Es dauert nur noch wenige Wochen. Dann wird das Dorf Bollingstedt, einige Kilometer nordwestlich von Schleswig gelegen, zu einem wichtigen Stromstandort im nördlichsten Bundesland. Mehr als 200 000 Lithium-Ionen-Batteriezellen in 64 weißen Containern werden dann mindestens zweimal täglich Strom speichern und wieder abgeben können. Auf gut 103 Megawatt Leistung bringt es dieser Batteriespeicher mit einer Kapazität von 238 Megawattstunden. Genug, um – rein rechnerisch – mehr als 100 000 Haushalte eine Stunde mit Strom zu versorgen.
Bollingstedt ist nur einer von vielen Großbatteriespeichern, die der Projektierer Eco Stor aus Kirchheim bei München in naher Zukunft aufbaut oder konkret plant. Und Eco Stor ist nur eines von Dutzenden Unternehmen, die derzeit in Deutschland solche Batteriespeicher in der Größenordnung von zehn bis mehr als 100 Megawatt Leistung installieren wollen. Derzeit stapeln sich deshalb bei den vier großen Betreibern der Übertragungsnetze – Tennet, Amprion, 50 Hertz und TransnetBW – und den zahlreichen Betreibern der Verteilnetze die Anfragen nach einem Netzanschluss. Zum Jahreswechsel summierten sie sich auf einige tausend mit einer Gesamtleistung von rund 340 Gigawatt.
„Grundsätzlich ist dieser Speicherboom ein Segen für die Energiewende“, sagt Leonhard Probst vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesystem (Ise) in Freiburg und verantwortlich für die Plattform „Energy Charts“, die laufend aktuelle Daten zur Energiewende in Deutschland bietet. Denn solche Speicher sind für die Einspeisung von immer mehr Wind- und Solarstrom unverzichtbar. Sie gleichen die zunehmenden Schwankungen zwischen Stromerzeugung und -verbrauch aus. Ohne diese Puffer wird es nicht gelingen, die Stromversorgung stabil und zugleich den Strompreis für alle Verbraucher günstig zu halten.
Mehr Projekte als nötig
Dennoch sind die Zahlen auf den ersten Blick gewaltig. Sie überflügeln die Leistung der bisher ans deutsche Stromnetz angeschlossene Batteriespeicher um mehr als das 150-Fache. Und auch die meisten Prognosen gehen von deutlich geringeren Werten aus. Der aktuelle Szenariorahmen der Übertragungsnetzbetreiber etwa, der die Grundlage für den nächsten Netzentwicklungsplan bildet, sieht bis zum Jahr 2037 bestenfalls einen Großspeicherbedarf von 36 Gigawatt und für 2045 von 44 Gigawatt Leistung – das ist nur ein Bruchteil der heute angefragten Anschlussleistung.
Bisher existieren die meisten Batteriespeicher allerdings lediglich auf dem Papier. Welche davon wo tatsächlich Realität werden, ist heute noch nicht absehbar. Doch warum ist dieser Run auf Großbatteriespeicher- Projekte seit 2023 überhaupt losgebrochen?
„Die Gründe dafür sind vielfältig“, sagt Probst. Eine wichtige Rolle spielt der Preisverfall bei den Batterien. Wegen der derzeit stockenden Nachfrage nach Elektrofahrzeugen und großer Produktionskapazitäten hat sich ein Überangebot entwickelt, die Preise sinken, seit einem guten Jahr haben sie sich sogar halbiert. So kosten die Batterien für große Stromspeicher derzeit etwa 200 Euro pro Kilowattstunde. Nutzer für kleine Heimspeicher zahlen gut das Doppelte. Zudem sind große Batteriespeicher, die bis August 2029 ans Netz gehen, 20 Jahre lang von den Netzentgelten für den Strombezug befreit. Sie zahlen also nicht doppelt bei Einspeisung und bei der Bereitstellung.
