Wasserstoff soll die Lücken bei der Energiewende füllen. Das Gas wird deshalb künftig in großen Mengen gebraucht – und dafür benötigt Deutschland umfassende Speichersysteme. Grundsätzlich kommen verschiedene Lagerstätten infrage. Seit Längerem untersuchen Wissenschaftler zu diesem Zweck zum Beispiel erschöpfte Erdgas-Felder und Grundwasserleiter, sogenannte Aquifere.
Nun zeichnet sich ab, dass eine dritte Speicherart besonders gut geeignet sein könnte: Salzkavernen, also künstliche Höhlen in natürlichen Salzformationen. Dem norddeutschen Energieversorger EWE ist unlängst gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in einem Pilotversuch der Nachweis gelungen, dass die Einlagerung von Wasserstoff in einem solchen unterirdischen Speicher gut funktioniert und im Prinzip sicher ist. Ein weiterer Pluspunkt: Der Reinheitsgrad des Wasserstoffs verändert sich durch die Speicherung in einer neu errichteten Salzkaverne nur minimal. EWE spricht von einem „weiteren Meilenstein“ auf dem Weg zu einer bedarfsgerechten und praxistauglichen Wasserstoff- Speicherung. Als nächstes sollen die Erkenntnisse auf den Bau von Großanlagen übertragen werden.
Puffer gegen Stromschwankungen
Die verlässliche Speicherung der energiereichen Wasserstoff-Moleküle spielt für die zukünftige Erneuerbaren-Welt eine entscheidende Rolle. Denn dem Wasserstoff kommen in diesem Energieszenario gleich mehrere Funktionen zu. Einmal geht es darum, Schwankungen zwischen Stromerzeugung und -nachfrage auszugleichen, etwa während der berüchtigten Dunkelflaute, in der kein oder nur wenig Sonnen- und Windstrom produziert wird. Erneuerbare Elektrizität wird für diesen Fall vorher per Elektrolyse in Form von Wasserstoff „gebunkert“ und bei Bedarf in Gaskraftwerken rückverstromt. Ebenfalls wichtig ist die Steigerung der Versorgungssicherheit für andere H2-Anwendungen, beispielsweise in der Stahl- oder Chemieindustrie. Die Speicher fungieren dann als Puffer für den Fall, dass Importe des Gases schwanken oder möglicherweise sogar zeitweise ausfallen.
Getestet wurde die Wasserstoff-Speicherung in einer 500 Kubikmeter umfassenden, etwa Einfamilienhaus-großen Kaverne, die EWE in einem Salzstock nahe Rüdersdorf bei Berlin bauen ließ. Das Forschungsprojekt (Kürzel: HyCAVmobil) lief bereits 2019 an, zum ersten Mal befüllt wurde die Kaverne im Herbst 2023. Das Volumen des künstlichen Hohlraums umfasst sechs Tonnen Wasserstoff, den Industriegas-Hersteller per Lkw anlieferten. Zur Einordnung: Sechs Tonnen reichen aus, um 1000 Brennstoffzellen-Pkw vollzutanken.
Erster Test erfolgreich
Die Tests dauerten etwa ein Jahr. Dabei konnte das Forscherteam EWE zufolge nachgeweisen, dass die Kavernenbohrung bis auf 1000 Meter Tiefe dicht ist. Zwischenzeitlich aufgetretene Probleme bei Stahlrohrleitungen seien lokalisiert und behoben worden. Während der Probephase wurden laut dem Unternehmen unterschiedliche Ein- und Ausspeicherszenarien mit verschiedenen Druckänderungen umgesetzt. Mal speichere ein Kunde „wenig und mal mehr Wasserstoff ein, mal wird weniger und mal mehr Wasserstoff für Anwendungen benötigt“, erläuterte Projektleiter Hayo Seeba. Dies alles müsse sich sicher bewältigen lassen.
Außerdem ging es in Rüdersdorf darum zu messen, wie viel Feuchtigkeit der Wasserstoff untertage aufnimmt und wie die nachgeschaltete Trocknungsanlage eingestellt werden muss. Mittels Drucksensoren und Glasfaserkabeln wurden Temperaturen und Druckverhältnisse in der Kaverne lückenlos überwacht, was kontinuierliche Messreihen möglich machte. Die Erfahrungen mit der Qualität des wieder entnommenen Wasserstoffs waren gut. Das Gas muss möglichst wenig verunreinigt sein, vor allem, wenn es in Brennstoffzellen zur Stromproduktion verwendet wird, um etwa Elektromotoren in Pkw, Lkw oder Schiffen anzutreiben. Diese „zentrale Forschungsfrage“ könne nach dem Test „in dieser Konfiguration“ positiv beantwortet werden, sagte DLR-Experte Alexander Dyck. Eine einfache „Aufreinigung“ reiche für die weitere Nutzung aus.
