Der mächtigste Wirtschaftsblock der Welt, die G7-Staaten, zu denen auch Deutschland gehört, hat sich grundsätzlich auf einen Kohleausstieg bis spätestens 2035 geeinigt. Hierzulande löste der Beschluss eine hitzige Debatte aus. Protest kam von ostdeutschen Ministerpräsidenten, aber auch von der FDP. Sie betonten, dass der Ausstieg erst für 2038 gesetzlich fixiert ist.
Der Beschluss fiel auf einem Treffen der G7-Minister für Klima, Energie und Umwelt im italienischen Turin. Die Vertreter aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und den USA nennen in der am Dienstag veröffentlichten gemeinsamen Abschlusserklärung als Ziel, die „bestehende Kohleverstromung ohne CO2-Abscheidung in unseren Energiesystemen in der ersten Hälfte der 2030er Jahre oder innerhalb eines Zeitrahmens, der mit der Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 1,5 Grad Celsius vereinbar ist, im Einklang mit den Netto-Null-Pfaden der Länder auslaufen zu lassen“.
Das Bundesumweltministerium erklärte, der Beschluss sei ein „Meilenstein“, Deutschland habe sich maßgeblich für ein klares Enddatum aller G7-Staaten eingesetzt. An dem Turiner Treffen hatten Umweltministerin Steffi Lemke und Wirtschafts-Staatssekretärin Anja Hajduk (beide Grüne) teilgenommen. Großbritanniens Energiestaatssekretär Andrew Bowie sprach im italienischen Fernsehen von einer „historischen Übereinkunft“, die im letzten Jahr auf dem UN-Klimagipfel COP 28 in Dubai noch nicht gelungen sei. Auf der COP waren die Staaten nur aufgerufen worden, fossile Brennstoffe auslaufen zu lassen, ohne ein konkretes Enddatum festzulegen.
Zwei Hintertüren für Kohle nach 2035
Die G7-Staaten erbringen zusammen rund 40 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung und sind für etwa elf Prozent des globalen Kohleverbrauchs im Stromsektor verantwortlich, im Jahr 2003 waren es noch 44 Prozent gewesen. Derzeit entfällt mehr als die Hälfte alleine auf China. Innerhalb der G7 sind die Kohle-Anteile an der Stromversorgung sehr unterschiedlich. In Italien, das derzeit den Vorsitz der Gruppe innehat, liegt der Anteil unter fünf Prozent, und die Regierung in Rom plant, die Anlagen bis 2025 abzuschalten. Niedrig ist er auch in Frankreich und Großbritannien, während zum Beispiel Deutschland noch 25 Prozent und Japan rund ein Drittel Kohlestrom nutzen.
Die konkrete G7-Formulierung zum Ausstieg erlaubt es zumindest theoretisch, Kohle doch auch nach 2035 zu nutzen. Nämlich erstens, wenn die Kraftwerke mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCSSteht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte.) betrieben werden. Die Technik ist in vielerlei Hinsicht umstritten und wird bislang weltweit nur in sehr geringem Umfang eingesetzt. Zweitens könnten Ländern, die einen strikten Fahrplan zur Klimaneutralität verfolgen und die Emissionen insgesamt schnell senken, Kohlemeiler länger laufen lassen. Diese Hintertür stünde auch Deutschland offen.
In der Bundesrepublik wurde der Kohleausstieg 2020 per Gesetz auf 2038 festgeschrieben. Die Ampelkoalition vereinbarte dann aber im Koalitionsvertrag von 2021, ihn „idealerweise“ auf 2030 vorzuziehen. Für Westdeutschland, das niederrheinische Braunkohlerevier in NRW, ist ein Ende des Abbaus bis 2030 aufgrund eines Deals des Stromkonzerns RWE mit der schwarz-grünen Landesregierung bereits beschlossen. In Ostdeutschland, wo Kohle in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt gefördert wird, gibt es aber starke Vorbehalte gegen ein Vorziehen des Ausstiegs.
Ministerpräsidenten bestehen auf späterem Ausstieg
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kritisierte denn nun auch den Turiner Beschluss. Die Bundesregierung zerstöre damit „das Vertrauen in die Beteiligungsprozesse und die Verlässlichkeit vereinbarter Kompromisse“. Er verwies darauf, dass „wir ein gültiges Gesetz haben, in dem das Ende der Kohleverstromung für das Jahr 2038 festgelegt ist“. Ähnlich äußerte sich Brandenburgs Regierungschef, Dietmar Woidke (SPD). Der Braunkohle-Konzern Leag in Cottbus betonte am Dienstag zur aktuellen Debatte um den G7-Beschluss, für ihn gelte „das gesetzlich festgelegte Kohleausstiegsdatum“, also 2038.
Eine heftige Attacke kam allerdings auch vom Ampel-Regierungspartner FDP, der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) anging. Dieser mache „nach dem Kernkraft-Alleingang aus 2022“ nun „den nächsten unabgestimmten Schritt bei der Kohle“, sagte der energiepolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Kruse gegenüber der FAZ. „Ich kann dem Klimaminister Habeck nur dringend raten, sich in Sachsen und andernorts vor Ort um Lösungen zu bemühen, anstatt international einseitige Zusagen zu machen.“
Habeck wiederum sagte, die G7-Einigung habe für Deutschland keine Auswirkungen. „Für Europa und Deutschland heißt es faktisch nichts.“ Er begründete das mit der Wirkung des Emissionshandels in der EU. Durch beschlossene Verknappung der CO2-Zertifikate werde der Preis in den nächsten Jahren dafür sorgen, dass die Braunkohle aus dem Markt gedrängt werde. Der Emissionshandel sei damit weiter als die Gesetzeslage in Deutschland. Eine Vereinbarung für die Braunkohle im Osten wie mit RWE im Westen sei nicht nötig. Habeck begrüßte den G7-Beschluss. Möglich sei dieser geworden, weil die USA und Japan eingelenkt hätten. „Dadurch schwenken die G7 alle auf den Pfad von Klimaneutralität 2050 ein.“
Umwelt- und Klimaorganisationen sehen das anders. Die internationale NGO Climate Action Network (CAN) kritisierte, 2035 als Ausstiegsdatum liege zu spät. „Um die Begrenzung der Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius in Reichweite zu halten“, müsse die Kohleverstromung in den G7- und den anderen Industrieländern „bis spätestens 2030 vollständig abgeschafft werden“, teilte sie mit. Greenpeace wertete den Beschluss als „faulen Kompromiss“. Japan hole damit einen Teil seines klimapolitischen Rückstands auf, für Deutschland aber sei er ein Rückschritt, da die Ampel ja 2030 anpeile.