Kurze Amortisationszeit
Doch geringe Installations-und Betriebskosten allein machen einen Großspeicher nicht rentabel. Es ist der aktuelle Strommarkt, der die eigentliche Grundlage für ein sehr lukratives Geschäftsmodell bildet. „Mit großen Batteriespeichern können Sie auf mindestens drei Märkten hohe Erlöse erwirtschaften“, sagt Probst. Derzeit lohnt sich vor allem der Regelenergiemarkt. Mit positiver Regelenergie stopfen die Batterien kurzfristig Stromlücken, mit negativer Regelenergie speichern sie Stromüberschüsse. Dazu kommt der Intraday-Handel, auf dem noch am gleichen Tag Stromlieferungen in 15-Minuten- oder auch Stunden-Blöcken gehandelt werden. Strommengen für festgelegte Zeitfenster am Folgetag wiederum lassen sich im Day-Ahead-Handel verkaufen.
Ein mit aktuellen Handelsdaten gefüttertes Analyse-Programm des Berliner Unternehmens Re-Twin Energy zeigt die möglichen Gewinne. Extrapoliert auf ein Jahr könnte eine Kilowattstunde Speicherkapazität gut 100 Euro erwirtschaften. So wären nach nur einem Jahr allein die Batterien zur Hälfte bezahlt. Natürlich kommen weitere Kosten für Grundstück und Betrieb dazu. „Doch derzeit sind die möglichen Gewinne sehr hoch und ein Großbatteriespeicher hätte sich in nur etwa drei Jahren amortisiert“, sagt Probst. Bei einer 15-jährigen Lebensdauer der Batterien blieben dann zwölf Jahre, um Überschüsse abzuschöpfen. Und das komplett ohne jede Subvention. „Insgesamt ist das ein gutes Zeichen dafür, dass der Strommarkt funktioniert“, so der Energieexperte.
Verschiedene Batterietypen möglich
Überraschend hohe Preissprünge bei den Batterien müssen Investoren in Speicher nicht befürchten. Sollte die Nachfrage nach Elektrofahrzeugen wieder deutlich steigen, können sie mühelos auf hochwertige Lithium-Ionen-Batterien verzichten, die derzeit für die E-Moblität bevorzugt werden, weil sie das beste Verhältnis von Speicherkapazität zu Gewicht und Volumen bieten. Viele Hersteller setzen schon jetzt auf etwas günstigere Zellen aus Lithium-Eisenphosphat. Da jedoch weder die Größe einer Batterie noch das Gewicht pro Kilowattstunde Kapazität bei fest installierten Speichern so wichtig sind wie in Fahrzeugen, kommen auch andere elektrochemische Kompositionen in Betracht.
Der Chemiekonzern BASF bietet beispielsweise etwa 20 Prozent günstigere Batteriespeicher auf der Basis von Natrium und Schwefel an. Und ein riesiger Batteriespeicher mit stolzen 1200 Megawattstunden Kapazität soll bis 2028 im schweizerischen Laufenburg entstehen, nahe dem Dreiländereck von Frankreich,
Deutschland und der Schweiz. Das Unternehmen Flexbase setzt dabei auf Redox-Flow- oder auch Flussbatterien. In den Systemen sollen bis zu 260 Millionen Liter Elektrolyt-Flüssigkeiten auf der Basis von Vanadiumsalzen durch knapp 1000 Tanks zirkulieren. Bei Bedarf lässt sich diese weit entwickelte Speichertechnik mit zusätzlichen Tanks auch leicht hochskalieren.
Geringe Umsetzungsquote erwartet
So ausgereift die Technik und so verlockend die Geschäftsmodelle – längst nicht alle eingereichten Pläne für Großbatteriespeicher werden tatsächlich umgesetzt werden. In diesem Punkt waren sich zahlreiche Expertinnen und Experten auf der Tagung „Zukünftige Stromnetze“ Ende Januar in Berlin einig. Eine Reihe von Indizien untermauern diese Annahme.
