32. Windenergietage 05.- 07.11.2024
Interview

„Würde es bei den Menschen eine Mehrheit für ein Atomkraftwerk geben?“

Die Frage stellt Katharina Reuter, Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft, provokant in den Raum – und liefert die Antwort gleich mit. Zugleich ist sie davon überzeugt, dass es eine bessere Akzeptanzpolitik pro Energiewende und staatliche Unterstützung bei Zukunftsinvestitionen braucht.
Interview: Jörg-Rainer Zimmermann
29.07.2024 | 8 Min.
Erschienen in: Ausgabe 08/2024

neue energie: Zum Einstieg ein Zitat der Denkfabrik Agora Energiewende: „Die Energiepolitik muss Akzeptanzpolitik ins Zentrum stellen, sonst scheitert die Energiewende.“ Der Satz stammt von 2020. Trifft er noch immer zu?

Katharina Reuter: Der Satz gilt nach wie vor. Und das schon seit Jahrzehnten. Deshalb muss auch gefragt werden, was in der Vergangenheit schiefgelaufen ist, dass das heute immer noch stimmt. Aus meiner Sicht diskreditieren bestimmte politische Kreise, wie zum Beispiel neoliberale Lobbyorganisationen, sämtliche Bestrebungen für mehr Nachhaltigkeit als etwas, das zu mehr Belastung für die Menschen führt. Anstatt zu zeigen, dass Nachhaltigkeit uns Zukunft ermöglicht. Unternehmen und Kommunen machen aber vor, welche Innovationskraft in erneuerbaren Energien steckt und dass die Menschen von der Systemtransformation profitieren. Das ist für die Akzeptanz der noch anstehenden Veränderungen enorm wichtig. Eigentlich würde ich den Spieß gerne mal rumdrehen: Was wäre denn, wenn in Gegenden, wo die AfD dominiert, wo der Erneuerbaren-Ausbau abgelehnt wird, ein Atomkraftwerk oder ein Endlager für Atommüll errichtet werden sollte? Würde es dafür bei den Menschen vor Ort eine Mehrheit geben? Mit Sicherheit nicht.

ne: Dennoch verlangt die Transformation unseres Energiesystems von jedem Einzelnen weitreichende Verhaltensänderungen. Damit sind sehr grundsätzliche soziale Fragen verbunden. Was muss Akzeptanzpolitik leisten, wenn sie erfolgreich sein soll?

Reuter: Was den sozialen Bereich betrifft, brauchen wir das Klimageld für die Akzeptanz. Deshalb steht es im Koalitionsvertrag – und trotzdem haben wir es noch nicht. Umso fataler ist, dass die FDP bei dem Thema blockiert. Das ist ein Skandal!

ne: Und was braucht es darüber hinaus?

Reuter: Ehrlichkeit. Dazu gehört das Eingeständnis, dass Transformation auch wehtun kann. Die Veränderungen rücken nah an die Menschen heran. Es geschieht im Heizungskeller, bei den Verkehrsmitteln. Akzeptanzpolitik muss die Menschen, die Unternehmen darüber aufklären, was die Veränderungen konkret für sie bedeuten. Denn Planungssicherheit ist für alle wichtig, gerade wenn es um die Kosten der Energie geht. Sonst werden Investoren zurückhaltend. Damit will ich nicht andeuten, dass Firmen bei steigenden Energiepreisen sofort abwandern würden. Das sehe ich nicht. Es geht mir aber um Transparenz, darum, dass der Sinn dieser durchaus anstrengenden Transformation deutlich gemacht wird. Auch, weil die neue Energieinfrastruktur mit Eingriffen in das Landschaftsbild einhergeht. Deshalb muss immer wieder das übergreifende Ziel klar benannt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat ja nicht umsonst das Klimagerechtigkeits-Urteil gefällt. Und im April hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt, dass die Menschen einen Anspruch auf Klimaschutz haben, der durch ihre Regierungen gewährleistet werden muss. Ein Nachteil ist aus meiner Sicht, dass es in der Erneuerbaren-Branche seit einiger Zeit einen Trend zur Konzentration auf große Player gibt. In den Ausschreibungen für Windenergie gehen die Zuschläge kaum noch an Bürgerenergieprojekte. Die Energiegenossenschaften sind aber vor Ort in den Regionen verwurzelt und akzeptiert.

ne: Sie hatten sich jüngst für eine Anpassung der Schuldenbremse ausgesprochen. Zahlen staatliche Investitionen auch auf das Thema Akzeptanz ein?

