neue energie: Herr Fell, Sie haben 1999 den Entwurf für das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) geschrieben. Heute haben wir mit gut 60 Prozent so viel Ökostrom im Netz wie nie zuvor. Ist das Ihr Erfolg?
Hans-Josef Fell: Ich weiß gar nicht, ob ich von Erfolg sprechen würde. Wir könnten schließlich schon bei 100 Prozent Ökostrom sein, wenn wir auf dem exponenziellen Ausbaupfad des ersten EEG geblieben wären. Leider gab es von Beginn an erheblichen Widerstand – selbst innerhalb der rot-grünen Bundesregierung. Dennoch hat der Bundestag das Gesetz verabschiedet.
ne: Von wem kam der Widerstand?
Fell: Der damalige Wirtschaftsminister Werner Müller war ein entschiedener Gegner. Er hat bis zum Schluss versucht, das EEG zu verhindern. Das Gesetz hat ja eine ziemlich ungewöhnliche Entstehungsgeschichte: Es war kein Entwurf der Regierung, sondern wurde von Abgeordneten aus dem Parlament heraus auf den Weg gebracht. Michaele Hustedt und ich haben für die Grünen daran gearbeitet und Hermann Scheer und Dietmar Schütz für die SPD. Es war insbesondere das Verdienst von Hermann Scheer, dass die SPD-Fraktion dafür gewonnen werden konnte. Er war es auch, der in der entscheidenden Fraktionssitzung mit einer leidenschaftlichen Rede den Widerstand von Werner Müller überwunden hat.
ne: Welche Rolle spielte Gerhard Schröder?
Fell: Er war innovativen Ideen gegenüber durchaus aufgeschlossen. Letztlich stand er dahinter, genau wie natürlich die Grünen-Minister Joschka Fischer und Jürgen Trittin.
ne: Was hat das Gesetz damals bewirkt?
Fell: Es hat der Energiewende einen gewaltigen Schub gegeben. Die großen Energiekonzerne hatten lange Zeit behauptet, dass mehr als vier Prozent Erneuerbare im Stromnetz technisch unmöglich wären. Sie haben diesen Unsinn sogar in Zeitungsanzeigen verbreitet. In der Realität lag der Anteil schon bald darüber, ohne dass es zu den prophezeiten Blackouts gekommen wäre. Und im gleichen Maße hat das EEG Hunderttausende Arbeitsplätze geschaffen. Um 2010 kamen sieben der zehn weltgrößten Solarfirmen aus Deutschland. Heute sind deutsche Unternehmen nicht mal mehr in den Top 50. Die Chinesen beherrschen den Markt.
ne: Was ist schiefgelaufen?
Fell: Die Merkel-Regierungen haben den Boom abgewürgt. Sie haben das Gesetz in diversen Novellen verändert, fast durchweg zum Schlechteren. China dagegen hat unser System kopiert und enorme Erfolge beim Erneuerbaren-Ausbau eingefahren. Ich würde sogar sagen, dass ich in der chinesischen Energiepolitik heute mehr vom ursprünglichen EEG erkenne als in der deutschen.
ne: Musste das EEG nicht reformiert werden? Schließlich liefen die Kosten aus dem Ruder.
Fell: Natürlich musste man es anpassen. Aber man hätte den Kern erhalten müssen. Man hätte die Förderung daran koppeln können, dass die Erneuerbaren systemdienlich ausgebaut worden wären, inklusive wetterunabhängiger Bioenergie, Wasserkraft und Speichern. Das wurde versäumt, und die Folgen sieht man heute in den irrsinnigen Ausschlägen der Strompreise bei Dunkelflaute. Für Energiewende Gegner ist das ein gefundenes Fressen. Sie können sagen: Seht her, das System funktioniert nicht! Dabei lag der Fehler nicht im EEG, sondern in den fatalen Reformen und fehlenden Optimierungen.
ne: Worin sehen Sie die zentralen Fehler?
Fell: In den Novellen unter Sigmar Gabriel (SPD), Philipp Rösler (FDP) und Peter Altmaier (CDU). Sie alle haben argumentiert, mehr Marktwirtschaft ins System bringen zu wollen, aber tatsächlich haben sie die pure Planwirtschaft eingeführt – nämlich mit den Ausschreibungen: Die Regierung plant für jeden Energieträger genau, wie viel in den folgenden Jahren zugebaut werden soll, statt die freien Marktkräfte laufen zu lassen, und die Beamten setzen die Planung mithilfe überbordender Bürokratie um. Es ist mir ein Rätsel, warum es selbst in der Erneuerbaren-Branche Zustimmung dafür gibt. Man müsste die Ausschreibungen abschaffen und zu einem simplen, für jeden verständlichen Fördersystem mit festen Vergütungen zurückkehren. Natürlich auch mit Blick auf die Schaffung von Flexibilitäten im Verbrauch, den Ausbau von Speichern und die Förderungen von Innovationen wie etwa Strömungskraftwerken in Flüssen.
ne: Immerhin hat die Ampelregierung eine Wende eingeleitet: PV boomt, in der Windenergie liegen die Genehmigungszahlen auf Rekordniveau.
Fell: Ja, das ist in großer Erfolg nach 16 Jahren Rückschritten unter Merkel. Die Frage ist aber, wie viel davon unter der kommenden Regierung Bestand hat. Allein mit den erfreulich vielen Windpark-Genehmigungen werden wir das Klima nicht schützen. Wir brauchen konkrete Projekte, die schnell sauberen Strom liefern. Und selbst das ist nur die halbe Miete. Parallel müssen wir das bereits in die Atmosphäre geblasene CO2 im großen Stil wieder einfangen.
ne: Derzeit regieren in vielen Ländern Klimaschutzgegner. Haben Sie Sorge, dass die globale Energiewende zurückgedreht wird?
Fell: Es wird sicher Rückschläge geben. Im Moment sind die fossilen Lobbyisten in USA und Europa stark. Aber es gibt etwas, das mich optimistisch stimmt: der Markt. Erneuerbare Energien und Speicher sind um so viel günstiger als Kohle, Öl und Erdgas oder gar Atomkraft, dass sie sich weltweit durchsetzen. Der freie Markt ist unser Verbündeter.
geboren 1952 im fränkischen Hammelburg, studierte Physik und Sport und arbeitete zwei Jahrzehnte als Gymnasiallehrer, bevor er in den 1990er Jahren sein Herz für die Energiewende entdeckte. Von 1998 bis 2013 saß er für die Grünen im Bundestag. Im Jahr 2000 war er einer von vier Autoren des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, das später von vielen Ländern auf der Welt kopiert wurde. 2006 gründete er die Energy Watch Group, ein Netzwerk aus Forschern und Parlamentariern, das sich für den Abschied von fossilen Energien einsetzt. Bis heute ist er ihr Präsident.