Wasserstoff ist mit rund 70 Prozent der bekannten Materie das häufigste Element im Universum. Doch auf der Erde herrscht akuter Mangel an dem gasförmigen Energieträger, vor allem, wenn er klimafreundlich und nicht aus Erdgas gewonnen wird. Weltweit wurden bislang hunderte Projekte zu Produktion, Transport und Nutzung von grünem Wasserstoff angestoßen. Aber weniger als ein Zehntel davon haben es bis zur Bauphase geschafft oder können wenigstens eine gesicherte Finanzierung aufweisen. Der Einstieg in die Wasserstoff-Wirtschaft als Schlüssel für eine grüne Energiewende stockt, der ambitionierte „Hochlauf“ der eigentlich verfügbaren Technologien verliert bereits in der Startphase deutlich an Tempo.
Könnte natürlich gebildeter Wasserstoff aus dem Untergrund – in der Farbenlehre des Gases als weiß oder auch golden bezeichnet – die Blockade auflösen und gewissermaßen eine goldene Brücke bauen?
Neue Zahlen über diese bisher kaum beachtete Quelle für Wasserstoff vom US Geological Survey (USGS), dem renommierten geologischen Dienst der Vereinigten Staaten, lassen aufhorchen. Die gewaltige Menge von mehr als fünf Billionen Tonnen weißen Wasserstoffs soll sich in unterirdischen Lagerstätten weltweit befinden. „Nach unserem Wissen ist das meiste davon nicht erreichbar“, sagt USGS-Geologe Geoffrey Ellis. Doch wenn nur ein kleiner Bruchteil von etwa 100 Milliarden Tonnen in Zukunft gefördert werden könnte, wäre es ein Gewinn für die globale Energiewende.
Denn 100 Milliarden Tonnen weißen Wasserstoffs entsprechen knapp der doppelten Energiemenge, die in allen heute bekannten Erdgaslagern gespeichert ist. Der hohe, jährliche Wasserstoff-Bedarf von 530 Millionen Tonnen, den die Internationale Energieagentur IEA für eine klimaneutrale Wirtschaft im Jahr 2050 prognostiziert, ließe sich stolze zwei Jahrhunderte lang decken.
Auch in Deutschland widmen sich mehrere Arbeitsgruppen der Erforschung des weißen, geologischen Wasserstoffs. Zu ihnen zählt das Team um Peter Klitzke an der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover. Er kennt den amerikanischen USGS-Kollegen Ellis und schätzt seine Seriösität. „Aber bisher wissen wir nur sehr wenig über den geologischen Wasserstoff“, sagt Klitzke. So ist weltweit noch keine einzige große Wasserstoff-Lagerstätte gefunden worden. Weitgehend unbekannt ist ebenso, wann sich der Wasserstoff im Laufe der Erdgeschichte in welcher Tiefe angereichert hat oder sogar noch heute bildet. Auch über die Art der möglichen Lagerstätten – von der Größe der einzelnen Vorkommen bis zur Verteilung in winzigen Poren eines Tiefengesteins – wollen die Geologen noch viel lernen.
Zwei Entstehungsarten
Immerhin konnten die Forschenden die zahlreichen möglichen Reaktionen für die Erzeugung des Wasserstoffs entschlüsseln. „Die Radiolyse und die Serpentinisierung sind die beiden wichtigsten Prozesse“, sagt Klitzke. Bei der Radiolyse trifft Wasser im Tiefengestein auf radioaktive Elemente wie Uran, Thorium oder Kalium. Die beim radioaktiven Zerfall freigesetzte Strahlung liefert genug Energie, um Wasser-Moleküle in ihre Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zu spalten. Dieser relativ langsame, Hunderttausende bis einige Millionen Jahre andauernde Prozess findet beispielsweise in Salzgestein oder Granit der kontinentalen Kruste statt.
„Im Vergleich dazu ist die Serpentinisierung viel dynamischer und läuft deutlich schneller ab“, sagt Klitzke. Nämlich auf menschlichen Zeitskalen, also innerhalb von Jahren und Jahrzehnten. Dabei stößt Wasser in einigen Kilometern Tiefe auf Minerale, die reich an Eisen und Magnesium sind. In einem komplexen Prozess bei 200 bis 500 Grad Hitze und unter hohem Druck oxidieren die Eisenverbindungen direkt mit dem Sauerstoff des Wassers. Zugleich wird molekularer Wasserstoff freigesetzt. Dieser Vorgang könnte sogar so schnell vonstattengehen, dass sich in einer Lagerstätte fortlaufend immer neuer Wasserstoff bildet. „Weißer Wasserstoff ist aus geologischer Perspektive sehr spannend, auch wenn noch große Wissenslücken klaffen“, resümiert Klitzke.
