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Interview

„Dann spielt Deutschland in der zweiten Liga“

Foto: Martina Buchholz

Foto: Martina Buchholz

Interview: Astrid Dähn und Jörg-Rainer Zimmermann, 05.02.24
Andreas Reuter, Leiter des Fraunhofer Iwes und Sprecher des Erneuerbaren-Forschungsverbunds FVEE, hält die geplanten Kürzungen der Bundesregierung bei der Energieforschung für ein verheerendes Signal an die Wissenschaft. Er fürchtet, dass die Sparmaßnahmen den Fachkräftemangel verschärfen und Deutschland beim Klimaschutz technologisch abgehängt wird.

neue energie: Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Haushaltsfinanzierung will die Bundesregierung auch bei der Energieforschung den Rotstift ansetzen, um das Finanzloch zu stopfen. Allein die vorgesehenen Mittel aus dem Klima- und Transformationsfonds sollen wohl um rund neun Milliarden Euro gekürzt werden. Können Sie schon abschätzen, wie sich die Sparmaßnahmen auf die Forschungslandschaft auswirken werden?

Andreas Reuter: Die konkreten Zahlen für den Bundeshaushalt 2024 liegen noch nicht vor. Es sieht aber so aus, dass es für dieses Jahr wirklich substanzielle Kürzungen im Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums bezüglich der Energieforschung geben wird. Die Förderung vom BMWK ist für unser Institut, das Fraunhofer Iwes, das sich schwerpunktmäßig mit Windenergie befasst, eine wesentliche Säule bei der Projektfinanzierung. Aber auch andere Bundesressorts wie das Forschungsministerium oder das Verkehrsministerium fördern Energieprojekte. Und die haben ebenfalls angekündigt, deutlich zu sparen. Insgesamt erwarten wir daher erhebliche Einschnitte in allen Bereichen der Energieforschung, egal ob es um Technologien zur Effizienzsteigerung oder Speicherung von Energie geht.

ne: Betrifft das alle Projekte in diesen Feldern?

Reuter: Nein, laufende und bereits zugesagte Vorhaben werden, soweit mir bekannt ist, nicht zusammengestrichen. Vor allem die Bewilligung von neuen Projekten steht infrage. Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen wie etwa die Institute im Forschungsverbund Erneuerbare Energien müssen aber kontinuierlich neue Projekte akquirieren, um ihre festangestellten Mitarbeitenden bezahlen zu können.

ne: Drohen aufgrund der Sparvorgaben also Entlassungen?

Reuter: Wenn es in den nächsten Jahren tatsächlich substanziell an Geld fehlen sollte, dann müssten wir im äußersten Fall unsere Personalplanung anpassen und Kompetenzverluste in Kauf nehmen. Das wäre natürlich extrem schmerzhaft, weil wir uns ja nicht mit Luxusthemen befassen, sondern an Fragen der Energiewende arbeiten, also an Dingen, die relativ kurzfristig gebraucht werden. Anders als bei der Kernfusion – ich lästere da gerne ein bisschen – geht es bei uns nicht darum, ob die Anlage nun 2050 oder 2080 fertig wird, sondern um Projekte, die noch in dieser Dekade umgesetzt werden sollen. Die Politik erwartet von uns schnelle Lösungen zur sauberen Stromproduktion und zur CO2-Reduktion. Gleichzeitig steht der Personalabbau im Raum – das passt aus meiner Sicht nicht zusammen.

ne: Um eine Vorstellung von den Summen zu bekommen, über die wir hier reden: Wie hoch sind denn die Bundesfördermittel insgesamt für die Institute, die dem Erneuerbaren-Forschungsverbund FVEE angehören?

Reuter: Im Jahr 2022 haben die zuständigen Bundesressorts rund 1,5 Milliarden Euro in die Energieforschung investiert. Die Zahlen für 2023 dürften auf einem ähnlichen Niveau liegen. Etwa ein Viertel der Summe fließt in die Grundfinanzierung von Energieforschungseinrichtungen des Bundes, die übrigen drei Viertel entfallen auf über 7000 Forschungsprojekte an mehreren hundert Instituten, zu denen auch die 17 Mitglieder des FVEE gehören.

ne: Was bedeutet das für Ihr Institut?

