neue energie: Damit Deutschland bis 2045 klimaneutral ist, braucht es sehr viel mehr Wind- und Solarparks. Dafür wiederum sind Tausende Kilometer neuer Leitungen nötig, wobei der Netzausbau schon seit Jahren nur schleppend vorankommt. Wie stellt sich das Thema in Schleswig-Holstein dar?
Christian Andresen: Es gibt etliche Hürden, angefangen bei den Kosten. Nur ein Beispiel: Wer noch vor drei Jahren einen Windpark mit einer Leistung von weniger als 20 Megawatt errichten wollte, musste das dafür nötige Umspannwerk nicht selbst bauen. Das ist mittlerweile geändert worden, der Projektträger muss nun selbst für die Errichtung des Trafos und die Leitungen aufkommen. Außerdem werden die Distanzen zwischen den Netzanschlusspunkten und den Windparks ständig größer. Gerade aufgrund der hohen Teuerungsraten der vergangenen beiden Jahre führt das in Summe zu deutlich höheren Kosten für die Errichtung von Erneuerbaren-Kraftwerken.
ne: Wobei wohl in den meisten Fällen ins Verteilnetz eingespeist wird?
Andresen: Richtig. Dort wo das nicht möglich ist und der Anschluss ans 380-KV-Übertragungsnetz erfolgt, entstehen nochmals höhere Kosten. Im Vergleich zum Verteilnetzanschluss geht es um den Faktor zwei bis drei.
ne: Muss bei der Planung der Erneuerbaren-Kraftwerke wegen der Netzthematik mit Verzögerungen gerechnet werden?
Andresen: Bis zum Jahr 2030 sollen in Schleswig-Holstein 15 Gigawatt Wind an Land installiert sein, bislang ging es um zehn Gigawatt bis 2025. Die neuen Standorte sind aber noch nicht ausgewiesen. Je länger die Landesplanung dafür braucht, desto größer wird das Netzanschlussproblem. Aus meiner Sicht sind aber auch die zuständigen Abteilungen der Netzbetreiber völlig überlastet. Allein für die Antwort auf einen Erstantrag muss mit mehreren Monaten gerechnet werden. Es fehlt schlicht an Personal. Auch wenn die Windenergieanlagen einmal errichtet sind, bleibt die Kommunikation mit den Netzbetreibern oft ein Problem. Noch dramatischer sieht es im Solarbereich aus.
ne: Bitte erläutern Sie das.
Andresen: Allein im Gebiet der Schleswig-Holstein Netz AG liegen Voranfragen für einen Netzanschluss von Solarprojekten mit einem Gesamtvolumen von 15 Gigawatt vor. Installiert sind in Schleswig-Holstein bislang Solaranlagen mit 2,3 Gigawatt. Es ist klar, dass diese Situation die personellen Engpässe verschärft. Hinzu kommt aber, dass der Netzbetreiber mitgeteilt hat, es seien derzeit für den Anschluss neuer Solaranlagen nur Leitungskapazitäten für weitere drei Gigawatt vorhanden. Es müssen also gerade im Verteilnetz dringend neue Trassen geplant und gebaut werden. Sonst ist das ein riesiger Bremsklotz für die Energiewende. Die Situation dürfte sich aber auch im Windbereich verschärfen, wenn, wie geplant, in Schleswig-Holstein die Ausweisung von zwei Prozent der Landesfläche auf drei Prozent angehoben wird. Und es darf nicht vergessen werden, dass bei uns die Verteilnetze nicht nur zur Versorgung der Stromkunden dienen, sondern obendrein eine zentrale Rolle beim Energieexport übernehmen.
ne: Was wird denn bislang unternommen, um die Probleme im Verteilnetz zu lösen?
Andresen: Es wurde ein Dialogprozess gestartet, an dem Vertreter von Kommunen, Netzbetreibern, Landesplanung und des Landesverbands Erneuerbare Energien Schleswig-Holstein teilnehmen. Ein Ergebnis der Gespräche war, dass es darum gehen müsste, den Auftrag der Netzbetreiber neu zu formulieren. Bislang sollen die dafür sorgen, dass die Stromnachfrage abgedeckt ist. Künftig braucht es eine vorausschauende Planung im Sinne der Energiewende. Bei der Windenergie ist das aufgrund der ausgewiesenen Eignungsflächen noch verhältnismäßig einfach. Solarenergie-Projekte lassen sich weniger gut lokalisieren. Das muss die Netzausbauplanung berücksichtigen. Vielleicht würde es helfen, in den Kommunen Projektvorhaben abzufragen und diese Informationen an die Netzbetreiber zu melden. Ganz wichtig ist aber, dass die Politik gemeinsam mit allen beteiligten Ministerien und Behörden signalisiert, dass der Erneuerbaren- und der Netzausbau gewollt sind. Dazu braucht es dann einen klaren regulatorischen Rahmen.
ne: Es ist oft zu hören, dass die Netzentgeltsystematik geändert werden müsste, damit Netzbetreibern bestimmte Maßnahmen zur Erhöhung der Leitungskapazität erstattet werden können. Was müsste konkret geschehen?
Andresen: Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Denn wie schon gesagt, es geht beim Verteilnetz längst nicht mehr nur darum, die Energie zum Verbraucher zu bringen. Immer öfter findet auf den unteren Spannungsebenen ein grenzüberschreitender Energieaustausch statt. Das müsste bei der Kostenerstattung berücksichtigt werden. Und wenn die Bundesnetzagentur dieses Thema schon bearbeitet, sollte gleich über bundeseinheitliche Netzentgelte nachgedacht werden. In Schleswig-Holstein sind die Netzentgelte besonders hoch, weil dort sehr viele Erneuerbaren-Kraftwerke angeschlossen sind. Das bezahlen die Menschen vor Ort, obwohl Wind- und Sonnenenergie viel preiswerter sind als konventionell produzierte Energie.
Christian Andresen
ist Geschäftsführer der Solar-Energie Andresen GmbH und mehrerer Bürgerwindparks. Zudem ist er im Vorstand des Landesverbands Erneuerbare Energien Schleswig-Holstein (LEE SH) sowie des Bundesverbands WindEnergie (BWE) aktiv.