Kommerzielle Gewinnung von weißem Wasserstoff
Ein gutes Dutzend kleiner Unternehmen schreckt das nicht ab. Sie setzen mit ersten Pilotprojekten auf die Gewinnung von weißem Wasserstoff. „Es herrscht auf alle Fälle Goldgräberstimmung“, sagt Klitzke. So fördert das kanadische Unternehmen Hydroma den natürlichen Rohstoff in Bourakébougou, einer Ansiedlung in Mali etwa 50 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Bamako. Bereits 1987 wurde das Vorkommen zufällig bei einer Grundwasserbohrung entdeckt. 2012 wurde die Fundstelle wieder geöffnet und um weitere Bohrungen mit 200 bis 700 Metern Tiefe ergänzt. 1500 Kubikmeter sehr reiner Wasserstoff lassen sich daraus pro Tag gewinnen, 50 Tonnen pro Jahr. Das ist nicht viel. Doch die Menge genügt, um einen Generator zu speisen und klimaneutralen Strom für das Dorf zu erzeugen.
Alle weiteren Projekte befinden sich eher in einer Pilotphase. Aktiv sind besonders französische Firmen wie 45-8 Energy, Sudmine oder Terrensis. Sie bereiten in mehreren Regionen die Förderung von weißem Wasserstoff vor. Erste Bohrungen könnten in Kürze beginnen. Vielversprechende Bedingungen für Wasserstoff-Lagerstätten bietet das Vorland der Pyrenäen, wo in gut 3000 Metern Tiefe eine Salzformation ein Gasvorkommen umschließen könnte.
Auch im Lothringer Becken wurde in gut 1000 Metern Tiefe Wasserstoff nachgewiesen, allerdings mit einer eher geringen Konzentration von 15 Prozent. Bis in etwa 3000 Meter Tiefe reichende Bohrungen sollen jedoch konzentrierten Wasserstoff mit 98 Prozent Reinheit erschließen. Das Energieunternehmen Française de L´Energie schätzt das Vorkommen in dieser Region auf immerhin 46 Millionen Tonnen; eine Bestätigung sowohl der hohen Reinheit als auch der Größe steht indes noch aus. Laut Klitzke ist es zudem nicht ausgeschlossen, dass sich ähnliche geologische Formationen mit möglichen Wasserstoff-Vorkommen über Luxemburg bis nach Deutschland ins Saar- und Rheinland erstrecken.
Weltweites Engagement
Auch in Australien hat die kommerzielle Suche nach geologischem Wasserstoff begonnen. Der H2-Spezialist Gold Hydrogen wurde auf der Kap-York-Halbinsel, dem nördlichsten Zipfel des Kontinents, mit zwei Probebohrungen fündig. Ob und wieviel des sehr reinen Wasserstoffs sich tatsächlich fördern lässt, ist aber noch nicht absehbar. Ganz im Süden Australiens auf der Eyre-Halbinsel bereitet die Firma H2EX ebenfalls die Förderung von weißem Wasserstoff vor. Von Kanada, Brasilien und den USA über Albanien und dem Kosovo bis nach Spanien und Finnland zählt die Internationale Energieagentur derzeit 40 Unternehmen, die auf der Basis erster geologischer Daten H2-Vorkommen im Boden anzapfen wollen.
Staatliche Forschungsprogramme weltweit unterstützen die Bemühungen, die Vorräte an weißem Wasserstoff genauer zu klassifizieren. Neben den geologischen Diensten in Kanada, Australien und den USA laufen auch in Europa – vor allem in Frankreich – Forschungsprojekte, um entsprechende Vorkommen besser aufspüren und ausbeuten zu können. Auch in Deutschland analysiert die BGR die Potenziale. Forscher wie Peter Klitzke untersuchen geologische Strukturen, um die Bildung von weißem Wasserstoff und mögliche Vorkommen besser zu verstehen.
