Recycling

„Die Kreislaufwirtschaft wird ein wichtiger Treiber für den Erneuerbaren-Ausbau sein“

Interview: Jörg-Rainer Zimmermann, 31.01.23
… sagt Henning Wilts vom Wuppertal Institut. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, müsse im Recycling-Sektor deutlich mehr geschehen, ist er überzeugt.

neue energie: Derzeit wird auf etlichen politischen Bühnen intensiv über Kreislaufwirtschaft diskutiert. Welche Bedeutung hat das Thema für den Klimaschutz?

Henning Wilts: Die Modellierungen etwa des internationalen Ressourcen-Panels zeigen, dass global 50 Prozent der CO2-Emissionen auf Gewinnung und Nutzung von Rohstoffen zurückzuführen sind. Wir müssen uns also in Sachen Klimaschutz nicht nur bei Energieeffizienz und den erneuerbaren Energien anstrengen, sondern auch beim Umgang mit Rohstoffen. Natürlich auch national. Unsere gesetzlich definierten CO2-Reduktionsziele werden nur mit Kreislaufwirtschaft erreichbar sein. In unseren eigenen Analysen im Rahmen der Circular-Economy-Initiative des Bundesforschungsministeriums haben wir gezeigt, dass etwa 30 Prozent der gesamten CO2-Emissionen nur durch einen anderen Einsatz von Rohstoffen in den Griff zu kriegen sind. Es braucht eine Klimastrategie, bei der wir den Wert von Rohstoffen am Ende einer Nutzungsphase so weit wie möglich erhalten.

ne: Sie sagen ‚so weit wie möglich‘. Wären 100 Prozent machbar?

Wilts: Ich denke, 100 Prozent wären technisch weder möglich noch ökologisch sinnvoll. Es gibt Materialien, die aus dem Kreislauf entlassen werden müssen, etwa weil sich Schadstoffe darin befinden. Allerdings sind Recycling-Quoten derzeit oft noch rein mengenorientiert. Natürlich wollen wir nicht, dass die Stoffe einfach auf der Deponie landen. Und die Abfallverbrennung ist aus meiner Sicht eine Übergangstechnologie, keine Lösung für die Energiewende. Wir benötigen dafür Prozesse, bei denen die Rohstoffe so weit wie möglich immer wieder von Neuem eingesetzt werden können.

ne: Wie weit sind wir global mit der Recycling-Quote?

Wilts: Im Januar wurde der neue jährliche Circularity Gap Report vorgelegt. Leider zeigt die Studie, dass wir global nicht vorankommen, der Anteil an recycelten Rohstoffen ist zuletzt sogar wieder gesunken. Allerdings hat die Europäische Kommission dem Thema Kreislaufwirtschaft sehr hohe Priorität zugewiesen und verschiedene Aktionspläne vorgelegt, nicht zuletzt aus einer wirtschafts- und industriepolitischen Motivation heraus. Frans Timmermans, der Vizepräsident der Kommission, ist fest davon überzeugt, dass Europa nur Industriestandort bleiben wird, wenn wir eine Kreislaufwirtschaft aufbauen. Sollte der EU-Aktionsplan umgesetzt werden, könnten 700.000 neue Arbeitsplätze entstehen, so die Schätzung. Um nun auch die globale Situation zu verbessern, soll es entsprechende Vertragswerke geben, so etwa zum Einsatz von Plastik. Dabei müssen Länder wie China und Indien eingebunden werden, es braucht einheitliche Standards, mit Qualitätskriterien für das Recycling.

ne: Aktuell erarbeitet die Bundesregierung eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie. Sind wir auf einem guten Weg?

Wilts: Viele der EU-Länder haben längst solche Strategien. Die Niederländer setzen prozentual bereits drei Mal mehr recycelte Industrie-Materialien ein als die Deutschen. Insofern sind wir spät dran.

ne: Was erwarten Sie von der Strategie, wenn sie steht?

Wilts: Hierzulande gibt es sehr klare Regeln etwa dafür, wie Abfall entsorgt werden soll. Wir haben auch ein Abfallvermeidungsprogramm, Recycling-Quoten und eine Rohstoffstrategie. Wir benötigen aber verbindliche Ziele, die darüber hinausgehen, etwa für die Wiederverwendung von Rohstoffen. Es ist unklar, welche Maßstäbe gelten sollen und bei wem die Verantwortung liegt – beispielsweise ab wann ein Abfall nach dem Recycling wieder zum Produkt wird und frei gehandelt werden kann. Zudem passen die einzelnen Programme nicht richtig zusammen. Eine übergeordnete Kreislaufwirtschaftsstrategie müsste dafür sorgen, dass alle bestehenden Maßnahmen ineinandergreifen und gemeinsamen Prioritäten folgen. Wie gesagt, die Recycling-Quoten müssten künftig qualitative Kriterien erfüllen.

ne: Welche Anreize könnten dazu führen, dass die Unternehmen stärker in die Wiederverwendung von Rohstoffen investieren?

