EWE - Energiekosten senken ohne Eigeninvestition
Großbritannien

Klima-Kurswechsel in Arbeit

Zwei Monate nach dem historischen Wahlsieg der Labour-Partei tut sich was in Großbritannien, zumindest bei der Energiewende. Andere Sektoren bekommen aber noch nicht die nötige Aufmerksamkeit.
Von:  David Zauner
11.09.2024 | 6 Min.
Der neue britische Premierminister Keir Starmer zu Besuch in einem Windpark, damals noch als Oppositionsführer.
Der neue britische Premierminister Keir Starmer zu Besuch in einem Windpark, damals noch als Oppositionsführer.
Foto: Stefan Rousseau/empics/picture alliance

Zwei Monate ist es her, dass Keir Starmer als neuer britischer Premierminister seinen Amtssitz in der Downing Street 10 bezog. Zuvor hatte seine Labour-Partei die Parlamentswahlen mit einem Erdrutschsieg für sich entschieden. Damit endete die 14-jährige Regentschaft der Konservativen. Die traditionell als Tories bezeichnete Partei fuhr mit nur 121 von 650 Sitzen im britischen Unterhaus das schlechteste Ergebnis ihrer bald 200-jährigen Geschichte ein.

Während Labour unter Starmer einen deutlichen Rechtsruck erlebt hat und sich bei Themen wie Immigration kaum von den Tories unterscheidet, hob sie sich vor allem mit einem wesentlich ambitionierteren Klimaprogramm ab. Mit einer komfortablen Mehrheit im Parlament mit 412 Sitzen steht der Umsetzung des Programms im Grunde nichts im Wege. Doch welche frühe Zwischenbilanz lässt sich nach den ersten beiden Monaten ziehen?

Eines der zentralen Versprechen der frischgebackenen Regierung ist, bis 2030 ein CO2-freies Stromsystem zu schaffen. Das ist ein durchaus ambitioniertes Ziel. Deutschland peilt bis 2030 lediglich an, 80 Prozent des verbrauchten Stroms mit erneuerbaren Energien zu stemmen. Um das Ziel zu erreichen, muss Großbritannien nicht nur schleunigst aus den Fossilen aussteigen, sondern auch die Erneuerbaren massiv ausbauen. In einem ersten Schritt entledigte sich die Regierung bereits wenige Tage nach dem Wahlsieg eines De-facto-Verbots von neuen Windkraftanlagen an Land.

Neun Jahre lang genügte ein einziger Einspruch, um entsprechende Projekte noch vor der Planungsphase zu stoppen. Auch nach einer schüchternen Lockerung dieser strengen Regel im letzten Jahr wurden in ganz England kein einziger Antrag für neue Windparks gestellt. Die Tageszeitung The Guardian berichtete, dass Projektentwickler als Antwort auf das beendete Verbot die Arbeit an neuen Windparks wieder aufgenommen hätten, zum ersten Mal seit „beinahe zehn Jahren“.

Mehr Wind- und Solarenergie, keine neuen Lizenzen für Öl- und Gasbohrungen

In ihrem Wahlprogramm setzt die Labour-Partei das Ziel, „Onshore-Windenergie zu verdoppeln, die Solarenergie zu verdreifachen und die Offshore-Windenergie bis 2030 zu vervierfachen“. Bis zum Zieljahr würde das bedeuten: 30 Gigawatt (GW) installierte Leistung für Onshore-Windkraft, 48 GW Solarenergie und 60 GW für Offshore-Windkraft.

Auch beim Solar-Ausbau gebe es bereits Positives zu berichten, lobt der Korrespondent für Klimapolitik des britischen Portals Carbon Brief, Josh Gabbatiss. Mehrere Genehmigungen für große Solarparks, die unter den Tories immer wieder aufgeschoben wurden, unterzeichnete der neue Energieminister Ed Miliband kurz nach Amtsübernahme. Außerdem hat die Regierung angekündigt, eine „Dachrevolution“ für die Solarenergie einleiten zu wollen. Die Installation von Solardächern soll also attraktiver werden.

Die konservative Klimapolitik der letzten Jahre hätte immer weniger überzeugen können, sagt Gabbatiss. „Die Labour-Regierung – wenn auch nicht perfekt – hat in ihrem Programm einige vielversprechende Vorschläge gemacht und scheint ihren Versprechen bis dato auch treu zu bleiben.“ Insbesondere Starmers Vorgänger, Rishi Sunak, sei mit seiner Anti-Klima-Politik bei rechten Teilen der Gesellschaft auf Stimmenfang gegangen, so Gabbatiss. Letztes Jahr hatte er etwa angekündigt, über hundert neue Lizenzen für Öl- und Gasbohrungen in der Nordsee vergeben zu wollen. Auch hier legt Starmer den Rückwärtsgang ein, jedoch mit einem großen Aber.

