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Nicht-Fliegen ist der Joker

Reiche verursachen doppelt so viele Emissionen wie arme Haushalte, zeigt eine Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Das hat vor allem einen Grund.
Von:  Joachim Wille
09.07.2024 | 4 Min.
Startende Flugzeuge in Frankfurt
Startende Flugzeuge in Frankfurt
Foto: Daniel Kubirski/picture alliance

Für eine Flugreise von Frankfurt nach Berlin und zurück werden pro Kopf 282 Kilogramm des Treibhausgases CO2 in die Atmosphäre gepustet, beim Ziel New York sind es 3,65 Tonnen und bei Rio de Janeiro sogar 6,26 Tonnen. Diese Werte zeigt der Emissionsrechner der Klimaschutz-Organisation Atmosfair. Damit wird klar: Wer sich in den Jet setzt, erhöht damit seine persönliche Treibhausgas-Bilanz deutlich. Beispiel: Einmal New York verursacht mehr CO2 als im Schnitt pro Kopf im Jahr fürs Wohnen anfällt, also für Strom, Heizen und Warmwasser. Und sogar mehr als doppelt soviel, wie die Ernährung erfordert.

Fliegen ist die klimaschädlichste Fortbewegungsart, das ist altbekannt. Wie stark es die persönliche Treibhausgas-Bilanz inzwischen beeinflusst, macht eine neue Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin deutlich. Ein Grund ist, dass die CO2-Belastungen in anderen Bereichen deutlich sinken, wie etwa beim Stromverbrauch durch zunehmende Umstellung auf Wind- und Solarenergie, während der Verkehrssektor hier nicht Schritt hält. Und da Haushalte mit hohem Einkommen mehr Flugreisen unternehmen, vergrößert dies den „CO2-Fußabdruck“ dieser Gruppe deutlich. Im Unterschied dazu macht das Einkommen beim Wohnen und bei der Ernährung in der Klimabilanz kaum einen Unterschied, so das DIW.

Für die Berechnung wurde der Pro-Kopf-CO2-Fußabdruck von Privathaushalten in den Bereichen Wohnen, Ernährung und Mobilität berechnet, der in Summe knapp ein Drittel der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland ausmacht. Danach verursachen die Menschen hierzulande im Schnitt 6,5 Tonnen CO2 pro Jahr. Allerdings haben Menschen aus den einkommensstärksten Haushalten dabei mit 10,1 Tonnen einen fast doppelt so großen CO2-Fußabdruck wie Menschen aus Haushalten mit niedrigen Einkommen, die auf 5,6 Tonnen pro Kopf kommen. Und es zeigt sich eben: „Der größte Treiber des Unterschieds ist die Mobilität.“

Kaum Unterschiede bei Wohnen und Ernährung

Für Ihre Untersuchungen haben die DIW-Forscherinnen Sandra Bohmann und Merve Kücük aktuelle Vorabdaten aus dem Sozio-Oekonomischen Panel (SOEP) ausgewertet, die im letzten Jahr erhoben wurden. Das SOEP läuft seit 1984, aktuell werden dazu jedes Jahr rund 30.000 Befragte in 15.000 Haushalten vom Umfrageinstitut infas befragt.

„Ob arm oder reich: Unser CO2-Fußabdruck ist auf jeden Fall zu groß“, kommentierte Kücük. Der CO2-Schnitt von 6,5 Tonnen pro Jahr liegt deutlich über den als klimaverträglich eingestuften Werten. Der Forscherin zufolge müssten hierzulande schon bald drei Tonnen erreicht werden, um noch im Zwei-Grad-Pfad der Erderwärmung zu liegen. Das bedeutet allerdings auch, dass reiche Haushalte deutlich stärker als arme zur CO2-Einsparung beitragen müssen. Langfristig ist laut der Klimaforschung sogar ein Emissionsniveau von ein bis zwei Tonnen pro Kopf anzustreben.

Interessanterweise spielt laut DIW die Höhe des Haushaltseinkommens für die Emissionen im Bereich Wohnen und Ernährung kaum eine Rolle. In der Regel verursachen bessergestellte Menschen beim Wohnen danach sogar etwas weniger Emissionen als Menschen mit niedrigen Einkommen. Grund: Sie leben häufiger in energieeffizienteren Gebäuden, Ärmere hingegen meist in unsanierten Wohnungen. Bei der Ernährung ist laut der Analyse vor allem der Fleischkonsum entscheidend. Wer kein Fleisch isst, verursacht in diesem Sektor nur 1,2 Tonnen Treibhausgas-Emissionen pro Kopf und Jahr, bei mäßigem bis hohem Fleischkonsum sind es 1,6 bis 2,1 Tonnen.

Umweltfreundliche Produkte sind teurer

Kücük rät, um den CO2-Fußabdruck effektiv zu senken, vor allem „weniger zu fliegen und öffentliche Verkehrsmittel zu bevorzugen“. „Auch durch gemeinsames Wohnen lassen sich viele Emissionen sparen. Zudem kann man vielleicht einmal pro Woche auf Fleisch verzichten“, sagte sie. Das mache schon einen Unterschied aus.

Eine zweite DIW-Studie zeigte unterdessen, das ärmere Haushalte sich umweltfreundlichen Konsum oft gar nicht leisten können. So sind laut der Erhebung rund 20 Prozent der Bürgerinnen und Bürger finanziell nicht in der Lage, Grundbedürfnisse mit nachhaltigen Produkten zu decken – wobei die Preisdifferenz zwischen „normalen“ und Ökoprodukten hierzulande im Schnitt 17 Prozent beträgt.

Die Studienautorin, DIW-Ökonomin Sonja Dobkowitz, sieht den Staat damit in einem Dilemma: „Er will einerseits klimagerechtes Verhalten fördern, andererseits damit verbundene größere Unterschiede zwischen armen und reichen Haushalten abmildern.“ Um die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt nicht zu schmälern, plädiert sie dafür, die richtige Balance zwischen Umverteilung etwa durch Erhöhung der Einkommensteuer und Umweltabgaben wie dem CO2-Preis zu finden.

 

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