Die Bundestagswahl im Februar darf nicht zu Unsicherheit und Zögern bei der Fortsetzung der Energiewende führen. Zukunftstechnologien brauchen Kontinuität und Planbarkeit. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Nettostromerzeugung in Deutschland ist bis 2024 auf über 60 Prozent gestiegen. Sinkende Börsenstrompreise und stark rückläufige Emissionen sowie neue Rahmenbedingungen für die Wärmewende sind Signale für Aufbruch und Dynamik in der Branche.
Zum energiepolitischen Jahresauftakt zog Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE), eine umfassende Bilanz der Energiewende und setzte richtungsweisende Impulse für die Systemverantwortung der erneuerbaren Energien und grünen Moleküle für einen nachhaltigen und zukunftsfähigen Umbau eines starken Wirtschaftsstandorts Deutschland: „Die scheidende Bundesregierung hat die Ausbaubremse bei Wind- und Solarenergie gelöst. In beiden Bereichen wurden 2024 Rekorde erreicht. Das verdient Anerkennung. Im Jahr 2025 muss es nun darum gehen, die Potenziale aller erneuerbaren Energien zu heben. Dazu gehören zum einen die flexibel steuerbaren Quellen Bioenergie, Wasserkraft und Geothermie, die grüne Kraft-Wärme-Kopplung, Speicher und Elektrolyseure als heimische Backups für Wind und Sonne im Strombereich. Zum anderen die erneuerbaren Wärmetechnologien als Ablösung von Öl und Gas sowie die Dekarbonisierung der Mobilität durch eine wirksame Treibhausgas-Quote und den Hochlauf von E-Mobilität und Ladeinfrastruktur“, sagte BEE Präsidentin Simone Peter auf dem Energiedialog 2025, der großen Jahresauftaktveranstaltung der Branche.
Um ein Energiesystem zu etablieren, das erneuerbare Energien nicht nur erzeugt, sondern auch optimal verteilt, speichert und in allen Sektoren nutzbar macht, muss der Strommarkt jetzt zügig an die systemdienlichen erneuerbaren Energien angepasst werden. Flexibilität und ein effizienter Netzausbau sind dafür die Schlüssel, Speichertechnologien sind zügig weiterzuentwickeln. Die Verknüpfung innovativer Technologien mit den Infrastrukturen und Energiesystemen durch Batteriespeicher, Power-to-X, Kraft-Wärme- Kopplung und die Systemintegration von Wasserstoff und Wasserstoff-Derivaten wie Ammoniak und Methanol in energie- und emissionsintensive Schlüsselsektoren bietet enorme Potenziale. Diese offenen Fragen müssen angegangen werden, um den Erfolg der Energiewende langfristig zu sichern.
Netzausbauoffensive und Modernisierung der Infrastruktur
Um die Wachstumsdynamik der volatilen erneuerbaren Energien mit den Anforderungen an eine stabile, flexible und intelligente Netz- und Transportinfrastruktur in Einklang zu bringen, ist auch eine Maximierung der Effizienz der bestehenden Infrastruktur notwendig. Die Netzausbauplanung, wie sie durch die Aufnahme von rund 2900 Kilometern Hochspannungsleitungen in den Bundesbedarfsplan im Juli 2024 vorangetrieben wurde, ist ein positiver Schritt in diese Richtung, doch die Dimension des Vorhabens ist enorm. Rund 16 900 Kilometer Hochspannungsleitungen werden benötigt, um die steigende Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen zu integrieren und gleichzeitig eine stabile Stromversorgung zu gewährleisten.
