Strukturwandel in der Lausitz

Alles (wird) schön grün hier

In der Lausitz herrscht Aufbruchstimmung. Braunkohle ist passé, der Ausbau erneuerbarer Energien verheißt eine wirtschaftlich vielversprechende Zukunft. Weil die möglichst schnell beginnen soll, hat sich die Region bei der EU als Net Zero Valley beworben.
Von:  Meike Naber und Frank Lassak
25.06.2025 | 8 Min.
Erschienen in: Ausgabe 06/2025
Mit der offiziellen Bewerbung als Net Zero Valley bei der EU-Kommission hat die Lausitz Ende März ein Zeichen gesetzt. Sie will nicht mehr nur Symbol des Strukturwandels sein, sondern Referenzmodell für grüne Industriepolitik.
Mit der offiziellen Bewerbung als Net Zero Valley bei der EU-Kommission hat die Lausitz Ende März ein Zeichen gesetzt. Sie will nicht mehr nur Symbol des Strukturwandels sein, sondern Referenzmodell für grüne Industriepolitik.
Foto: LEAG GigawattFactory

Als Mitte März zwischen Kraftwerksruinen und neu verlegten Glasfasertrassen ein regionales Bündnis in einem Verwaltungsbau nahe dem Industriepark Schwarze Pumpe in der Lausitz tagte, war die Stimmung konstruktiv bis euphorisch. Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Forschung feilten an den letzten Details eines ambitionierten Projekts: Europas erstes Net Zero Valley zu errichten. Aus dem einstigen Braunkohlerevier im Osten der Republik soll demnach in den kommenden fünf bis zehn Jahren ein industrieller Hotspot aus Wasserstoffwirtschaft, Energiespeichern, Netzen und Sektorkopplung werden – getragen von Bund, Kommunen, Wirtschaft und Wissenschaft.

Im Zentrum des Strukturwandels stehen der Industriepark Schwarze Pumpe und das Green Areal Lausitz. Maßgebliche Treiber sind das weitgehend aus Bundesmitteln geförderte Reflau-Konsortium, das Strom speichern, rückverstromen, Wasserstoff liefern und Wärme bereitstellen soll, der Energiekonzern Leag sowie der Batteriespeicherhersteller Altech. Unternehmen wie Hygen, Energy4future und Rock Tech Lithium zeigen zudem mit geplanten Vorhaben zur Wasserstoffproduktion, zu klimafreundlichen Baustoffen und Batterierohstoffen, was ebenfalls zur Transformation der Branche gehört.

Mit der offiziellen Bewerbung als Net Zero Valley bei der EU-Kommission hat die Lausitz Ende März ein Zeichen gesetzt. Sie will nicht mehr nur Symbol des Strukturwandels sein, sondern Referenzmodell für grüne Industriepolitik. Roland Peine, technischer Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft Spremberg, gibt sich daher optimistisch: „Wir müssen Investoren nicht mehr überzeugen. Deutsche und internationale Unternehmen suchen aktiv Standorte mit grüner Infrastruktur – das Net Zero Valley Lausitz ist ein Leuchtturm dafür.“ Eine starke Ansage. Aber ist sie haltbar?

Anpassungsfähige Industrieregion

„Die Lausitz ist seit Jahrzehnten Energieregion, hiesige Unternehmen bieten Kompetenzen in der energieintensiven Industrie und in technischer Innovation. Sie haben vielfach bewiesen, dass sie flexibel und anpassungsfähig sind“, sagt Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). „Sie sind zudem gut vernetzt mit Forschungseinrichtungen und Hochschulen, etwa dem Energie-Innovationszentrum, dem PtX-Lab Lausitz und diversen Fraunhofer-Instituten. Im künftigen Lausitz Science Park wird der Weg von der Wissenschaft zur Praxis noch einmal kürzer.“ Schon jetzt wüchsen dort die Kompetenzen in den Bereichen Wasserstoff, Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung stetig, so Woidke. Das Net Zero Valley könne diese Entwicklung weiter vorantreiben und die Identität als Vorreiterregion stärken.

Mit Katherina Reiche (CDU) im Bundeswirtschaftsministerium steht die Energiepolitik freilich vor einem Richtungswechsel. Anders als ihr Vorgänger Robert Habeck (Grüne) gilt die ehemalige Eon-Managerin als industrienah, technologieoffen und vergleichsweise vorsichtig gegenüber übermäßigen Markteingriffen. Was die Lausitz braucht – Planbarkeit, Geschwindigkeit, Förderklarheit – ist unter Reiche zwar nicht ausgeschlossen, aber weniger gesichert.

Einige der beteiligten Unternehmen und Verbände spüren das. Ein Brancheninsider bringt die Unsicherheit auf den Punkt: „Wir haben endlich die grüne Basis – doch jetzt kommt die Bewährungsprobe: Können wir daraus wirklich dauerhafte Industrieansiedlungen machen?“ Die Herausforderung bestehe nämlich nicht nur darin, Infrastruktur aufzubauen, sondern funktionierende Geschäftsmodelle zu etablieren.

