Kann der Verkehrssektor mit grünem Wasserstoff klimaneutral werden? Das wäre eine feine Sache. Leider zeigt sich bei vielen Facetten der Mobilität, dass die Transformation mit diesem Energieträger schwierig oder gar unmöglich ist. Bisweilen erweisen sich sogar andere fossilfreie Antriebsarten als wirtschaftlicher.
In der Luft
Die Anzahl der Starts und Landungen an europäischen Flughäfen verdoppelt sich bis 2050, prognostizieren Airbus und Boeing. Damit würde der CO₂-Ausstoß des Luftverkehrs in Europa um knapp 60 Prozent zunehmen. „Mit den Klimazielen der EU sind die Wachstumsfantasien der Branche ganz und gar nicht vereinbar, solange die Maschinen Kerosin als Treibstoff verwenden“, sagt Jo Dardenne vom Inkank Transport & Environment (T&E). Es sei daher höchste Zeit, auch in der Luft auf nachhaltige Antriebe umzusteigen.
Dardenne plädiert für fossilfrei hergestellten, flüssigen Wasserstoff (LH₂). Die geringere Energiedichte von Wasserstoff im Vergleich zu Kerosin hat jedoch zur Folge, dass für die gleiche Energiemenge ein größeres Treibstoffvolumen nötig sei. Das verringert die Reichweite der Flugzeuge, da deren Tanks nicht beliebig groß sein können. Mit Wasserstoff betriebene Maschinen sind daher für Regional- und Kurz-, bedingt für Mittelstrecken geeignet. In Europa werden auf diesen Strecken allerdings rund 50 Prozent der CO₂-Emissionen des Luftverkehrs emittiert. Der Umstieg wäre also sinnvoll.
Billig wird er gleichwohl nicht. Laut einer T&E-Studie wären für Entwicklung und Betrieb des Wasserstoff-Luftverkehrs in Europa zwischen 2025 und 2050 Investitionen in Höhe von mindestens 300 Milliarden Euro nötig, mehr als 80 Prozent entfallen auf Erzeugung, Verteilung und Verflüssigung des Treibstoffs. Die LH₂-Flieger müssten zudem spätestens 2035 startklar sein, damit der Luftverkehr bis 2050 klimaneutral wird, wie es die Internationale Luftfahrtorganisation IATA in ihrer Net-Zero-Strategie festgeschrieben hat.
Die ersten LH₂-Maschinen von Airbus sollten tatsächlich 2035 ausgeliefert werden, doch im Februar ruderte das Unternehmen zurück und verschob das Projekt Zero E „um rund zehn Jahre“, wie Airbus-CEO Guillaume Faury sagte. Sein Rückzieher ist nachvollziehbar: „Allein am Flughafen Frankfurt würde so viel grüner Wasserstoff für die Flugzeuge gebraucht, dass man die Fläche von halb Deutschland mit Photovoltaik- oder Windkraftanlagen bebauen müsste, um den Treibstoff produzieren zu können“, hat Michael Liebreich berechnet, Finanzexperte bei Bloomberg NEF.
Dennoch will Airbus ab 2027 mit einer umgerüsteten A380 testen, ob mit Brennstoffzellen betriebene Antriebsaggregate besser taugen als Turbinen. Bis zur Serienreife könnten viele Jahre vergehen, sagt André Hess, Leiter des Instituts für Technische Thermodynamik beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart. „Es müssen völlig neue Architekturen und Strömungskanäle entworfen werden – und das braucht Zeit.“ Würden die Brennstoffzellen zu schwer, können sie „allenfalls stationär oder etwa in Lkws oder Zügen eingesetzt werden, nicht aber in Flugzeugen“. Vor Mitte des Jahrhunderts, schätzt der DLR-Forscher, werde grüner Wasserstoff in der Luftfahrt keine nennenswerte Rolle spielen.