Die Tatsache, dass die Bundesnetzagentur bereits 1889 Kilometer vollständig genehmigt und mit rund 2800 Kilometern bis Ende 2024 die nächste Hürde genommen hat, zeigt: Der Ausbau läuft auf Hochtouren. „Die Verdopplung des Investitionsvolumens der Verteil- und Übertragungsnetzbetreiber von 2021 bis 2024 zeigt die Dringlichkeit und den enormen Umfang des Ausbaus und der Modernisierung der Netz- und Transportinfrastruktur“, betont Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur (BNetzA) auf Nachfrage gegenüber neue energie. „Eine zentrale Herausforderung besteht nun darin, die Flexibilisierung so zu gestalten, dass sie den Anforderungen des europäischen Strombinnenmarkts und den spezifischen deutschen Markterfordernissen entspricht. Ich plädiere dafür, die einheitliche deutsche Stromgebotszone zu erhalten. Andernfalls würden wir regional unterschiedliche Strompreise haben. In der einheitlichen Strompreiszone können erneuerbare Energien integriert und regionale Engpässe oder Überkapazitäten gezielt ausgeglichen werden“, so Müller.
Startschuss für das Wasserstoff-Kernnetz
Ein wichtiger Meilenstein für die Energiewende wurde am 22. Oktober 2024 mit der Genehmigung des Antrags der Übertragungsnetzbetreiber für ein zweistufiges, deutschlandweites Wasserstoff- Kernnetz durch die BNetzA erreicht. Mit
einem Investitionsvolumen von 18,9 Milliarden Euro, einer Leitungslänge von 9040 Kilometern und einem Anteil von rund 60 Prozent umgerüsteten Erdgasleitungen ist das Projekt nicht nur eines der größten Infrastrukturvorhaben der kommenden Jahre, sondern auch ein zentraler Baustein der Wasserstoff-Strategie Deutschlands.
Das Ziel, bis 2032 das größte Wasserstoff-Netz Europas aufzubauen, verdeutlicht die Ambitionen Deutschlands, eine Schlüsseltechnologie zur Dekarbonisierung verschiedener Sektoren (Industrie, Verkehr, Stromversorgung) massiv auszubauen, so der BNetzAPräsident: „Der Startschuss für den Bau eines Wasserstoff-Kernnetzes ist ein großer Schritt nach vorn und könnte in der Tat ein Game Changer für die Energiewende in Europa werden, insbesondere wenn sie mit den richtigen rechtlichen Rahmenbedingungen, Investitionsanreizen und einer zukunftsfähigen Infrastrukturentwicklung kombiniert wird.
Der umfassende Ausbau des Kernnetzes ist jedoch mit Herausforderungen verbunden – sowohl in Bezug auf die Technologie, die Kosten und die Marktregulierung. Um diese Hürden zu überwinden, ist eine enge Zusammenarbeit auf politischer und wirtschaftlicher Ebene notwendig, um Planungssicherheit für Investitionen und Abnehmer sicherzustellen und eine effiziente Infrastruktur gemeinsam weiterzuentwickeln.“
Mammutaufgabe Wärmewende muss gelingen
Der deutlich gesunkene Börsenstrompreis im Jahr 2024 und die reduzierten Emissionen signalisieren, dass die Kosten für erneuerbare Energien weiter sinken und ihre Wettbewerbsfähigkeit steigt. Dies zeigt, dass die Energiewende nicht nur ökologisch, sondern auch gesamtwirtschaftlich auf dem richtigen Weg ist. Insbesondere die neuen Rahmenbedingungen für eine sektorenübergreifende Wärmewende können eine Schlüsselrolle für die Energiewende spielen. Mit einem Anteil von rund 59 Prozent am Endenergieverbrauch ist die Wärmeversorgung der größte Energieverbrauchssektor in Deutschland.
Die noch schleppende Entwicklung des Anteils erneuerbarer Energien an der Deckung des Wärmebedarfs von derzeit nur rund 17,9 Prozent in Deutschland ist ein Indikator dafür, dass die Wärmewende vor komplexen Herausforderungen steht. Auf den letzten Metern der Legislaturperiode hat der Bundestag am 31.01.2025 die von der Branche seit Langem erwartete Verlängerung der Fördermöglichkeiten für Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK) beschlossen. Die Übergangslösung soll als KWKG 2025 am 1. April 2025 in Kraft treten und sicherstellen, dass Anlagen, die bis 2026 genehmigt oder in Betrieb genommen werden, auch nach 2026 eine Förderung erhalten können. Hierdurch könnten auch die dringend notwendigen Investitionen in den Fernwärmeausbau angestoßen werden. Der Ausbau der Fernwärme auf Basis erneuerbarer Energien oder Abwärme spielt in urbanen Ballungsräumen eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung der Wärmewende.
