Das Gericht in Leipzig bestätigte ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Kassel vom Februar 2013. Danach war das Vorgehen des hessischen Umweltministeriums gleich doppelt rechtswidrig: Zum einen hätte der Essener Energiekonzern RWE als Kraftwerksbetreiber vor dem Beschluss angehört werden müssen. Außerdem sei die Stilllegung unverhältnismäßig und nicht vom Atomgesetz gedeckt gewesen.
Die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung hatte sich gemeinsam mit den Bundesländern in ihrem Moratorium für die sieben ältesten Kraftwerke darauf berufen, nach dem Reaktorunglück im hoch technisierten Japan müsse die Gefahrenlage neu bewertet werden. Schon damals monierten Juristen jedoch, eine sofortige Abschaltung per Anordnung der Aufsichtsbehörde halte einer gerichtlichen Überprüfung nicht stand. Dafür müssen laut Gesetzestext „Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter“ bestehen.
RWE-Aktie legt zu
RWE wolle den entstandenen wirtschaftlichen Schaden nun zivilrechtlich einklagen, erklärte ein Sprecher der zuständigen Konzernsparte RWE Generations auf Anfrage. Welchen Wert man dafür ansetze, werde noch geprüft. In Medien und Politik kursiert jedoch die Zahl 190 Millionen Euro.
Noch-Umweltministerin Lucia Puttrich (CDU), die in der neu formierten schwarz-grünen Landesregierung auf den Posten der Bundesratsministerin wechseln soll, betonte, das Urteil sei „keine Vorentscheidung, ob überhaupt Schadensersatzansprüche des Betreibers gegenüber dem Land bestehen.“ Die RWE-Aktie legte in Reaktion auf das Urteil allerdings bereits um vier Prozent auf knapp 27 Euro zu.
Der atompolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Norbert Schmitt, griff Puttrich scharf an. Sie habe „bei der vorläufigen Stilllegung der Biblis-Blöcke A und B nach der Atomkatastrophe von Fukushima haarsträubende Fehler gemacht“ und sei für ein Ministeramt „vollkommen ungeeignet“. Angesichts der drohenden Millionenkosten forderte Schmitt, auch persönliche Schadenersatzansprüche des Landes gegen Puttrich müssten geprüft werden.
Atomausstieg weiter vor Gericht
Für die laufende Klage vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den generellen Atomausstieg erhofft man sich bei RWE durch das Urteil keinen zusätzlichen Anschub. Es handele sich um zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte. Während auch die Mitbewerber Eon und Vattenfall juristisch gegen den Atomausstieg vorgehen, hatte gegen das Moratorium 2011 nur RWE geklagt, das lediglich in Biblis betroffen war. Die anderen Atomkraftwerksbetreiber Eon, EnBW und Vattenfall verzichteten dagegen in diesem Fall auf den Gang vor die Gerichte. Ein Eon-Sprecher erklärte nun allerdings, man prüfe auf Basis des Biblis-Urteils ebenfalls Schadenersatzklagen aufgrund erlittener Vermögensschäden. Vom Moratorium waren Atomkraftwerke des Konzerns in Niedersachsen und Bayern betroffen.
Unabhängig davon, ob die juristischen Folgen des Urteils über Hessen hinaus wirken, sollten laut dem Aktionsbündnis „Atomausstieg-selber-machen“ Bürger und Unternehmen in jedem Fall Konsequenzen ziehen: „Es ist ärgerlich, dass die schwarz-gelbe Koalition offenbar mit einer dilettantischen juristischen Absicherung des Atomausstiegs den Atomkonzernen in die Hände gespielt hat“, erklärte Sprecher Gerd Rosenkranz, der bis vor kurzem den Bereich Politik bei der Deutschen Umwelthilfe leitete. Millionen von Stromverbrauchern könnten aber durch einen Wechsel zu Ökostromanbietern „den Atomkonzernen RWE, Eon und Vattenfall die Sektlaune verderben.“