Wenn der Bauer mit dem Trecker kommt, sind die Solarmodule vorbereitet. Sie schieben sich hoch, bis sie fast senkrecht stehen, und machen den Weg frei. So hat der Landwirt genügend Platz, um Kartoffeln, Kohl, Karotten oder Äpfel zu ernten. Und sogar, wenn auch nicht per Trecker, Bio-Eier von den freilaufenden Hühnern.
Was in Tützpatz an der Mecklenburgischen Seenplatte erprobt wird, kann die Energiewende nach vorn katapultieren. Hier wird ein ideologischer Streit ganz friedlich beigelegt: Ist es vertretbar, Felder für die Produktion von Solarenergie statt von Nahrungsmitteln zu nutzen? Gegenfrage aus Tützpatz: Warum nicht beides gleichzeitig?
Agri-PV lautet das Fachwort für diese Kombination: Agri für Agrarwirtschaft und PV für Photovoltaik. „Agri-PV steigert die Flächeneffizienz und ermöglicht einen massiven Zubau an PV-Leistung, bei gleichzeitigem Erhalt fruchtbarer Böden für die Landwirtschaft“, sagt Harry Wirth vom Fraunhofer ISE. Einige Nutzpflanzen würden von der reduzierten Sonnenstrahlung sogar profitieren – bessere Ernten dank Solarmodulen. Wirth schätzt das technische Potenzial von Agri-PV für grün erzeugten Strom deutschlandweit auf 2,9 Terawatt. Schon vier Prozent der deutschen Agrarflächen würden ausreichen, besagen Studien, um mit Agri-PV-Nutzungskonzepten den für die kommenden Jahre prognostizierten Strombedarf in Deutschland vollständig zu decken.
Der Weg vom Potenzial zur Realisierung ist allerdings weit. 4,3 Millionen landwirtschaftlich genutzte Hektar sind laut Ökoinstitut geeignet für Agri-PV. Doch nur auf einem winzigen Bruchteil davon wird derzeit ausprobiert, was geht. Noch vor einem Jahr lag die per Agri-PV erzeugte Stromleistung deutschlandweit bei bescheidenen 14 Megawatt. Das ändert sich gerade, auch durch Tützpatz.
79 Megawatt an grünem Strom werden dort auf 93 Hektar erzeugt. Noch wichtiger ist die Botschaft, die vermittelt wird: wie problemlos Landwirtschaft möglich ist, selbst wenn auf den Feldern überall Solarmodule in Reih und Glied stehen. Jedenfalls, wenn der Winkel dieser Module gesteuert werden kann, um die Energie der Sonne optimal einzufangen. Und um – fast senkrecht gestellt – Treckern und Erntemaschinen genügend Raum zu geben. Spezielle Geräte brauche es in der Regel nicht, sagt Kai Debus, Lead Stakeholder Manager Germany bei Vattenfall. Der Energiekonzern ist Betreiber des Tützpatzer Projekts. „Für die Landwirte ist es entscheidend, einen erfahrenen Projektierer an ihrer Seite zu haben, der alle Details und Fallstricke kennt und entsprechende Projekte auch schon umgesetzt hat.“ Und das hat Vattenfall.
Viel Überzeugungsarbeit bei den 600 Einwohnern von Tützpatz musste das Unternehmen nicht leisten. „Sowohl das Interesse als auch die Akzeptanz ist bei Agri-PV-Anlagen höher als bei den üblichen Solarparks“, sagt Kai Debus. Das gelte für die Bevölkerung vor Ort ebenso wie für Landwirte, Landwirtschaftsverbände, Umwelt- und Naturschutzverbände. Er weiß: „Gegenüber Standard-PV gibt es nach wie vor Bedenken, dass fruchtbare Böden der landwirtschaftlichen Erzeugung entzogen werden und dass aus Landwirten nun Energiewirte werden.“
Diese Gefahr droht in Tützpatz nicht. Auf den Solarfeldern wachsen schattenresistentere Sorten wie Kartoffeln, Wurzelgemüse wie Karotten – aber auch diverse Blattgemüse wie Grünkohl, Spinat und Salate. „Auf Agri-PV-Anlagen mit hochaufgeständerten Modulen und großen Modulreihenabständen lassen sich grundsätzlich alle Kulturen anbauen und auch vergleichbare Erträge ernten wie auf den zuvor ausschließlich landwirtschaftlich genutzten Flächen“, sagt der Vattenfall-Manager.
Sogar Hühner sollen in Tützpatz künftig unter den Solarmodulen herumlaufen, und zwar zu Tausenden. Sie sind durch die geneigten Module sogar besser vor Angriffen von Greifvögeln geschützt. Auf die Solarmodule springen oder klettern können sie nicht. „Wir wissen, wie das Design gestaltet sein muss, um weitgehend zu verhindern, dass sich die freilaufenden Hühner auf den Modultischen bewegen“, sagt Debus. Im Moment ist Vattenfall noch beim „Finetuning“, wie die Idee mit den mobilen Hühnerställen am besten umzusetzen ist. „Sobald wir diese finalen Arbeiten abgeschlossen haben, können wir auch die ersten Hühner samt mobiler Hühnerställe auf die Fläche bringen.“