In einer Kiste neben der Kasse im Gemüseladen liegt ein struppiges grünes Kraut. „Die Chefin will testen, wie das ankommt“, erklärt die Verkäuferin. Die knackigen Stängel schmecken leicht salzig. Sie werden beispielsweise aus Holland importiert und sind in deutschen Läden selten und teuer. Für die Lebensmittelforscherin Monika Schreiner ist dieses Kraut ein Essen der Zukunft. Es heißt Queller und ist eine Salzpflanze. Sie wächst wild im Schlick der Nordseeküste und könnte künftig auch in ausgedienten U-Bahn-Tunneln deutscher Großstädte gedeihen.
Daran forschen Monika Schreiner und ihre Kolleginnen und Kollegen im Verbundprojekt „food4future – Nahrung der Zukunft (f4f)“, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Sie entwickeln nachhaltige, ressourcensparende Anbaukonzepte für gesunde Lebensmittel. Dazu gehören die Salzpflanze Queller, Makroalgen – auch Tange genannt –, Grillen und Quallen.
„Ein Vorteil ist, dass Makroalgen und Salzpflanzen in Salzwasser kultiviert werden können“, sagt Schreiner, die stellvertretende wissenschaftliche Direktorin des Leibniz-Instituts für Gemüse- und Zierpflanzenbau Großbeeren ist und das Projekt koordiniert. Auch die Qualle Cassiopea andromeda, die in Mangrovenwäldern vorkommt, lebt im Salzwasser. Insekten kommen ebenfalls mit sehr wenig Süßwasser aus. Und: Alle diese Organismen brauchen relativ wenig Platz.
Trockene Böden, fragile Lieferketten
In ihrem Projekt gehen die Forscher von einem Zukunftsszenario „No land, no trade“ aus. Sie nehmen an, dass Ackerböden verlorengehen, weil die Trockenheit Böden versalzen lässt und Flächen für eine wachsende Weltbevölkerung gebraucht werden. Zugleich hat die Corona-Pandemie gezeigt, wie fragil Lieferketten sind. Deutschland ist vor allem bei Gemüse und Obst stark von Importen abhängig.
Food4future will einen Teil der Nahrungsproduktion dahin bringen, wo die meisten Menschen leben – in die Städte. „Wir haben viel mehr ungenutzte Räume in der Stadt, als wir glauben“, sagt Monika Schreiner. Das können Industriebrachen sein, ausgediente U-Bahn-Tunnel oder ehemalige Flughafengebäude. Dort könnten die Gewächshäuser und Ställe der Zukunft stehen. Diese sogenannten Indoor-Produktionssysteme sind Leichtbau-Röhren aus nachhaltigen Materialien wie mit Flachs verstärkten oder recycelten Werkstoffen. Heizelemente regulieren die Temperatur, LED-Leuchten liefern das Licht.
Die Pflanzen und Tiere bauen Biomasse mit relativ geringen natürlichen Ressourcen auf. Die genügsame Mangrovenqualle etwa kann Licht nutzen, um Protein zu erzeugen. Sie hat dabei Helfer, Algen, die in ihren Tentakeln leben, Photosynthese betreiben und ihrem Wirt Energie liefern. Die Quallen bestehen zwar zu über 90 Prozent aus Wasser – aber ihre Trockenmasse ist reich an Eiweiß, Mineralstoffen und ungesättigten Fettsäuren. Algen- und Salzpflanzen liefern unter anderem für die Gesundheit wichtige Mikronährstoffe, Grillen Eiweiß. Die Umweltbedingungen in den künstlichen Lebensräumen werden so gestaltet, dass die Organismen bestimmte gesundheitsfördernde Stoffe verstärkt bilden.
Pasta mit Quallen
Die Forschenden haben Prototypen ihrer Produktionssysteme gebaut und wollen sie so weiter entwickeln, dass Unternehmen sie auf den Markt bringen können. Sie planen dafür eine Verlängerung ihres Projekts und hoffen auf erneute Förderung. Es geht nun vor allem darum, große Mengen zu produzieren. Allerdings gibt es auch noch rechtliche Hürden zu nehmen: Quallen sind in der EU bisher nicht als Nahrungsmittel zugelassen.
Entscheidend für den Erfolg ist letztlich der Test an der Ladentheke. Dafür wurden potenzielle Konsumenten online gefragt. „Die Leute können sich derzeit kaum vorstellen, dass man Grillen und Quallen als Ganzes verzehrt“, sagt Monika Schreiner. „Aber in verarbeiteter Form in herkömmlichen Lebensmitteln wie Brot oder Pasta ist es für viele denkbar.“ Deshalb sollen vor allem die Inhaltsstoffe der Organismen gewonnen und weiterverarbeitet werden. Teurer soll das Essen dadurch nicht werden, so Schreiner. „Wenn unser Indoor-Kultivierungssystem etabliert ist, sehe ich keinen Grund, warum Makroalgen oder Salzpflanzen beispielsweise teurer sein sollten als herkömmliches Gemüse.“
Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 12/2023 von neue energie mit dem Themenschwerpunkt Klimaanpassung.