Vernunft statt Ideologie war der Slogan vieler Parteien im Wahlkampf, für Fragen von Cannabis bis Zuwanderung. Für die Energiepolitik scheint dieser Slogan besonders überzeugend, findet er sich doch wörtlich in den energiepolitischen Programmen von BSW, AfD, FDP und CSU als übergeordnetes Ziel der Energiepolitik der Zukunft. Was aber ist daran so unvernünftig? Was wäre von der neuen Bundesregierung notwendig oder wünschenswert?
Erfolgsgeschichte
Je nach persönlicher Laune ist das Glas der Energiewende wohl halb voll oder auch halb leer. Die Ampelregierung hat vieles geschafft und somit in den letzten Jahren das Glas signifikant gefüllt. Ein großer Erfolg war die Abwendung einer sehr großen Energiekatastrophe im Winter 2022/23 nach der Unterbrechung der Gaslieferungen aus Russland. Das war keine Selbstverständlichkeit. Der größte Erfolg ist sicherlich, dass die Regierung es geschafft hat, den Ausbau der Erneuerbaren zu forcieren und zu stärken. Die Solarenergie hat in den letzten Jahren dank starker politischer Unterstützung, der Energiekrise und weltweit sinkender Technologiekosten einen Boom erlebt. Vor allem der Ausbau der Windenergie hat wieder Fahrt aufgenommen: 14.000 Megawatt wurden 2024 genehmigt, 3.000 gebaut. Vorrangflächen werden ausgewiesen, es gibt neue beschleunigte Genehmigungsverfahren. Der Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung stieg 2024 auf 60 Prozent. Vor 25 Jahren waren es nur fünf Prozent. Das ist ein Riesenerfolg, nicht nur dieser Regierung. Das Glas der Stromwende ist mehr als halb voll – und wird immer voller.
Rational vorwärtsdenken
Jetzt folgt die Kraftanstrengung für die Bereiche Wärme und Mobilität, in denen Deutschland leider deutlich schlechter dasteht. Den Slogan „Vernunft statt Ideologie“ beziehen die genannten Parteien vor allem auf diese Sektoren und weniger auf den Ausbau der erneuerbaren Energien zur Stromgewinnung. Die CDU verspricht, das umstrittene Heizungsgesetz abzuschaffen, um technologieneutral alle klimafreundlichen Heizungen gleichberechtigt zuzulassen. Theoretisch ist dies bereits Bestandteil des bestehenden Gesetzes. An erster Stelle steht das Tempo des Ausbaus der erneuerbaren Energien. Ohne einen beschleunigten Ausbau vor allem der Windenergie wird Deutschland die Energiewende nicht schaffen. Dazu muss die Politik deutlich progressiver vorgehen, als im Wahlkampf zu hören war. Was Ideologie und was Vernunft ist, hat sich völlig verkehrt.
Neue Realitäten akzeptieren
Die Welt ist im Umbruch, Deutschland, der Westen, ist nicht mehr alleiniger Taktgeber. Die USA sind als verlässlicher Partner ausgefallen. Die Probleme mit Russland werden eher größer als kleiner. Das hat erhebliche Konsequenzen für die europäische und deutsche Energiepolitik. Nord Stream ist kaputt, politisch und materiell. Vom russischen Gas haben wir uns – weitgehend – abgekoppelt. Amerikanisches Gas könnte eine gute Lösung sein, dachten wir. Die aktuelle Diskussion um die ukrainischen seltenen Rohstoffe als „Zahlungsausgleich“ für die US-Militärhilfe zeigt, dass die US-Regierung um Donald Trump auch in Zukunft nicht davor zurückschrecken wird, Ressourcen als politische Waffe einzusetzen, wie es Russland in der Vergangenheit getan hat. Deshalb ist es wichtig, keine neuen Abhängigkeiten zu schaffen: Gas wird nicht nur für die Energiewende, sondern vor allem geopolitisch eine entscheidende Frage werden.
