Globale Bestandsaufnahme

So geht Energiewende

Deutschlands Erneuerbare sind etabliert, jetzt müssen sie sich bewähren. Doch fehlende Planungssicherheit und verschlafene Digitalisierung bremsen den Fortschritt. Andere Länder handeln entschlossener.
Von:  Michael Prellberg
03.09.2025 | 8 Min.
Erschienen in: Ausgabe 09/2025
Mehr als die Hälfte des Stroms in Deutschland kommt mittlerweile aus erneuerbaren Quellen. Andere Länder sind schon ein Stück weiter.
Mehr als die Hälfte des Stroms in Deutschland kommt mittlerweile aus erneuerbaren Quellen. Andere Länder sind schon ein Stück weiter.
Foto: Armin / Adobe Stock

Mehr als die Hälfte des Stroms kommt mittlerweile aus erneuerbaren Quellen. Mag der Stromverbrauch jährlich wachsen – die Erneuerbaren wachsen schneller. Wind erzeugt in Deutschland mehr Strom als Kohle. Solaranlagen erzeugten 2024 rund 16 Prozent mehr Energie als im Vorjahr. Der Anteil von elektrisch angetriebenen Autos steigt, noch schneller wächst das Netz an Ladesäulen.

So geht Energiewende weltweit
Grüner Wasserstoff: In Puertollano im Süden Kastiliens werden per Elektrolyse 20 Megawatt an grünem Wasserstoff hergestellt. Foto: Iberdrola
So geht Energiewende: Spanien

Kohle verfeuert Spanien gar nicht mehr. Warum auch, schließlich scheint die Sonne verlässlich auf der Iberischen Halbinsel. In zwei Schüben sind Solarparks entstanden, überall im Land. Mehr als 25 Gigawatt erzeugen sie mittlerweile. Die mehr als 21000 Windkraftwerke kommen sogar auf 30 Gigawatt – Spanien deckt zwei Drittel seines Stroms aus regenerativen Energien. Mit grünem Wasserstoff könnte dieser Anteil weiter wachsen. In Puertollano in Kastilien läuft bereits Europas größte Produktionsanlage für grünen Wasserstoff, zwei weitere Großanlagen sind bei La Coruña in Galizien und in der Bucht von Algeciras in Sichtweite von Afrika geplant.

Das neue Selbstverständnis

Geschichten aus aller Welt belegen in diesem Schwerpunkt zur Husum Wind, wie verlässlich und verantwortungsbewusst die meisten Unternehmen der Erneuerbaren-Energie-Branche das neue Selbstverständnis annehmen. Mögen manche Unternehmen in Deutschland mit der neuen Rolle noch fremdeln: Anderswo ist dieses Selbstverständnis längst, nun ja: selbstverständlich. So bezieht Uruguay heute bis zu 100 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Quellen – diese Energiewende umzusetzen, dauerte nur anderthalb Jahrzehnte. Ebenso wie Schweden und Norwegen setzt auch Albanien auf Wasserkraft – mit Erfolg. Spanien zeigt beispielhaft das Potenzial der Solarenergie, während Kenia und Island die Chancen der Geothermie nutzen. Selbst in China gelten die Erneuerbaren als Gestalter der Zukunft. Der Anteil des Kohlestroms sinkt Jahr für Jahr, umgekehrt wächst der Beitrag des Stroms, der durch Wasserkraft, Wind- und Sonnenenergie gewonnen wird. Der Anteil der Erneuerbaren am Strommix liegt aktuell bei knapp 40 Prozent.

