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Bildung und Erneuerbare

Fürs Leben lernen

Tim Altegör, 01.12.14
Von der Sesamstraße bis zum Studium: Im Bildungsbereich zeigt sich, dass erneuerbare Energien und Klimaschutz längst kein Nischenthema mehr sind. Weil das Schulsystem da nicht immer mitkommt, helfen außerschulische Initiativen, junge Menschen für Nachhaltigkeit bei der Berufswahl und im Alltag zu begeistern.

Bei all dem Gerangel um die Energiewende, Netze und Strompreise kann leicht übersehen werden, wie normal erneuerbare Energien in Deutschland innerhalb weniger Jahre geworden sind. Kürzlich wurde das im Kinderkanal wieder einmal deutlich, genauer gesagt in der Sesamstraße. Dort schlagen sich Wolle und Pferd, ein Schaf und ein, nun ja, ein Pferd, durch die Widrigkeiten des Lebens und lernen zusammen mit den jungen Zuschauern noch etwas dabei. Vor einigen Wochen haben sie es geschafft, durch hemmungslosen Stromverbrauch ihre Rechnung in den fünfstelligen Bereich zu treiben und den Strom abgestellt zu bekommen. Nach einigem Hin und Her besuchen sie einen Windpark und kommen so auf die Idee, sich mit einem kleinen Windrad auf dem Dach selbst zu versorgen. Ihre Energie verschwenden sie danach zwar wie zuvor (die beiden sind nicht die cleversten), aber immerhin ist sie nun erneuerbar.

Die kleine Episode aus dem Kinderfernsehen, die hier online angeschaut werden kann, zeigt exemplarisch: Erneuerbare Energien sind Teil der Lebenswelt heutiger Kinder und Jugendlicher. Da gibt es natürlich Erklärungsbedarf: Woher kommt eigentlich der Strom, warum drehen sich die Windräder? Später kommt noch die Jobperspektive hinzu, trotz der Krise der Solarbranche erfreuen sich die Erneuerbaren bei Studierenden wachsender Beliebtheit, immer mehr Universitäten bieten spezielle Studiengänge an (siehe neue energie Ausgabe 10/2013). Auch für die Zeit zwischen Sesamstraße und Studium gibt es mittlerweile eine Reihe von Bildungsangeboten, viele davon auf lokaler Ebene. Im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick etwa können sich Kinder und Jugendliche im Meteum – der Name ist eine Wortschöpfung aus Mensch, Technik und Umwelt – seit 2008 als Forscher ausprobieren. Der Fokus liegt dabei auf Zukunftsberufen, neben erneuerbaren Energien werden Kurse in Bionik und Biochemie angeboten.

Für die Erneuerbaren ist Wolfgang Fliegner zuständig. Von Haus aus ist Fliegner Maschinenbauingenieur, im Meteum bringt er Kindern und Jugendlichen der Klassen fünf bis 13 Sonne, Wind und Co näher. Wenn echtes Interesse besteht, unterstützt Fliegner schon einmal einzelne Schüler bei Projekten oder Referaten, außerdem leitet er einmal in der Woche eine Arbeitsgruppe, in der sich Schüler auf den Wettbewerb „Jugend forscht“ vorbereiten. In Absprache mit Lehrern bietet er auch Kurse für ganze Schulklassen an. „Viele Lehrer sind über das Thema nicht richtig informiert und freuen sich, wenn sie zu uns kommen können“, berichtet er. „Bei uns gibt es auch Experimente, nicht bloß Theorie.“ Betrieben wird das Meteum vom Technischen Jugendbildungsverein in Praxis (TJP), der zudem unter anderem das stillgelegte Kohleheizhaus einer Schule im Bezirk in ein „Lernlabor Energie“ umbaut.

Akademie für junge Forscher

Reichlich Experimente bietet auch der 2°-Campus der Umweltschutzorganisation WWF (siehe neue energie Ausgabe 9/2014). In jedem Jahrgang der Schülerakademie kommen 20 Interessierte zwischen 15 und 19 Jahren zusammen und erforschen in vier Arbeitsgruppen, wie der Klimawandel gebremst werden kann. Dabei werden sie von wissenschaftlichen Mentoren unterstützt. In diesem Jahr experimentierten die Teilnehmer am optimalen Einsatz von Kleinwindanlagen oder bauten eine ökologische Batterien für Elektroautos. Sie entwickelten Konzepte zur energiesparenden und zugleich angenehmen Beleuchtung in Klassenzimmern oder spürten dem CO2-Fußabdruck von Milch und deren Ersatzprodukten, etwa Haferdrinks, nach – alles im Austausch mit Experten und in echten Hochschul-Laboren in Münster, Wuppertal und Eberswalde. Zum Abschluss präsentierten die Nachwuchsforscher ihre Ergebnisse vor Lehrern, Politikern und Forschern. Aktuell nimmt der WWF noch bis zum 14. Dezember Bewerbungen für den nächsten Jahrgang entgegen, Infos dazu gibt es auf www.2-grad-campus.de

Die Campus-Teilnehmer forschen unter anderem in Physik und Chemie, also im Bereich der so genannten Mint-Fächer. Die Abkürzung steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Viele der aktuell geförderten Mint-Initiativen hätten das Ziel, die Innovationskraft Deutschlands zu stärken, sagt die Initiatorin des Projekts, Birgit Eichmann. „Wir wünschen uns, dass die Inhalte der Mint-Fächer in den Kontext der Nachhaltigkeit gestellt werden.“ „Mint wird grün“ lautet entsprechend das Motto des Programms, das die Teilnehmer auch im Alltag herausfordert. Sie probieren neue Lebensformen aus und gehen für das Projekt individuelle Selbstverpflichtungen ein, essen etwa vegan oder verzichten darauf, Waren im Internet zu bestellen. „Durch diese Kombination von wissenschaftlichen Erkenntnissen und konkretem Lebensbezug setzt der 2°-Campus zukunftsweisende Impulse“, sagt Eichmann. Sie hofft, über das wachsende Alumni-Netzwerk einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wandel zu leisten.

