Bruno Burger ärgerte sich, und zwar gewaltig. Die Sicherheit der Stromversorgung wäre gefährdet, sagte der Präsident der Bundesnetzagentur. 2011 war das. Prompt unkten die Medien von der „Angst vor einem Blackout“. Völliger Unsinn, sagte sich Burger, Forscher am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg, und setzte der Blackout-Hysterie eine Grafik mit Zahlen zur Stromversorgung entgegen.
Es war die erste Grafik von vielen. Als Reaktion auf die Blackout-Debatte hat Bruno Burger das Portal Energy-Charts aufgebaut. Es liefert eine Fülle von Daten zu diversen Aspekten der Stromversorgung, für jeden kostenlos abrufbar. Wenn die jährliche Debatte aufflammt, ob zu Ostern oder Pfingsten die Stromnetze zusammenbrechen, veröffentlicht er Grafiken. Sie signalisieren: Es droht keine Gefahr. „Es ist wirklich nie etwas passiert“, sagt Burger, in all den Jahren seit 2011. Aber muss das auch so bleiben?
Drohen Ausfälle im Verteilnetz?
Das Stromsystem ist heute ein anderes. Damals kam Solarenergie auf eine Gesamtkapazität von gut 25 Gigawatt. Inzwischen liegt sie viermal so hoch, und jedes Jahr kommen um die 15 Gigawatt hinzu. Ist das Risiko folglich gewachsen? Lion Hirth sieht das so. Zwar hält auch er einen flächendeckenden Blackout in Deutschland für praktisch ausgeschlossen. Doch das Risiko, dass Angebot und Nachfrage an der Strombörse nicht mehr in Einklang gebracht werden können, schätze er auf „fünfzig-fünfzig“, sagt der Professor für Energiepolitik an der Hertie School. Das hieße, dass selbst bei Strompreisen von minus 500 Euro je Megawattstunde – dem zulässigen Tiefstwert im Day-Ahead-Handel an der Börse – niemand bereit wäre, den Strom abzunehmen. Und das könnte schlimmstenfalls zu lokal begrenzten Ausfällen im Verteilnetz führen.
Das Problem aus seiner Sicht: „Der Großteil der Solaranlagen reagiert nicht auf Preissignale“, sagt Hirth. „Ein guter Teil davon ist darüber hinaus auch im Notfall durch den Netzbetreiber nicht abregelbar.“ Bei einer Überlastung hätten die Netzbetreiber keine Möglichkeit, die Anlagen herunterzufahren.
Viele PV-Anlagen sind nicht steuerbar
Auf Energy-Charts finden Bruno Burger und sein Kollege Leonhard Probst auch zu dieser Frage eine Grafik: „Installierte Solarleistung in 101,3 Gigawatt, die im Februar am Netz waren, sind demnach 39,9 Gigawatt nicht steuerbar. Bei den übrigen 61,4 Gigawatt haben der Netzbetreiber, der Direktvermarkter der Anlagen oder beide Zugriff.
Sofern die Fernsteuerung denn funktioniert – was nicht immer und überall der Fall ist. Gleichwohl halten Burger und Probst die Gefahr für gering. Schließlich speisen nie alle Module zur selben Zeit mit voller Leistung ein, etwa weil sie unterschiedlich zur Sonne stehen oder mit ihrem Strom gerade Heimspeicher oder E-Autos laden.
„Trotzdem müssen die Netzbetreiber natürlich dafür sorgen, dass die Steuerungseinrichtungen funktionieren“, sagt Burger. „Anlagen ab einer Leistung von zwei oder fünf Kilowatt sollten automatisch abschalten, wenn der Strompreis ins Negative dreht“, fordert Hirth, hält das im Grunde aber nur für die zweitbeste Lösung: „Der Königsweg ist, Solarstrom zu nutzen, statt ihn abzuregeln.“ Der Schlüssel dazu sei, den Verbrauch von Strom immer dann anzureizen, wenn er im Überschuss vorhanden ist. Fabriken etwa müssten dafür belohnt werden, in solchen Zeiten die Produktion hochzufahren oder Strom- und Wärmespeicher zu füllen, um die Energie später zu nutzen. Derzeit passiert allerdings das Gegenteil: „Wir belohnen Großverbraucher in der Industrie mit Rabatten auf die Netzentgelte von bis zu 90 Prozent, wenn sie möglichst gleichmäßig Strom verbrauchen und damit gerade nicht auf Solarspitzen reagieren“, sagt Hirth. Der Ausbau von Smart Metern, über die Privathaushalte ihren Verbrauch an schwankende Strommengen anpassen können, kommt laut Hirth nicht recht voran.
In Freiburg stellt sich Bruno Burger auf die nächste Blackout-Debatte ein: Am 12. August 2026 gibt es eine partielle Sonnenfinsternis in Deutschland. Sollte es dann wolkenlos sein, kommt es zu einem vorübergehenden Knick in der Solarstromeinspeisung. Was bedeutet das für die Netze? „Nichts“, sagt Burger: „Wir haben genügend Zeit und können uns vorbereiten.“