Sicher planen können

All diese Erfolgsgeschichten haben eines gemein: einen Staat, der den Wandel unmissverständlich fordert und begleitet. Diese Planungssicherheit für Investoren fordert Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, deshalb auch für Deutschland. Und folgerichtig verlangt Vattenfall-Managerin Christine zu Putlitz „neue Formen von Planungssicherheit, auch um eine Rendite vorweisen zu können“. Investitionen brauchen sichere Planungen. Diese Verlässlichkeit zeigen neben eher autokratisch regierten Staaten wie China beispielsweise auch die skandinavischen Länder, die in Demokratie-Rankings weit oben stehen. In solchen Rankings liegt auch Deutschland vorn, allerdings ist von einem vergleichbaren Engagement für erneuerbare Energien wenig zu spüren. Die von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel 2011 ausgerufene Energiewende wird seitdem von sämtlichen Bundesregierungen mit einer „Ja, aber …“-Politik umgesetzt. Der Wille zur Energiewende wird bekundet, die Umsetzung allerdings kaum forciert. Zwei Schritte vor, anderthalb zurück.

Rucksack für die Bundesregierung

Nach dem Streit um das sogenannte Heizungsgesetz scheint sogar der Rückwärtsgang eingelegt worden zu sein. Die Querelen haben der Politik signalisiert, dass sofort Widerstände aufflammen, sobald die Energiewende unbequeme Entscheidungen mit sich bringt. Die jetzige Bundesregierung scheint sich daher von kontroversen Themenfeldern lieber fernzuhalten.

Die Logik dahinter ist nachvollziehbar. Der Koalition aus Union und SPD wurde zum Start auf den Weg gegeben, diese Legislaturperiode sei die wichtigste seit Jahrzehnten. Die Regierungspartner müssten zeigen, dass sie willens und fähig sind, mit ihrer Politik das Land wirklich voranzubringen. „Wenn die Bürgerinnen und Bürger den Eindruck haben, dass der Staat nicht mehr handlungsfähig ist, weil keine Entscheidungen getroffen werden – dann ist unsere Demokratie gefährdet“, sagt Verwaltungswissenschaftler Thomas Meuche von der Hochschule Hof. Und die extremen Parteien an den Rändern erhielten weiteren Zulauf.

Ein schwerer Rucksack für die Bundesregierung – zumal in Zeiten, in denen sich die Welt rasanter ändert, als es noch vor wenigen Jahren vorstellbar schien. Die von Ex-Kanzler Olaf Scholz postulierte „Zeitenwende“ ist längst Alltag. Was also tun? „Wir müssen unabhängiger werden von Staaten, die unsere Werte nicht teilen“, sagte im vergangenen Jahr Bettina Stark-Watzinger als Bundesforschungsministerin. Verblüffenderweise setzt die deutsche Energiepolitik diese Erkenntnis nicht um. Statt das Dickicht an Regularien zu lichten und so den Ausbau der erneuerbaren Energien zu forcieren, setzt sie auf neue Gaskraftwerke – betrieben mit Gas, das importiert werden muss. Statt die Sonne zu nutzen, die in Deutschland scheint. Und den Wind, der in Deutschland weht.

Das Erdgas-Comeback sorgt sogar in der deutschen Industrie für Kritik. Der frühere VW-Chef Herbert Diess, heute Aufsichtsratsvorsitzender von Infineon, hält die Elektrifizierung durch erneuerbare Energien für den besten Weg in die Zukunft. Besonders viel Hoffnung setzt Diess auf Batteriespeicher: Sie bewahren den Strom auf, bis er zu rentablen Preisen ins Netz eingespeist werden kann. Sein Szenario: „Wahrscheinlich ist fossile Stromerzeugung nicht einmal mehr mit staatlichen Subventionen wettbewerbsfähig“, sagte Diess der Wirtschaftswoche.

Dynamische Entwicklungen

Noch ist es umgekehrt, und die Energiewende wird durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) subventioniert. Dazu kommen diverse Sonderregelungen für die Branche, um deren finanzielle Belastungen zu dämpfen. Sämtliche dieser Gesetze und Regelungen werden allerdings derzeit infrage gestellt. Der Impuls ist verständlich, schließlich muss eine erwachsene Branche nicht mehr gepäppelt werden. Dabei wird allerdings übersehen, wie dynamisch sich die Branche entwickelt. Und wie wenig das Land, das jahrzehntelang auf fossile Energie gesetzt hat, mit seiner Infrastruktur darauf vorbereitet ist. Die Netze sind überfordert vom grünen Strom, den sie aufnehmen sollen. Mal davon abgesehen, dass es aktuell gar nicht genügend Netzeinspeisepunkte gibt.