So stellen nicht wenige Investoren gleich mehrere Anfragen für einen Anschluss ans Stromnetz, obwohl nur die Realisierung eines einzigen Batteriespeichers wahrscheinlich erscheint. Bei den Eingängen, die bei ihnen ankommen, handele es sich „zu 65 Prozent um Voranfragen“, sagt Manuela Wolter, Presseprecherin beim Übertragungsnetzbetreiber Tennet. Nur für 35 Prozent der Anfragen seien die nötigen Unterlagen komplett eingereicht worden. Volker Oschmann, Ministerialdirektor im Bereich Energie am Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geht daher insgesamt von einer recht geringen Bauquote aus: „Ich schätze, dass etwa zehn Prozent der angefragten Speicher wirklich realisiert werden.“
„Zum jetzigen Zeitpunkt ist es noch zu früh, um verlässliche Aussagen darüber treffen zu können, welche Projekte tatsächlich umgesetzt werden“, sagt Kathrin Egger, Pressesprecherin vom Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW, dem bis Ende 2024 insgesamt 40 Anfragen für Batteriespeicher mit zusammen zwölf Gigawatt Leistung vorlagen. Wie alle anderen Netzbetreiber prüft TransnetBW jede Anfrage abhängig vom Datum. Es gilt das Prinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wenn die Anträge begründet sind und den netztechnischen Anforderungen entsprechen, darf der Anschluss – abgesehen von betriebsbedingten oder sonstigen wirtschaftlichen oder technischen Gründen – nicht abgelehnt werden.
„Im Augenblick haben wir keinen Einfluss auf die Verortung oder die Betriebsweise eines Batteriespeichers“, sagt Tennet-Sprecherin Wolter. Das macht es für die Netzbetreiber nicht einfach, ihre Aufgabe zu erfüllen und die Stabilität des Stromnetzes zu sichern. Denn für diese sogenannte Netzdienlichkeit spielt sowohl der Standort als auch die Art, wie ein Batteriespeicher eingesetzt werden soll, eine große Rolle. Die Netzbetreiber müssen zudem die Kapazitäten ihrer Umspannwerke vor Ort und deren Ausbaupotenzial prüfen.
Netzengpässe durch Speicher?
Die Betreiber von Batteriespeichern schauen indes nur auf den Strommarkt und nicht auf die Stabilität des Netzes. In einem idealen Stromsystem würden Preise und Netzdienlichkeit zwar die gleichen Signale für eine Speicherung oder eine Einspeisung senden. Doch die Realität sieht anders aus. Denn das Stromnetz ist keine in alle Richtungen gleichermaßen leitfähige Kupferplatte,
sondern weist trotz beschleunigten Ausbaus Engpässe auf. Mehrere durchaus realistische Szenarien zeigen, dass Speicher an ungünstigen Orten sogar zu zusätzlichen Problemen führen könnten.
Ein Beispiel: An einem wolkigen Tag mit wenig Solarstrom in Süddeutschland steigt der Strompreis. Zugleich liefern Offshore-Windparks dank stetiger Winde in der Nordsee genug elektrische Energie, um die Stromleitungen gen Süden auszulasten. Batteriespeicher im Norden reagieren aber auch auf die hohen Preise und speisen zusätzlich Strom ein. Die Folge: Die Nord-Süd-Trasse wird überlastet. Damit steigen die Redispatch-Kosten durch Abregelung von Kraftwerken im Norden und das Hochfahren von teuren Gaskraftwerken im Süden. Mehr Batteriespeicher im Süden dagegen könnten sich in diesem Szenario positiv auswirken. Auch sie würden die hohen Preise für sich nutzen, Strom ins Netz einspeisen und zugleich einen Engpass in der Nord-Süd-Trasse vermeiden helfen.