Die Welt hat sich nicht nur verändert. Viele Entwicklungen sind heute besser als früher: Erneuerbare Energien sind pro Kilowattstunde in der Regel günstiger als andere Energieträger – anders als noch vor zehn Jahren. Wer heute kostengünstig mobil sein will, kauft ein Elektroauto – wenn es mit Strom vom eigenen Dach geladen wird, ist es sogar sehr günstig. In den meisten Ländern ist die Wärmepumpe die günstigste Art zu heizen. In Deutschland ist der Strompreis dafür oft noch zu hoch. Insgesamt handelt es sich bei der Energiewende also um ein Investitionsproblem. Sie ist aber kein Kostenproblem mehr. Deshalb wird die Schuldenbremse ein großes Thema zur Lösung der Herausforderungen bleiben.
Systemisch denken
Wir werden zunehmend eine Verknüpfung der Themen Klima und Sicherheit erleben. Das ist aus meiner Sicht auch richtig, denn die Sicherheitspolitik wird gegenüber anderen Themen immer mehr an Bedeutung gewinnen. Der technologische Wandel der letzten Jahre macht es möglich: Dort, wo Klima und Sicherheit aufeinandertreffen, ergeben sich oft Synergien, denn beide setzen voraus, die Abhängigkeit von fossiler Energie zu senken. Während Maßnahmen wie der beschleunigte Ausbau der Erneuerbaren, die offensive Förderung von Wärmepumpen oder die Schaffung eines Markts für Elektroautos notwendig sind, reicht es nicht aus, diese Schritte isoliert zu betrachten. Energiepolitik muss ganzheitlich umgesetzt werden, um einen wirklichen systemischen Wandel zu erreichen.
Als Umweltwissenschaftler sage ich es ungern, aber um geopolitisch problematisches Gas schneller ersetzen zu können, müssen wir uns vielleicht damit abfinden, Kohlekraftwerke etwas länger laufen zu lassen. Zur Erreichung der Klimaziele ist die Abschaltung aller fossilen Kraftwerke in den nächsten 15 bis 20 Jahren notwendig. Um das zu schaffen, müssen wir nicht nur Windräder bauen. Die Funktion der fossilen Kraftwerke, die in der Vergangenheit eine wesentliche Rolle bei der Bereitstellung einer stabilen und steuerbaren Energieversorgung gespielt haben, muss ersetzt werden.
Wir brauchen neue Flexibilitäten: Stromleitungen, Speicher und Interkonnektoren, vor allem aber mehr steuerbare Leistung, um die Integration der erneuerbaren Energien vollumfänglich nutzen zu können, aber auch mehr steuerbare Leistung für die volatilen erneuerbaren Energien. Ein stärker dezentralisiertes Verteilungssystem mit starken Netzen wird auch ein resilienteres System ergeben. Die Schwächen eines zentralisierten fossilen Systems haben sich in der Ukraine im Krisenfall auf dramatische Weise gezeigt.
Vernünftige Energiepolitik ist deshalb eine Politik, die Veränderungen annimmt und unsere Energiesysteme so umbaut, dass sie Gesellschaft und Wirtschaft zukunftsfähig machen. Die Energiewende ist längst zu einem Motor des Wandels geworden, der weit über den rein ökologischen Aspekt hinausgeht. Ihre konsequente Umsetzung ist nicht nur entscheidend für den Klimaschutz, sondern auch der Schlüssel für die Entwicklung unserer Industrien und die Stärkung unserer Sicherheit. Die Energiewende konsequent voranzutreiben – bei Strom, Wärme und Verkehr – ist heute keine Ideologie mehr, sondern Vernunft.
ist Professor für Sustainability Transition Policy an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. In seiner Forschung untersucht er Strategien und Politiken für eine Transformation hin zu einem komplett erneuerbaren Energiesystem, in Europa und weltweit.