Reuter: Bei uns im Iwes haben wir den bei Fraunhofer-Instituten üblichen Drittel-Drittel-Drittel-Mix: ein Drittel des Geldes stammt aus der Grundfinanzierung, ein Drittel aus Industrieerträgen und ein Drittel aus der Projektförderung. Um dieses letzte Drittel geht es jetzt bei den Einsparungen. Das Geld dafür kommt zu 90 Prozent vom Bund aus Berlin und zu zehn Prozent aus EU- oder Landesmitteln. Der Bundesbeitrag wiederum wurde in den letzten Jahren statt über die Ressortetats der verschiedenen, an der Energieforschung beteiligten Ministerien, verstärkt über den Klima- und Transformationsfonds geleistet. Deshalb treffen uns die geplanten Kürzungen darin nun besonders hart.

ne: Welche Forschungsbereiche werden speziell betroffen sein?

Reuter: Im Klima- und Transformationsfonds wurden vor einiger Zeit Untersektionen für konkrete Themen festgelegt, dazu gehören die Wasserstoffforschung, die Batteriespeicherforschung und die Transformation der Industrie. Über diese Mittel hat zum Beispiel das Bundesforschungsministerium einen Großteil der Wasserstoff- und Batterieforschung finanziert, was nun komplett wegzufallen drohte. Das haben die Ampelkoalitionäre meines Wissens nach aber auf ihrer Bereinigungssitzung Mitte Januar ein bisschen korrigiert. Es ist zu erwarten, dass die Einsparungen jetzt auf alle Energieforschungsfelder umgelegt werden, also beispielsweise auch auf die Windkraft.

ne: Können Sie hinter diesen scheinbar wahllosen Kürzungen eine Strategie erkennen?

Reuter: Ich bin definitiv nicht in der Lage, Ihnen das Vorgehen der Regierung zu erklären. Inhaltlich kann ich es nicht nachvollziehen. Das Problem ist, dass da drei verschiedene Parteien, die auch in anderen Bereichen nicht unbedingt eine konsistente Politik machen, plötzlich innerhalb von ein paar Wochen ziemlich viel Geld einsparen müssen und keinen langfristigen Plan haben. Stattdessen lavieren sie sich irgendwie durch. Ich bin ja schon eine ganze Weile im Forschungsbetrieb tätig und habe auch unter den Vorgängerregierungen bereits alle möglichen Überraschungen erlebt. Diese Richtungsänderungen waren im Ergebnis nicht unbedingt überzeugender, sahen aber planvoller aus, weil vorher mehr Zeit zum Überlegen war. Unter dem aktuellen Zeitdruck wirkt das Regierungshandeln besonders chaotisch.

ne: Welche Signale sendet das in die Forschergemeinde aus?

Reuter: Als Professor halte ich auch an der Uni Lehrveranstaltungen ab und bin so im direkten Austausch mit Studierenden. Deshalb kriege ich schon seit Jahrzehnten sehr genau mit, wie sich solche Regierungsaktionen auswirken. Ob die Entscheidungen der Politik beispielsweise mehr oder weniger windenergiefreundlich sind, hat direkten Einfluss auf meine Studierendenzahlen. Die Einsparmaßnahmen verunsichern die Leute stark, weshalb sie dann im Zweifel eher in andere Studiengänge abwandern, die krisenfester scheinen.

ne: Das heißt, der Mangel an Nachwuchskräften für die Energiewende verstärkt sich weiter...

Reuter: Die Gefahr ist groß. Es fehlt ja jetzt schon überall Fachpersonal. Im Windenergiebereich wissen wir gar nicht, wo wir all die Leute für unsere Projekte bis 2030 herkriegen sollen. Oft ist es nicht nur das mit politischen Sparmaßnahmen verbundene finanzielle Risiko, das junge Wissenschaftler abschreckt. Ein Problem ist auch das Gefühl von mangelnder Wertschätzung. Die Leute brennen schließlich für ihre Forschungsthemen. Und wenn Politiker dann um die Ecke kommen und ihnen suggerieren: ‚euer Thema ist uninteressant, das finanzieren wir nicht mehr‘, bricht nicht nur das Geld weg, sondern auch die Motivation. Im Zweifelsfall wandern die Leute dann dorthin ab, wo sie mehr Wertschätzung erfahren, in die Industrie oder in Forschungseinrichtungen im Ausland.

ne: Welche Rolle spielt die Industrie bei der Energieforschung in Deutschland. Könnte sie eventuell für die Wissenschaftseinrichtungen in die Bresche springen, wenn dort gespart werden muss?

