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Interview

„Interesse extrem groß“...

Foto: EWE/Sebastian Vollmert

Foto: EWE/Sebastian Vollmert

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 04.10.23
... „Reifegrad sehr unterschiedlich“ – so fasst EWE-Chef Stefan Dohler die Anfragen zusammen, die er aktuell zum Thema Wasserstoff aus der Industrie erhält.

neue energie: Die regionale Verfügbarkeit von grünem Strom, besonders in Kombination mit grünem Wasserstoff, gilt als Standortvorteil für Bundesländer wie Niedersachsen oder Schleswig-Holstein. Stimmen Sie dem zu?

Stefan Dohler: Grundsätzlich ja. Das liegt einfach an den Gegebenheiten der Geografie und der bestehenden Infrastruktur. Dazu ein – zugegeben extrem klingendes – Beispiel: Würden wir in Bayern große Elektrolyseure bauen, dann müssten wir sehr wahrscheinlich mehr grünen Strom aus Norddeutschland in den Süden transportieren und dafür zusätzliche HGÜ-Leitungen bauen. Der dort produzierte Wasserstoff könnte aber nicht in jeder Stunde verbraucht werden. Deshalb müsste er in den Norden geleitet werden, um erst in den nur dort verfügbaren Kavernenspeichern gelagert und später zum Teil wieder zu Verbrauchern in den Süden gebracht zu werden.

Wenn Elektrolyseure aber dort aufgestellt werden, wo sehr viel Grünstrom produziert wird und große Speicher verfügbar sind, wo zum Beispiel Strom von Offshore-Parks anlandet, dann kann der damit produzierte Wasserstoff in den Stunden, in denen er nicht sofort verbraucht wird, direkt in Kavernenspeicher fließen, um später über die bestehenden 70 Gigawatt Nord-Süd-Transportkapazitäten zu potenziellen Verbrauchern gebracht zu werden. Das halte ich für die volkswirtschaftlich klügste Variante. Zudem ergeben sich weitere Vorteile über die gesamte Wertschöpfung hinweg. So entsteht bei der Elektrolyse ja auch Wärme, die ebenfalls genutzt werden kann. Es sind also mehrere Faktoren, aus denen sich Standortvorteile ergeben. Ob das alles so realisiert werden kann, hängt aber stark vom künftigen Marktdesign ab.

ne: Geht es derzeit mehr darum, Industriebetriebe an ihren Standorten zu halten oder Anreize für Standortverlagerung und Neuansiedlungen zu schaffen?

Dohler: Oft entsteht der Eindruck, dass es bei dieser Diskussion um einen Nord-Süd-Konflikt geht, den ich aber nicht sehe. Es geht vielmehr um die Frage, ob wir in Deutschland die Industrie nachhaltig mit grüner Energie zu bezahlbaren Preisen versorgen können. Sollte die Lösung darin bestehen, mit einem sehr aufwendigen Marktdesign jederzeit an jedem Ort für jeden Verbraucher jede Menge an grüner Energie vorzuhalten, dann wäre das extrem teuer. Wenn aber eine Komponente eingebaut wird, um eine systemdienliche, also systemkostenminimierende Nutzung von grüner Energie günstiger auszugestalten, dann finde ich das richtig. Das kann tatsächlich die Abwanderung von Betrieben ins Ausland verhindern. Darin sehe ich echte Standortvorteile für den Norden und Westen Deutschlands, denn dort gibt es, wie gesagt, bereits eine bestehende Infrastruktur. Die Verlagerung von Unternehmen mag auch denkbar sein, mir scheint das aber das kleinere Thema zu sein.

ne: Wie real ist die Gefahr wirklich, dass Unternehmen aufgrund von hohen Energiepreisen Deutschland verlassen? In Standortentscheidungen fließen ja viele andere Faktoren ein, etwa wie sicher der Rechtsrahmen eines Landes ist oder ob die nötigen Fachkräfte verfügbar sind.