Übergang zu Großspeichern
Die Erkenntnisse aus den Versuchen überträgt der Energieversorger, der seinen Sitz im niedersächsischen Oldenburg hat, nun auf Salzkavernen mit dem 1000-fachen Volumen der Testanlage. „Unser Ziel ist es, großtechnische Kavernen zur Wasserstoff- Speicherung zu etablieren“, sagte EWE-Vorstandschef Stefan Dohler kürzlich auf einer Pressekonferenz in Rüdersdorf. Damit werde grüner Wasserstoff in großen Mengen lagerbar und flexibel einsetzbar. „Mit dem Nachweis der sicheren Wasserstoff-Speicherung sind wir einen großen Schritt in Richtung Klimaschutz und Versorgungssicherheit mit erneuerbaren Energien vorangekommen“, bekundete Dohler.
Das Oldenburger Unternehmen will in dem neuen Geschäftsfeld ein wichtiger Player werden. EWE besitzt bereits 37 Salzkavernen, die derzeit für Erdgas genutzt, aber umgerüstet werden können. Nach Firmenangaben sind das mehr als 15 Prozent aller deutschen Kavernenspeicher, die sich für Wasserstoff eignen. Im nächsten Schritt will EWE den Umbau einer Kaverne in Huntorf in der Wesermarsch vorantreiben, die H2-Speicherung könnte dort dann in drei bis vier Jahren beginnen.
Auch bei diesem Projekt muss EWE Pionierarbeit leisten, und zwar beim Thema H2-Reinheit. Das bisher in der Kaverne befindliche Erdgas kann nämlich nicht komplett aus dem Speicher herausgeholt werden, und so gilt es, eine Lösung für mögliche Verunreinigungen des H2 zu finden. Das Huntorf-Projekt ist Teil des vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Großvorhabens „Clean Hydrogen Coastline“ (Sauberer Wasserstoff an der Küste), das Erzeugung, Speicherung, Transport und Nutzung von grünem Wasserstoff – vor allem in der Industrie – zusammenbringt.
Genug Lagerplatz vorhanden
Erdgasspeicher gibt es heute fast in allen Bundesländern. Besonders konzentriert finden sie sich südöstlich von München, in Niedersachsen sowie im Dreiländereck Hessen/Rheinland-Pfalz/Baden-Württemberg. Insgesamt sind es knapp 50 Stück. Das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität Köln (EWI) hat in einer Analyse 2024 ermittelt, dass sich ein Großteil der nötigen H2-Speicherung über deren Umrüstung abdecken ließe, allerdings nicht alles. Es könne sich „ein Neubaubedarf ab spätestens 2040 ergeben“, heißt es in dem Papier.
Bisher ist die Herstellung von grünem Wasserstoff noch nicht in großem Stil angelaufen, die Kapazitäten sind erst im Aufbau. Fachleute erwarten jedoch, dass in Deutschland bis 2030 ein H2-Speicherbedarf von bis zu drei Terawattstunden entstehen und bis 2045, dem deutschen Zieldatum für die Klimaneutralität, auf 104 Terawattstunden ansteigen könnte. Zum Abgleich: Die vorhanden Erdgasspeicher haben ein Volumen von zusammen 24 Milliarden Kubikmetern, was rund 270 Terawattstunden entspricht. Allerdings sind die Kapazitäten wegen der deutlich niedrigeren Dichte von Wasserstoff gegenüber Erdgas nicht direkt vergleichbar.
Geplant ist auch eine Einbindung von grünem Wasserstoff in zukünftige internationale Netzwerke. Deutschland arbeitet dabei gemeinsam mit Dänemark und den Niederlanden an grenzüberschreitenden Speicher- und Transportsystemen. Das europäische „Wasserstoff-Backbone“, ein Konzept für ein europaweites Leitungsnetz, sieht vor, bestehende Gasinfrastrukturen für H2 umzurüsten. Laut Experten soll bis 2030 ein Grundnetz verfügbar sein, das alle großen Speicherstandorte einbindet.
Aufbewahrungskosten variieren
Wichtig sind bei der Wasserstoff-Lagerung natürlich die Kosten. Sie variieren je nach Größe der Kavernen und ihrer Betriebsweise, also der Zyklenzahl von Befüllung und Entladung. Konkret: Wird das Gas sehr häufig vollständig ein- und ausgespeichert, wären es nur 0,45 Euro pro Kilo H2, bei geringer Auslastung aber bis zu 3,50 Euro. Bei künftig erwarteten Wasserstoff-Produktionskosten von drei bis vier Euro pro Kilo, wie sie in einer weiteren EWI-Analyse ermittelt wurden, kann das ein relevanter Faktor sein.