Wie versprochen sollen keine neuen Lizenzen vergeben werden, bereits vergebene Lizenzen sollen allerdings auch nicht widerrufen werden. Das ist zwar im Einklang mit dem Wahlprogramm, aber trotzdem schlecht fürs Klima. Laut einer Analyse von Carbon Brief könnte die neue Regierung 13 neue Gas- und Öl-Projekte in der Nordsee genehmigen, für die Unternehmen bereits Lizenzen besitzen. Die Verbrennung all der dort förderbaren fossilen Rohstoffe würde 350 Millionen Tonnen CO2 produzieren. Das ist kaum weniger als alle britischen Treibhausgasemissionen des vergangenen Jahres – 384 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente – zusammen.

Großer Nachholbedarf im Gebäudesektor

Bei der Energiewende gibt es im Vereinigte Königreich also noch viel zu tun, aber auch manch Hoffnungsvolles zu berichten. Ob das alles ausreiche, um bis 2030 ein CO2-freies Stromsystem zu garantieren, könne noch nicht bewertet werden, sagt das britische Klima-Beratungsgremium Committee on Climate Change (CCC) auf Nachfrage: „Wir warten noch auf weitere Einzelheiten, um den Umfang des 2030-Ziels und wie es erreicht werden soll zu verstehen.“

Noch wesentlich weniger ist über die Labour-Pläne für die anderen Sektoren bekannt. Auch im Wahlprogramm wird Verkehr, Wärme und Industrie wesentlich weniger Aufmerksamkeit geschenkt als dem Stromsektor. Das kann sich Großbritannien allerdings nicht leisten. Das CCC hat im Sommer 2023 in einem Bericht festgestellt, dass die Regierung die Emissionsminderung außerhalb des Stromsektors vervierfachen müsse, um ihr CO2-Minderungsziel für 2030 – 68 Prozent Reduktion gegenüber 1990 – zu erreichen. Die Stromversorgung war 2023 im Vereinigten Königreich für nur knapp über zehn Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich.

Rishi Sunak schlug die Warnungen des Beratungsgremiums in den Wind, verschob das Verbot von fossilen Verbrenner-Autos von 2030 auf 2035 und schraubte das Ziel, ab 2035 keine Gasheizungen mehr einzubauen, runter auf die Zielmarke, ihren Einbau um 80 Prozent zu reduzieren. Starmer hat angekündigt, diese Entscheidungen wieder rückgängig zu machen. Das ist bisher nicht passiert. Weit darüber hinaus gehen die Vorschläge der Labour-Regierung in ihrem Wahlprogramm weder bei der Verkehrs- noch bei der Wärmewende.

Dabei hat Großbritannien gerade im Gebäudesektor enormen Nachholbedarf. Rund 99 Prozent aller Gebäude heizen mit fossilen Energien. Erschwerend hinzu kommt, wie Juliet Philips, Energieexpertin der Klima-Denkfabrik E3G betont: „Großbritannien hat einen der am schlechtesten isolierten Gebäudebestände in ganz Westeuropa.“ Dieses Problem will die Regierung mit dem sogenannten „Warm Homes Plan“ angehen. Mit 6,6 Milliarden Pfund, etwa 7,8 Milliarden Euro, sollen Wärmedämmung und andere Maßnahmen, wie der Einbau von „kohlenstoffarmen Heizungen“ über die nächsten fünf Jahre bezuschusst werden.

Hartes Vorgehen gegen Klimaproteste

Das ist zwar doppelt so viel, wie die konservative Regierung zur Verfügung gestellt hat, aber werde kaum genug sein um aufzuholen, was die letzten Jahre verpasst wurde, so Philips. Ob das Geld für all die Vorhaben Starmers reicht, wird sich noch zeigen müssen. Erst kürzlich bereitete er in einer Rede die britischen Arbeiter auf „harte Zeiten“ vor. Die „Fäulnis“, die die Konservativen hinterlassen hätten, sei viel schlimmer als erwartetet. Verbesserung könne deshalb nicht über Nacht geschehen. Mit der Ankündigung bereitet der Premierminister die Briten darauf vor, dass die Energiekosten ab Oktober um zehn Prozent steigen werden. Das hatte die Energiebehörde Ofgem bekannt gegeben.

Auf weiterhin wenig Entgegenkommen muss sich die Klimabewegung einstellen. Unter Rishi Sunak wurde eine Verschärfung des Polizei- und Strafverfolgungsgesetzes erlassen, durch das die Polizei weitreichende Befugnisse erhielt, um härter gegen Klimaproteste vorzugehen. Bisher gibt es keine Anzeichen, dass die Labour-Partei hier einen anderen Kurs einschlagen wird. Erst kürzlich wurden Klimaaktivisten für friedliche Proteste zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Juliet Philips sagt dazu unter Verweis auf die jüngst in England aufgetretene rechtsextreme Gewalt: „Es ist ziemlich schockierend, wenn Menschen, die während der rechten Krawalle rassistische Parolen grölen und Polizisten angreifen, mit einem geringeren Strafmaß verurteilt werden als Klimaaktivisten.“

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