Dohler: Es kommt auf die Branche an. Die Grundstoffindustrie ist sehr energieintensiv und der Anteil der Lohnkosten im Verhältnis zum Anteil der Energiekosten sehr gering. Tatsächlich spreche ich im Moment mit vielen Unternehmen, die in den nächsten drei bis fünf Jahren massive Investitionsentscheidungen treffen müssen, dafür aber verlässlich Rahmenbedingungen brauchen, damit es zu keiner Schieflage kommt. Das ist einer der Gründe, warum so intensiv über Themen wie Strompreisdeckel und Industriestrompreise debattiert wird. Zugleich wollen wir aber auch zeigen, dass eine nachhaltige Energieversorgung am Standort Deutschland gut funktioniert. Und richtig, wir haben hierzulande tiefintegrierte Wertschöpfungsketten, die insgesamt einen großen Standortvorteil darstellen. Sogenannte Best-Cost-Länder bieten das meist nicht. Dennoch brauchen die Unternehmen die Sicherheit, im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Auch deshalb braucht es eine möglichst systemdienliche Nutzung der verfügbaren Energie und eine Minimierung der Kosten, die beim Umbau unseres Energiesystem entstehen.

ne: Stichwort Industriestrompreis. Je nachdem, ob und in welcher Form er kommt: Wäre er eine Behinderung für Erneuerbaren-Projekte, insbesondere Wasserstoff?

Dohler: Der Aspekt, den Sie anführen, ist wichtig. Zunächst geht es um eine politische Diskussion und Entscheidung, ob der Industriestrompreis gewollt ist. Mag sein, dass es für eine klar definierte Übergangszeit ein Instrument braucht, um die schon angesprochene Investitionssicherheit zu schaffen. Wenn der Industriestrompreis kommt, braucht es sehr klare, sehr einfache Regeln und kein hochkompliziertes Modell wie bei der Erlösabschöpfung im Kontext der Energiepreisbremsen. Aber Eingriffe in den Markt haben immer mehrere Auswirkungen. Es wäre dann zu prüfen, wie hoch der Anreiz noch ist, Vermarktungsalternativen wie PPAs, also Direktlieferverträge, abzuschließen. Sie merken, ich sehe das Thema durchaus kritisch. In jedem Fall dürfen die Anreizwirkungen des Marktes nicht kaputt gemacht werden und ein Modell müsste maximal einfach sein.

ne: Manche Experten fordern, dass die H2-Infrastruktur nach dem No-Regret-Prinzip geplant werden sollte. Andere plädieren dafür, schnell eine möglichst ausgedehnte Wasserstoff-Wirtschaft zu etablieren, um über Skaleneffekte den Preis zu drücken. Was ist der richtige Weg?

Dohler: Ich glaube, dass nur über Skalierung eine Kostendegression möglich ist. Das haben wir in allen anderen Branchen genau so erlebt. Mittlerweile ist auch die Erkenntnis da, dass ein hochregeneratives System nicht rein elektrisch darstellbar ist, insbesondere im europäischen Verbund. Grüner Wasserstoff hat also eine dreifache Rolle: als klimaneutraler Grundstoff für verschiedene Industrien, als Speichermedium für große Mengen grüner Energie und als Importmedium für grüne Energie. Es geht darum, eine Infrastruktur aufzubauen, um letztlich ein regeneratives System wirklich stabil betreiben zu können.

ne: Deshalb gibt es unterschiedlichste Fördermittel…

Dohler: Genau. Wenn ich jetzt eine Wasserstoff-Leitung baue, dann wird der erste Kunde nicht die gesamten Kosten übernehmen können. An der Stelle spielen die IPCEI-Projekte* der EU eine wichtige Rolle. Sie schaffen die Möglichkeit, in einer Anfangsphase zu skalieren. Wobei die Unternehmen auch signifikante Eigenmittel einsetzen.

*Die Important Projects of Common European Interest, kurz IPCEI, sind strategische Förderprojekte der EU-Kommission unter dem Dach der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU. Sie sollen dabei helfen, Innovation in ressourcenintensiven Kernmärkten zu ermöglichen.

ne: Das deutsche Wasserstoff-Netz soll im Abgleich mit Strom-, Gas-, Verkehrs- und Wärmenetzen abgestimmt geplant werden. Wie läuft dieser Prozess aus Ihrer Sicht?

Dohler: Ich glaube, wir müssen aufpassen, dass wir bei diesem Prozess nicht zu kleinteilig arbeiten. Die EWE etwa ist ein vollintegrierter Versorger, der alle Sparten in den Blick nimmt. Wir versorgen in der Fläche und eine so große Stadt wie Bremen. Wir können die nötige Gesamtkostenbetrachtung durchführen und wissen auch, wie Systemoptimierung funktioniert. Das Problem ist nur, dass es solch eine integrierte Planung für unser Gesamtsystem derzeit nicht gibt. Beispiel kommunale Wärmeplanung. Eine Gemeinde kann sich für ein Wasserstoff-Netz entscheiden, eine Nachbargemeinde kann auf die Wärmepumpe setzen und eine andere Nachbargemeinde kann eine ganz andere Lösung bevorzugen.

