Industrie

„Riesige Chance“

Top-Ökonom Marcel Fratzscher betonte im Rahmen des Parlamentarischen Neujahrsempfangs der Erneuerbaren in Schleswig-Holstein die Bedeutung der ökologischen Transformation.
Von:  Karena Sprick
03.06.2025 | 4 Min. | 1
Erschienen in: Ausgabe 03/2025
Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität in Berlin. Darüber hinaus ist er Mitglied im Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums und Autor zahlreicher Publikationen und Fachbücher zu Themen wie Finanzmärkte, ökonomische Ungleichheit, Globalisierung und europäische Integration.
Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität in Berlin. Darüber hinaus ist er Mitglied im Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums und Autor zahlreicher Publikationen und Fachbücher zu Themen wie Finanzmärkte, ökonomische Ungleichheit, Globalisierung und europäische Integration.
Foto: DIW Berlin

Mehr als 200 Gäste aus Politik, Wirtschaft und Branche waren der Einladung von Arge Netz, BWE SH und LEE SH in das Kieler Landeshaus gefolgt. Sie appellierten an die Politik, an den Ausbauzielen festzuhalten. „Eine neue Bundesregierung müsse stabile Rahmenbedingungen schaffen, um die Transformation zum Ziel zu führen“, forderte Bärbel Heidebroek, Präsidentin des Bundesverbands WindEnergie. Die Gastgeber betonten außerdem die Notwendigkeit, die Überbauung von Netzverknüpfungspunkten zu ermöglichen sowie die europäischen RED III- und NIS-2-Richtlinien umzusetzen. Prominenter Gast des Abends war Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt Universität in Berlin. Fratzscher ist einer der Top-Ökonomen in Deutschland. Regelmäßig ist er zu Gast in Nachrichtensendungen und Talkshows. Der Autor und Kolumnist sprach über die wirtschaftlichen Chancen der Energiewende für Deutschland.

Ökologische Transformation stärkt Industrie

Fratzscher begann seinen Impuls mit der Feststellung, Deutschland befinde sich derzeit in drei grundlegenden Transformationsprozessen, die alle mehr oder weniger gleichzeitig stattfinden: in der Globalisierung, der ökologischen Transformation sowie der sozialen Transformation. Er ist überzeugt: „Diese Transformationen sind nicht nur ein Risiko, sondern eine Chance für Deutschland, sich wirtschaftlich zu erneuern und neue Wirtschaftsbereiche aufzubauen. Vor allem die ökologische Transformation ist eine riesige Chance und gleichzeitig Voraussetzung für eine dauerhaft starke Industrie in Deutschland.“

Die Industrie braucht aus seiner Sicht schnell günstige Energie. „Dafür müssen die erneuerbaren Energien jetzt noch viel schneller ausgebaut werden“, forderte der Makroökonom. Es geht dabei primär um den Aufbau neuer Wertschöpfungsketten, die den industriellen Kern der deutschen Wirtschaft sichern. „Nur mit geringen Energiekosten können neue Wertschöpfungsketten entstehen, die wir global vermarkten können“, sagte der DIW-Präsident. Dann ließen sich die Schreckgespenster „Deindustrialisierung“ und „Verlust der Wettbewerbsfähigkeit“ vertreiben.

Soziale Transformation nötig

Parallel zum ökologischen Transformationsprozess befindet sich, so Fratzscher, die Gesellschaft in einer sozialen Transformation. Sie ist für ihn nicht nur die schwierigste der drei Transformationen, sondern auch essenziell für das Gelingen der ökologischen Transformation. Die Politik habe diese in der Vergangenheit vernachlässigt und müsse sie nun viel stärker in den Fokus nehmen. Er sieht die Gesellschaft in einer mentalen Depression.

