Für Scott Brusaw könnte ein Kindheitstraum in Erfüllung gehen. Als kleiner Junge liebte er Carrera-Autos, die mit Strom aus der Fahrbahn um die Wette flitzen. „Ich dachte schon damals daran, einmal richtige elektrische Straßen zu bauen“, sagt Brusaw. Heute ist er seinem Ziel näher als je zuvor: Der Ingenieur aus Sandpoint im US-Bundesstaat Idaho will die Highways der Vereinigten Staaten mit selbst entwickelten Solarmodulen pflastern und so in ein gigantisches Solarkraftwerk verwandeln. „Solar Roadways“ heißt das Konzept, das in den USA derzeit für Furore sorgt. Um Geld für die kommerzielle Produktion des Hightech-Straßenbelags zu sammeln, startete Brusaw im April einen Aufruf auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo. Innerhalb von nur zwei Monaten konnte er von mehr als 40 000 Privatinvestoren 2,2 Millionen Dollar einsammeln. Das ist doppelt so viel wie ursprünglich angestrebt – Solar Roadways ist damit die bisher erfolgreichste Kampagne auf Indiegogo.
Auch die Politik ist von dem Konzept überzeugt. Das US-Verkehrsministerium finanzierte die Entwicklung der etwa einen halben Meter großen Modulprototypen mit insgesamt fast einer Million Dollar. „Wir können alle von dieser öffentlich-privaten Partnerschaft profitieren, denn sie schafft Arbeitsplätze und verringert unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen“, sagt US-Senator Mike Crapo aus Idaho. Die erste mit den blau-grün schimmernden Hexagonen gepflasterte Fläche existiert bereits. Zur Demonstration hat Brusaw damit einen kleinen Parkplatz neben seiner Manufaktur in Idaho ausgerüstet. Ein Video auf der Internetseite von Solar Roadways zeigt, dass der Glasbelag selbst einen 1,3 Tonnen schweren Radlader trägt. „Wir nutzen eine Art Panzerglas, das alle Belastungstests mit Bravour bestanden hat“, versichert der Ingenieur.
Sprit im Überfluss
Die eigentliche Hochtechnologie befindet sich jedoch unter dem Glaspanzer: In den etwa zehn Zentimeter dicken Modulen sind neben den Solarzellen auch LED-Leuchten, Heizelemente, Sensoren und Mikroprozessoren untergebracht. Ihr Zusammenspiel verspricht einen beispiellosen Fortschritt in der langen Geschichte des Straßenbaus: Würde man alle Straßen und Parkplätze in den USA mit den Hexagonen ausstatten, könnten die Zellen den dreifachen Strombedarf des Landes decken, rechnet Brusaw vor. Ampeln und Laternen würden ihren Strom aus der Fahrbahn ziehen, jede Parkbucht wäre eine potenzielle Tankstelle, Autos ließen sich künftig sogar während der Fahrt per Induktion mit Strom versorgen. „Kein Fahrzeug müsste mehr Schadstoffe ausstoßen.“
Die eingebauten LEDs hätten wiederum die Aufgabe, den Verkehr sicherer zu machen. Sie sollen zusätzlich die Straßen beleuchten und quasi per Befehl aus der Verkehrsleitstelle Warnhinweise oder Tempolimits auf der Fahrbahn einblenden. Das könnte etwa notwendig werden, wenn die berührungssensitive Glasoberfläche Hindernisse wie entwurzelte Bäume oder Gesteinsbrocken registriert oder Tiere die Straße überqueren. Ihre Position würde in Echtzeit an die Leitstelle übermittelt, die Autofahrer sofort mit entsprechenden Hinweisen warnen könnte. „Es gäbe deutlich weniger Unfälle“, so Brusaw.
Um Kabelwirrwarr zu vermeiden, sollen sämtliche Strom- und Kommunikationsleitungen in begehbaren Schächten neben den Solar Roadways geführt werden. Da sie sich nur abschnittsweise durch verriegelbare Bodenklappen betreten ließen, seien die Leitungssysteme vor willkürlicher Zerstörung und Sabotage geschützt. „Die hässlichen Überlandleitungen, die heute vielerorts das Landschaftsbild prägen, bräuchte dann keiner mehr“, verspricht der Entwickler. Im Winter soll die Glasoberfläche zudem mit beheizbaren Elementen auf Temperaturen über null Grad erwärmt werden – Eis- und Schneefahrbahnen, die vor allem im Norden der USA vorkommen, wären damit passé.
Damit Fahrzeuge beim Bremsen auf nasser Fahrbahn nicht ins Rutschen geraten, weise die Oberfläche der Module noppenartige Erhebungen auf. „Durch diese Strukturen gewährleistet unsere Glasoberfläche den gleichen Griff wie Asphalt“, erklärt Brusaw. Gleichzeitig könne so Regenwasser besser abfließen und die Gefahr von Aquaplaning sinke. Um hartnäckigen Schmutz von der Fahrbahn zu entfernen, sehen die Pläne den Einsatz von Kehrmaschinen vor, die regelmäßig über die Highways patrouillieren. Diese Trupps könnten auch Wartungsarbeiten wie den Austausch defekter Hexagone übernehmen. „Dafür wäre es möglich, komplett auf Winterräumdienste zu verzichten“, sagt Brusaw.