Das Kölner Institut empfiehlt der Bundesregierung, möglichst schnell Ausbauziele für die H2-Speicherung festzulegen und einen rechtlichen Rahmen für den Neubau von Kavernen zu schaffen, um die nötigen Investitionen abzusichern. Planung und Bau eines Speichers könnten nämlich bis zu zehn Jahre dauern, die Umrüstung einer Erdgas-Anlage bis zu fünf Jahre. Gedanken müsse die Politik sich auch darüber machen, wie ein kostendeckender Betrieb der Speicher möglich wird, sagte EWI-Experte Jan Hendrik Kopp. Sollte sich das Be- und Entladen nicht am Markt refinanzieren lassen, müssten „alternative Finanzierungsmodelle diskutiert werden“ – etwa eine Vergütung des aus Kopps Sicht „hohen Systemwerts“ der Speicher für die gesamte Energieversorgung.
Insgesamt sieht das Kölner Institut bei der Wasserstoff-Speicherung eine Chance für den Standort Deutschland: Die Bundesrepublik habe dank ihrer umfangreichen Erdgasspeicher-Kapazitäten und der großen Potenziale für Salzkavernen gute Ausgangsbedingungen, sie könne „in Europa ein zentraler Standort für die Wasserstoff-Speicherung werden“.
Erdgas-Lager und Aquifere als Speicher
Ob neben Salzkavernen auch erschöpfte Erdgas-Lager sowie Aquifere zur Aufbewahrung dienen sollen, ist noch offen. Beide Optionen bieten spezifische Vorteile, in beiden Fällen gibt es jedoch besondere technische und ökologische Herausforderungen. Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (Isi) aus dem Jahr 2023 kommt zu dem Schluss, dass die Nutzung der alten Erdgaslager billiger sei als der Neubau von Salzkavernen, während Aquifere nur in Ausnahmefällen eine wirtschaftlich sinnvolle Alternative darstellten.
Das Plus der Erdgas-Lager: Sie verfügen über große Speicherkapazitäten und könnten relativ schnell für Wasserstoff umgerüstet werden, da sie bereits an bestehende Gasinfrastrukturen angeschlossen sind. Allerdings stellen Rückstände des vorher gelagerten Erdgases ein Problem dar, da sie den Reinheitsgrad des gespeicherten Wasserstoffs beeinträchtigen und zusätzliche Aufbereitungsmaßnahmen erfordern können. Auch muss erst nachgewiesen werden, dass die Lagerstätten für Wasserstoff langfristig dicht sind; das H2-Molekül ist schließlich wesentlich kleiner und damit leichter flüchtig als Erdgas-Moleküle.
Aquifere, also poröse Gesteinsschichten, die mit Wasser gefüllt sind, bieten ebenfalls großes Potenzial für die Speicherung. Der Wasserstoff wird dabei in die Poren eingelagert, wobei das vorhandene Wasser als Druckpuffer dient. Das Problem: Diese Speicherform ist noch weniger erprobt als Kavernen oder Erdgas-Lager und birgt das Risiko chemischer Reaktionen zwischen Wasserstoff und den im Wasser oder Gestein vorhandenen Substanzen.
Politische Impulse nötig
Fachleute bewerten beide Speicherformen als mögliche Ergänzung zu Salzkavernen, vor allem in Regionen, in denen keine passenden Salzformationen verfügbar sind. In einem zukünftigen Wasserstoff-Netz könnten demnach beide Alternativen eine wichtige Rolle spielen, insbesondere, um saisonale Schwankungen zu decken. Die Bundesregierung fördert derzeit mehrere Forschungsprojekte zur Bewertung dieser Lagerungsvarianten. Ziel ist es, die technische Machbarkeit, die Kosten sowie die Umweltverträglichkeit umfassend zu analysieren, bevor größere Investitionen getätigt werden.
In jeden Fall wird die Wasserstoff-Speicherung kein Selbstläufer. EWE-Chef Dohler machte in Rüdersdorf deutlich, dass es schnell Klarheit über die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Finanzhilfen für die Speicher geben müsse. Es brauche wie beim Wasserstoff-Leitungskernnetz, das deutschlandweit eingerichtet werden soll, „eine Art Anschubunterstützung“, sagte er. Aktuell entwickle man im Unternehmen Konzepte zur Umrüstung mehrerer Gasspeicher und zu deren Anschluss an das Kernnetz. Wenn der politische Rahmen stehe, würden Investitionsentscheidungen zügig getroffen. Ein Job, den die nächste Bundesregierung damit jetzt schon im Pflichtenheft stehen hat.