Auf den Gleisen
Im Schienenverkehr könnte die Transformation schneller gelingen, da die nötige Antriebstechnik weitgehend vorhanden ist. Umstritten ist jedoch, ob der Einsatz von Wasserstoff in Zügen überhaupt sinnvoll ist: Die bislang vorhandenen H₂-Triebwagen sind sehr pannenanfällig, und die Versorgung mit Wasserstoff ist alles andere als sicher. Deshalb mussten die Eisenbahnen und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser (EVB) „für einige Monate wieder auf Dieseltriebwagen umsteigen, damit der Betrieb weitergehen konnte“, sagt EVB-Chef Christoph Grimm. Auch die Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) parkte ihre gerade erst gelieferten Brennstoffzellen-Züge direkt auf dem Abstellgleis, weil der Treibstoff fehlte. Und der Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) zog 18 der 27 Wasserstoff-Doppeltriebwagen der Taunusbahn aus dem Verkehr, weil Hersteller Alstom die Züge wegen technischer Probleme zurückgerufen hatte. Wann sie wieder einsatzbereit sein werden, ist unklar.
Relativ reibungslos fährt derweil der Wasserstoffzug der Bayerischen Regiobahn (BRB) durchs Allgäu. Er wird von DB Energie mit grünem Wasserstoff aus einem mobilen Elektrolyseur betankt. Doch der Freistaat will sich aus dem mit knapp vier Millionen Euro geförderten Projekt zurückziehen: Man setze künftig auf batteriebetriebene Züge, da deren Energieeffizienz besser und der Betrieb günstiger sei. In den norditalienischen Alpen will die Bahngesellschaft Trenord ab 2026 Wasserstoffzüge fahren lassen, „obwohl wir uns darüber im Klaren sind, dass der Elektrobetrieb wirtschaftlich sinnvoller wäre“, sagt Andrea Gibelli, Geschäftsführer bei FNM, der Muttergesellschaft von Trenord. Um die bislang mit Dieseltriebwagen befahrene Strecke Brescia – Iseo – Edolo fossilfrei zu machen, sei Wasserstoff „die einzige Option, da die Strecke durch 28 Tunnel führt, in denen wir keine Oberleitung verlegen können“. Auch das spanische Eisenbahnunternehmen Renfe gibt sich in Sachen Wasserstoffantrieb zuversichtlich. In drei Jahren hat ein Nahverkehrszug mit einem Fuel Cell Hybrid Powerpack (FCHP) mehr als 10.000 Kilometer auf dem iberischen Schienennetz zurückgelegt. Zurzeit wird das Projekt ausgewertet.
Auf der Straße
Haben Wasserstoffautos eine Zukunft? Gerade einmal 12.866 von ihnen wurden 2024 weltweit verkauft. In Europa konnten die Hersteller, namentlich Toyota und Hyundai, im vergangenen Jahr weniger als 750 dieser Fahrzeuge loswerden. Schuld an der schwachen Nachfrage sind laut den Marktforschenden von SNE Research die löchrige Tankstelleninfrastruktur, der hohe Fahrzeugpreis und die relativ schlechte Energiebilanz: Brennstoffzellen-Pkw verbrauchen rund ein Kilogramm Wasserstoff pro 100 Kilometer. Ein Elektroauto käme mit der Strommenge, die für die Produktion von einem Kilogramm grünem Wasserstoff nötig ist, immerhin knapp 300 Kilometer weit.
Tankstellenbetreiber überdenken daher ihr Geschäftsmodell. Im März baute H₂ Mobility die Zapfsäulen in Aachen, Bad Rappenau, Bonn, Flensburg, Geisingen, Heidelberg, Mönchengladbach, Neuruppin, Potsdam, Siegen und Ulm ab. Im Juni will das Unternehmen elf weitere Standorte schließen. Firmenchef Martin Jüngel begründet das Downsizing damit, dass sich die Nachfrage verschiebe: „Künftig werden immer mehr Nutzfahrzeuge und Busse bei uns tanken.“ Und die brauchen andere Zapfsysteme sowie eine auf die Abmessungen der Fahrzeuge abgestimmte Architektur. Dafür schaue man nun die passende Infrastruktur.