Reuter: Wir beim BNW standen bisher, wie die Mehrheit der Unternehmensverbände, hinter der Schuldenbremse. Davon sind wir aber abgekommen. Wir verweisen auf den Vorschlag, die bestehende Regelung um eine Investitionsklausel zu ergänzen, und begrüßen es, eine Investitionsprämie zu prüfen. Wir dürfen jetzt nicht den Fehler machen und auf Kosten unserer Kinder und Kindeskinder den Klimaschutz hintenanstellen. Es braucht Zukunftsinvestitionen, und das geht nur, wenn der Staat sich daran beteiligt und unterstützt. Niemand kann von den Menschen verlangen, dass sie die Energiewende unterstützen, wenn gleichzeitig vom Staat nur halbherzig unzureichende Mittel kommen.

ne: Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger hat gefordert, dass die Ampelregierung die Klimaschutzvorgaben für Unternehmen zurücknehmen soll. Wie steht es um die Bereitschaft der Wirtschaft, bei der Transformation mit anzupacken?

Reuter: Ich würde sagen, da verfangen immer wieder neoliberale Narrative. Institutionen wie die Stiftung Familienunternehmen oder die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die FDP, aber auch Teile der Industrie, die klassischen Wirtschaftsverbände, haben darauf hingearbeitet, Nachhaltigkeitsthemen nur noch mit Bürokratie, Bevormundung und steigenden Energiepreisen gleichzusetzen. Im gleichen Atemzug wird zudem auf die Belastungen durch die vielen Krisen der vergangenen Jahre verwiesen und mit Abwanderung gedroht. Diese Drohkulisse beobachte ich aber – mit wechselnden Aufregerthemen – schon seit mehr als 20 Jahren. Das Muster ist immer gleich. Ein Beispiel: das Verbot der Käfighaltung für Legehennen. Da hieß es, ein Verbot würde unserer Wirtschaft schaden, die Betriebe abwandern, es gäbe keine Nachfrage. Heute ist die Nachfrage so groß, dass wir Eier importieren, weil der Bedarf sonst nicht gedeckt werden kann. Ein anderes Beispiel wäre die EU-Chemikalienverordnung ‚Reach‘. Wenn die kommt, stirbt die europäische Chemieindustrie, wurde behauptet. Und, haben wir noch eine Chemieindustrie, gerade in Deutschland? Ja, haben wir.

ne: Mit Abwanderung zu drohen, funktioniert aber immer noch…

Reuter: Ja, das ist sehr wirkmächtig. Aber ich bin froh, dass langsam klar wird, dass auch dieses Jammern der Konzernbosse zu einem Erstarken der AfD beigetragen hat. Deswegen treibt mich ganz stark um, wie Unternehmen, die sich für den Standort Deutschland entscheiden, mehr Sichtbarkeit gegeben werden kann. Es gibt ja solche Unternehmen, die China wieder den Rücken kehren, die sagen: Das ist mit unseren Ansprüchen nicht vereinbar, was dort geschieht. Wir brauchen mehr als Lieferketten-Resilienz, wir brauchen auch Transparenz. Es gibt bereits etliche Beispiele dafür. Ebenso, wie es viele Unternehmen gibt, die sich vollständig oder zum Teil selbst mit erneuerbar produzierter Energie versorgen. Aber solche Geschichten stehen nicht im Fokus des medialen Interesses.

ne: Es gibt zwei wichtige Schnittstellen zwischen den Unternehmen und der Bevölkerung. Zum einen sind das natürlich die Konsumangebote. Zum anderen gibt es die Ansprache der eigenen Mitarbeiterschaft. Könnten Unternehmen über diese Kanäle nicht sehr viel mehr für die Akzeptanz der Systemtransformation tun?