Tatsächlich ist die Projektlandschaft bereits sehr konkret: Der einstige Braunkohleriese Leag will bis 2030 rund zehn Milliarden Euro in eine sogenannte Gigawatt Factory stecken – mit bis zu sieben Gigawatt (GW) grüner Stromerzeugung aus Wind und Photovoltaik. Das Referenzkraftwerk Lausitz (Reflau) – eine H2-Speicherkraftwerklösung mit Rückverstromung über Turbine und Brennstoffzelle – wird mit 28,5 Millionen Euro vom Bund gefördert. Gekoppelt mit einem 500-Megawattstunden-Wasserstoffspeicher und einem Windpark soll es 2026 ans Netz gehen. Und der Batteriespezialist Altech errichtet im Industriepark Schwarze Pumpe eine Produktionslinie für nicht brennbare keramische Festkörperbatterien mit einer Kapazität von zunächst 100 Megawattstunden (MWh). Sie sind für stationäre Anwendungen im Stromnetz vorgesehen – ein zukunftsträchtiger Nischenmarkt. Ergänzt wird der Industrie-Cluster durch das PtXLab Lausitz, ein vom Bund geförderter Think-and-do-Tank für synthetische Kraftstoffe, sowie durch Infrastrukturprojekte wie den Batteriespeicher Big Battery Lausitz (53 MWh) und einen geplanten H2-Leitungsanschluss für Industrie und Mobilität. Die Investitionssummen sind verbindlich, Flächen wurden bereits ausgewiesen, Verfahren eingeleitet – so auch die Umwidmung von Stadtwald in Windkraft-Konzentrationszonen bei Spremberg. Genehmigungen laufen, erste Bauanträge sind gestellt.

Industriepolitische Neuausrichtung

Der NZIA ist ein zentrales Puzzlestück der Energiewende. Er hilft, neue Abhängigkeiten zu vermeiden.“ André Wolf, Centrum für Europäische Politik

Der Wandel in der Lausitz veranschaulicht zugleich die industriepolitische Neuausrichtung der Europäischen Union: Mit dem sogenannten Net Zero Industry Act (NZIA) fördert die EU grüne Schlüsseltechnologien, die lokal verankert und strategisch gebündelt werden sollen. Das EU-Klimaziel – 90 Prozent weniger Emissionen bis 2040 – erhöht den Handlungsdruck. Die Transformation muss zudem nicht nur ökologisch sinnvoll, sondern auch international wettbewerbsfähig sein. „Der NZIA ist ein zentrales Puzzlestück der Energiewende“, sagt André Wolf vom Centrum für Europäische Politik (CEP), Berlin. „Er hilft, neue Abhängigkeiten zu vermeiden, und soll als wirtschaftspolitisches Steuerungsinstrument genutzt werden.“

Hierzu setzt die Verordnung etliche industriepolitische Hebel an: Im Zentrum stehen strategisch priorisierte Technologien wie Wasserstoff, Batterien und Energiespeicher. Geplant sind zudem schnellere Genehmigungsverfahren, Ausschreibungskriterien mit Fokus auf Resilienz und Nachhaltigkeit sowie eine gezielte Standortförderung. All das soll Investitionen anregen und die industrielle Basis Europas im globalen Wettbewerb stärken. Dabei sind politische Weichenstellungen zentral, vor allem in der Planungsphase. „Entscheidungen müssen schneller getroffen werden als bisher“, sagt ein Altech-Manager. „In den USA dauern Genehmigungen drei Monate; Deutschland muss zügiger agieren, um konkurrenzfähig zu bleiben.“

Strukturschwache Regionen wie die Lausitz können von der im NZIA vorgesehenen Planungs- und Investitionssicherheit gewiss profitieren: Die Förderung strategisch ausgewählter Technologien schafft klare Rahmenbedingungen für industrielle Vorhaben. Doch die enge Fokussierung auf wenige Schlüsseltechnologien birgt auch Risiken: Regionale Projekte außerhalb des Förderrahmens könnten durchs Raster fallen. „Die Auswahl sollte sich an den Stärken der Mitgliedstaaten orientieren“, fordert CEP-Experte Wolf. „Andernfalls droht ein kannibalisierender Standortwettbewerb.“

Klar ist: Der NZIA verändert die Spielregeln für Unternehmen in der Erneuerbare-Energien-Branche grundlegend. Neben dem Preis für Produkte und Dienstleistungen zählen künftig auch Nachhaltigkeit, Herkunft und Versorgungssicherheit bei Ausschreibungen. Das erfordert Anpassungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. „Resilienzkriterien können die heimische Produktion stärken, treiben aber die Kosten“, warnt Wolf. Die Gewichtung müsse flexibel und technologiespezifisch sein, um Innovationen nicht zu bremsen. Unternehmen müssen ihre Lieferketten neu ausrichten, um ökologische Standards zu erfüllen und Versorgungssicherheit zu gewährleisten – zentrale Vorgaben des NZIA.