Damit diese negative Stimmung überwunden wird, müsse die Gesellschaft Vertrauen in die ökologische Transformation fassen. „Soziale Akzeptanz entsteht durch Beteiligung“, ist Fratzscher überzeugt. Die Menschen müssten Vorteile durch die ökologische Transformation erfahren und sie als Chance begreifen. Bei höheren Kosten müsse die Gesellschaft entlastet werden, beispielsweise über ein Klimageld oder Teilhabeprojekte, meint er. Das Klimageld könne nach seiner Vorstellung gestaffelt nach Einkommenshöhe ausgezahlt werden. Außerdem braucht es eine Vision der Politik für die nächsten Jahre. Sie sollte die nötigen Investitionen benennen. Dafür hob Fratzscher fünf Kernthesen hervor:

  1. Große Technologien: Europa muss auch in großen Technologien wettbewerbsfähig sein.
  2. Kritische Rohstoffe: Die Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen, insbesondere von China, muss überwunden werden.
  3. Batterien: Europa und Deutschland müssen im Bereich der Batterietechnologie wettbewerbsfähig sein. China ist auf diesem Markt derzeit dominant. Hier braucht es mehr Investitionen und mehr Risikobereitschaft. Synergien müssen besser genutzt werden.
  4. Wettbewerb: Politik muss die Rahmenbedingungen schaffen, damit es einen fairen Wettbewerb für europäische Hersteller gibt, beispielsweise für Solarmodule und Elektrofahrzeuge.
  5. Regulierung: Es braucht Verlässlichkeit und Kontinuität für Planungssicherheit. Fehlt dies, ist das „Gift für die Wirtschaft“, sagte Fratzscher.

Geringe Energiekosten und wirtschaftliche Anreize

Deutschland braucht Fachkräfte, eine geeignete Infrastruktur sowie private und öffentliche Investitionen.“ Marcel Fratzscher
Der DIW-Präsident betonte: „Das wirtschaftliche Rückgrat von Deutschland ist die Industrie.“ Damit sich die in der Gesellschaft und Wirtschaft vorherrschende deprimierte Stimmung auflösen kann, braucht es günstige Energie, die durch einen schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien erreicht wird. Dann können neue Wertschöpfungsketten entstehen. Fratzscher appellierte an die Politik: „Dafür braucht es aber noch bessere Rahmenbedingungen. Deutschland braucht Fachkräfte, eine geeignete Infrastruktur sowie private und öffentliche Investitionen.“

Bezüglich der Höhe der Netzentgelte ist er der Auffassung, sie sollten dort am niedrigsten sein, wo erneuerbare Energien Strom produzieren. Der Bund könnte, so sein Vorschlag, die Netzentgelte so steuern, dass durch niedrige Netzentgelte und geringe Energiekosten die Anreize für Industrieansiedlungen dort gesetzt werden, wo erneuerbarer Strom produziert wird. Auch betrachtet er die Schuldenbremse als „fatal“ für Neuinvestitionen.

Marcel Fratzscher beendete seinen Vortrag mit dem Fazit: „Günstige Energiepreise machen die Industrie in Deutschland wettbewerbsfähig und zukunftsfähig. Neue Wertschöpfungsketten bringen Arbeitsplätze und Wohlstand für die Gesellschaft.“

 

 

Kommentare (1)

Die größte Verbilligung gab es bei der Solarenergie, und dort gibt es auch die größten Blockaden, vorneweg durch die Solarverbote in der Landesplanung und Regionalplanung. Hier müssen den Kommunen einfach mehr Möglichkeiten gegeben werden, auch, aber nicht nur für die solare Fernwärmeversorgung.

"Der Bund könnte, so [Fratschers] Vorschlag, die Netzentgelte so steuern, dass durch niedrige Netzentgelte und geringe Energiekosten die Anreize für Industrieansiedlungen dort gesetzt werden, wo erneuerbarer Strom produziert wird."
Das wird auch durch getrennte Auktions- und Preiszonen für Strom erreicht. Der Transport über die Hochspannungsleitungen aus der einen Preiszone in die andere bringt dann Erlöse und kann die Netzentgelte senken.

05.06.2025 - 18:56 | Falkenhagen Joachim

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Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität in Berlin. Darüber hinaus ist er Mitglied im Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums und Autor zahlreicher Publikationen und Fachbücher zu Themen wie Finanzmärkte, ökonomische Ungleichheit, Globalisierung und europäische Integration.
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