Das Speicherproblem ist gelöst

Es muss also weiter investiert werden, damit der grüne Strom überhaupt genutzt werden kann. Aktuell entstehen überall Batteriespeicher, kombiniert mit dem Netzeinspeisepunkt für erneuerbare Energien. Bei großen Solaranlagen gehören solche Batteriespeicher heute fast zwingend dazu. Auch bei Windkraftanlagen werde ein Puffer vor Ort für den erzeugten Strom immer wichtiger, sagt Magnus Schauf von BayWa Re: „Die übliche Auslegung ist dann ähnlich wie heute bei der Photovoltaik, also bei etwa zwei bis drei Volllaststunden Speicherkapazität.“

Digitaler Nachholbedarf

Damit stellt sich die Frage: Wann sollte gespeicherter Strom ins Netz eingespeist werden? Nicht morgens und nicht abends, lautet die Faustregel. Wer es genauer wissen will, braucht digitale Hilfe. So nutzt das Energieversorgungsunternehmen EnBW komplexe Algorithmen, die das Ein- und Ausspeichern des Stroms auf Basis der Marktsignale optimieren. Genau diese Algorithmen fehlen vielerorts. „Deutschland hat die dafür nötige flächendeckende Einführung von intelligenten Stromzählern, auch Smart MeterDigitale Stromzähler, die regelmäßig Daten zum Verbrauch und – falls vorhanden – zur Erzeugung erfassen und auch an Netzbetreiber versenden.Digitale Stromzähler, die regelmäßig Daten zum Verbrauch und – falls vorhanden – zur Erzeugung erfassen und auch an Netzbetreiber versenden. genannt, verschlafen“, sagt Volker Quaschning, Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Der Oldenburger Verteilnetzbetreiber Ewe Netz hingegen ist hellwach und weiß dank der Smart MeterDigitale Stromzähler, die regelmäßig Daten zum Verbrauch und – falls vorhanden – zur Erzeugung erfassen und auch an Netzbetreiber versenden.Digitale Stromzähler, die regelmäßig Daten zum Verbrauch und – falls vorhanden – zur Erzeugung erfassen und auch an Netzbetreiber versenden. in Echtzeit, „was eigentlich bei uns los ist: Wo ist welche Verbrauchssituation, wo ist welche Einspeisesituation?“, sagt Geschäftsführer Torsten Maus. „Daraus machen wir uns ein gesamtes Lagebild und können dann steuernd und regelnd eingreifen.“

Damit das landesweit klappt, braucht es einen bundesweiten Roll-out von Smart Metern. Den verhindern vor allem die Anforderungen an deren IT-Sicherheit: Die Hürden hat das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) hoch gelegt. Die Folgen zeigen sich jetzt: Neue Geschäftsmodelle, mit denen die Energiewende vorangebracht werden könnten, werden durch die mangelnde Digitalisierung ausgebremst. Ein Beispiel ist Tibber: Das Unternehmen verkauft Strom zu stündlich sich ändernden Börsenpreisen. Das funktioniert nur, wenn Tibber weiß, wie viel Strom aktuell produziert und abgenommen wird. Dafür braucht es Smart MeterDigitale Stromzähler, die regelmäßig Daten zum Verbrauch und – falls vorhanden – zur Erzeugung erfassen und auch an Netzbetreiber versenden.Digitale Stromzähler, die regelmäßig Daten zum Verbrauch und – falls vorhanden – zur Erzeugung erfassen und auch an Netzbetreiber versenden..

So geht Energiewende: Kenia

Im Hell’s Gate, Tor zur Hölle, riecht es nach Schwefel, die Erde vibriert. Unter dieser Region befindet sich ein riesiges Wasserreservoir, das durch Magma erhitzt wird, sodass Wasser als heißer Dampf aufsteigt. Dieser Dampf treibt Turbinen an: 40 Prozent des Stroms in Kenia liefern mittlerweile Geothermiekraftwerke.

