Historisch gesehen hat sich Neuseeland schon immer überwiegend erneuerbar versorgt. Bis Mitte der 70er Jahre basierte die Stromerzeugung zu fast 90 Prozent auf Wasserkraft, ergänzt durch Geothermie sowie einige Gas- und Kohlekraftwerke. Das Land positionierte sich zudem aufgrund der negativen Erfahrungen mit den Atomtests in der Südsee sowie dem Anschlag auf das Greenpeace-Schiff Rainbow Warrier als „nuklearfreie Zone“.
Dann kam die neuseeländische Energiewende – in umgekehrter Richtung: Die steigende Energienachfrage in den 80er und 90er Jahren wurde, Dank heimischer Ressourcen, vor allem mit neuen Gaskraftwerken bewältigt. Mit dem Ergebnis, dass der Anteil erneuerbaren Stroms bis 2010 auf 74 Prozent fiel. Dieser Abwärtstrend ist zwar vorerst gestoppt. Allerdings werden derzeit kaum politische Maßnahmen unternommen, das anvisierte Ausbauziel von 90 Prozent bis 2025 umzusetzen. Laut Steve Goldthorpe, dem Herausgeber von Infodienstes EnergyWatch, verfolgt die seit 2008 amtierende, konservative Regierung andere Prioritäten. Sie forciert die Suche nach neuen Gas- und Ölfeldern sowie den Abbau von Kohle. „Die erhofften ökonomischen Vorteile einer fossilen Energiepolitik beruhen auf kurzfristigen Kalkulationen. Zukünftige Kostenentwicklungen und strategische Potentiale werden hingegen vernachlässigt.“
Energie aus Mittelerde
„Erneuerbare Energien haben derzeit keinen Rückenwind“ klagt auch John Huckerby vom neuseeländischen Verband für Wellen- und Gezeitenenergie AWATEA. Huckerby vertritt eine junge, noch nicht kommerzielle Technologie. Weltweit wird die Meeresenergie erst mit rund 600 Megwatt (MW) genutzt, einem Tausendstel ihres geschätzten Potentials. Neuseeland übernimmt hier zwar eine führende Rolle bei der internationalen Koordination. Die Regierung hat jedoch die Finanzierung für Forschungsprojekte auslaufen lassen. Seit dem Jahr 2000 hatte der Verband in Neuseeland 20 Projektideen zur Nutzung der Meeresenergie entwickelt. Davon haben es bis heute nur vier in die Planungsphase geschafft und nur eines einen vorkommerziellen Status erreicht.
Aber man findet im neuseeländischen Portfolio der Erneuerbaren auch Gewinner. „Die aktuelle Regierung vertritt die Position, dass Erneuerbare wirtschaftlich auf eigenen Füßen stehen müssen“, erklärt Brian White vom neuseeländischen Geothermieverband NZGA. „Die Geothermie kann das. Ökologische Vorteile werden lediglich als Bonus betrachtet“. Mit einem Anteil von 14 Prozent am Strommix und einer Kapazität von 750 MW nimmt Neuseeland in diesem Bereich eine internationale Spitzenposition ein. Dank der guten Verfügbarkeit oberflächennaher Erdwärme und gestiegener Gaspreise erwartet Brian White, dass die Energieversorger bis 2020 in ein weiteres Gigawatt geothermischer Kraftwerke investieren werden. Ähnlich positiv wirken sich die hiesigen Windressourcen aus: Ein außergewöhnlich hoher Auslastungsfaktor von durchschnittlich 41 Prozent lockt Projektentwickler – auch ohne Förderung. Der Windanteil an der Stromerzeugung ist so in den letzten zehn Jahren auf über vier Prozent angewachsen.
Kurz gesagt: Die Energiewende steht in Neuseeland nicht für jene gesellschaftspolitische Bewegung, wie sie Deutschland in den vergangenen Jahren erlebt hat. Nicht Klimaschutz oder Fukushima, allein die guten Ressourcen sind derzeit Grund für die Nutzung Erneuerbarer Energien. Neuseeland baut auf Erneuerbare – zumindest solange weltweite Rohstoff- und Technologiepreise als „unsichtbare Hand des Marktes“ die richtigen Anreize dafür setzen.
Reiseblog: Energiewende weltweit?
Wenn in Deutschland über die Energiewende gestritten wird, sind es häufig globale Herausforderungen, die als Argumente für den Ausbau der erneuerbaren Energien herangezogen werden. Aber lösen die kollektiven Bedrohungen vom Klimawandel über Fukushima und die Ressourcenknappheit in anderen Ländern einen vergleichbaren energiewirtschaftlichen Schwenk aus? Auf die Suche nach den argumentativen Triebfedern und Blockaden beim weltweiten Ausbau der erneuerbaren Energien reist Fabian Zuber durch eine Reihe von Ländern rund um den Globus.