Wasserstoff – Chance für Deutschlands Schlüsselindustrien
Ein entscheidender Hebel, um die Energiewende voranzutreiben und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken, ist die Integration von kohlenstofffreiem Wasserstoff in energie- und emissionsintensive Schlüsselsektoren. Insbesondere in den sogenannten „Hard to abate“-Sektoren, in denen CO2-neutrale Technologien besonders schwierig und komplex einzuführen sind, bietet Wasserstoff enorme Potenziale. Diese Sektoren haben den größten Anteil an den industriellen CO2-Emissionen und sind daher für die Erreichung der Klimaziele von besonderer Bedeutung.
Über die Wasserelektrolyse mit regenerativ erzeugtem Strom könnte kohlenstofffreier Wasserstoff in den für den Standort Deutschland zentralen energieintensiven Industrien nicht nur die CO2-Emissionen künftig deutlich reduzieren, sondern auch den Übergang zu alternativen Kraftstoffen und nachhaltigen Produktionsprozessen beschleunigen. Dies betrifft vor allem die Stahl-, Chemie- und Zementindustrie sowie den Flug-, Schiffs- und Schwerlastverkehr. Diese „Hard-to-abate industries” sind aufgrund ihrer spezifischen Anforderungen und hohen Temperaturbedarfe nur schwer zu elektrifizieren.
Zukunftsfähiges Strommarktdesign ist entscheidend
Ein zukunftsfähiges Strommarktdesign ist für die kommende Legislaturperiode von zentraler Bedeutung, um den Übergang und die Integration der erneuerbaren Energien effizient zu gestalten. Dies gilt insbesondere im Rahmen eines reformierten europäischenStrombinnenmarkts. Unter der derzeitigen Regierungskoalition ist dieses notwendige Marktdesign jedoch noch nicht Realität geworden, sodass die Potenziale der erneuerbaren Energien im Zusammenspiel mit Flexibilitäten – wie zum Beispiel. Speicherlösungen und Batterien – noch nicht voll ausgeschöpft werden können. Mit dem von der Bundesregierung im Juli 2024 vorgelegten Kraftwerkssicherheitsgesetz (KWSG) soll der Übergang zu einem nachhaltigen Strommarktdesign geschaffen werden.
Dabei werden sowohl technologieoffene Kraftwerke als auch marktbasierte Kapazitätsmechanismen berücksichtigt. Diese sind entscheidend für die Investitionssicherheit und Wirtschaftlichkeit neuer oder modernisierter Kraftwerke. Ziel der Reformen ist es, ein System zu schaffen, mit dem die zukünftige Versorgungssicherheit nicht nur technisch, sondern auch wirtschaftlich durch die Vergütung von Kapazitäten und die Einführung von marktbasierten Kapazitätsmechanismen gewährleistet werden kann. Dies ist besonders wichtig in einem Energiesystem, das zunehmend auf volatilen erneuerbaren Energien basiert, während gleichzeitig die Kohleverstromung nach dem Ausstieg aus der Kernenergie (2023) sukzessive weiter reduziert wird.