Im Rahmen des Projekts „Geogener Wasserstoff“ etwa nimmt die BGR ausgewählte Standorte in Deutschland ins Visier, beispielsweise im Gebiet zwischen Hof und Bayreuth in Oberfranken. Dort erproben die Forschenden geophysikalische Messungen des Untergrunds aus der Luft. Ziel ist es, über Messdaten zu Schwerkraft- und Magnetfeldern – Gravimetrie und Magnetik – schneller und einfacher die Ausdehnung sogenannter Serpentinit-Vorkommen aufzuspüren. Denn gerade dieses Gestein bildet eine wichtige Grundlage zur Untersuchung von Entstehungsbedingungen des weißen Wasserstoffs.
„Heute oder in ein, zwei Jahren wird weißer Wasserstoff zwar nichts zur Energiewende beitragen“, sagt BGR-Forscher Klitzke. Dennoch könnte es sich lohnen, den natürlichen Wasserstoff im Auge zu behalten. Verlockend wären vor allem die potenziell sehr geringen Kosten. Einige der noch jungen Wasserstoff-Unternehmen schätzen den Preis auf etwa einen Dollar pro Kilogramm. Die kanadische Firma Hydroma kalkuliert auf der Basis ihrer Erfahrungen in Mali gar mit einem halben Dollar pro Kilo. Das wäre unschlagbar günstig im Vergleich zu den drei bis fünf Dollar für klimaschädlichen grauen Wasserstoff – gewonnen aus Erdgas – oder zu dem etwa doppelt so teuren grünen Wasserstoff – erzeugt über die Elektrolyse mit Wind- und Solarstrom. Noch ist die Unsicherheit für die Förderung weißen Wasserstoffs im großen Maßstab hoch, die Wissensbasis zu dünn. „Aber das könnte sich auch ganz schnell ändern“, sagt Klitzke.
Erhebliche Startschwierigkeiten für die Wasserstoff-Wirtschaft
Klar ist: Trotz seines verlockenden Potenzials bietet weißer Wasserstoff aktuell keine Planungssicherheit für eine zukünftige Wasserstoff-Wirtschaft. Doch genau diese Sicherheit wäre dringend nötig. Nur mit entsprechenden Garantien investieren Unternehmen in neue Anlagen für Erzeugung, Logistik und Nutzung von klimaneutral gewonnenen Wasserstoff.
Wie fatal sich Unwägbarkeiten auswirken, zeigt der stark gebremste Hochlauf der Wasserstoff-Wirtschaft in Deutschland. Bis 2030 sollen laut nationaler Wasserstoff- Strategie Elektrolyseure mit zehn Gigawatt Leistung aufgebaut sein. Stand heute sind aber nur wenige Prozent davon installiert und so rückt das Ausbauziel in weite Ferne. Das liegt unter anderem an strengen Vorgaben, hohen Preisen für grünen Wasserstoff und einer geschwächten Industrie.
Um das Gas deutschlandweit zu verteilen, hat die Bundesregierung mit dem Plan für ein Wasserstoff-Kernnetz mittlerweile immerhin eine Strategie vorgelegt. Doch wenn das Transportgut, der grüne Wasserstoff, fehlt, bleiben auch die nötigen Investitionen für diese Infrastruktur aus. Gleichzeitig bremsen die favorisierten ersten Nutzer für grünen Wasserstoff – die Chemie- und die Stahlindustrie – ihre ambitionierten Projekte oder stellen sie teilweise sogar komplett in Frage. Da gerade in diesen Sektoren der Preisdruck im internationalen Wettbewerb extrem hoch ist, rechnet sich die Umstellung auf teuren grünen Wasserstoff nicht.