Ein Versorger muss diese Gemeinden dann an entsprechende Netze anbinden. Dafür muss das Gasnetz weiterbetrieben, parallel dazu eine Wasserstoff-Netzinfrastruktur aufgebaut und drittens massiv in Stromnetze investieren werden, nämlich dann, wenn Wärmepumpen gewünscht sind. Solche parallelen Infrastrukturen sind aber das Gegenteil einer integrierten Planung. Zumal jede Infrastruktur erst ab einer gewissen Größenordnung bezahlbar ist. Wer nun diese bundesweit eigentlich erforderliche, integrierte Planung durchführt, ist mir nicht klar. Es gibt zwar die Plattform klimaneutrales Stromsystem und die Bundesnetzagentur. An beiden Stellen wird das aber bisher nicht geleistet.

ne: Ohne Hilfen wie die IPCEI-Förderung rechnen sich H2-Projekte bislang so gut wie nicht. Wie schnell kann sich das Ihrer Meinung nach ändern?

Dohler: Die wesentlichen Treiber sind der Strompreis, die Kapitalkosten und die möglichen Betriebsstunden, also letztlich die Skalierung. Und dann kommt es sehr auf die Regulierung an, auf die Vorgaben der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU und die nationalen Regime. Welcher Strom gilt als grün und erlaubt mir, grünen Wasserstoff herzustellen? Wie viele Stunden im Jahr kann ich einen Elektrolyseur an einem Standort betreiben? Habe ich zudem bei einer systemdienlichen Nutzung, also wenn ich das System kostenseitig entlaste, geringere Kosten? Muss ich für einen Netzanschluss einen Baukostenzuschuss für einen Anschluss an ein Umspannwerk bezahlen, obwohl ich ja an diesem Standort das Netz und den Netzausbau entlaste? Solche Fragen müssen zunächst eindeutig geklärt werden.

ne: Wagen Sie eine Prognose, wo sich der Preis für eine Tonne Wasserstoff einpendeln wird?

Dohler: Bei Wasserstoff-Importen reden wir wahrscheinlich von 120, 130 Euro pro Megawattstunde. Das sind die Studien, die ich kenne. Dorthin müssen wir kommen und perspektivisch deutlich unter 100 Euro. Sicher ist das deutlich mehr als der heutige Gaspreis, der derzeit bei etwa 40 Euro liegt. Da muss aber noch der CO2-Faktor hinzugerechnet werden und die Volatilität im globalen LNG-Markt. Gelingt uns eine kluge Umsetzung der H2-Projekte, dann rechne ich damit, dass wir wahrscheinlich zu einer Größenordnung zwischen 60 und 90 Euro pro Megawattstunde kommen werden. Dazu brauchen wir eine schnelle Skalierung und dafür wiederum klare Rahmenbedingungen. Leider warten wir immer noch auf eine Antwort auf unsere IPCEI-Anträge, während die USA über den IRA Investitionen ansaugen. Ein Trauerspiel.

ne: Wie groß ist die Zahl der Unternehmen, die mit Ihnen über H2-Deals sprechen?

Dohler: Tatsächlich sind es sehr, sehr viele. Ich kann hier nicht über alle Anfragen sprechen. Aber was wir natürlich schon kommuniziert haben, ist, dass wir mit Arcelor Mittal Bremen sehr intensiv im Gespräch sind. Wir merken zudem, dass die Logistikbranche, die Hafenwirtschaft sehr interessiert an dem Thema ist. Ebenso große Papierfabriken, Brauereien und Stahl-verarbeitende Betriebe. Es geht einfach um alle Unternehmen, die bislang große Mengen fossiler Energie einsetzen und ihre Produktion nachhaltig gestalten wollen. Die springen bei dem H2-Thema an. Reifegrad sehr unterschiedlich, Interesse extrem groß.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Der vollständige Text ist in Ausgabe 10/2023 von neue energie erschienen.  


Stefan Dohler

ist seit 2018 Vorstandsvorsitzender der EWE AG in Oldenburg. Zuvor war er Konzern-Finanzvorstand (CFO) von Vattenfall.

 

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