Netzbooster stabilisieren das System
Eine spezielle Variante von Batteriespeichern – die Netzbooster – dient sogar ausschließlich der Netzstabilität und orientiert sich nicht an den Preissignalen der Strombörse. Tennet beispielsweise nimmt dieses Jahr einen Netzbooster im oberbayrischen Ottenhofen und Mitte 2027 einen weiteren in Audorf, Schleswig-Holstein, in Betrieb. Beide sind für 100 Megawatt Leistung und 100 Megawattstunden Kapazität ausgelegt.
Die Technik ist die gleiche wie bei allen geplanten Großbatteriespeichern, doch die Betriebsführung ist gänzlich anders. Bei einer Überproduktion an Windstrom im Norden kann der Audorf-Speicher geladen und damit die Nord-Süd-Trasse entlastet werden. Zeitgleich speist der südliche Ottenhofen-Speicher dann Strom ins Netz ein. Dieses Zusammenspiel wirkt sich genauso wie eine zusätzliche Stromtrasse aus, entspricht also einer virtuellen Leitung. Auch TransnetBW wird bis 2026 einen Netzbooster in Betrieb nehmen, am Standort Kupferzell im Nordosten Baden- Württembergs.
Die Einsatzweise der Netzbooster ist allein auf eine bessere Auslastung ausgerichtet und steigert die Effizienz des Stromnetzes. „Batteriespeicher als eine zentrale Technologie im künftigen Energiesystem können einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung der Stromnetze leisten“, resümiert Tennet-Sprecherin Wolter, „allerdings nur, wenn sie so verortet und betrieben werden, dass sie dem Netz dienen.“
Anreize zur Netzdienlichkeit gefragt
Aus diesem Grund denken die Netzbetreiber über Modelle nach, mit denen sie zumindest beeinflussen zu können, wo neue Großbatteriespeicher entstehen. Einen Ansatzpunkt dafür bietet der Baukostenzuschuss, den Betreiber für Batteriespeicher leisten müssen. „Eine Rabattierung des Baukostenzuschusses an netzdienlichen Standorten schafft Anreize für ein netzdienliches Verhalten“, sagt Kathrin Egger von TransnetBW. Zuständig für die Implementierung solcher Anreizsysteme ist die Bundesnetzagentur, die dabei zwischen den Erfordernissen eines sicheren Stromnetzes und dem Ziel eines fairen Markts abwägen muss. Grundsätzlich scheint die Behörde dem Konzept nicht abgeneigt zu sein. Ihr Präsident, Klaus Müller, gab auf der Berliner Stromnetztagung zu Protokoll, dass ein netzdienlicher Ausbau der Speicher aus seiner Sicht „schon sehr sinnvoll“ wäre.
Dabei ist jedoch Fingerspitzengefühl angesagt, um Investoren nicht abzuschrecken. Denn trotz der aktuell rosigen wirtschaftlichen Aussichten für Großbatteriespeicher-Betreiber bleibt ein unternehmerisches Risiko. So wird in absehbarer Zeit auch die wachsende Flotte der Elektrofahrzeuge mit ihren Batterien über bidirektionales Laden ins Speichergeschäft einsteigen können, Stichwort: Vehicle to Grid. Seit der jüngsten Anpassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes Ende Januar steht zudem den Millionen Heimspeichern bei passender Ausstattung der Strommarkt offen. Deren Leistung summiert sich schon jetzt auf knapp zehn Gigawatt, Tendenz steigend.
Darüber hinaus werden künftig Millionen Wärmepumpen ihren Strombedarf flexibel steuern und über ein Lastmanagement am Regelenergiemarkt teilnehmen können, Gleiches gilt für Industrieanlagen. „Sie alle kämpfen dann um denselben Markt“, gibt Leonhard Probst zu bedenken. Der Ise-Forscher ist jedoch optimistisch, dass sich ohne störende Subventionen oder eine zu strenge Regulatorik die jeweils effizienteste Technologie durchsetzen wird.