Im Jahr 2024 lag die globale Temperatur laut der Weltwetterorganisation erstmals durchschnittlich 1,55 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Damit ist die symbolische 1,5-Grad-Grenze eine real gemessene Schwelle, die überschritten wurde. Was nun auf dem Spiel steht, zeigt eine Umfrage des britischen Onlinemagazins Carbon Brief unter 26 renommierten Klimaforschenden.
Die größte Sorge gilt dem Amazonasregenwald. Der Meteorologe Carlos Nobre warnt: „Der Regenwald ist ein sehr gefährlicher Kipppunkt, weil sein Absterben bis 2100 etwa 250 Milliarden Tonnen CO₂ freisetzen könnte – das würde es unmöglich machen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.“ Der Regenwald ist durch den Klimawandel und zugleich durch Abholzung bedroht. Schon jetzt seien 18 Prozent zerstört, sagt Nobre. Wenn die Abholzung 20 bis 25 Prozent erreicht oder die globale Erwärmung auf 2 bis 2,5 Grad steigt, drohe der Wald zu sterben, was die Erwärmung weiter beschleunigen würde.
Auch das Abtauen der arktischen und antarktischen Eisschilde sowie das Auftauen der Permafrostböden gelten als hochriskant. Hinzu kommt die mögliche Abschwächung der Atlantischen Meridionalen Umwälzströmung (AMOC), die Europa mit heftigen Klimaumbrüchen treffen würde. Klimatologin Gabi Hegerl von der Universität Edinburgh richtet den Blick auf Kipppunkte, die Mensch und Natur zugleich betreffen: „Ich sorge mich besonders um das Überschreiten von Schwellenwerten für Hitze oder Dürre, was sich auf die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln, die Lebensgrundlagen und die Ökosysteme auswirkt.“ Die Folgen wären großflächige Waldbrände, das Absterben von Korallenriffen und die Destabilisierung der globalen Landwirtschaft.
Um das Zwei-Grad-Ziel noch zu erreichen, müssten der Exponential Roadmap Initiative zufolge die weltweiten Emissionen ab sofort alle fünf Jahre halbiert werden. Eine Herkulesaufgabe, die nur durch den konsequenten Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas zu bewältigen ist. Darum wird bei der Weltklimakonferenz COP 30 gerungen, die Mitte November in der brasilianischen Amazonasregion in Belém stattfindet. Auf der Agenda stehen Klimagerechtigkeit, der Schutz des Regenwalds sowie die Rechte indigener Völker. Deren brasilianischer Dachverband Articulação dos Povos Indígenas do Brasil (Apib) hat Anfang August einen eigenen Klimaschutzplan vorgestellt. Apib-Chef Kléber Karipuna fordert, dass die Vorschläge zur Abgrenzung indigener Territorien und zum Erhalt ihrer Artenvielfalt „in die Selbstverpflichtungen Brasiliens aufgenommen werden, da es die Verantwortung des Staates ist, gegen die Klimakrise vorzugehen“.
Die Glaubwürdigkeit des Gipfels ist indes umstritten, etwa weil der brasilianische Ölkonzern Petrobas teilnimmt, der seine Förderung bis 2030 im Amazonasgebiet weiter ausbauen will. Weitere fossile Akteure sind ebenfalls vertreten. Belém könnte so zum Wendepunkt werden – oder zum Symbol verpasster Chancen.