Der Plan, den das Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP und Gravity Power entwickelt haben, klingt beim ersten Lesen zu gut, um wahr zu sein. Auf dem Gelände heutiger Kernkraftwerke sollen Speicher gebaut werden, die überschüssigen Wind- und Solarstrom aufnehmen, um ihn bei Bedarf wieder ins Netz einzuspeisen. Die Energiespeicher des US-Unternehmens Gravity Power arbeiten nach einem ähnlichen Prinzip wie Pumpspeicherwerke.
Das so genannte Gravity Power Module (GPM) kombiniert Technologien aus dem Bergbau, dem Tunnelbau und der Pumpspeicherindustrie zu einem neuen, in sich geschlossenen, unterirdischen Speichersystem: Es besteht aus einem 500 bis 800 Meter tiefen, mit Wasser gefüllten Schacht von zirka 80 Metern Durchmesser. In ihm lässt sich überschüssiger Strom in Form von Lageenergie speichern. Dazu wird mithilfe des Stroms ein massiver Kolben, der halb so lang ist wie der Schacht, hydraulisch nach oben gedrückt und dort fixiert.
Um die Energie später wieder freizusetzen, löst man den Kolben: Durch sein Eigengewicht senkt er sich langsam nach unten und drückt das Wasser durch eine Turbine zur Stromproduktion. Dafür muss der Kolben jedoch ein möglichst hohes Gewicht haben. An dieser Stelle kommt das Fraunhofer IBP ins Spiel. Die Forscher wollen ausnutzen, dass Atomkraftwerke überwiegend aus Beton bestehen, einem Material, das schwer genug wäre, um als Bausubstanz für den Kolben zu dienen. Allerdings müsste der radioaktiv belastete Beton dazu zunächst aufbereitet werden.
Per Blitzentladung fragmentiert
Bereits seit 2011 forscht das IBP an der so genannten elektrodynamischen Fragmentierung, einem Verfahren um Verbundmaterialien wie Müllverbrennungsschlacke, kohlefaserverstärkte Kunststoffe und Altbeton in ihre Bestandteile zu zerlegen und so wiederverwertbar zu machen. Das Verfahren beruht auf ultrakurzen elektrischen Entladungen. Sie können einen unter Wasser befindlichen Feststoff selektiv fragmentieren. Denn die Blitzentladung verläuft bevorzugt entlang der Phasengrenzen, also entlang der Grenzen zwischen den verschiedenen Komponenten des Verbundmaterials.
Die Druckwellen, die mit dem elektrischen Durchschlag verbunden sind, reißen die Substanz dann an dieser Stelle auseinander, sodass es in seine Bestandteile zerfällt. „Die Blitze suchen sich den Weg des geringsten Widerstands. Verkürzt man den Blitz zeitlich auf unter 500 Nanosekunden, nimmt er nicht länger den Weg durch das Wasser, sondern durch den darin befindlichen Verbundstoff“, erklärt Christof Karlstetter, Leiter der Gruppe „Betontechnologie“ am Fraunhofer IBP.
Im Gegensatz zu mechanischen Zerkleinerungsverfahren verläuft die elektrodynamische Fragmentierung vollkommen staubfrei – ein Umstand, der beim Abbau radioaktiv belasteter Anlagen von großer Bedeutung ist. Bislang muss der beim Rückbau kerntechnischer Anlagen anfallende Schutt mühsam abtransportiert und je nach Strahlenbelastung in Endlagern beziehungsweise auf herkömmlichen Deponien entsorgt werden. Im Schnitt liegt die Altbetonmenge pro stillgelegtem Atomkraftwerk in Deutschland bei 500 000 Tonnen. Rund ein Drittel des Materials ist mittel bis stark radioaktiv verseucht und eignet sich daher nicht zur Zweitverwertung.
Der größte Teil der Abfälle ließe sich jedoch säubern und wieder zu Beton verarbeiten. Es sei deshalb durchaus naheliegend, daraus direkt auf dem Gelände des ehemaligen AKW Kolben für Speicherkraftwerke zu formen, begründen die Fraunhofer-Forscher ihre Idee. Derzeit entwickeln die Wissenschaftler eine Testanlage in größerem Maßstab. Während das bisher eingesetzte Laborsystem nur kleine bis mittlere Verbundstoffbrocken in einem mit Wasser gefüllten Zylinder elektrodynamisch zerkleinert, soll die Testanlage bis zu vier Tonnen Abrisssubstanz pro Stunde in die jeweiligen Einzelbestandteile zerlegen.
Umweltschützer sind skeptisch
Experten von Greenpeace betrachten die Technik jedoch skeptisch. „Die Zerkleinerung der Betonhülle ist nicht das Problem“, sagt Heinz Smital, Kernphysiker und Atomspezialist der Umweltorganisation. Die Hauptschwierigkeit beim AKW-Rückbau bilde die nach wie vor ungelöste Frage der Endlagerung des hochradioaktiven Materials. „Und die Entsorgung des stark belasteten Materials lösen wir mit dem neuen Verfahren nicht“, gibt Smital zu bedenken.
Solange die Fragen rund um die Endlagerung nicht abschließend beantwortet seien, gebe es daher Dringlicheres, als neue Aufbereitungs-Technologien zu erproben, findet Smital. Bei Gravity Power und dem Fraunhofer IBP ist man dennoch von Nutzen und Machbarkeit der Alternativ-Technik überzeugt. „Für uns sprechen die klaren Vorteile auf der Umweltseite und unser umsetzungsreifes technisches Konzept“, sagt Horatio von John. Christof Karlstetter pflichtet ihm bei: „Unser Verfahren eignet sich auch für den Einsatz an stark- oder mittelstark radioaktiv belasteten Verbundstoffen. Wenn wir es schaffen, dieses Materialien besser voneinander zu trennen, ergeben sich auch neue Kostensenkungspotenziale bei der Endlagerung.“
Dies ist eine gekürzte Version des Artikels – den ausführlichen Text finden Sie in der Ausgabe 02/2014 von neue energie.