Reuter: Nein, das sehe ich nicht. Es braucht immer die ganze Kette, von der Universitätslehre und der Grundlagenforschung über die angewandte Forschung bis zur Industrieentwicklung. Die Bereiche Grundlagen und angewandte Forschung sind sehr von Forschungseinrichtungen dominiert, wie sie bei uns im FVEE vertreten sind. Die Unternehmen leben davon, dass wir Problemlösungen liefern und mit neuen Ideen um die Ecke kommen, woraus sie dann ein Produkt machen können. Da kann man nicht einfach den Stecker ziehen und sagen: ‚Soll doch die Industrie das alleine machen.‘

ne: Aber könnte sich die Industrie angesichts der angespannten Haushaltslage nicht zumindest bei Kooperationsprojekten mit Wissenschaftseinrichtungen etwas mehr an der Finanzierung beteiligen als der Staat?

Reuter: Das Problem ist, dass das Geld in vielen Branchen knapp ist. Bei dem Preiskampf, der sich gerade bei Photovoltaikmodulen abspielt, sind etwa die PV-Unternehmen kaum in der Lage, den Ausfall an Bundesmitteln zu kompensieren. Sie nehmen die problematischen Forschungsrahmenbedingungen eher zum Anlass, ihrerseits aus Verbundprojekten auszusteigen. Ähnlich sieht es bei der Windenergie aus. Nicht nur Siemens Gamesa, das mit seinen schlechten Bilanzen zuletzt Schlagzeilen gemacht hat, ist in Bedrängnis, auch andere große deutsche Hersteller von Windkraftanlagen haben in den letzten Jahren kaum Geld verdient.

ne: Und wie sieht es im Wasserstoff-Sektor aus?

Reuter: Da befinden wir uns noch in einer extrem frühen Phase des Markhochlaufs. Alle Akteure versuchen sich gerade in Startposition zu bringen, aber bislang gibt es noch keine tragfähigen Geschäftsmodelle. Ich kenne kein einziges Wasserstoffprojekt, mit dem sich schon Geld verdienen lässt. Insgesamt befindet sich die Energiewende aus wirtschaftspolitischer Sicht gerade in unruhigen Fahrwassern. Probleme wie Risse in den Lieferketten und gestiegene Zinsen steigern generell die Kosten. Dass die Industrie unter diesen Bedingungen in irgendeinem Sektor für den Staat in der Forschung einspringen würde, halte ich für unrealistisch. Eher wäre das Umgekehrte nötig.

ne: Was meinen Sie damit?

Reuter: In wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie diesen würde ich bei einem Zukunftsthema wie der Energiewende eigentlich erwarten, dass von öffentlicher Seite mehr investiert wird, um sicherzustellen, dass wir mit neuen, kreativen Ansätzen und Produkten aus der Krise herauskommen.

ne: Wenn das nun aber nicht geschieht – für wie groß halten Sie den Schaden, der durch die Einsparungen in der Forschung angerichtet wird?

Reuter: Das kommt auf die Dauer der Maßnahmen an. Wenn das eine einmalige Nummer wäre und es ab nächstem Jahr wieder aufwärtsginge, würde sich der Schaden wahrscheinlich in Grenzen halten. Das Problem ist allerdings, dass die weltpolitische Lage und die industriepolitischen Entwicklungen eher auf eine langfristig schwierige Situation hindeuten. Ich glaube daher nicht, dass nächstes Jahr die Kassen wieder voll sein werden. Und wenn es noch zwei, drei Jahre so weitergeht, etwa bis nach der nächsten Bundestagswahl, dann hinterlässt das Spuren. Dann werden wir in wichtigen Bereichen wie der Batterieentwicklung oder der Wasserstoffwirtschaft, in denen sich die weltweite Konkurrenz gerade in Position bringt, an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

ne: Mit anderen Worten, wir werden international abgehängt...

Reuter: Noch ist es nicht so weit, aber die Gefahr besteht sehr deutlich. Dann spielt Deutschland in der zweiten Liga.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Der vollständige Text ist in Ausgabe 02/2024 von neue energie erschienen.


 

Andreas Reuter

leitet das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme Iwes und hat eine Professur für Windenergietechnik an der Leibniz Universität Hannover inne. Seit Dezember letzten Jahres ist der studierte Raumfahrtingenieur zudem Sprecher des Forschungsverbunds Erneuerbare Energien (FVEE). Der bundesweiten Kooperation gehören Forschungsinstitute aus allen Technologiefeldern der Energiewende an, von Speichern über Wind, Solar, Biomasse und Geothermie bis hin zu Systemtechnik und Netzmanagement.

 

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