland sonst wohl kaum finden werden. Damit weiß jeder Investor, wie derjenige tickt, dem er sein Geld gibt.

ne: Sie sagen, einige Akteure denken, sie könnten ‚allein durchkommen‘. Haben Sie Zweifel, dass das funktionieren wird?

Banning: Ja, ganz klar. Ich habe mit vielen Akteuren der Branche gesprochen. Was man natürlich immer machen kann, ist, als mittelständische Firma in einer Nische unterwegs zu sein, um mal ein Repowering- oder mal ein kleineres Solarprojekt zu realisieren. Der Markt ist ja nicht völlig abgeschottet. Wenn man aber in diesen Zeiten eine bestimmte Größe halten möchte, lässt sich das ohne Partnerschaften nicht mehr machen.

ne: Was hat sich denn gegenüber früher verändert?

Banning: Naja, wir wollen jetzt ja in acht Jahren die dreifache Menge an Photovoltaik zubauen, mehr, als wir bislang in 20 Jahren geschafft haben. So viel zu den Größenordnungen. Aber wie soll das funktionieren? Woher kommt die Manpower? Wir wissen doch, wie schwer es ist, Personal zu bekommen. Im Windsektor ist es nicht anders. Dort fehlt es zudem an Genehmigungen. Und woher kommt das Geld, um die Projekte zu realisieren? Das alles muss am Ende ja zusammengebracht werden. Der Markt ist aber eng geworden. Es ist schon ein Problem, die richtigen Zulieferer zu finden, zu annehmbaren Preisen. Und klar, wenn ein Großkonzern bei einem Windradhersteller 300 Anlagen für Ostasien, 200 für Texas und dann noch 80 für Deutschland bestellt, dann wird er die alle für den gleichen Preis wollen. Und auch bekommen. Wenn Naturstrom in einem Jahr acht Anlagen bestellt, bezahlen wir von vornherein 20 Prozent mehr als der Großkunde.

ne: Es geht um Skaleneffekte...

Banning: Als Mittelständler haben wir immer deutliche Wettbewerbsnachteile. Nicht zuletzt auch auf dem Finanzmarkt. Angeschlagene Unternehmen wie RWE und Eon können sich Milliarden zu äußerst günstigen Konditionen besorgen. Zwischen diesen und Zinssätzen, die uns angeboten werden, liegen Welten. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir in anderen Größenordnungen denken und arbeiten müssen.

ne: An welche Größenordnungen denken Sie?

Banning: Eine Kenngröße ist ja der eigene Abstand zu den zwei oder drei Marktführern. Durch den Deal zwischen RWE und Eon hat sich dieser Abstand zum Mittelstand in Deutschland massiv vergrößert, wir reden von einem Faktor von 80, 90 oder 100. Deshalb klagen wir auch dagegen. Niemand in Berlin und Brüssel war offensichtlich dazu bereit, sich mit dem Deal kritisch zu beschäftigen. Und auf der anderen Seite steht die Frage, wie man eine Mindestgröße definiert, die wirtschaftliches Arbeiten ermöglicht. Ich denke, wer einen Marktanteil von einem Promille oder sogar darunter hat, dürfte es sehr schwer haben, zu überleben. Das ist dann nur eine Frage der Zeit. Wir wollen mit der Natur Energy deshalb einen anderen Weg einschlagen und den großen Playern nicht einfach das Feld überlassen. Und das, obwohl uns die Politik in den vergangenen acht Jahren immer wieder neue Steine in den Weg gelegt hat.

ne: Hat sich bei der neuen Bundesregierung in Sachen Mittelstandsnähe etwas getan?

Banning: Sie tut sehr viel für die erneuerbaren Energien, die neuen Ziele und Weichenstellungen sind sehr wichtig. Leider orientiert sich aber auch die neue Regierung viel zu sehr an den ganz großen Unternehmen. Ich verstehe nicht, weshalb nicht sehr viel mehr mit Mittelständlern gesprochen wird, die ja in Summe wesentlich zur Zielerreichung beitragen können. Wobei ich gar nicht bestreite, dass wir für bestimmte Marktsegmente, wie etwa Offshore, auch sehr große Player benötigen. Das große Aber ist nur, dass ein guter Teil der Energiewende in den Regionen stattfindet und sehr viel Innovationskraft benötigt wird. Zudem sollte die Energieversorgung nach demokratischen Prinzipien organisiert sein. Diese drei Aspekte funktionieren nur, wenn der Mittelstand in relevanter Größenordnung beteiligt ist.

ne: Welche politischen Weichenstellungen würden Sie denn benötigen?