Im Norden des Landes, am Turkana-See, steht Afrikas größter Windpark: Die 365 Windräder des Turkana Windparks erzeugen mehr als zehn Prozent des kenianischen Stroms. Insgesamt stammt der Strom in dem ostafrikanischen Land zu mehr als 80 Prozent aus regenerativen Quellen – auch Solar wird gefördert. Das Ziel von Staatspräsident William Ruto: Bis 2030 soll die Quote auf 100 Prozent steigen.

So geht Energiewende weltweit
Hell‘s Gate: Dampfleitungen für das Geothermiekraftwerk Olkaria II. Foto: Michael Gottschalk / photothek / picturealliance

Undankbarer Ausgleich

An der Smart-Meter-Posse zeigt sich, was passiert, wenn Entwicklungen verschlafen werden. Anstatt jetzt mit flexibleren Stromnetzen und -preisen loslegen zu können, muss erst diskutiert werden. Und dann passiert endlich etwas, was schon heute passieren könnte. So verführerisch es sein mag, mit Schuldzuweisungen zu hantieren: Die Materie der Energiewende ist komplex, entsprechend aufwendig ist es, sinnvolle Entscheidungen zu treffen. Schließlich ist alles neu und unbekannt. Gerade weil Deutschland bei der Energiewende so weit vorn liegt, „stoßen wir früher auf die Probleme, die es mit sich bringt, wenn die Stromerzeugung von Photovoltaik und Wind dominiert wird“, sagt Axel Kleidon vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena. Und die Politik hat die undankbare Aufgabe, zwischen den verschiedenen – berechtigten – Interessen zu vermitteln.

Das zeigt das Beispiel Netzentgelte: Gebühren, die Netzbetreiber für die Nutzung ihrer Stromnetze erheben. Sie decken die Kosten für den Betrieb, die Instandhaltung und den Ausbau der Infrastruktur. Bundesnetzagentur-Chef Müller will die Last auf mehr Schultern verteilen – und hat dabei auch die Batteriespeicher im Blick. Die Bundesnetzagentur sieht sowohl beim Bezug aus dem Netz als auch beim Einspeisen ins Netz eine Netznutzung – und die, sagt Müller, „sollte zu bezahlen sein“. Das sieht die Branche anders. „Sollten Speicherbetreiber künftig den Leistungspreis bei den Netzentgelten bezahlen müssen, ist das das Ende des marktlich getriebenen Speicherausbaus“, sagt Benedikt Deuchert, Head of Business and Regulatory Affairs bei Kyon Energy. „Das Geschäftsmodell mit Speichern wäre relativ unattraktiv bis komplett unrentabel“, assistiert Thomas Antonioli, CFO von Terra One. Schmerzlich wäre das nicht nur für die betroffenen Unternehmen, sondern für die Energiewende insgesamt: Dank der Batteriespeicher können regenerative Energien auch dann ins Netz eingespeist werden, wenn weder die Sonne scheint noch der Wind weht. So können sie auch dazu dienen, das Problem der Dunkelflauten zu verringern.

Gleichwohl muss die Bundespolitik ein gewichtigeres Problem lösen: Die hohen Stromkosten – die zu einem Viertel aus Netzentgelten bestehen – behindern die deutsche Wirtschaft. In Umfragen sehen zwei Drittel der Unternehmen ihre Wettbewerbsfähigkeit aufgrund hoher Strompreise gefährdet.

Was braucht Deutschland?

Eine einfache Lösung, mit der alle einverstanden sind, gibt es nicht. Das gilt für die Netzentgelte ebenso wie für die anderen Streitthemen. Umso wichtiger ist, dass die Unternehmen und anderen Akteure im Umfeld der erneuerbaren Energien nicht über die Ungerechtigkeit der Welt und der Politik lamentieren, sondern über den Tellerrand ihrer eigenen Branche hinausschauen: Was braucht Deutschland?

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