Wohin mit überschüssigem Strom aus Wind- und Solarparks? Auf der Suche nach Speichermöglichkeiten geht ein Forschungsteam des Fraunhofer-Instituts für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE) neue Wege. Vor der kalifornischen Küste wird eine hohle, 400 Tonnen schwere Betonkugel in einer Tiefe von 500 bis 600 Metern im Meer versenkt – um dort als eine Art Pumpspeicherwerk zu fungieren. Falls das Projekt erfolgreich verläuft, sollen solche Kugeln künftig mit einem Durchmesser von 30 Metern per 3D-Druck hergestellt werden. Stored Energy in the Sea nennen die Forschenden die Methode – oder kurz: Stensea.
Es ist bereits das zweite – nun größere – Projekt dieser Art, das vom Fraunhofer IEE in Kassel vorangetrieben wird. 2017 versenkten die Forschenden eine 20 Tonnen schwere Betonkugel mit drei Meter Durchmesser im Bodensee. Mithilfe von Luftkissen zogen sie die Konstruktion über den See, um sie dann in Überlingen 200 Meter vom Ufer entfernt in 100 Meter Tiefe abzulassen. Vier Wochen lang testeten sie die Anlage, dann wurden alle Aufbauten wieder entfernt. Der zügige Rückbau war von Anfang an vorgesehen, denn der Bodensee versorgt vier Millionen Menschen in Baden-Württemberg mit Trinkwasser; er darf daher nur sehr eingeschränkt technisch genutzt werden.
Der erste Feldversuch am Bodensee sei erfolgreich verlaufen, sagt Bernhard Ernst, Projektmanager beim Fraunhofer IEE. Das Prinzip ist recht einfach: Mit Überschussstrom pumpt man die Kugel leer; wenn man später Strom braucht, lässt man das Wasser wieder ins Innere zurückströmen.
Die Leistung der ersten Testanlage war mit neun Kilowatt noch gering, die mechanische Speicherkapazität mit 2,7 Kilowattstunden ebenso. Auch der Gesamtwirkungsgrad war mit gut 40 Prozent eher dürftig, weil eine einfache Pumpe verbaut war, die nicht für den Turbinenbetrieb ausgelegt und im Pumpbetrieb nicht auf maximale Effizienz getrimmt war. „Es ging in erster Linie darum, das Funktionsprinzip zu testen“, sagt Ernst.
Das Projekt brachte bereits wichtige Erkenntnisse: „Die Kugel kann mit Vakuum arbeiten“, sagt Ernst. Sie muss also nicht zeitgleich mit Luft gefüllt werden, wenn man das Wasser aus ihr abpumpt. Davon sei er zwar bereits im Vorfeld anhand theoretischer Berechnungen ausgegangen, doch zur Sicherheit bauten die Ingenieure dennoch einen Schlauch ein, durch den beim Pumpen Luft in die Kugel strömen konnte, falls es sich als notwendig erwiesen hätte. Aber aufgrund der Erkenntnisse vom Bodensee war der Schlauch beim Nachfolgeprojekt verzichtbar.
Man braucht also lediglich ein Stromkabel von der Kugel zur Wasseroberfläche. In der Kugel herrscht im entleerten Zustand ein Druck von nur 20 bis 30 Millibar. Das Nachfolgeprojekt soll spätestens Ende 2026 vor der Küste von Long Beach bei Los Angeles in Betrieb gehen. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert das Vorhaben mit knapp 3,4 Millionen Euro, das US-amerikanische Department of Energy mit weiteren rund vier Millionen Dollar.
Den Schritt vom Süßwasser ins Salzwasser sieht man am IEE entspannt: Der Pumpenhersteller komme aus der Öl- und Gasförderung und kenne sich mit dem Milieu des Meerwassers aus, so Ernst. Projektpartner ist das US-amerikanische Start-up Sperra, das sich auf den 3D-Betondruck für Anwendungen der erneuerbaren Energien spezialisiert hat. Ob die Betonkugel komplett im 3D-Druckverfahren hergestellt wird oder ob man eine Kombination von 3D-Druck und klassischem Betonbau wählt, ist noch offen. Zweiter Partner ist Pleuger Industries, ein Hersteller von Unterwasser-Motorpumpen.
Hoher Wirkungsgrad
Die Leistung des neuen Speichers soll rund 500 Kilowatt betragen, die Kapazität rund 400 Kilowattstunden. Die Pumpe ist im Innern der Kugel untergebracht und wird auch als Turbine genutzt. Der Wirkungsgrad werde, bezogen auf einen kompletten Speicherzyklus, bei 75 bis 80 Prozent liegen, rechnen die Forschenden vor. Das ist etwas weniger, als moderne Pumpspeicherwerke für gewöhnlich erreichen, nämlich mehr als 80 Prozent. Die etwas geringere Ausbeute des Unterseespeichers rühre daher, dass die Maschinen kleiner sind, sagt Ernst.
Gleichwohl habe die Technik einige Vorteile: „Die Anlagen können schneller reagieren als herkömmliche Pumpspeicherkraftwerke“, erläutert der IEE-Wissenschaftler. Binnen höchstens 20 Sekunden könnten sie von null auf Volllast hochfahren. Pumpspeicher brauchen dafür gewöhnlich 90 bis 120 Sekunden. Zudem sei der Kugelspeicher im Teillastbetrieb effizienter als die Variante an oberirdischen Stauseen. Zwar werde man auch bei den Betonkugeln die einzelnen Maschinen aus Gründen der Effizienz immer unter Volllast als Turbine oder Pumpe betreiben, weil aber das Konzept in der Endausführung den Einsatz zahlreicher Kugeln an einem Standort vorsieht, können je nach Bedarf einzelne Anlagen aus der Kaskade zu- und abgeschaltet werden. So ergebe sich für einen künftigen kommerziellen Standort die attraktive Option des Teillastbetriebs ohne Effizienzverlust.