Techniker Wolf Stötzel (rechts) zeigt 2°-Campus-Teilnehmerin Kim Deschka das Innere einer Windkraftanlage (Foto: WWF/Arnold Morascher).

Vom Projekt zur Struktur

In den vergangenen Jahren sind viele Bildungsprojekte im Rahmen der UN-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ entstanden, die noch bis Ende 2014 läuft. Mit der Ausrufung derartiger Dekaden wollen die Vereinten Nationen auf die besondere Bedeutung eines Themas hinweisen. Nachhaltige Entwicklung betrifft nicht ausschließlich Klimaschutz und Erneuerbare, sie spielen aber eine zentrale Rolle – immerhin geht es um die Zukunft des Planeten. Auch in Deutschland sind sie damit verstärkt auf die Agenda gerückt, wurden zusätzliche Mittel für Projekte bereitgestellt. Jetzt lautet die Frage: War das nur ein Strohfeuer, oder geht es auch nach dem Ende des Jahrzehnts weiter? Als nächstes müsse der „Schritt vom Projekt zur Struktur“ getan werden, heißt es in der „Bonner Erklärung“, die aus der deutschen Abschlusskonferenz zur Dekade hervorging. Auch das „Bündnis Zukunftsbildung“, eine Initiative verschiedener Nichtregierungsorganisationen, fordert in einem offenen Brief an die Bundesregierung eine „strukturelle Einbettung in das deutsche Bildungssystem“, die bislang fehle. Unter anderem müssten Lehrer und Erzieher verstärkt für das Thema qualifiziert werden.

Die außerschulischen Akteure schließen hier eine Lücke. Darüber hinaus können sie Projekte verwirklichen, für die im staatlichen Bildungssystem schlicht Raum und Zeit fehlen. „Schule braucht lange, um neue Themen zu integrieren. Zudem hängt sehr viel vom Engagement einzelner Lehrer ab, die zugleich zahlreiche andere Aufgaben haben", sagt Almuth Tharan, Projektleiterin und Vorstandsmitglied im Unabhängigen Institut für Umweltfragen (Ufu). "Wir stecken nicht in schulischen Hierarchien und sind daher einfach flexibler.“ Das Ufu entwickelt unter anderem Bildungskonzepte und Unterrichtsmaterialien, etwa zur Nutzung schuleigener Solaranlagen im Unterricht. Neben den Materialien erhielten die Teilnehmer Anzeigetafeln für den Stromertrag – das Projekt heißt „Erneuerbare Energien sichtbar machen“. Das nötige Gerät auf dem Schuldach haben mittlerweile hunderte Schulen. Einen Überblick bietet der Klimaschutzschulenatlas, in dem insgesamt mehr als 3400 engagierte Einrichtungen verzeichnet sind.

Trend zum selbstbestimmten Lernen

Das Ufu gibt es schon vergleichsweise lange: Es wurde 1990 aus der DDR-Umwelt- und Bürgerrechtsbewegung heraus gegründet und initiierte bereits Mitte der 1990er die Energiespar-Aktion „fifty/fifty“ mit, bei der Schulen für ihren gesenkten Verbrauch finanziell belohnt wurden. Auch heute führt das Ufu zahlreiche Energiesparprojekte an Schulen durch. Daneben richtet das Institut sein Angebot zudem direkt an Lehrer, schult beispielsweise Referendare, wie sie erneuerbare Energien im Unterricht thematisieren und mit Experimenten erlebbar machen können. Zumindest einige Anregungen finden Lehrer auch auf den Internetseiten des Bundesumweltministeriums. Dort steht etwa die zweite Auflage des Schülerarbeitshefts „Umweltfreundlich Energie erzeugen“ als Download zur Verfügung.

Zugleich gibt es einen klaren Trend dazu, den Kindern und Jugendlichen stärker die Initiative zu überlassen. „Es hängt natürlich vom Alter ab, wieviel Unterstützung die Schüler brauchen“, sagt Tharan. „Wir lassen sie aber möglichst viel selbst entwickeln und erforschen.“ Auch beim 2°-Campus entscheiden die Teilnehmer im Gespräch mit ihren Mentoren, welchem Problem sie sich widmen. „Wir konnten unsere eigenen Forschungsideen einbringen und zusammen mit den Wissenschaftlern daran arbeiten“, sagt Lara Grabitz, die am diesjährigen Campus in der Mobilitätsgruppe teilgenommen hat. „Alle waren unglaublich motiviert, das habe ich in der Schule so noch nicht erlebt.“ Die Unterzeichner der Bonner Erklärung wollen Kinder und Jugendliche künftig ebenfalls stärker ermutigen, „eigeninitiativ Verantwortung“ zu übernehmen. Die nächste UN-Dekade im Umweltbereich ist derweil schon angelaufen, bis 2024 lautet das Motto: „Nachhaltige Energie für alle“. Möglichst viele junge Menschen nachhaltig für den Klimaschutz zu interessieren wäre da mit Sicherheit eine große Hilfe.

 

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