Wilts: Mindest-Rezyklat-Quoten würden mit Sicherheit ein Anreiz sein. Dabei würde festgelegt, welche Produkte welchen Mindestprozentsatz an recycelten Materialien enthalten müssen. Damit steigt die Nachfrage, auch nach Recycling-Technologien. Auf der anderen Seite müssten Subventionen mit umweltschädlicher Wirkung, die etwa das Umweltbundesamt auflistet, abgeschafft werden. Dass Kunststoffe von der Energiesteuer befreit sind, führt ja dazu, dass die Kreislaufwirtschaft verhindert wird.

ne: Im Zusammenhang mit nachhaltigem Wirtschaften ist auch viel von Reparierbarkeit die Rede ...

Wilts: Sicher. Wenn wir Produkte länger nutzen könnten, würde das sehr viel CO2 einsparen – allein für eine einzige Waschmaschine über eine Tonne CO2. Das reicht von Secondhand, Wiederaufbereitung und Re-Manufacturing. Wir bräuchten dafür aber ganz viel Standardisierung, Überprüfbarkeit und entsprechende Labels. Als Konsument wird mir hierzulande nicht offen gesagt, wie lange ein Produkt hält oder ob ich es vielleicht sogar selbst reparieren kann. Deshalb wird dann oft einfach die billigste Ware gekauft. In Frankreich ist das anders. Dort wird jedes Elektronikprodukt mit einer Skala von eins bis zehn versehen, was anzeigt, wie reparierbar es ist. Auf dieser Basis kann sich ein Kunde dann entscheiden.

ne: Bei der Diskussion zur Kreislaufwirtschaft wird auch empfohlen, Produkte möglichst mit sauberer Energie zu produzieren und zu recyceln. Damit steigt auch der Erneuerbaren-Ausbaubedarf ...

Wilts: Absolut, die Kreislaufwirtschaft wird dafür ein wichtiger Treiber sein. Bisher importieren wir viele unserer Rohstoffe. Werden die hierzulande recycelt, hat das global einen großen CO2-Einspareffekt. Der realisiert sich aber nur dann, wenn dafür erneuerbarer Strom eingesetzt wird.

ne: Können Sie ein Beispiel für wichtige Bereiche geben?

Wilts: Ein Thema, das sehr intensiv diskutiert wird, ist das chemische Recycling von Kunststoffen. Dabei sollen aus Kunststoffabfällen Öle zurückgewonnen werden, um sie zum Beispiel als Rezyklat in hochwertigen Lebensmittelverpackungen einsetzen zu können. Damit gewährleistet ist, dass die hohen Anforderungen beim Kontakt mit Lebensmitteln gewährleistet sind, muss das Material auf Temperaturen zwischen 500 und 800 Grad Celsius erhitzt werden. Das ist enorm energieintensiv. Aus Klimasicht kommt es dann nur zu einem positiven Effekt, wenn möglichst CO2-freie Energie verwendet wird.

ne: Wie schon erwähnt, die EU-Kommission, aber auch die Bundesregierung arbeiten in Sachen Kreislaufwirtschaft an Vorgaben für die Industrie. Bedeutet das auch Handlungsdruck für die Erneuerbaren-Branche?

Wilts: Ich denke ja. Die bestehenden Produktionskapazitäten werden noch einmal nach oben skaliert, wenn die Wind- und Solarenergie massiv ausgebaut wird, was ja erforderlich ist. Damit gewinnt das Thema Recycling natürlich auch im Anlagenbau an Bedeutung. Ich höre dabei immer wieder, dass es durchaus entsprechende Technologien und Verfahrensansätze gibt, die die Wiederverwertbarkeit ermöglichen. Aber das alles ist teuer und bislang nicht standardisiert. Deshalb wird dafür ein neuer regulatorischer Rahmen benötigt.

ne: Über die Verwertung von Rotorblättern nach dem Anlagenrückbau wird seit Längerem diskutiert, unter anderen forschen Fraunhofer-Institute zu diesem Thema. Wie sieht es in anderen Energiesparten aus?

Wilts: Nehmen wir mal den gesamten Batterie-Bereich. Das Recycling wäre möglich, aber es fehlt an Rücknahme- und Anreizstrukturen. Vorstellbar wäre es etwa gewesen, ein Pfandsystem einzurichten. Ebenso fehlt es an standardisierten Informationsschnittstellen. Es sollte klar kommuniziert werden, was in einer Batterie eigentlich drin ist, wie lange die Stoffe genutzt wurden und ob es sich lohnt, das zu recyceln. An dem Thema ist die EU-Kommission dran und will digitale Produktpässe ab 2026 verpflichtend machen. Dann sind Hersteller dazu verpflichtet, wichtige Informationen für das Recycling bereitzustellen.


Henning Wilts

ist promovierter Volkswirtschaftler und seit August 2018 Leiter der Abteilung Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut.

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