Im deutschen Strommarkt steigt die Bedeutung weniger großer Anbieter. Zu diesem Schluss kommt das Bundeskartellamt in seinem jüngsten Marktmachtbericht, den die Behörde im August vorlegte. Demnach sehen die Wettbewerbshüter den Essener Energiekonzern RWE in einer marktbeherrschenden Stellung. „RWE ist in einer Vielzahl von Stunden unverzichtbar für die Deckung der Stromnachfrage in Deutschland und liegt damit klar über der Vermutungsschwelle für Marktbeherrschung“, sagte der Präsident des Bundeskartellamts Andreas Mundt.
Zwei weitere Energieunternehmen – EnBW aus Baden-Württemberg und Leag aus Brandenburg – seien nahe an diese Schwelle herangerückt. Alle drei erzeugen zwar erneuerbaren Strom und investieren in den Ausbau dieser Sparte, unterhalten aber nach wie vor größere fossile Kapazitäten. Auf diese konventionellen Kraftwerke stützt sich die Diagnose des Kartellamts.
RWE für Stromversorgung teilweise unentbehrlich
Für ihre Bewertung untersuchen die Wettbewerbshüter, in wie vielen Viertelstunden des Jahres die Kraftwerke eines Betreibers für die Stromversorgung unentbehrlich waren. Trifft das für mindestens fünf Prozent der Zeit zu, gilt ein Unternehmen als marktbeherrschend. Für Stromerzeuger hat diese Einschätzung der Kartellbehörde Konsequenzen. Weil sie bei Knappheit den Preis manipulieren könnten, dürfen sie dann keine Erzeugungskapazitäten zurückhalten. Mit der Einschätzung, dass RWE die Vermutungsschwelle für eine Marktbeherrschung überschritten hat, weist die Behörde darauf hin, dass der Konzern in seinem Marktverhalten dieses Missbrauchsverbot beachten muss. Eine künstliche Verknappung des Angebots, so Mundt, wäre „kartellrechtlich hochproblematisch“.
Das Kartellamt hat für seinen Bericht den Zeitraum von Oktober 2021 bis Ende März 2023 analysiert. Die Situation in diesen Monaten war eine Besondere. Die konventionellen Kraftwerkskapazitäten nahmen vorübergehend noch einmal zu. Aufgrund des Kriegs in der Ukraine und der daraus folgenden Energiekrise wurden Laufzeiten von Atomkraftwerken verlängert und bereits abgeschaltete Kohlemeiler wieder ans Netz genommen, darunter Kraftwerke von RWE. Trotz dieser Kapazitätserweiterungen hätten sich die Machtverhältnisse am Strommarkt aber verfestigt, erklärte die Behörde.
Der Essener Energiekonzern stellt deren Bewertung infrage. „RWE ist für die Umstände und das Marktumfeld, die eine angeblich erlangte marktbeherrschende Stellung begründen sollen, nicht verantwortlich“, erklärte ein Sprecher. Das Unternehmen habe seit 2020 Kernkraft- und Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von rund 5800 Megawatt stillgelegt.
Stromimporte sollen gegen Marktmacht helfen
Für den Wettbewerb auf dem deutschen Strommarkt gewinnen aus Sicht des Kartellamts nun ausländische Erzeugungskapazitäten an Bedeutung. „Stromimporte werden perspektivisch zunehmend unverzichtbar, um die Marktmacht der führenden inländischen Anbieter wettbewerblich in Schach zu halten“, erklärte Kartellamtschef Mundt. Über das gesamte Jahr betrachtet exportiere Deutschland zwar mehr Strom als es importiert. Einfuhren seien vor allem aber dann wichtig, wenn im Land wenig Strom aus Wind und Sonne bereitstehe und die Nachfrage zugleich hoch sei.
Das Kartellamt war bereits in seinem vorherigen Marktmachtbericht 2022 davon ausgegangen, dass RWE eine beherrschende Stellung innehat. Der Konzern ist der größte Stromerzeuger in Deutschland. Das hat auch mit einer Aufteilung der Geschäftsfelder zwischen Eon und RWE im Jahr 2019 zu tun. Dabei hatte Eon die RWE-Tochter Innogy übernommen. Eon behielt aber nur die Sparten Vertrieb und Netz von Innogy. Das Geschäft mit den erneuerbaren Energien von Innogy und Eon hingegen ging an RWE. Die Wettbewerbshüter der EU-Kommission hatten die wechselseitigen Übernahmen mit Auflagen genehmigt. Mehrere deutsche Energieversorger klagten dagegen vor dem Gericht der Europäischen Union, das die Genehmigung des Deals allerdings im Mai dieses Jahres bestätigte.