Verteilnetzbetreiber stehen unter Druck. Der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE) wirft mehreren großen Unternehmen vor, über Jahre hinweg zweistellige Renditen auf Kosten der Stromkundschaft erzielt zu haben. Die Kritik richtet sich gegen ein System, das beträchtliche Gewinne zulässt, obwohl der Markt reguliert ist.
Zinsen beeinflussen Preise für Stromverbraucher
Bereits im Januar 2024 hatte die BNetzA eine neue Regelung für die Eigenkapitalverzinsung bei Neuinvestitionen angekündigt. Sie setzt sich aus einem jährlich schwankenden Basiszins (der sogenannten Umlaufrendite) und einem konstanten Wagniszuschlag von drei Prozent zusammen. Für das Jahr 2023 hätte dies laut BNetzA einen Zinssatz von rund 7,23 Prozent ergeben – inklusive Gewerbesteuer etwa 8,25 Prozent. Für Bestandsanlagen lag die Verzinsung bei 5,8 Prozent. Diese Werte sind entscheidend, denn um sie zu erreichen, dürfen Netzbetreiber ihre Preise anheben – mit direkten Folgen für alle Stromverbraucher.
Der BNE hat nun die Bilanzen von 15 der 20 größten Verteilnetzbetreiber für den Zeitraum 2019 bis 2023 analysiert. Ergebnis: Für 2023 lag die handelsrechtliche Eigenkapitalrendite im Schnitt bei mehr als 20 Prozent. Einzelne Unternehmen wie EWE Netz (50 Prozent), Pfalzwerke Netz (38 Prozent) und Westnetz (27 Prozent) erzielten weit höhere Renditen.
Wirtschaftliche Effizienz oder Finanztricks?
Der Verband sieht darin ein systemisches Problem und erhebt den Vorwurf, dass sich die Renditen nicht allein durch wirtschaftliche Effizienz erklären ließen. Vielmehr würden Finanztricks angewendet: etwa das künstliche Aufblähen von Kosten im Basisjahr, doppelte Inflationsanpassungen sowie die Einpreisung von Gewerbesteuer, die teils gar nicht abgeführt werde.
Der Verband kommunaler Unternehmen (VKU), der nach eigenen Angaben zwei Drittel der Verteilnetzkundschaft in Deutschland vertritt, weist die Kritik als Polemik zurück. Die Berechnungsmethode des BNE sei irreführend: Die vom BNE genannten Renditen basierten auf dem Gewinn vor Steuern (Earnings Before Interest and Taxes, EBIT). Für eine korrekte Berechnung der Eigenkapitalrendite müsse aber der Nettogewinn – also nach Steuern – herangezogen werden. Außerdem werde nicht berücksichtigt, dass viele Unternehmen mit Fremdkapital arbeiten, also Schulden aufnehmen. Deren Rückzahlung samt Zinsen mindere die reale Eigenkapitalverzinsung erheblich.
Auch zu den inhaltlichen Vorwürfen bezieht der VKU Stellung: Dass Unternehmen während der Bauzeit und nach Inbetriebnahme Eigenkapitalzinsen berechnen dürfen, sei „ein notwendiges Mittel zur Sicherstellung der Finanzierung von Netzinfrastrukturprojekten“. Die doppelte Inflationsanpassung rechtfertigt der VKU mit dem Verweis auf zwei unterschiedliche Phasen: Während der Bauzeit diene sie der Werterhaltung, nach Inbetriebnahme werde der Anlagenwert regelmäßig an Preisindizes angepasst, um künftige Investitionen zu realen Preisen zu ermöglichen.
Ein fundamentaler Kritikpunkt an der privaten Netzbewirtschaftung stammt aus einer Studie, die das Bundeswirtschaftsministerium 2021 in Auftrag gab und 2023 veröffentlichte. Erarbeitet wurde sie maßgeblich von Mitgliedern des Instituts für Klimaschutz, Energie und Mobilität (IKEM). Die zentrale These: Der Staat könnte Stromnetze deutlich günstiger betreiben. Hauptgründe seien die niedrigeren Fremdkapitalzinsen des Staates sowie der Verzicht auf Gewinnmargen.
Die Studie steht auf der Website des IKEM als Download zur Verfügung.
Gewerbesteuer wird nicht immer fällig
Zur Frage der Gewerbesteuer argumentiert der Verband, dass sie sehr wohl gezahlt werde. Allerdings rührt die Kritik des BNE daher, dass Netzbetreiber meist Teil großer Konzerne sind – dort lassen sich Gewinne und Verluste verrechnen, sodass die kalkulierte Gewerbesteuer unter Umständen nicht wirklich fällig wird.
Die Bundesnetzagentur äußert sich zu den konkreten Vorwürfen nicht. Auf Anfrage heißt es lediglich, dass der Regulierungsrahmen auf einem „Eigenkapitalzinssatz vor Körperschaftssteuer“ basiere und sich nur auf das kalkulatorische Eigenkapital beziehe. Handelsrechtliche Gewinne, wie sie der BNE heranzieht, spielten für die BNetzA keine Rolle.
Damit erweist sich die Kritik des VKU an der Vorsteuer-Berechnungsgrundlage als nur bedingt stichhaltig – denn auch die BNetzA legt ihre Zinssätze vor Steuern fest. Allerdings bleibt die Methodik des BNE angreifbar, da sie sich nicht auf die regulatorisch relevante Eigenkapitaldefinition bezieht. Auf die Frage nach den tatsächlichen Durchschnittsrenditen seiner Mitglieder antwortet der VKU ausweichend – und verweist lediglich auf die offiziell erlaubten fünf Prozent.
Dass es im Verteilnetzbetrieb in einzelnen Fällen zu überhöhten Gewinnen kommt, erscheint zwar plausibel. Ob und in welchem Umfang dies systematisch geschieht, lässt sich aus den BNE-Zahlen aber nicht eindeutig ablesen.