Der Ausbau einer nachhaltigen Energieversorgung ist eine zentrale Herausforderung für die kommende Legislaturperiode. Er muss auf mehreren Säulen gleichzeitig vorangetrieben werden, um sowohl die Versorgungssicherheit als auch die Dekarbonisierung des Energiesystems zu gewährleisten: Philipp Nimmermann, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, BMWK, nennt die wichtigsten Ziele: „Der vierte Teil der ENWG-Novelle ist nun ein wichtiger Schritt in Richtung Lastspitzenmanagement und stellt sich den neuen Herausforderungen zur Steigerung der Systemflexibilität und Wirtschaftlichkeit. Vorbereitungen für die Einführung eines Kapazitätsmarktes in Deutschland, der in großem Umfang anzustreben ratsam ist, werden unter der künftigen Bundesregierung ein wichtiger Schritt sein, um die Sicherheit der Stromversorgung zu gewährleisten und gleichzeitig die notwendige Flexibilisierung des Systems zu erreichen. Der Übergang von bestehenden Systemen wie dem KWKG zu einem flexiblen Kapazitätsmarkt ist ein pragmatischer und sinnvoller Weg, um genau dies zu gewährleisten und gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit zu stärken. Wir haben bereits einen Vorschlag unterbreitet, der sehr pragmatisch ist und eine Verlängerung, die implizit durch die Verknüpfung an die Genehmigungen vorhanden ist, vorwegnimmt. Aus unserer Sicht ist das in dieser Form bis 2030 möglich, und damit ist eine gute und präzise Brücke für den Übergang der KWKG in einen Kapazitätsmarkt geschaffen. Daneben wird die Umsetzung der RED III ein großes Thema der neuen Legislaturperiode.“
Für die neue Bundesregierung gelte es nun, Kontinuität zu gewährleisten. Eine Rückkehr zu fossilen Energieträgern sei ausgeschlossen, so Nimmermann: „Wir haben ein klares Ziel: die Dekarbonisierung Deutschlands durch den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energien und die Schaffung eines stabilen, flexiblen und kostenbewussten Energiesystems. Kernenergie ist für mich keine Alternative. Es kommt jetzt darauf an, eine Balance zwischen den Marktmechanismen und der Regulierung zu finden, die sowohl den Bedürfnissen der Industrie als auch den Zielen einer nachhaltigen und sozial verantwortlichen Energiewende gerecht wird.“
Die Sicherung der Kontinuität der Energiewende ist eine der zentralen Herausforderungen fur die kommende Legislaturperiode. Um sowohl die Versorgungssicherheit als auch die Dekarbonisierung des Energiesystems zu gewährleisten, muss sie auf mehreren Säulen gleichzeitig vorangetrieben werden. Wichtige Punkte sind dabei:
- Langfristige politische Planbarkeit: Entscheidend ist die Schaffung stabiler Rahmenbedingungen, die über Wahlperioden hinaus verlässlich sind. Investitionen in erneuerbare Technologien, Infrastruktur und Innovationen brauchen Planungssicherheit.
- Förderung von Innovation und Flexibilität: Die Integration neuer Technologien wie Power to X, Wasserstoff und Smart Grids ist fur eine erfolgreiche Energiewende notwendig. Ein flexibles Strommarktdesign, das Speicher, Lastmanagement und Flexibilitäten im Energiesystem fördert, ist unerlässlich.
- Infrastrukturaufbau und -modernisierung: Der Netzausbau muss beschleunigt werden, um den wachsenden Anteil erneuerbarer Energien effizient nutzen zu können. Speichertechnologien und eine Wasserstoff-Infrastruktur sind entscheidend, um den Bedarf an flexiblen und marktfähigen Lösungen fur die Energieversorgung zu decken.
- Marktdesign: Ein zukunftsfähiges Strommarktdesign muss die Harmonisierung mit dem europäischen Binnenmarkt zum Ziel haben und Flexibilitäts- und Kapazitätsmechanismen ermöglichen. Dies sollte über die konkrete Ausgestaltung der wettbewerblichen Ausschreibungen erfolgen, sodass – neben dem Kraftwerkssicherheitsgesetz, dem KWKG, den Flexibilitäten und dem Erneuerbaren-Investitionsrahmen – die Kapazitätsmechanismen einen ausreichenden und breiten Mix an Technologien und Lösungen sicherstellen.