Der europäische Chemieverband Cefic kritisiert den NZIA gleichwohl als „unzureichend“. Cefic-Direktor Marco Mensink betont, dass das Gesetz die realen Herausforderungen der Unternehmen, vor allem die hohen operativen Kosten durch Energie und Rohstoffe, nicht angemessen berücksichtige. „Es ist sehr unwahrscheinlich, dass der NZIA ein Gamechanger für die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie wird“, meint Mensink, „da er die bestehenden Probleme nicht aus der Perspektive der Unternehmen und Investoren betrachtet.“

Die Windenergiebranche dürfte vom NZIA indes stark profitieren: Unternehmen wie Enercon, Nordex oder Siemens Gamesa erwarten durch schnellere Genehmigungen einen Aufschwung. Bei der Photovoltaik dürfte es hingegen schwerer werden. „Ohne strategische Beschaffung europäischer Öffentlichkeit wird der NZIA in der PV-Branche wenig bewirken“, sagt Carsten Körnig vom Bundesverband Solarwirtschaft (BSW). Laut BSW lag der europäische Marktanteil bei Solarmodulen im Jahr 2023 bei weniger als drei Prozent. Ob es durch den NZIA gelingt, bis 2030 in Europa die Produktion von derzeit äquivalenten 10 GW pro Jahr auf 30 GW zu steigern, ist ungewiss – auch weil der Preiskampf mit chinesischen Herstellern mitunter halsbrecherische Formen angenommen hat.

Knackpunkte: Grüngasquote und CCSSteht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte.Steht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte.

Neben neuen Marktmechanismen wie resilienzbasierten Ausschreibungen wirft der NZIA ein Schlaglicht auf technische Ergänzungen – teils innerhalb, teils außerhalb seines direkten Regelungsbereichs. Ein Beispiel ist die Grüngasquote, die zu den Instrumenten für den Markthochlauf von Wasserstoff zählt. Im NZIA selbst ist sie nicht geregelt. Ihr Effekt sei aber ohnehin begrenzt, meint André Wolf. „Die Grüngasquote setzt nur geringe Nachfrageanreize, treibt jedoch die Heizkosten. Für Sektoren wie Stahl und Chemie könnte das kontraproduktiv sein.“ Statt einer einseitigen Quotenregelung brauche es gezielte Investitionsanreize und den Ausbau von Infrastruktur, um grüne Ressourcen marktfähig zu machen.

Carbon Capture and Storage (CCSSteht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte.Steht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte.) ist im NZIA hingegen als ergänzende Maßnahme für schwer dekarbonisierbare Industrien vorgesehen, und auch die EU-Transformationsstrategie misst CCSSteht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte.Steht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte. eine wichtige Rolle bei – allerdings mit klaren Grenzen. „CCSSteht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte.Steht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte. gehört in schwer dekarbonisierbare Bereiche wie Zement oder Abfall“, so Wolf. „Entscheidend ist ein CO2-Preis, der den Einsatz effizient steuert.“ Ohne entsprechende Marktbedingungen und öffentliche Förderung sei CCSSteht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte.Steht für Carbon Capture and Storage: das Einfangen und dauerhafte Einlagern von CO2. Beim verwandten CCU dient das eingefangene CO2 als Rohstoff für Produkte. ökonomisch kaum tragfähig und drohe als Ersatz statt als Ergänzung zur Emissionsvermeidung eingesetzt zu werden. Kritisch sei zudem die geplante Einbeziehung internationaler CO2-Kompensationen in den Emissionshandel: „Anstatt das System damit durch die Hintertür zu verwässern, sollte den steigenden Kosten durch hohe CO2-Preise mit besserer Förderung von Dekarbonisierungsmaßnahmen begegnet werden.“

Die kommenden fünf bis zehn Jahre werden darüber entscheiden, ob die Lausitz als Leuchtturm im Net Zero Valley strahlt – oder eher ackert. Die Projekte sind ambitioniert, die Aufmerksamkeit ist da. Doch Märkte, Ministerien und Menschen sind nicht automatisch überzeugt. Ob Roland Peines euphorisches Statement also zutrifft, wonach man keine Investoren mehr überzeugen müsse, bleibt vorerst offen. Sicher ist: „Der NZIA bietet der Lausitz gute Rahmenbedingungen“, betont Brandenburgs Ministerpräsident Woidke, „um den Strukturwandel zu meistern und die Region als grünen Industriestandort international wettbewerbsfähig zu machen.“

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