Stiftung UmweltEnergieRecht - 25 Jahre EEG
Strukturwandel

Ist die deutsche Industrie erneuerbar?

Damit Deutschland ein Industrieland bleibt, muss die Wirtschaft umschwenken auf erneuerbare Energien. Viele Unternehmen setzen deshalb auf die Elektrifizierung ihrer Prozesse mit grünem Strom.
Von:  Michael Prellberg
07.03.2025 | 7 Min.
Umstellung am Hochofen: Um den CO2-Ausstoß zu verringern, erprobt Thyssen Krupp Methoden zur Stahlgewinnung, die Wasserstoff anstelle von Kokskohle beim Verarbeiten des Eisenerzes verwenden.
Umstellung am Hochofen: Um den CO2-Ausstoß zu verringern, erprobt Thyssen Krupp Methoden zur Stahlgewinnung, die Wasserstoff anstelle von Kokskohle beim Verarbeiten des Eisenerzes verwenden.
Foto: Federico Gambarini/dpa/picturealliance

Bevor Glas schmilzt, muss es sehr heiß werden. Es braucht Erdgas, davon zeigten sich die deutschen Glashütten lange überzeugt, um Temperaturen von mehr als 1000 Grad Celsius zu erreichen – oder es rechnet sich nicht. 

Heinz-Glas tritt den Gegenbeweis an. Zuerst am Stammsitz im fränkischen Kleintettau, seit September auch in Piesau im Thüringer Wald. Dort schmilzt die Elektroschmelzglaswanne „Edith“ täglich bis zu 70 Tonnen Glas für Flakons für die Parfümindustrie – ganz ohne Erdgas. „Somit schmelzen wir an unseren beiden deutschen Standorten komplett fossilfrei, sprich vollelektrisch“, sagt Geschäftsführerin und Inhaberin Carletta Heinz.

Elektrifizierung rechnet sich

Weil es geht. Und weil es sich rechnet. „Es können viel mehr industrielle Prozesse elektrifiziert werden, als manche glauben“, sagt Frank Peter, Direktor beim Thinktank Agora Industrie. „Die gute Nachricht: Allmählich setzt sich diese Erkenntnis durch.“ Bis 2035 könnten 90 Prozent der industriellen Anwendungen auf strombasierte Alternativen umgestellt werden, zeigt eine Studie, die Agora kürzlich mit dem Fraunhofer- Institut für System- und Innovationsforschung (Isi) veröffentlicht hat. Bereits heute können beispielsweise Elektrolichtbogenöfen, die Stahl bei einer Temperatur von 1800 Grad Celsius schmelzen und gießen, eingesetzt werden. „Dass die Elektrifizierung in der Industrie so rasch ansteigen würde, hätte man noch vor fünf Jahren nicht erwarten können“, sagt Agora-Direktor Peter. 

Es können viel mehr industrielle Prozesse elektrifiziert werden, als manche glauben.“ Frank Peter, Agora Energiewende

Zur Erinnerung: 2050 will Europa klimaneutral sein. Deutschland soll und will dabei Vorreiter sein. Tatsächlich gibt es Erfolge zu vermelden. Auf 62,7 Prozent ist der Anteil erneuerbarer Energien an der Nettostromproduktion in Deutschland vergangenes Jahr laut Fraunhofer-Statistik gestiegen. Und das Umweltbundesamt hat errechnet, dass die CO2-Emissionen der Industrie seit 1995 um mehr als ein Drittel gesunken sind. So erfreulich das ist: Es gibt noch einiges zu tun, damit die industrielle Transformation gelingt.

Was die Zukunft bringt

In Deutschland wird an vielen Stellschrauben gedreht, damit der Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft gelingt. Das vielleicht wichtigste Projekt ist die Nationale Wasserstoffstrategie: Deutschland forciert den Einsatz von Wasserstoff als klimafreundliche Energie, um mit diesem Know-how zum Technologieführer in einem neuen Markt zu werden.

Das mag noch Zukunftsmusik sein, doch schon heute werden geradezu im Wochentakt neue Lösungen für eine nachhaltigere Industrie präsentiert. Dazu zählen Speicher für Solar- und Windenergie, die Strom auch in dunklen und windstillen Zeiten aufbewahren. Oder Flugwinddrachen, die den Wind mehrere hundert Meter über der Erde nutzen, um ihn in Strom umzuwandeln. Unabhängig davon werden digitale und damit effiziente und automatisierte Prozesse erprobt, die sowohl Kosten als auch Energie sparen. Ebenso zukunftsweisend sind neue Geschäftsmodelle: Bei Power Purchase Agreements (PPAs) nehmen Unternehmen regenerativ erzeugten Strom für einen festen Zeitraum und einen ebenso festen Preis ab. Und bei Energieallianzen ziehen Landwirte, Kommunen und Versorger an einem Strang.           