Banning: Es fängt ganz einfach damit an, dass die großen Akteure nicht mehr einseitig bevorzugt werden dürfen. Wenn Ex-Bundeskanzlerin Merkel ihre Energierunden abgehalten hat, dann waren dort im Wesentlichen die Großkonzerne vertreten. Sigmar Gabriel, damals Wirtschaftsminister, und besonders sein ehemaliger Staatssekretär Rainer Baake haben mir mehrfach ins Gesicht gesagt, dass diese vielen, dezentral arbeitenden Marktakteure nicht benötigt würden. Es wäre nicht zu belegen, dass das Vorteile gegenüber zentral ausgerichteten Konzepten habe, hieß es. Und von den Kapriolen des Herrn Altmaier will ich mal erst gar nicht anfangen zu reden, da geht nur unnötig der Puls hoch.

ne: Interessant ist, dass es parteiübergreifend starke Sympathien für die ganz großen Player gibt...

Banning: Das ist allerdings richtig. Ich bin an dieser Stelle, wie auch einige andere, durchaus ein Stück enttäuscht, denn die Grünen geben sich ja sonst eher bürgernah. Da haben wir als Branche vielleicht noch etwas Überzeugungsarbeit vor uns. Bei der Kanada-Reise von Kanzler Scholz und Minister Habeck waren jedenfalls wieder nur Konzernvertreter dabei, so etwa die Chefs von Uniper und Eon.

ne: Blick in die Glaskugel – Wie sieht der Markt in zehn Jahren aus?

Banning: Ich gehe davon aus, dass sich der Markt in den kommenden zehn, zwölf Jahren wieder stärker in Richtung oligopolistischer Strukturen entwickelt haben wird. Wie schon gesagt, es dürfte auch dann noch Unternehmen geben, die in speziellen Segmenten aktiv sind. Dort sehe ich auch Naturstrom und Natur Energy.

ne: Welche nächsten Schritte gehen Sie mit Natur Energy?

Banning: Mit der Hauptversammlung am 20. August ist der Weg eingeschlagen worden. Die Aktionäre der Naturstrom AG werden über eine Dividende direkt an dem neuen Unternehmen beteiligt. Dann wird es Gespräche mit einigen unserer größeren Aktionäre geben. Und als nächstes planen wir eine öffentliche Kapitalerhöhung. Das dauert ein paar Monate, es muss ein Prospekt erstellt werden, die Bafin muss genehmigen. Ganz klar ist, dass es in den kommenden Jahren keine Gewinnausschüttungen geben kann. Es geht darum, das Geld in das Wachstum von Natur Energy zu stecken. Wer investiert, kann keinen kurzfristigen Cash-Back erwarten. Es geht um langfristige Wertsteigerung. Das war anfangs auch bei Naturstrom so.

ne: Welches jährliche Wachstum streben Sie an?

Banning: Nun ja, wir arbeiten ja nicht nach einer Konzern-Logik. Dort geht es immer gleich um hunderte Megawatt. Wir haben in den vergangenen Jahren im Schnitt 20 Megawatt Wind oder Solar jährlich gemacht. In diesem Jahr werden wir ungefähr 55 und im kommenden Jahr 80 oder 90 Megawatt machen. Künftig sollen es dann zwischen 60 und 90 Megawatt PV-Freifläche sein. Beim Wind hoffe ich einfach, dass es irgendwann wieder mehr Genehmigungen geben wird. Fürs Erste rechne ich deshalb damit, dass es nicht mehr als vier, fünf Anlagen pro Jahr werden. In dem Segment gibt es einfach zu viele Verhinderungsstrategien und Klagen.

ne: Es gibt demnach viel zu tun. Sie wollen jedoch in zwei bis drei Jahren aus dem Geschäft aussteigen.

Banning: Man sollte es ja auch nicht übertreiben. Ich habe Naturstrom aufgebaut. Wir haben dort eine sehr gute Mannschaft von Führungskräften und hervorragende Personen, die die Vorstandstätigkeit übernehmen können. Mein Wunsch wäre es gewesen, den Spin-off schon vor zwei Jahren zu realisieren. Aber es hat etwas gedauert. Jetzt ist alles geklärt und ich möchte das Projekt auf die Schiene setzen. Es wäre aber Unsinn, den jüngeren Kollegen erklären zu wollen, wie das Geschäft zu laufen hat. Und ich meine, es gehört auch zu einer verantwortungsvollen Unternehmensleitung, sich beizeiten um die Nachfolge zu kümmern. Daran arbeite ich.

Dieses Interview stammt aus der Ausgabe 09/2022 von neue energie.


Thomas Banning

stand von 2002 bis 2022 an der Spitze von Naturstrom – erst als Alleinvorstand, seit 2011 als Vorstandsvorsitzender. Ende August gab Naturstrom bekannt, dass die Energieerzeugungssparte des Unternehmens ausgegliedert und unter dem Namen Natur Energy von Banning als Alleingeschäftsführer strategisch neu ausgerichtet wird.

 

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