„Zudem sind die Kriterien für die Erzeugung von grünem Wasserstoff schlicht zu streng“, sagt Michael Sterner, Energieforscher an der Technischen Hochschule Regensburg und Mitglied im Nationalen Wasserstoffrat. So muss nach EU-Vorgaben der Strom für die Elektrolyse beispielsweise aus neuen Wind- und Solarparks stammen, um das Kriterium der „Zusätzlichkeit“ zu erfüllen. Zudem soll die elektrolytische Erzeugung von Wasserstoff parallel das Stromnetz von Erzeugungsspitzen entlasten – das Kriterium der zeitlichen und räumlichen „Gleichzeitigkeit“. „In einem idealen System sind diese Vorgaben sinnvoll, aber im frühen Stadium des Markthochlaufs schrecken sie Investoren ab“, sagt Sterner und fordert mehr Flexibilität. „Man erwartet ja auch nicht von einem Neugeborenen, dass es direkt nach der Geburt lesen und schreiben kann.“
Viele Ankündigungen von Projekten, geringe Umsetzungsrate
Wunsch und Wirklichkeit driften jedoch nicht nur in Deutschland und der EU auseinander, die Diskrepanz ist ein globales Problem. Zu diesem Ergebnis kommen Adrian Odenweller und Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (Pik) in einer neuen Studie. Insgesamt identifizierten sie bei ihrer Analyse 1232 grüne Wasserstoff-Projekte bis 2030. „In den vergangenen drei Jahren haben sich die globalen Projektankündigungen für grünen Wasserstoff fast verdreifacht“, sagt Ueckerdt. Parallel seien im gleichen Zeitraum nur sieben Prozent der für 2023 angekündigten Produktionskapazitäten rechtzeitig realisiert worden. Und diese riesige Umsetzungslücke für vergangene Projekte zeichnet sich auch für zukünftige Vorhaben ab. So kommen heute viel zu wenige Vorhaben über den Status einer Power-Point-Präsentation hinaus, von einer gesicherten Finanzierung und dem Bau ganz zu schweigen.
Laut Ueckerdt wären zusätzliche Fördermittel von etwa 1000 Milliarden Dollar nötig, um alle angekündigten Wasserstoff-Projekte bis 2030 zu realisieren. Dagegen stehen gerade mal rund 300 Milliarden Dollar an staatlichen Subventionen, die global zumindest angekündigt wurden. Abhilfe könnte ein höherer CO2-Preis schaffen. Bei Preisen von 149 Dollar pro Tonne Kohlendioxid im Jahr 2030 und bis zu 407 Dollar im Jahr 2050 dürfte die Lücke deutlich schrumpfen. Flankierend schlagen die Pik-Forscher verbindliche Quoten für grünen Wasserstoff in schwer zu elektrifizierenden Sektoren wie Luftfahrt, Stahl oder Chemie vor. Solche Regeln müssten jedoch weltweit – also auch in Staaten wie China und den USA – gelten, um einen fairen globalen Wettbewerb zu gewährleisten.
Michael Sterner sieht noch eine weitere, pragmatische Lösung, damit sich der Übergang zur Wasserstoff-Wirtschaft wieder beschleunigt. „Kleinere regionale Projekte können der Schlüssel zum Erfolg sein“, sagt er. Dabei seien die Risiken deutlich geringer. Als Beispiel nennt er das Unternehmen GP Joule in Schleswig-Holstein, das lokale, aber wirtschaftliche Wasserstoff- Mobilitätsprojekte umsetzt, die alle Bereiche der Wertschöpfungskette von der Erzeugung bis zur Nutzung vereinen. So lassen sich wertvolle Erfahrungen sammeln, auf denen neue Vorhaben möglichst auch zu niedrigeren Kosten aufbauen können.
Weißer Wasserstoff ist natürlich entstandener Wasserstoff, der im Untergrund lagert. Die geologischen Vorkommen sind weltweit verteilt und bislang noch wenig erforscht.
Grüner Wasserstoff wird mittels Elektrolyse von Wasser unter Verwendung von Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind- oder Solarkraft erzeugt. Dieser Prozess hat den Vorteil, dass er keine CO₂-Emissionen verursacht, was ihn zur umweltfreundlichsten Option macht. Nach Angaben des World Energy Outlook 2023 wird erwartet, dass die Nachfrage nach grünem Wasserstoff bis 2030 erheblich steigt, insbesondere in schwer zu dekarbonisierenden Sektoren wie der Stahlindustrie oder der Chemiebranche.
Blauer Wasserstoff wird aus Erdgas durch Dampfreformierung hergestellt, wobei das entstehende CO₂ abgeschieden und gespeichert wird (CCS). Diese Technologie ermöglicht eine Übergangslösung zur Reduzierung von Emissionen, während die Infrastruktur für grünen Wasserstoff weiter ausgebaut wird.
Türkiser Wasserstoff entsteht durch Methan-Pyrolyse, bei der fester Kohlenstoff anstelle von CO₂ produziert wird. Die Technologie hat das Potenzial, eine nachhaltige Alternative zu sein, wenn sie mit Energie aus erneuerbaren Quellen arbeitet.
Grauer Wasserstoff wird aus fossilen Brennstoffen wie Erdgas gewonnen, ohne das CO₂ dabei abzuscheiden. Diese Methode ist nicht nachhaltig und sollte langfristig durch grüne oder blaue Alternativen ersetzt werden.