Was der Gesetzgeber will

Die Energiewende zu ignorieren ist jedenfalls für kein Unternehmen mehr möglich. Dafür sorgt nicht zuletzt der Gesetzgeber. So fordert die aktuelle EU-Gebäuderichtlinie unter anderem, alle neuen Gebäude so zu planen, dass Solartechnologien verwendet werden können. Und was an Betriebsgebäuden schon steht, soll im Falle größerer Renovierungen oder Dacharbeiten möglichst mit Solarpanelen versehen werden. Die EU-Gebäuderichtlinie muss bis Mai 2026 in nationales Recht umgesetzt werden, unabhängig von den Mehrheiten im Bundestag.

Andere Vorgaben sind bereits Gesetz. So müssen deutschlandweit rund 15.000 Unternehmen erstmals einen Bericht nach CSRD-Vorgaben erstellen. Damit sollen Nachhaltigkeitsberichte so vergleichbar werden, wie es Finanzberichte seit Jahrzehnten sind. Der CSRD-Bericht ist nicht die einzige Vorgabe: Das Lieferkettengesetz verpflichtet die großen Unternehmen zu kontrollieren, ob sich auch ihre Zulieferer in Hinsicht auf Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Government (Unternehmensführung) korrekt verhalten. Wer als Zulieferer auffällig gegen die ESG-Kriterien verstößt, muss mit Konsequenzen rechnen, bis hin zum Ende der Geschäftsbeziehung.

Sowohl das Lieferkettengesetz als auch die CSRD-Berichtspflicht beschert den betroffenen Unternehmen zusätzliche Arbeit und wird daher kritisch gesehen. „Weniger Bürokratie!“ ist der häufigste Wunsch der Unternehmen an die Politik. Derzeit wünschen sich viele ebenso sinkende Energiepreise, auch die Netzentgelte für den Transport des Stroms seien zu hoch. So forderte Dennis Grimm, CEO der Stahlsparte von Thyssen Krupp bei einem Wahlkampfbesuch von Bundeskanzler Olaf Scholz „wettbewerbsfähige Energiekosten und eine Entlastung bei Netzentgelten“. Grimm weiß genau: Nicht nur in der Stahlbranche überlegen einige Unternehmen, ihre Produktion auszulagern in Länder, in denen die Energie billiger ist. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnt bereits vor einer „stillen Abwanderung“.

Was von der Politik gefordert wird

Die Politik soll gegensteuern. „Ausufernde Regulierung, komplizierte Bürokratie und langwierige Genehmigungsverfahren bremsen alle, die in Deutschland Unternehmer sind oder werden wollen“, moniert der stellvertretende BDIHauptgeschäftsführer Holger Lösch und fordert die neue Bundesregierung auf, einen grundlegenden Kulturwandel einzuleiten. Er wünscht sich „einen klaren Rahmen“, innerhalb dessen Unternehmen die Freiheit zum unternehmerischen Handeln besitzen.

Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl, wünscht sich „ausreichend Energie zu wettbewerbsfähigen Preisen“. Bezahlbare Strompreise seien die zentrale Voraussetzung für den Umbau zur Klimaneutralität. In diese Kerbe schlägt auch der BDI. „Die künftige Bundesregierung muss für eine dauerhafte Senkung der Strompreise sorgen“, sagt Holger Lösch. „Sie sollte dazu die Stromsteuer und die Netzentgelte auf das europäische Mindestmaß begrenzen.“

Neue Märkte erschließen

Was die Unternehmen ausdrücklich nicht fordern: einen Rollback der Klimapolitik, so wie es der neue US-Präsident Donald Trump anstrebt. Den Grund dafür benennen Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, und Ottmar Edenhofer, Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, in einem gemeinsamen Beitrag für die Wochenzeitung „Zeit“: Die deutschen Unternehmen hätten ihre Dekarbonisierungsstrategien längst an Klimazielen ausgerichtet. Ein Umsteuern sei so unnötig wie unerwünscht. „Es braucht keine Zieldebatten“, fordern Hüther und Edenhofer, „sondern eine Umsetzungsoffensive“.

Dann könnten neue Industriezweige weiter aufblühen. Dazu zählt sicherlich der Aufbau einer Wasserstoff-Industrie, die politisch mit Milliardeninvestitionen gefördert wird. Auch das Recycling der Batterien von E-Fahrzeugen wird ein lukrativer Markt werden. Dazu kommt Power to X: Die Verwandlung von Ökostrom in Energieträger wie Wasserstoff oder Methan, die sich speichern und transportieren lassen. 

Es gibt viele Stimmen, die Power to X für essenziell halten, um die Energiewende zum Erfolg zu führen. Ob Kerosin für Flugzeuge, Wasserstoff für Brennstoffzellen-Fahrzeuge, Diesel für Schiffe oder Kohlenwasserstoffe als Grundstoffe für die Chemieindustrie – all das ließe sich mit Strom aus erneuerbaren Quellen klimaneutral fabrizieren. Dafür allerdings bräuchte es genügend von diesem Strom.