Unbezahlbar?
So vielversprechend das Konzept auch klingt, so schwierig dürfte es jedoch auch umzusetzen sein. Das größte Problem sind die hohen Kosten. Brusaw selbst hat noch keine Kalkulation vorgelegt, Kritiker rechnen jedoch mit einem immensen Investitionsbedarf. Allein die Glaspreise würden den Rahmen sprengen, argumentieren sie. Ihre Rechnung: Ein Quadratmeter gehärtetes Glas, wie es Solar Roadways verwendet, kostet derzeit rund 300 Dollar. Das Straßennetz der USA umfasst insgesamt 75 Millionen Quadratmeter. Würde es komplett mit Hexagonen gepflastert, würde das Temperglas mit rund 20 Billionen Dollar zu Buche schlagen, dem Zehnfachen des diesjährigen US-amerikanischen Bundesetats.
Zudem drohen technische Probleme: Tonnenschwere Trucks donnern bei hohen Geschwindigkeiten über die Highways und Unwetter zehren an den Hightech-Modulen. Könnten Solarstraßen diesen Belastungen dauerhaft standhalten? Ihre modulare Struktur stellt eine Schwachstelle dar: Halten ihre Fugen nicht dicht, könnte eindringendes Wasser Kurzschlüsse und Stromausfälle verursachen. Offen ist ebenfalls, wie die Infrastruktur elektrisch versorgt werden soll, wenn Reifenabrieb und verschmutzte Straßen die Stromproduktion behindern oder die Sonne nicht scheint. Wenn Solar Roadways als energieautarkes System angelegt werden soll, wären Speicher nötig, die überschüssigen Solarstrom aufnehmen und bei Bedarf bereitstellen. Sie tauchen in Brusaws Überlegungen aber bisher nicht auf.
Martin Niklas, Geschäftsführer des Forschungsverbunds Erneuerbare Energien, hat deshalb Zweifel, dass das Konzept wie geplant umgesetzt wird. „Den gewaltigen Belastungen und entsprechenden Anforderungen an Photovoltaik-Materialien als Straßenbelag stehen insbesondere in den USA große verfügbare Flächen für herkömmliche Photovoltaik-Anwendungen gegenüber, sodass eine wirtschaftliche Nutzung in den nächsten 20 Jahren sehr unwahrscheinlich scheint.“
Radwege als Kraftwerk
In Europa befassen sich daher nur wenige Firmen und Institute mit derart visionären Konzepten. Das Projekt „Solaroad“ der Niederländischen Organisation für Naturwissenschaftliche Angewandte Forschung (TNO) beispielsweise geht in die Richtung von Solar Roadways, wobei die Ziele jedoch bescheidener sind: Vorgesehen ist zunächst, Radwege mit einem photoaktiven Belag in Solarkraftwerke umzuwandeln, die Strom für Ampeln und die Straßenbeleuchtung liefern. In Kürze soll laut TNO-Experte Stan Klerks mit dem Bau des Pilotwegs mit 100 Metern Länge in der Provinz Noord-Holland begonnen werden. Speicher, die eine nächtliche Versorgung mit Solarstrom ermöglichten, sind bei dem Projekt zunächst nicht vorgesehen. Auch Kostenschätzungen wollen die Protagonisten derzeit noch nicht kommunizieren. „Wir wollen hier erst einmal grundlegende Erkenntnisse sammeln. Der erste Schritt ist die Integration der Photovoltaik in die Module für die Straße.“
Auch das Konzept der schwedischen Firma Elways ähnelt dem von Solar Roadways. Sie will die Elektromobilität im Land in Gang bringen, indem sie so genannte „Elektrostraßen“ entwirft. Wie bei einer Carrera-Bahn sind in die Fahrbahndecke dieser Straßen Leiterschienen eingelassen, in die an Fahrzeugen montierte Stromabnehmer greifen. Der Strom dient zum Laden der Autobatterie, damit das Fahrzeug auch auf Streckenabschnitten ohne Kontakt zu den Stromschienen fahren kann. Da die Schienen sehr tief in die Straße eingelassen seien, bestehe keine Gefahr für Passanten und Radfahrer, heißt es bei Elways. Im Mai stellte die Schwedische Energieagentur Elways 5,2 Millionen Euro zur Verfügung, um die neue Technologie auf öffentlichen Straßen zu testen.
US-Tüftler Brusaw sieht sein Solar-Roadways-Projekt schon weiter. Die große Unterstützung der Behörden und der Crowd lassen ihn fest an den baldigen Durchbruch seiner Hexagone glauben. Bereits Ende dieses Jahres soll die Technik marktreif sein. Und auch das erste kommerzielle Projekt sei schon fix: In seinem Heimatort in Idaho werde er einen Besucherparkplatz mit dem neuen Straßenbelag pflastern.
Dieser Artikel erscheint auch in Ausgabe 08/2014 von neue energie.