Reuter: Ich glaube, da passiert bereits so einiges. Im Kleinen wie im Großen gibt es Angebote für nachhaltigeres Verhalten. Da werden zum Beispiel Fahrräder oder gesundes Essen gestellt. Zugleich wird für Demokratiethemen sensibilisiert. Die Drogeriekette dm etwa hat ihren Mitarbeitenden die Einsätze als Wahlhelfer als Arbeitszeit bezahlt. Ich war vor einiger Zeit in Sachsen bei der Ölmühle Moog. Dort werden nicht nur Arbeitsplätze geschaffen. Die Firma ist in der Region ein echter Besuchermagnet. Es gibt kulturelle Events. Solche Aktivitäten beleben nicht nur die Region. Dabei werden zugleich Werte, eine Haltung der Unternehmen transportiert. Das gibt es natürlich auch im Erneuerbaren-Bereich.

ne: Zum Beispiel?

Reuter: Ich denke etwa an das Haffhus, ein Wellness Spa in Mecklenburg-Vorpommern, das auf die eigene Erzeugung von erneuerbarer Energie setzt. Als für selbst erzeugten Strom noch die EEG-Umlage gezahlt werden musste, haben die sich vom öffentlichen Stromnetz abgekoppelt, versorgen sich autark. Obendrein laden sie andere Unternehmen ein, ihre innovativen Lösungen kennenzulernen. Sozusagen mit einer Einladung zum Nachmachen. Dabei konnte auch gezeigt werden, dass sich die Investitionen rechnen, dass dieses Vorgehen ökonomisch sinnvoll ist. Damit war schnell klar, dass das nicht einfach etwas aus einer Ökospinner-Nische ist.

ne: Das waren Beispiele aus dem Bereich kleinerer, mittelständischer Unternehmen. Wie sieht es bei großen Konzernen aus, die ja permanenten Zugriff auf eine riesige Zahl von Menschen und damit auf die Meinungsbildung im großen Stil haben?

Reuter: Konzernen kommt eine hohe Verantwortung zu. Besonders, weil das Vertrauen in die Politik stark gesunken ist und sich Menschen in hohem Maße an Unternehmen orientieren. Deshalb finde ich das Thema Corporate Political Responsibility unglaublich wichtig. In diesem Bereich stellen sich sehr spannende Fragen. Eine ist, wie eigentlich Unternehmen auf dem Weg zur Dekarbonisierung mit Klimawandelleugnern in der eigenen Belegschaft umgehen sollten. Da gibt es zwei verschiedene Wege. Ich höre von Unternehmen einerseits, dass es zu viel Mühe bereiten würde, sich damit zu beschäftigen. Die arbeiten dann lieber mit den Menschen, die etwas voranbringen wollen. Dafür legen sie tolle Initiativen auf, wie Nachhaltigkeitsimpulse aus der Belegschaft ins Unternehmen weitergetragen werden können. Aber es gibt auch andere Ansätze. Wenn ein Unternehmen ein klimaneutrales Produkt herstellen will, Mitarbeitende aber den menschengemachten Klimawandel leugnen, dann werden umfassende Bildungsprogramme aufgelegt. Also ganz klar, die Unternehmen haben Verantwortung und müssen sich dem mit Aufklärung stellen. Wer behauptet, mehr Nachhaltigkeit ist der Killer für den Wirtschaftsstandort Deutschland, liegt fundamental falsch. Ein echter Killer wäre zu wenig Zuwanderung.

ne: Wie groß ist der Anteil der Unternehmen, die hierzulande bereits nachhaltig wirtschaften? Und welche Chancen erwachsen daraus für den BNW?

Reuter: Der Rat für Nachhaltige Entwicklung hat dazu im Jahr 2021 eine Untersuchung veröffentlicht, die ziemlich ernüchternd ist. Ganzheitlich nachhaltig arbeiten demnach 0,15 Prozent der deutschen Unternehmen, je nach Szenario etwas schwankend. Ich habe daraus für den BNW abgeleitet, dass wir auf 4000 bis 5000 Mitgliedsunternehmen wachsen könnten. Sicher hat sich aber in den vergangenen Jahren die Situation noch einmal etwas gebessert. Allerdings denke ich nicht, dass der BNW schnell ein Massenverband werden wird. Wir behalten unsere Rolle des Transformationstreibers noch eine Weile.

Dies ist eine gekürzte Fassung des Interviews. Der vollständige Text ist in Ausgabe 07/08/2024 von neue energie erschienen.

 

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