Gerade hatte das Umweltbundesamt gute Nachrichten zu vermelden: Der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung in Deutschland steigt weiter an, bis Mitte 2024 um neun Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr 2023. Sonne, Wind und Co deckten 57 Prozent des Stromverbrauchs im Land ab. Etwas mehr als die Hälfte und damit der größte Teil der Ökostromerzeugung stammte aus Windenergie.
Wie es um den Ausbau der Technologie derzeit bestellt ist, dazu äußerten sich nun der Bundesverband WindEnergie (BWE) und der Anlagenbau-Verband VDMA Power Systems, die dazu regelmäßig Zahlen durch das Beratungsunternehmen Deutsche Windguard erheben lassen. Auf den ersten Blick sehen die gar nicht so rosig aus: 250 neue Windenergieanlagen sind in diesem Jahr bisher ans Netz gegangen mit einer Gesamtleistung von 1300 Megawatt (MW).
Das ist rund ein Fünftel weniger als im Vorjahr. Weil zugleich 380 MW aus Altanlagen stillgelegt wurden, beträgt der Netto-Zubau 929 MW. In Summe gab es damit Ende Juni etwas mehr als 28.600 Windenergieanlagen mit zusammen 61,9 Gigawatt (GW) Leistung. Die Zahl der Anlagen ist sogar leicht gesunken, weil neue Modelle sehr viel leistungsstärker sind. 29 Prozent des Zuwachses stammt aus RepoweringAustausch älterer Windräder durch moderne Anlagen am gleichen Standort.Austausch älterer Windräder durch moderne Anlagen am gleichen Standort.-Projekten, bei denen meist mehrere alte durch wenigere moderne Anlagen ersetzt werden.
Viel mehr Genehmigungen als in den Vorjahren
Als Erklärung für den insgesamt gehemmten Zubau nannte BWE-Präsidentin Bärbel Heidebroek praktische Gründe: Im April hätten starke Winde die Arbeit auf den Baustellen erschwert, zudem habe eine Autobahn-Sperrung den Transport von Rotorblättern aus Cuxhaven blockiert. Optimistisch stimmt die Verbände aber etwas anderes. Die Summe der Genehmigungen für Windenergie-Projekte ist im Jahresvergleich deutlich gestiegen, um 32 Prozent auf annähernd 4800 MW. Das übertrifft schon jetzt die Werte für die Gesamtjahre 2021 und 2022.
Eine positive Tendenz gibt es auch bei den Ausschreibungen, in denen sich genehmigte Projekte um eine Vergütung bewerben können. Gebote über die Rekordhöhe von insgesamt 2485 Megawatt (MW) gingen für die jüngste Auktionsrunde zum Abgabetermin 1. Mai bei der Bundesnetzagentur (BNetzA) ein. Allerdings waren fast 2800 MW ausgelobt, die Auktion war also unterzeichnet, wie auch die vorherigen Male schon. Eigentlich hätten sogar 4100 MW ausgeschrieben werden sollen, weil vom vergangenen Jahr mangels Bietern noch Mengen übrig sind. Die BNetzA kann das angebotene Volumen aber kürzen, wenn sich abzeichnet, dass die Gebotsmenge deutlich darunter liegt.
BNetzA-Chef Klaus Müller hob „den Trend steigender Gebots- und Genehmigungszahlen“ hervor. Gehe es so weiter, dann seien die Zubauziele erreichbar. Bis 2030 sollen bei der Windenergie an Land 115 Gigawatt (GW) installiert sein. Die Zwischenmarke von 69 GW für Ende 2024 wird wohl verfehlt. Im besten Fall rechnen die Branchenverbände mit einem Jahreszubau von rund vier GW. Das Hoch bei den Genehmigungen und den Geboten wird sich erst mit Zeitverzug bemerkbar machen, wenn die Projekte fertig gebaut sind. Zwei weitere Auktionen sind in diesem Jahr noch angesetzt, jeweils über 4000 MW.
Nord-Süd-Gefälle bleibt bestehen
Ein fortwährendes Problem für das Erreichen der Ziele ist das starke Nord-Süd-Gefälle: Im Süden des Landes liegt der Windenergie-Ausbau weitgehend brach. In Bayern sind laut der Fachagentur Windenergie an Land im gesamten Jahr 2023 nur 85 Megawatt Leistung genehmigt worden, in NRW waren es im selben Zeitraum 1700 MW. Das schlägt sich in den Ausschreibungen und im Zubau nieder: Regelmäßig gehen die meisten Zuschläge in den Norden und Westen der Republik.
Im Verhältnis zur Landesgröße hat Schleswig-Holstein bislang am meisten Windenergie-Leistung installiert, Bayern liegt an letzter Stelle. „Wir haben hier eine ganz starke Schieflage“, sagte BWE-Präsidentin Heidebroek. Aus dem Süden sei zu hören, man wolle aufholen, zu sehen sei das jedoch noch nicht. Als „Nadelöhr“ für den Ausbau sei zudem die Ausweisung von genügend Flächen zur Windenergienutzung zentral, auch da hätten viele Bundesländer Nachholbedarf.
Der Geschäftsführer von VDMA Power Systems, Dennis Rendschmidt, sprach angesichts der Halbjahres-Daten von „Licht und Schatten“. Die Bundesregierung habe spürbare Verbesserungen bewirkt, es gebe aber mehr zu tun. Rendschmidt nannte etwa einheitliche Regeln für die Genehmigung von Schwertransporten und für Netzanschlüsse.
Reform bei Offshore-Ausschreibungen gefordert
Nicht nur an Land, auch auf See soll die Windenergie-Leistung erheblich wachsen. Im Auftrag mehrerer Branchenverbände veröffentlicht Deutsche Windguard dazu ebenfalls halbjährlich aktuelle Zahlen. Neue Offshore-Anlagen mit 377 MW speisten demnach 2024 erstmals ihren Strom ins Netz ein. Insgesamt summierte sich die Leistung zur Jahresmitte auf knapp 8,9 GW. Ein fortwährendes Thema ist das Design der Ausschreibungen für Offshore-Parks: Die Bundesregierung setzt bei der Vergabe der Flächen auf ein Verfahren, das bestimmte Kriterien belohnt, etwa die Ausbildungsquote im Unternehmen oder die Nutzung von Ökostrom beim Anlagenbau, vor allem aber die Zahlungsbereitschaft der Bietenden.
Es geht dabei um Milliardensummen, bei der letzten Auktion waren es rund drei Milliarden Euro für zwei Flächen. Die Zuschläge sicherten sich das Energieunternehmen EnBW und – zum wiederholten Mal – der Ölkonzern Total Energies. Eine weitere Runde ist für dieses Jahr noch vorgesehen. Das eingenommene Geld soll vor allem in eine Senkung der Strompreise fließen. Zugleich besteht die Sorge, dass wenige finanzstarke Großkonzerne den Markt dominieren, die Refinanzierung der hohen Summen einen übermäßigen Kostendruck erzeugt und die Projekte möglicherweise auch nicht gesichert fertig werden.
Die Windbranchen-Verbände fordern, das Design müsse „schnellstens angepasst werden“ und die Vergabe „künftig stärker auf eine sichere und termingerechte Projektrealisierung“ ausgerichtet sein. Für eine Reform setzt sich auch ein Bündnis aus den Gewerkschaften DGB und IG Metall sowie den Umweltorganisationen Deutscher Naturschutzring und Deutsche Umwelthilfe ein. Sie fordern, dass „sozial-ökologische Kriterien bei der Flächenvergabe“ eine stärkere Rolle spielen.