Ausbau der Stromtrassen erforderlich

Genau da hakt es im Moment. Auch wenn zwei Drittel des Stroms mittlerweile aus erneuerbaren Quellen kommt: Sobald Unternehmen auf fossile Energieträger verzichten sollen, brauchen sie Strom als Alternative. Sprich: deutlich mehr Strom als heute. Die Netzbetreiber Amprion, TransnetBW, 50 Hertz und Tennet gehen davon aus, dass sich der Strombedarf bis 2045 verdoppeln wird. Dafür müssen neue Stromtrassen gebaut werden.

Damit stellt sich die Frage: Gibt es genügend Stromleitungen für eine erfolgreiche Energiewende? Agora-Direktor Frank Peter sieht tatsächlich Anpassungsbedarf – allerdings auch bei der Industrie selbst. „Viele Unternehmen wollen Prozesse bereits in drei bis fünf Jahren elektrifizieren“, sagt Peter. Dafür müsste einerseits der Netzausbau jetzt weiter vorangetrieben werden, andererseits könnten die Netze effizienter genutzt werden, wenn Industriekunden ihren Stromverbrauch flexibilisieren. „Die steigende Nachfrage aus der Industrie war bei Netzbetreibern lange nicht auf dem Schirm“, sagt Peter, „und für die Industrie fehlten Anreize, ihren Strom fl exibel zu beziehen. Hierfür ist eine Reform der Netzentgeltregulierung ein entscheidender Hebel.“

Die Industrie braucht mehr Strom

Die Industrie produziert häufi g energieintensiv. Das gilt insbesondere für Grundmaterialien wie Stahl, Aluminium, Kunststoffe und Zement. Der Verbrauch dieser Rohstoffe und Materialien wird Schätzungen zufolge bis zum Jahr 2050 um den Faktor zwei bis vier ansteigen. „Die Elektrifizierung von Produktionsprozessen und der Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft sind Teil der Lösung“, sagt Christian Kullmann, Vorstandsvorsitzender des Spezialchemie-Konzerns Evonik. „Dafür braucht es aber erhebliche Mengen an Strom aus erneuerbaren Quellen.“

Laut einer Dechema-Studie bräuchte es 50 Prozent mehr Strom, als aktuell zur Verfügung stehen. Ähnlich rechnet der Chemieverband VCI in seiner „Roadmap Chemie 2050“: Der jährliche Stromverbrauch der Chemiebranche müsste auf 628 Terawattstunden ansteigen, um auf fossile Energieträger verzichten und CO2-Neutralität ermöglichen zu können. Das ist deutlich mehr als derzeit in Deutschland insgesamt an Strom produziert wird.

Abschied von Kohle und Erdöl

Die industrielle Produktion ist in Umbruch. Das liegt an Kundenwünschen, an gesetzlichen Vorgaben und nicht zuletzt an der Erkenntnis, die sich in den meisten Unternehmen allmählich durchsetzt, dass nur der Wechsel auf nachhaltiges Wirtschaften den langfristigen Erfolg ermöglicht. Ein Treiber dieses Wechsels ist die Digitalisierung, die ein automatisiertes und vernetztes Produzieren ermöglicht – und so Ressourcen und Kosten einspart. Gleichwohl kann der Verzicht auf Öl und Kohle in der Industrie nur gelingen, wenn die Unternehmen guten Gewissens auf erneuerbare Energien umsteigen können. Dieser Moment rückt immer näher.

 

Stiftung UmweltEnergieRecht - 25 Jahre EEG

Kommentar verfassen

Hinweis: Kommentare werden vor der Freischaltung zunächst gesichtet. Dies kann unter Umständen etwas Zeit in Anspruch nehmen.

*Pflichtfelder

Die E-Mailadresse wird nicht gespeichert, sondern gelöscht, sobald Sie eine Bestätigungsmail für Ihren Kommentar erhalten haben. Weitere Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung


Captcha Image
=
Umstellung am Hochofen: Um den CO2-Ausstoß zu verringern, erprobt Thyssen Krupp Methoden zur Stahlgewinnung, die Wasserstoff anstelle von Kokskohle beim Verarbeiten des Eisenerzes verwenden.
Foto: Federico Gambarini/dpa/picturealliance
14. Zukunftskonferenz Wind & Maritim - 06. und 07.05. Rostock
Termine
18.03.2025
Betreiberpflichten: Gesetze, Verordnungen & Rechtsfolgen
Bundesverband WindEnergie e.V.

18.03.2025
Berlin Energy Transition Dialogue (BETD) 2025
BETD-Team

18.03.2025 bis 20.03.2025
Neu hier? Grundlagen der Windenergie Onshore
Bundesverband WindEnergie e.V.

19.03.2025
Branchentag Erneuerbare Energien Mitteldeutschland
Bundesverbände WindEnergie e.V. und Erneuerbare Energien e.V.