Falls auch das zweite Modellprojekt erfolgreich abgeschlossen wird, wolle man das Konzept Betreibern aus der Energiewirtschaft anbieten. Durchmesser von 30 Meter gelten dann als eine optimale Größe für die Betonkugeln: groß genug, um leistungsfähig zu sein, klein genug, damit die Transportlogistik noch mit vertretbarem Aufwand klappt. Die Fertigung der Kugeln könnte direkt am Hafen oder an einem küstennahen Standort erfolgen, der per Frachtschiff erreichbar ist.
Auf die Tiefe kommt es an
Die Betonkugeln würden im Idealfall auf eine Leistung von fünf Megawatt kommen. Attraktiv wird das Konzept durch die Tiefe, denn mit ihr steigt linear auch die erzielbare Maschinenleistung und die speicherbare Energiemenge. Aus wirtschaftlicher Perspektive gelten Wassertiefen von 600 bis 800 Metern als ideal. In 700 Meter Tiefe könne eine 30-Meter-Kugel ungefähr 20 Megawattstunden speichern, heißt es seitens des IEE.
Würde man die Kugel hingegen 200 Meter tief versenken, bliebe viel Speicherpotenzial ungenutzt – und die Konstruktion der Kugel wäre nicht einfacher. „Es ist eine Mindestmenge an Material nötig, damit die Kugel im leeren Zustand unten bleibt“, sagt Ernst. Damit ergebe sich zwangsläufig eine hohe Festigkeit, die auch größere Wassertiefen ermöglicht. Doch bei der Tiefe gibt es auch Grenzen, denn erstens sind konventionelle Unterwasser-Motorpumpen nur bis zu einer bestimmten Tiefe einsetzbar, und zweitens ist es vorteilhaft, wenn man ohne hochfesten Spezialbeton auskommt. Somit ergibt sich als Optimum eine Wassertiefe im genannten Bereich. Die Nordsee zum Beispiel ist zu flach. Im Skagerrak hingegen, wo die See bis zu 650 Meter tief ist, könnte die neue Speichertechnik genutzt werden – zumal dort die entsprechenden Wassertiefen in vertretbarer Distanz zur Küste erreicht werden.
Mit einer GIS-Analyse (Geografisches Informationssystem) der küstennahen Meeresgebiete haben die IEE-Forschenden die Potenziale bereits ermittelt. Faktoren waren dabei die Bodenneigung, Strömung und Sedimentverschiebung sowie die Entfernung zum Land. Nach diesen Simulationen liege das globale Speicherpotenzial mit solchen Kugeln bei insgesamt 817 000 Gigawattstunden, so das Kasseler Forschungsteam. An den zehn besten europäischen Standorten seien es allein 166 000 Gigawattstunden. Die Kapazität der bestehenden deutschen Pumpspeicherwerke ist mit ihren rund 40 Gigawattstunden vergleichsweise bescheiden.
Auch die Speicherkosten wurden am Fraunhofer IEE analysiert. Allerdings ist das eine Kalkulation, die aufgrund von Änderungen der Marktlage, speziell bei den Rohstoffpreisen, schnell überholt sein kann. Die erste Abschätzung ergab einen Preis von rund 4,6 Cent pro gespeicherter Kilowattstunde. Zugrunde gelegt wurden der Berechnung Investitionskosten von 1354 Euro pro Kilowatt Leistung und 158 Euro pro Kilowattstunde Kapazität.
Die Lebensdauer der Betonkugel veranschlagen die Wissenschaftler mit 50 bis 60 Jahren. Nach jeweils 20 Jahren müssten die Pumpturbine und der Generator erneuert werden. Diese Rechnung basiere auf einem Speicherpark mit sechs Kugeln, einer Gesamtleistung von 30 Megawatt und einer Kapazität von 120 Megawattstunden, heißt es vonseiten des IEE. Angenommen
wurden ferner 520 Speicherzyklen pro Jahr, also ein bis zwei Zyklen pro Tag.
Schwimmende Windkraftanlagen
Am Ende wird die Wirtschaftlichkeit der Speichertechnik auch davon abhängen, welche Synergien am Standort genutzt werden können. IEE-Forscher Ernst schwebt eine Kombination solcher Speicherkugeln mit schwimmenden Windkraftanlagen vor. „Es müssen bei diesem Konzept zwingend schwimmende Fundamente sein, denn konventionelle Anlagen, die im Meeresgrund verankert sind, harmonieren aufgrund der geringen Wassertiefe der betreffenden Standorte nicht mit dem Konzept der Betonkugeln.“
Doch wenn Windkraftanlagen in Seegebieten schwimmen, in denen das Wasser einige Hundert Meter tief ist, könnten unter einer ebenfalls schwimmenden Transformator-Plattform auch die Kugeln zu Wasser gelassen werden. In diesem Fall bräuchte man für den Windpark und den Speicher nur ein gemeinsames Stromkabel zum Land. Das Kabel könnte im Idealfall sogar kleiner dimensioniert sein, als wenn man einen Windpark ohne Speicher anschließt – weil man die stärksten Leistungsspitzen noch am Standort der Rotoren speichern kann und die Energie erst später an Land transportiert, wenn die Leitung wieder Kapazitäten freihat.