Drastischer reagiert der österreichische Kraftstoffkonzern OMV. Mangels Nachfrage und wegen hoher Betriebskosten, so heißt es aus Unternehmenskreisen, werde man im September alle Wasserstofftankstellen schließen. Dann wird es in Österreich keine öffentlich zugänglichen H₂-Zapfsäulen mehr geben. Vermissen dürfte sie freilich kaum jemand: Im März fuhren von den 5.241.602 in Österreich zugelassenen Pkw laut Statistik Austria nur 59 mit Wasserstoffantrieb. Andreas Indinger von der Österreichischen Energieagentur sieht in der OMV-Kehrtwende daher ein „Meeting mit der Realität“.
Auf dem Wasser
Bessere Chancen für grünen Wasserstoff gibt es in der Schifffahrt, das glaubt zumindest die italienische Werft Fincantieri. Sie baut derzeit in Ancona das weltweit erste Kreuzfahrtschiff mit Wasserstoffantrieb. Die für 1000 Passagiere ausgelegte „Viking Libra“ der Reederei Viking soll Ende 2026 zur Jungfernfahrt auslaufen. Angetrieben wird das 239 Meter lange Schiff elektrisch; den Strom erzeugt eine H₂-Brennstoffzelle mit sechs Megawatt Leistung. Rund 20.000 Kubikmeter grüner Wasserstoff passen laut Angaben der Werft in die Treibstofftanks im Rumpf. „Damit ist eine Reichweite von mehreren Tausend Seemeilen möglich, ohne unterwegs auftanken zu müssen“, sagt Fincantieri-Chef Pierroberto Folgiero. Ein zweites Wasserstoffschiff, die „Viking Astrea“, sei bereits in Bau und laufe 2027 vom Stapel; zwei weitere sollen folgen.
Zuversichtlich zeigte sich auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei der Taufe der „Laura Mærsk“ 2023 in Kopenhagen. Das von Hyundai gebaute Containerschiff der dänischen Mærsk Line kann mit einer Tankfüllung rund 6000 Seemeilen zurücklegen; als Treibstoff dient grünes Methanol. „Dank dieses Schiffes gelangen pro Jahr rund 2,75 Millionen Tonnen CO₂ weniger in die Atmosphäre“, freute sich von der Leyen, ließ aber unerwähnt, dass beim Verbrennen von Methanol erhebliche Mengen des Treibhausgases auf See emittiert werden – ein Nullsummenspiel.
Dass es besser geht, soll das sogenannte Hymethship-System beweisen, das von einem europäischen Konsortium entwickelt wurde, an dem unter anderem die Meyer Werft in Papenburg beteiligt ist. Es besteht aus einem Membranreaktor, einem CO₂-Abscheider, einem Speicher für CO₂ und grünes Methanol sowie einem Kolbenmotor, der den Wasserstoff verbrennt und für den Antrieb sorgt. Das Methanol wird an Bord zuvor in Wasserstoff umgewandelt, das dabei entstehende CO₂ wird im nächsten Hafen entladen und erneut zur Produktion von grünem Methanol genutzt. „Der geschlossene CO₂-Kreislauf ist eine sinnvolle Methode, um die Schifffahrt zu defossilisieren“, sagt Emil Vikjær-Andresen, Vorstand der Power-to-X-Sparte bei European Energy im dänischen Kassø. Wollte man jedoch die gesamte globale Handelsflotte mit grünem Methanol betanken, bräuchte man ungefähr viermal so viel erneuerbare Energie, wie derzeit weltweit erzeugt wird, sagt Vikjær-Andresen. „Da käme die Erneuerbaren-Branche vermutlich schnell an ihre Grenzen.“